Hallo Urmelis,
ich denke Du bist Dir dessen bewusst, aber ich führe es noch mal auf:
urmelis hat geschrieben:Ich weiß, dass ich ein (leichtes? mittleres?) Trauma als Kind erlitten habe, als meine Mutter während einer Autofahrt, auf der mein Bruder und ich uns so gestritten haben, dass die Spielzeugautos durch die Gegend flogen, am Parkplatz hielt, uns am Anfang des Parkplatzes aus dem Auto holte, weiterfuhr und am Ende des Parkplatzes (außer Sichtweite) wieder hielt. Sie wartete ca. 5 Minuten und lief dann zurück und sammelte uns Kinder wieder ein. Wenn heute mein Mann vorausgeht, ohne mir etwas zu sagen und ich mich umdrehe und er ist auf einmal weg, steigt leichte Panik in mir auf. Ich führe das auf diese 5 Minuten zurück ... Dennoch war meine Mutter eine "gute", fürsorgliche Mutter, der ihre Kinder das wichtigste im Leben waren, und ich kann ihr keinen Vorwurf daraus machen.
… und was machst Du dann heute, in dem vollem Bewusstsein, welche langfristigen Folgen so etwas haben kann ?
urmelis hat geschrieben:Zum Thema Ängste: ich habe auch einmal, mit den Nerven wirklich am Ende, im Supermarkt den Einkaufswagen stehen gelassen, meine damals knapp dreijährige Tochter an der Hand genommen, sie nach draußen gebracht, ins Auto gesetzt und dann mit dem 1,5 jährigen auf dem Arm in Windeseile den Einkauf beendet. In diesem Moment konnte ich nicht anders, ganz ehrlich.
Du kopierst unbewusst nicht nur das Verhalten Deiner Mutter, sondern sie hat dieses damals auf dem Parkplatz sicherlich aus der gleichen inneren Not heraus gemacht, die Du heute z.B. beim Einkaufen als Mutter auch erlebst und für die Du von ihr keine Bewältigungsstrategie mitbekommen hast. Und Du beantwortest die vielen Fragen die sich zwangsläufig anschließen ja selbst:
urmelis hat geschrieben:Ich mache sicherlich einiges falsch - ein Fehler war wohl auch, dass ich erst vor kurzem angefangen habe, Jesper Juul zu lesen (und damit immer noch beschäftigt bin, denn ihn zu lesen, ist das eine, das eigene Verhalten zu hinterfragen, zu analysieren, sich selbst zu reflektieren, dass ist ein Prozess, der mich sicherlich die nächsten Jahre begleitet.
Ich denke du gibst heute genau dieses Verhalten und das bewusst und unbewusste Denken ungefiltert an Deine Kinder weiter, aber ich sehe noch ein Problem, das hier häufiger gegeannt wird:
urmelis hat geschrieben:
… und dann mit dem 1,5 jährigen auf dem Arm in Windeseile den Einkauf beendet.
… Die Zeit reicht immer für einige Exklusiv-Momente mit Mama
… [ich] kann nicht warten, bis die Kleinste sich die Schuhe selber angezogen hat
… Überlebt haben wir nur dank Kinderkrippe dreimal die Woche.
… ist für mich immer wieder eine Gratwanderung,
Wenn ich das, nicht nur von Dir sondern auch von anderen so lese, dann gibt es irgendwo immer etwas das wichtiger ist, das nicht warten kann und ich lese, das deshalb irgendwie ständig selbst gegen die eigenen inneren und äußeren Regeln oder (guten) Vorsätze verstoßen wird. Auf der anderen Seite wird aber von den Kindern verlangt, dass diese sich an "die Regeln" halten sollen und das funktioniert so einfach nicht. Entweder lebt man seinen Kindern konsequent etwas vor, oder eben nicht, halbe Sachen führen zu halben Sachen.
urmelis hat geschrieben:
Vielleicht ist es ja das, was Winnie als Unterschied zwischen Theorie und Praxis meint:
In der Praxis sieht das bei uns so aus, dass niemand von uns beiden Eltern jemals auf den Trichter kommen würde unsere Tochter irgendwo alleine zu lassen, vollkommen ausgeschlossen, da könnte sie schreien und toben wie sie will, wir können das aushalten, weil wir uns in solchen Fällen auch einfach die Zeit nehmen würden … und "komischer" Weise was passiert ? … wir haben ein liebes braves Kind, das zwar auch den ganzen lieben langen Tag (jetzt ohne Mittagsschlaf, den hat sie eingestellt) von sehr früh Morgens bis sehr spät in Abend tobt, rennt und schreit, aber nicht im negativen Sinne, sondern sichtlich als Energieabbau und nicht gegen etwas oder gar uns gerichtet, sondern mit einem selbst gesteckten Ziel versehen … und wenn wir dann beim Einkaufen sind, dann ist sie völlig entspannt, kennt die Wege, steckt den Euro in den Einkaufwagen und entfernt die Kette, schiebt den Wagen, hilft beim Einpacken und freut sich an der Kasse das Geld zuübergeben und winkt den Verkäufer/innen zum Abschied fröhlich zu, schiebt den Einkaufwagen zurück, steckt die Kette rein, holt den Euro raus und gibt ihn mir wieder.
Es geht darum verlässliche Abläufe zu schaffen und wie ich schon mal geschrieben habe, das dauert jetzt alles zwar erheblich länger, es ist ein entschleunigtes Leben, das sich, wenn unsere Tochter dabei ist und bei den Dingen, die sie als ihre Aufgaben betrachte (wie das Einkaufwagen holen und Wegbringen) nach ihrem Tempo ausrichtet, aber die Beschleunigung hat von der ersten Minute an eingesetzt und die Geschwindigkeit steigt von Tag zu Tag, aber Zeit spielt einfach keine Rolle, denn es gibt nichts Wichtigeres als die seelische Gesundheit des eigenen Kindes.
Liebe Grüße
Heiner