Ist anders = behandlungsbedürftig

Probleme und Lösungen für den Kindergartenalltag
Antworten
zweierpack
Dauergast
Beiträge: 74
Registriert: Do 26. Jun 2014, 11:15

Ist anders = behandlungsbedürftig

Beitrag von zweierpack »

Hallo,

ich brauche eine Einschätzung. Mein Sohn (noch nicht ganz 5) wird im Kinderarten anders wahrgenommen als von uns zu Hause oder im Familien-Freundeskreis. Eigentlich kein Problem, denn er verhält sich dort auch sicher anders als im kleinen Kreis aber nach dem letzten Elterngespräch bin ich nachhaltig verunsichert, denn es fielen Begriffe wie auditive Wahrnehmungsstörung und ADHS.
Mein Sohn ist eine "eigene Marke", Stärken sind sicher verbale Ausdrucksfähigkeit, Phantasie, gutes räumliches Vorstellungsvermögen und eine ziemlich quere Art zu denken. Ihn interessieren Zusammenhänge (wie funktioniert das Wasser-/Abwassersystem im Detail), wo kommen die Begriffe her (warum steckt im Wort Kakadu, "Kacka" drin, darüber kann er sich nur wundern, in Stuttgart muss es doch sicher mal einen Garten gegeben haben, weil da "gart" drin steckt etc.).
Er ist häufiger beim Morgenkreis unaufmerksam (kennt aber z. B. die Lieder des Kigas) oder reagiert wenn er vertieft im Spiel ist erst nach mehrmaligem Ansprechen. Da der Kindergarten großen Wert auf "Gemeinschaft" legt, fällt er vom Benehmen her raus, da er etwas eigenbrötlerisch ist. Kontaktaufnahme zu anderen Kindern ist eher unproblematisch, er wird zu Geburtstagen eingeladen und hat Spielfreunde. Er ist ein großer Freund der Rollenspiele, hat allerdings immer wieder Phasen in denen er sich zurückzieht, nachdenkt und "sein Ding macht" - und eben schwer ansprechbar ist (reagiert dann erst, wenn man ihn z.B. auf die Schulter tippt). Bei uns zu Hause sind die Abläufe eigentlich kein Problem (z.B. im Vgl. zu seiner Schwester), er zieht sich selber in angemessener Zeit an (3-4 Minuten ohne Unterbrechung) und verlangt auch immer mehr selbständig zu machen (Brote schmieren etc,). Von uns aus also kein Handlungsbedarf und ich kann auch keine auditive Wahrnehmungsstörung an ihm entdecken (Sprache sehr okay, kann sich Zahlenfolgen und Aufforderungen im allgemeinen normal merken).
Ich möchte nichts versäumen, ihn aber auch nicht "Pathologisieren", da ihn Sachen sehr belasten, wenn er merkt, dass er "anders ist". Er hatte bis vor kurzem ein Probleme mit den "ST" aussprechen (hat sich jetzt ohne Logo von alleine erledigt, Kieferorthopäde meinte, es lag an der Zungenstellung) - und sagte einmal als er eine Kindermusikkassette hörte mit einem Jungen der etwas lispelte "der hat genauso einen Sprachfehler wie ich" und weigerte sich weiter zu zuhören. Also hat er auch schon eine sensible Seite.
Was würdet ihr machen? Dem Bauch vertrauen und laufen lassen (mein Mann sagt, er war genauso als Kind) oder doch Diagnostik hinsichtlich ADHS/Wahrnehmungsstörung betreiben?
Ach so, im Kiga hält man ihn auch für etwas "weniger schlau" (höflich ausgedrückt), was ich aufgrund seiner Interessen und Unterhaltungen mit Ihm (wie unterscheiden sich die Säugetiere von den Vögeln, wie ist die Schwerkraft auf der Erde, im Weltraum oder auf dem Mond etc.) nicht glauben kann. Für hochbegabt halte ich ihn nicht (zum allg. Wissensstand: er kennt alle Buchstaben, weiss wie Worte anlauten, buchstabiert etwas und zählt sicher bis irgendwo unter hundert), eher für eine "eigene Marke mit klaren Interessen" und ich bin traurig, dass er im Kindergarten so wie er ist irgendwie nicht angekommen ist.

Grüße
zweierpack
Rabaukenmama
Dauergast
Beiträge: 2955
Registriert: So 8. Dez 2013, 21:24

Re: Ist anders = behandlungsbedürftig

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo Zweierpack!

Für mich hört sich das, was Du da von Deinem Sohn schreibst, nicht nach unmittelbarem Handlungsbedarf an. Ich finde schade, dass so voreilige Schlüsselworte wie "auditive Wahrnehmungsstörung" und "ADHS" offensichtlich sehr schnell in den Mund genommen werden. Unabhängig davon, ob da wirklich "was dran" ist (was ich lt. deiner Beschreibung eher nicht glaube, bin aber kein Psychologe) steckt ein Kind damit sofort in einer Schublade ("dieses ADHS-Kind") und der ganze Fokus der Umwelt, die dieses Schlüsselwort hören, liegt auf den Defiziten des Kindes. Auch so Aussagen wie "das Kind ist weniger schlau" empfinde ich persönlich als abwertend. Noch dazu, wo man ein Kind ja schlecht "schlauer" machen kann, als es ist. Wenn der Kindergarten unmittelbaren Handlungsbedarf (welcher Art auch immer) sieht, dann sollen sie Dir das mitteilen, ansonsten würde ich denen mal klarmachen dass sie auf so herabmachende Bemerkungen verzichten können :x .

Ich frage mich echt, wie sich nach Ansicht mancher Menschen (darunter leider auch viele Pädagogen) ein "normales" 3-6jähriges Kindergartenkind zu verhalten hat? Ich jedenfalls empfinde nichts vom dem, was du da beschreibst, irgendwie bedenklich.

Natürlich kannst Du auch mal eine Entwicklungsdiagnostik machen lassen, wenn die Kindergartenpädagogen Dir so komisch kommen würde ich das sogar empfehlen, allein um sie damit "ruhigzustellen".

Bei meinem Sohn wurde auf Anraten des Kindergartens mit 4 Jahren und 3 Monaten eine Entwicklungsdiagnostik gemacht, die uns aber auch nicht weiter gebracht hat. Mein Sohn ist in allen Bereichen "überdurchschnittlich" oder "außergewöhnlich überdurchschnittlich". Empfohlen wurde langfristige Psychotherapie auf Grund seiner Verhaltensauffälligkeiten :gruebel: .

Tja, abgesehen davon, dass er in die empfohlene Psychodrama-Grupper gar nicht gehen darf, weil er noch zu jung ist (die nehmen erst Kinder ab 6) empfinden mein Mann und ich seine Verhaltensauffälligkeiten nicht so schlimm für einen 4-jährigen. Er ist manchmal (nicht immer) etwas provokant und macht das Gegenteil dessen, was man ihm anschafft. Wenn´s im Kindergarten heißt "Alle Kinder räumen ein" kann z.B. sein, dass mein Sohn AUSräumt. Er blödelt gerne rum, hat mal einem anderen Kind über den Arm geleckt oder einen gebrauchten Socken ins Gesicht gehalten.

Zweimal hat er auch andere Kinder "unabsichtlich" leicht verletzt, was aber nur halb unabsichtlich war, weil er manchmal so überdrehte Momente hat wo er wild herumsprint und zwar nicht beabsichtigt, dass andere Kinder irgendwo getroffen werden, es aber in Kauf nimmt. Darauf angesprochen sieht er das ein und entschuldigt sich auch sofort. Wir reden auch zu Hause über die Situationen und er verspricht von sich aus, besser aufzupassen, worum er sich auch wirklich bemüht. Umgekehrt ist er im Kindergarten aber auch schon mehrere Male von anderen Kindern leicht verletzt worden, so selten dürfte das also nicht vorkommen,

Jedenfalls haben mein Mann und ich beschlossen dass unserer Ansicht nach im Moment nichts so auffällig ist, dass Psychotherapie - welcher Art auch immer - notwendig wäre. Sollte sich das Verhalten deutlich verschlechtern werden wir natürlich nicht tatenlos zusehen, aber nur, weil vielleicht eine Kindergartenpädagogin etwas als "nicht normal" betrachtet müssen wird das ja noch lange nicht so sehen ;) .
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Zottel
Beiträge: 11
Registriert: Mo 15. Dez 2014, 11:36

Re: Ist anders = behandlungsbedürftig

Beitrag von Zottel »

Schließe mich Rabaukenmamas Aussage an. Ich sehe da auch keinen Handlungsbedarf. Dass er nicht gleich reagiert, wenn er angesprochen wird, finde ich nicht schlimm, sodass man sich Gedanken darüber machen sollte.
Als Kind habe ich auch nicht gleich reagiert, weil ich häufig gedanklich "in meiner eigenen Welt war", wie meine Mutter es so schön sagte.;) Ich hatte für ein paar Monate auch einmal ein Praktikum gemacht und habe dort auch ein paar Träumerli in den Gruppen, in denen ich ausgeholfen habe, gesehen. Die musste ich auch mehrmals ansprechen. Das war zwar manchmal etwas anstrengend, aber mei, das sind Kinder und es ist nun einmal die Aufgabe des Erziehers bzw. der Aufsichtsperson, auf alle Kinder zu achten und sie zu animieren. Erzieher, die sich darüber beschweren, dass nicht jedes Kind gleich spurt und sie sich unterscheiden, habe ich damals schon nicht verstanden.
Dass du darauf hingewiesen wirst, dass dein Sohn sich in manchen Situationen anders verhält als andere Kinde, finde ich vollkommen ok. Es KANN ja sein, dass es was zu bedeuten hat und dann sehe ich es auch als Aufgabe der Erzieher ihre Beobachtungen mitzuteilen, aber sie sollten nicht eigenmächtig irgendwelche Diagnosen aufstellen.
Es gibt immer Kinder, Teenager oder auch Erwachsene, die aus der "Reihe tanzen". Heißt aber nnicht zwingend, dass sie ein Problem haben. Ich bin nun aber auch kein Therapeut/Psychologe. Ich würde aber sagen, beobachte es weiter und höre auf dein Bauchgefühl. Wie Rabaukenmama vorschlägt, kannst du auch eine Entwicklungsdiagnostik machen.

Rabaukenmama hat geschrieben:Hallo Zweierpack!
Tja, abgesehen davon, dass er in die empfohlene Psychodrama-Grupper gar nicht gehen darf, weil er noch zu jung ist (die nehmen erst Kinder ab 6) empfinden mein Mann und ich seine Verhaltensauffälligkeiten nicht so schlimm für einen 4-jährigen. Er ist manchmal (nicht immer) etwas provokant und macht das Gegenteil dessen, was man ihm anschafft. Wenn´s im Kindergarten heißt "Alle Kinder räumen ein" kann z.B. sein, dass mein Sohn AUSräumt. Er blödelt gerne rum, hat mal einem anderen Kind über den Arm geleckt oder einen gebrauchten Socken ins Gesicht gehalten.
Klingt für mich auch nicht ungewöhnlich. Finde es eher witzig. Aber vielleicht ist die Toleranzgrenze/Reizbarkeit der Erzieher ausgeschöpft. (Wobei ich mich dann frage, ob sie den richtigen Beruf gewählt haben. Aber es steht mir nicht zu darüber zu urteilen.)
Zum Thema ADHS habe ich vor einiger Zeit ein Video von Prof. Hüther gesehen, der sich dazu äußert. Sehr interessant. Das kennt ihr vielleicht schon!? Falls nicht: https://www.youtube.com/watch?v=A6vtFS_CwkA
BiHa
Dauergast
Beiträge: 164
Registriert: Do 15. Dez 2011, 16:12

Re: Ist anders = behandlungsbedürftig

Beitrag von BiHa »

Ich finde es ziemlich anmaßend, ein Kind als weniger schlau hinzustellen. Und dass ein Kind nicht gleich reagiert, wenn es angesprochen wird, hängt nun mal damit zusammen, dass Kinder einen eingebauten Filter haben. Wir hatten von unserem Kindergarten aus mal einen Vortrag gehört, in dem erklärt wurde, dass eben dieser Filter nur für das Kind relevante Dinge wie z.B. Süßigkeitenangebote durchlässt, für das Kind uninteressante Dinge wie Aufräumen aber gar nicht erst durchlässt. Um ein Kind also bewusst dazu zu bekommen, mitzumachen, müsste man es berühren, denn dann ist die Barriere quasi durchbrochen.
Interessant ist allerdings, dass Dein Kind sich anscheinend im Kindergarten ganz anders benimmt als zuhause. Hast Du ihn mal gefragt, warum er im Kindergarten seine Interessen nicht zeigt?
zweierpack
Dauergast
Beiträge: 74
Registriert: Do 26. Jun 2014, 11:15

Re: Ist anders = behandlungsbedürftig

Beitrag von zweierpack »

Hallo,

vielen Dank für Eure Antworten - es hat mich bestärkt im Moment nichts diagnostisch zu tun, aber weiter aufmerksam zu sein.
Ich hatte diese Woche die Gelegenheit einmal aus dem Nebenzimmer (mein Sohn wusste nichts davon) sein Verhalten im Morgenkreis für 45 Minuten zu beobachten. Er hat sich mehrfach beteiligt (wollte bei Spielen/Liedern Rollen übernehmen), hat am Ende etwas rumgehampelt (wobei andere Kinder da wesentlich auffälliger waren und häufiger ermahnt wurden) und ich fand ihn völlig normal im Rahmen wie andere Kinder auch. Auch wenn dies nur ein kleiner Einblick in den Alltag war, haben wir beschlossen, es jetzt einfach weiter laufen zu lassen und meinen Sohn als "Original" zu werten. Es gibt da in der Familie einige Vorbilder auch der verträumten, manchmal etwas störrischen Natur, die aber alle ihren Weg im Leben gegangen sind. Dabei rede ich natürlich immer mal wieder mit ihm darüber, dass er aufmerksam sein soll, was die Erzieherinnen sagen und dass er antworten soll.

Warum er im KIGA wenig von seinen Interessen zeigt, weiss ich nicht so genau. Er taut halt im kleinen Kreis deutlich stärker auf und hat wohl im KIGA noch nicht den Ansprechpartner gefunden, um über seine Interessen zu sprechen (Weltraum, Vulkane, Sprache und die Faszination des Wasserkreislaufs ;-))).
Zumal die Erzieher sehr auf Gemeinschaftsaktionen setzt und die Individualität weniger im Vordergrund steht. Da er selbst meistens ganz zufrieden ist (ein paar Krisen hatten wir schon) machen wir einfach mal so weiter. Obwohl ich es mir nicht verkneifen konnte, den Erzieherinnen zu sagen, dass ich jetzt nach über einem Jahr auch mal gerne irgendeine positive Rückmeldung über mein Kind hätte (irgendwelche guten Seiten muss er ja doch auch in ihren Augen haben...) - da habe ich nämlich wirklich noch nie was gehört (auch im Elterngespräch war es eine einzige Fokussierung auf Probleme) . Ich habe halt den Eindruck, da hat sich auch bei den Erzieherinnen so eine bestimmte Wahrnehmung eingeschlichen, gegen die er auch wenig ankommen kann - selbst wenn er ihnen auf einmal e= mc2 erklären würde ;-))))
Viele Grüße
Antworten