Momo hat geschrieben:Ich denke, wenn die Beziehung zwischen Kindern und Eltern "stimmt", d.h. wenn verständnisvoll und respektvoll miteinander umgegangen wird, einander zugehört wird, in persönlicher Sprache miteinander gesprochen wird, sich nicht hinter Erziehungsphrasen versteckt wird, dann muss man einem Kind nicht sagen, wie es sich wo zu "benehmen" hat. Dann hat es das Gespür, sich "richtig" zu verhalten. Und wenn dem nicht so ist merke ich, dass es wieder an der Zeit ist, an meiner Beziehung zu meiner Tochter zu arbeiten.
Exakt so habe ich viele Jahre auch gedacht - bevor ich selbst Kinder hatte
. Gute, wertschätzende Beziehung, soziales Miteinander vorleben - und das Kind kann ja gar nicht anders als sich ebenfalls "richtig" zu verhalten. Tja, und dann kamen meine zwei Rabauken und haben mir gezeigt, dass Kinder eigene Persönlichkeiten sind und nicht kleine Spiegel der Eltern
.
Ich habe ja viele Bekannte die großteils älter sind als ich und bereits erwachsene Kinder haben. Eine dieser Bekannten hat mal so nett erzählt "Als mein (älterer) Sohn klein war habe ich nie die Probleme verstanden, die andere Leute mit ihren Kindern hatten. Mein Sohn hat sich nie aufgeführt wie ein Wilder. Wir hatten eine sehr wertschätzende Beziehung und er hat auf mein Urteil vertraut. Wenn ich z.B. gesagt habe "Da würde ich nicht raufklettern, das sieht gefährlich aus" hat er sich die Sache überlegt und dann auf mich gehört. Grüßen, bitte, danke und höflicher Umgang waren sowohl im Umgang mit Bekannten als auch mit fremden Personen für ihn selbstverständlich. Ich dachte damals das sei, weil ich es so gut vorlebe und selbst so ein gelassener, lebensbejahender Mensch bin. So dachte ich 5 Jahre lang. Und dann kam mein jüngerer Sohn und ich erkannte nach und nach dass absolut NICHTS vom Verhaltens seines großen Bruders tatsächlich MEIN Verdienst gewesen ist."
Ich habe diese Geschichte gehört bevor meine eigenen Kinder zur Welt kamen. Da ich diese Bekannte gut kenne und weiß, dass sie eine sehr ehrliche, lebhafte und weltoffene Frau ist dachte ich mir damals "Naja, vielleicht ist da wirklich was dran dass Kinder einfach so sind, wie sie sind." Jetzt weiß ich, wie recht sie hatte. Es gibt durchaus Kinder, die einfach "von Natur aus" wissen, welches Verhalten angebracht ist. Wenn bei denen doch mal ein "mißfit" auftritt ist sein Ursprung tatsächlich in der Beziehungsebene zu suchen (und zu beseitigen). Aber so einfach, dass eine gute Beziehung zu den eigenen Kindern auch "richtiges" Verhalten nach sich zieht, ist die Sache leider doch nicht. Ich sehe es bei beiden Kindern, wenn auch in unterschiedlicher Art.
Mein älterer Sohn ist sehr sensibel und haßt es, ausgelacht zu werden. Das macht ihn unheimlich wütend. Klar, kein Kind will ausgelacht werden, aber andere Kinder können so was viel lockerer wegstecken als er. Leider kommt bei ihm dazu dass er häufig etwas auf sich bezieht, wo gar nicht er gemeint ist. Sprich: ein anderes Kind lacht laut und sieht dabei zufällig in seine Richtung - mein Sohn fühlt sich ausgelacht und geht aggressiv auf das andere Kind los, im festen Glauben dass ihm durch das vermeintlich auslachen furchtbares Unrecht geschehen ist. Für jemanden, der meinen Sohn nicht kennt, macht es den Anschein, als würde er aus heiterem Himmel auf ein anderes Kind losgehen. Also gar kein angepasstes Verhalten, eher ein Zeichen für lasche Erziehung oder ein grottenschlechte Eltern-Kind-Beziehung! Und solche und ähnliche Dinge "passieren" meinem Sohn immer im Umgang mit anderen Menschen, vor allem Kindern.
Zu Hause dagegen kommen wir fast immer super klar. Er ist so, wie ich damals war: ein daheim-brav-Kind
!
Mein jüngerer Sohn ist im Umgang mit mir zu 95% freundlich, friedlich und kooperativ. Bei Menschen, die er nicht so gut kennt, steigt dieser Prozentsatz auf annähernd 100%. Ich höre immer wieder wie brav er ist, wie gut man mit ihm auskommt, wie toll er kooperiert, wie sozial er sich verhält, usw. Schön, mit meinem jüngeren Sohn habe ich somit auch ein auswärts-brav-Kind
!
Wenn Kleinsohn hingegen seine Trotzphase hat ist er schlichtweg unausstehlich. Nichts passt ihm, überall hat er was auszusetzen. Da reicht schon, wenn ich das Wasser abdrehe, nachdem ich mir die Hände gewaschen habe. "NEIN, ICH WOLLTE DAS WASSER ABDREHEN! ICH! ICH!". Gut, ich drehe das Wasser wieder auf damit er es abdrehen kann "NEIN, JEZT MAG ICH NICHT MEHR! ICH MAG NICHT! ICH MAG NICHT!". Gut, ich frage ob ich selbst das Wasser abdrehen soll und mein Sohn nickt. Kaum drehe ich es aber ab kommt sofort wieder "NEIN; ICH WOLLTE DAS WASSER ABDREHEN! ICH! ICH!". Ich steige dann nicht mehr drauf ein und verlasse das Badezimmer. Mein Sohn kommt laut brüllend hinterher gebärdet dabei "ICH WILL WASSER ABDREHEN! ICH WILL WASSER ABDREHEN!". Ich gehe in einen andere Raum wo ich das Licht aufdrehe. Das Brüllen wird noch zwei Stufen lauter, unterstützt von Gebärdern "ICH WOLLTE DAS LICHT AUFDREHEN! ICH! ICH!". Unterstützt wird das Ganze dann auch noch von Faustschlägen und Tritten. So was kann bis zu 2 Stunden dauern
!
Wie ich mich in so Situationen so offen und wertschätzend verhalten kann dass mein jüngerer Sohn zufrieden ist (oder auch nur mit dem brüllen und schlagen aufhört) habe ich noch nicht herausgefunden. Und so was kommt durchaus auch in Situationen vor, wo ich URSPRÜNGLICH gelassen und in meiner eigenen Mitte gewesen bin (danach nicht mehr)
.
Bliss stime ich auch zu: in 1:1 Situationen ist es generell leichter. Wenn mein Mann mit unserem älteren Sohn ins Kind geht und sich dieser dann beim Film ("pets") fürchtet, können die beiden gemeinsam das Kino verlassen. Wenn mein jüngerer Sohn beim Kasperltheater statt brav stillzusitzen selbst mitspielen will kann ich mit ihm woanders hingehen - sofern nicht mein älterer Sohn dortbleiben und sich das Stück zu Ende ansehen will!
Wenn mein älterer Sohn seine Großeltern besucht geht er seit Jahren sehr gern in die Kinderbetreuung des Einkaufszentrums in der Heimatstadt meiner Eltern. Das Einkaufszentrum ist eher klein und meistens ist er dort das einzige Kind in der Kinderbetreuung - eine Situation, die er sehr genießt. Die Betreuerinnen freuen sich auch, dass endlich ein Kind da ist, und widmen ihm viel Zeit und Aufmerksamkeit. Sie kennen meinen Sohn seit Jahren und mögen ihn. Nur letztes Mal waren mehrere Kinder in der Kinderbetreuung und mein Sohn hatte anscheinend auch einen schlechten Tag. Jedenfalls wurden meine Eltern über Lautsprecher aufgerufen, ihn von der Kinderbetreuung abzuholen. Dort haben sie erfahren dass mein Sohn trotz mehrmaliger Ermahnung andere Kinder getreten hat und so ein Verhalten natürlich nicht tragbar ist. Mein Sohn wurde quasi "rausgeworfen". Warum hat er die anderen Kinder getreten? Kann ich nicht genau sagen! Vielleicht hatte er die Erwartungshaltung, wieder Exklusivbetreuung zu bekommen und war frustriert, als diese nicht erfüllt wurde. Vielleicht hat auch eine Betreuerin oder ein anderes Kind was gesagt oder getan, womit er nicht klargekommen ist. Aus ihm selbst ist nach so Situationen nie was rauszubekommen, er erfindet dann verbale oder körperliche Angriffe von anderen, die gar nicht stattgefunden haben, um selbst unschuldig dazustehen. Was aber tun
? Wie ist der "korrekte" Weg mit so Situationen umzugehen? Meine Eltern haben jedenfalls danach auf meinen Sohn eingeredet und versucht, ihm klarzumachen, dass so ein Verhalten einfach nicht geduldet werden kann und dass die anderen Kinder, die getreten wurden, ihm ja nichts getan haben. Eigentlich alles Dinge, die er sicher ohnehin weiß. Nicht, dass ich es schlecht finde, ihm es nochmal zu sagen (hätte ich wahrscheinlich auch getan), aber tatsächlich zweifle ich daran, dass er sich aufgrund dessen beim nächsten Mal anders verhalten wird.
Eine ähnliche Situation hatten wir bei der Samstags-Betreuung im "alten" Kindergarten meines älteren Sohnes. Mein Sohn hatte sich schon sehr darauf gefreut weil er endlich viele alte Freunde vom Kindergarten wieder sehen würde. Und dann war er dort einfach unmöglich! Hat andere Kinder getreten und geschlagen und einen Tobsuchtsanfall bekommen weil seine Lieblings-Kindergärtnerin seinem Wunsch, eine bestimmte CD einzulegen, nicht ad hoc nachgekommen ist. Sie war gerade beim Kekse backen und hatte die Hände voll Teig, hat aber freundlich gesagt "Gerne, nur ein bißchen Geduld, ich muß mir noch die Hände waschen!". Also durchaus wertschätzend und auf Augenhöhe! Aber mein Sohn wollte dass die CD SOFTORT eingelegt wird und es wurde ein furchtbaret Anfall mit kreischen, schimpfen und um-sich-schlagen!
Warum hat er sich so verhalten? Wieder: keine Ahnung! Zwei Wochen später war wieder Samstag-Betreuung und ich habe meinem Sohn ÜBERHAUPT NICHTS auf dem Weg mitgegeben. Also nicht gesagt "Aber dass du dieses Mal braver bist!" oder "Bitte schlag heute keine anderen Kinder!" oder "Du weiß hoffentlich, wie du dich zu benehmen hast!". Ich war der festen Überzeugung dass es nichts gab, was ich meinem Sohn sagen könnte, was er nicht ohnehin selbst weiß. Und siehe da, dieses Mal klappte alles wunderbar! Mein Sohn war freundlich, höflich und rücksichtsvoll und hatte außerdem noch einen Heidenspaß!
Mir geht es wie Bliss, ich glaube, trotzdem dass die Beziehung zu meinen Kindern grundsätzlich in Ordnung ist.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)