Impulsivität

mein "kluges Kind" macht mich fertig: negative Erfahrungen und Erlebnisse
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orangenminze
Dauergast
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Impulsivität

Beitrag von orangenminze »

Hallo zusammen,

gerne würde ich Eure Einschätzung zu einigen Verhaltensweisen, Eigenarten, Schwierigkeiten unseres älteren Sohnes hören. Vielleicht neige ich wieder dazu mir unnötig einen Kopf zu machen, vielleicht steht aber auch Handlungsbedarf an. Ich bin gerade verunsichert, zumal mein Partner und ich die Situationen manchmal sehr unterschiedlich wahrnehmen und bewerten. Ich hatte ja schon mal geschrieben, dass unser Sohn dazu neigt, schnell von Reizen überflutet zu werden. Er kann sich schlecht abgrenzen von Geräuschen oder Vorgängen, die um ihn herum passieren, sondern nimmt nahezu alles um ihn herum wahr.
Außerdem nehme ich manchmal eine gewisse Distanzlosigkeit wahr, er bezieht Viele Äußerungen aus Unterhaltungen Erwachsener auf sich, mischt sich dann in das Gespräch ein oder auch in neuer Umgebung, in der andere Kinder vielleicht erst einmal schauen würden, wahrnehmen würden, worum geht es hier, wo bin ich hier, ist er meistens gleich mittendrin, sucht Kontakt, unterhält sich mit fremden Kindern oder Erwachsenen gleichermaßen.
Eine weitere Eigenschaft ist, dass er sehr impulsiv und emotional reagieren kann. Derart, dass sowohl seine Umgebung manchmal erschrickt, aber er selber auch. Zum Beispiel wenn er hinfällt und sich weh tut, dann ist es nicht mit einem leisen Schluchzen getan, sondern er weint laut und kann richtig schreien und das sehr ausdauernd. Ein anderes Beispiel ist, wenn er sich übergangen fühlt oder etwas nicht hergeben möchte; neulich ging es darum, dass wir ein Feuer machen wollten, er aber in die Kiste mit Feuerholz auch Holz hineingetan hatte, das für ihn eine besondere Bedeutung hat (Werkzeug, Tier, Waffe, zT auch Sachen, die er gewerkel hatte). Nichtsahnend haben wir die Kiste eingepack, Sohnemann schreit, brüllt, weint. Auf Nachfragen, was los ist, erklärt er schreiend und fast hyperventilierend, dass in der Kiste Sachen drin sind, die nicht verbrannt werden dürfen. Kein Problem sagen wir, such die Sachen raus, die Du noch brauchst, den Rest könnne wir dann mitnehmen. Das hat er dann auch getan, war aber so aufgewühlt, dass er sich bestimmt eine Stunde nicht beruhigen konnte, immer wieder geweint hat etc. Das war jetzt nur ein Beispiel, aber solche Situationen kommen häufig vor. Oft ist er schon so drin in der Emotion, dass ein normales GEspräch nicht mehr möglich ist, auch zum Beispiel, wenn ich ankündige, dass wir gleich irgendwohin gehen oder wieder gehen müssen. Einige befreundete Familien haben oft Schwierigkeiten mit seinem Verhalten, so dass es auch vorkommt, dass bei Einladungen Sätze fallen, wie vielleicht kommt Ihr besser ohne Kinder. Ein Beispiel war ein Grillfest, auf dass wir gegangen sind, obwohl ich mit den Kindern vorher einen Nachmittag draußen am Wasser verbracht hatte. in der Hochsaison, es war also sehr voll, heiss, viele Leute auf der Wiese, die klassische Situation, die unseren Sohn schnell überfordert und nahe an den Tränen und nahe an Wutanfälle kommen lässt. Wider besseren Wissens, bin ich der Einladung trotzdem gefolgt, es endete aber mit anhaltendem WEinen und Schreien (ich glaube, die Wurst war zu heiss...), so dass ich schnell wieder gegangen bin. Dass war vor ca. einem Jahr, ganz so schlimm ist es nicht mehr, bzw. versuche ich solche "Doppelbuchungen" zu vermeiden bzw. anders zu gestalten. Damit handel ich mir jedoch öfter den Unmut meines Partners ein, der die Ansicht vertritt, dass wir unser Leben zu sehr nach den Bedürfnissen eines Vierjährigen ausrichten und wenn der kleine Bruder andere Bedürfnisse hat, diese auch oft zu kurz kämen.
Im Kindergarten kommt es nicht zu solchen Szenen, er reisst sich enorm zusammen, sogar wenn ihm wehgetan wird oder er hinfällt. Er neigt zwar dazu mit Wissen und Fragen den Morgenkreis zu sprengen, wenn er aber die Ansage bekommt, dass für seine Fragen und seine Themen gerade kein Raum oder keine Zeit mehr sei, nimmt er sich zurück und auch in Spielsituationen mit Kindern verhält er sich kooperativ und kommunikativ.
Klingt das für Euch so, dass das Altersangemessen ist für einen Vierjährigen? Habt Ihr Ideen, wie wir es für ihn und uns leichter gestalten könnten? Sind uns massive Erziehungsfehler unterlaufen, die zu so einem Verhalten führen? Was meint ihr? Ich weiss, es ist schwierig zu beurteilen, wenn man das Kind und die Eltern nicht kennt, aber ich bin trotzdem dankbar über Anregungen.
lg orangenminze
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Impulsivität

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo orangenminze,

ganz viel von dem, was du beschreibst, erinnert mich an meinen älteren Sohn: die Distanzlosigkeit, das sofortige ansprechen wildfremder Personen, momentane, impulsive Reaktionen wegen (scheinbarer) Kleinigkeiten, ...

Mein Sohn ist mittlerweile 6 Jahre alt geworden und vieles hat sich schon deutlich gebessert. Mir ging es wie Dir, ich dachte oft es sei ungewöhnlich und seine "soziale Reife" würde hinterherhinken. Sehr gut getan hat mir die Einschulungsuntersuchung, wo ich einige andere Kinder im Alter meines Sohnes beobachtet habe, deren Frusttoleranz und Impulsivität ebenfalls bei weitem noch nicht unter Kontrolle war. Das hat mir geholfen, meine Anschauung vom braven "Durchschnittskind" und meinem im Gegensatz dazu "schwierigen" älteren Sohn neu zu überdenken.

So gesehen finde ich das Verhalten deines Sohnes für einen 4jährigen auch nicht sehr ungewöhnlich ;) . Bei uns ist es auch so dass der jüngere im Alltag "einfacher" ist und es eigentlich meistens um die Bedürfnisse und Befindlichkeit des älteren geht. Da ist eben umdenken bei der eigenen Einstellung angesagt und die Verabschiedung von der Vorstellung, das jüngste Kind würde die Eltern generell "mehr" brauchen als die älteren Geschwister. Selbst Zwillinge sind in ihren Bedürfnissen oft sehr verschieden und es ist ja gerade die Herausforderung den INDIVDUELLEN Bedürfnissen und Eigenheiten der eigenen Kinder gerecht zu werden, ohne diese auf Gesellschaftstauglichkeit oder "Pflegeleichtigkeit" zu bewerten.

Wenn man Kinder hat bleibt einem eben nichts anderes übrig als sich auf ihre individuellen Eigenarten einzustellen. Und das macht ihr - soweit ich das wahrnehme - ohnehin. Die Einstellung, das Kind habe sich den Erwachsenen anzupassen ist mMn genauso falsch wie die umgekehrte Situation, wo sich alles um die Bedürfnisse des Kindes dreht. Statt dessen ist es wichtig einen Mittelweg zu finden wo jeder auf seine Kosten kommt. Ich glaube nicht dass man von Erziehungsfehler sprechen kann, jeder Mensch ist eben anders :) . Und es sollte ja nicht Ziel der Erziehung sein, das Kind so weit zu unterdrücken, dass es keinerlei "Probleme" mehr macht sondern ihm vielmehr Wege zu zeigen mit seinen Eigenheiten angemessen umzugehen und selbst Strategien für ein glückliches, zufriedenes Leben zu finden. Und das ist eben nicht bei allen Kindern gleich einfach bzw. schwer.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
orangenminze
Dauergast
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Re: Impulsivität

Beitrag von orangenminze »

Liebe Rabaukenmama, liebe Koschka,

vielen lieben Dank für Eure Antworten. Es ist beruhigend, zu hören, dass es ähnliche Kinder gibt. Hier im Freundes- und Bekanntenkreis, fallen wir oft aus dem Rahmen, sind die Kinder anders. Manchmal würde ich unserem älteren Kind wünschen, dass ihm Einiges leichter fallen würde oder er ein "dickeres Fell" hätte. Aber wahrscheinlich besteht unsere Aufgabe als Eltern auch ein Stück weit darin, seine Eigenheiten so anzunehmen wie sie sind und ihn darin zu unterstützen, Strategien zu entwickeln, Schwierigkeiten, die ihm begegnen zu meistern.
Er ist ein wunderbares Kind, macht sich aber um Vieles Gedanken und Sorgen, sei es zum Thema Tod, Krieg oder aktuell die Situation von Flüchtlingen. Anders als die meisten Gleichaltrigen bekommt er da Einiges mit; nicht, weil wir ständig über solche Themen sprechen würden, sondern weil er Fragen stellt, wenn er etwas am Rande mitbekommt. Und so wie er über eine Kiste mit Holz in Verzweiflung geraten kann, kann er auch verzweifeln, wenn er merkt, es ist nicht immer alles gut bzw. er kann nicht allen Menschen, denen er gerne helfen würde, helfen. Dann kann es passieren, dass er stundenlang überlegt, was er machen wird, wenn er erst einmal erwachsen ist (alle Waffen zerstören, Menschen, die sich streiten, auf zwei weit voneinander entfernte Mauern oder Bäume setzen, so dass sie sich nur zurufen können, was sie ärgert, aber sie auf keinen Fall gegeneinander Krieg führen können, um den Regenwald einen Zaun bauen, damit keiner ihn mehr abholzen kann etc, etc...
Als er zwei, fast drei war und er erkannte, dass er mich nicht wird heiraten können, ist er Stunden nach besagtem Gespräch in Tränen ausgebrochen, weil er sich darüber Gedanken gemacht hat, ob er eine Frau finden würde, die ihn lieben würde und wenn nicht, dann könnte er keine Kinder mit ihr haben und wenn wir dann bereits tot seien und sein Bruder vielleicht auch schon, dann hätte er überhaupt keine Familie mehr usw. usw. Nach solchen Gesprächen mit vielen Tränen und keinem Ende in Sicht, bin ich auch oft am Rande meiner Kräfte und auch die Situationen, in denen er impulsiv reagiert, empfinde ich oftmals als zehrend. Wie gesagt, in meinem Umfeld kenne ich kein Kind, dass Ähnliches anbringt, so dass mir da oft der Austausch fehlt oder ein:"ach ja, das kenne ich, das ist anstrengend", drum danke ich Euch noch einmal für Eure hilfreichen Worte.
Die kleinere GRuppengröße und die verminderte Geräuschkulisse waren die ausschlaggebenden Gründe für die Wahl des Waldkindergartens. Wie ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe, gibt es auch da Schwierigkeiten, aber wirkliche Alternativen, was den Kindergarten angeht haben wir hier nicht wirklic. Also, wenn wir Lautstärke, kleine Gruppen etc. berücksichtigen wollen. Bleibt die Option Waldgruppe mit so viel Betreuungszeit zu Hause wie möglich...was widerum mich in meinen beruflichen Möglichkeiten einschränkt. Noch geht es, aber es wird in Zukunft wahrscheinlich ein Balanceakt werden, zwischen unseren Elternbedürfnissen und den Bedürfnissen der Kinder und das vielleicht in stärkerem Maße als in Familien mit Kindern, die eine größere Robustheit besitzen. Na ja, wobei ich auch schon die Meinung (Kindergarten, Freunde, Bekannte, Familie) zu hören bekommen habe, dass wir zu viel auf unser Kind eingehen und wenn wir das nicht tun würden, er auch robuster wäre, bzw. wir einfach konsequenter Grenzen setzen müssten, um solch impulsives Verhalten und solch ausufernde Gedankengänge zu verhindern... Ich denke aber, wir würden nur erreichen, dass unser Kind sich mit Ängsten, Gefühlen und Gedanken alleingelassen fühlen würde, denn Gedanken und Gefühle durch erzieherische Maßnahmen zu unterbinden? Ich weiss nicht, ob das funktioniert, aber so will ich eigentlich keine Bezieung führen, weder zu Partner oder engen Freunden, noch zu unserem Kind. So, nun höre ich auf mit den ausufernden Gedanken.
Lg orangenminze
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