Nun, meine große Tochter zeigt(e) ähnliches.
Ich kann mir einen ganzen Strauß guter Gründe dafür vorstellen. Das meiste wurde auch schon genannt.
1)
Da wäre das Gefühl, es nicht verdient zu haben, weil es viel zu leicht fiel. Man es darum nicht als wirkliche Leistung anerkennt und man ein Lob deswegen als ungerechtfertigt empfindet.
2)
Dann ist da noch das Gefühl der Ungerechtigkeit gegenüber anderen, denen es schwerer fällt, um solche Leistungen zu schaffen bzw diese trotz Anstrengung nicht schaffen. Und der Gerechtigkeitssinn ist bei klugen Kindern ja meist sehr ausgeprägt.
3)
Dazu kommt, dass man ungern auffällt/heraussticht, weil man lieber "normal" sein möchte und weil man schon erlebt hat oder befürchtet, dass man deswegen gemieden oder anders behandelt wird.
4)
Und dann ist da noch der Druck, der durch Erfolg entsteht. Man selbst oder andere erwarten nun vielleicht, dass es immer so weiter geht.
Man erlaubt sich kein Scheitern, und wenn man schonmal so erfolgreich war, kann es ja gar nicht immer so weiter gehen und es kommt einem auch doppelt schlimm vor, wenn man dann "fällt".
All das sind durchaus gerechtfertigte Gründe, ein Problem mit Erfolgen zu haben, finde ich.
Menschen die generell mehr nachdenken und mehr Weitsicht und Tiefgründigkeit besitzen, überblicken das halt.
Ich würde von meinem Kind darum auch nicht verlangen, dass es all das ignoriert bzw beiseite schiebt, sondern das ernst nehmen und besprechen.
Dabei würde ich aber den Fokus nicht auf die negativen Ausprägungen legen, sondern aufzeigen, dass alles immer zwei Seiten bzw Sichtbares auch unsichtbare "Wurzeln" hat.
Anstrengung:
Eine Leistung, die einem leicht fällt, hat immer eine Vorgeschichte und es stecken durchaus Anstrengungen dahinter, die man vielleicht nur nicht auf den ersten Blick sieht. (Sich bspw auf eine neue Klasse etc einlassen, einen unkonventionellen Weg zu gehen ist auch eine Leistung! Auch mal Langeweile aushalten... usw usf - fiel ihr das immer leicht?)
Gerechtigkeit:
Da würde ich drauf hinweisen, dass man seine besonderen Fähigkeiten ja einsetzen kann, um gegen Ungerechtigkeit vorzugehen, indem man anderen bspw hilft, wenn ihnen was schwerer fällt oder einfach nur Rücksicht nimmt, indem man bspw auch mal Langweile aushält im Unterricht.
Herausstechen:
Da würde ich bspw erwähnen, dass herausstechende Personen auf andere inspirierend und ermutigend wirken können und nicht zwingend gemieden oder geärgert werden.
Erfolgsdruck:
Erfolge lassen sich sowieso nicht nur an Sichtbarem/Offensichtlichem messen. Man kann und sollte auch selbst definieren, was ein Erfolg für einen ganz speziell ist. (Bspw den Mut haben, sich überhaupt auf eine Bühne zu stellen oder einem Wettkampf o.ä. zu stellen kann man, so einem das schwer fällt, höher ansetzen, als auf der Bühne dann einen tollen Auftritt hinzulegen oder eine Platzierung in einem Wettkampf zu belegen!)
Und Scheitern gehört eh zum Erfolg dazu, oft braucht es das sogar, um die Energie und Ehrgeiz für weiter Versuche aufzubringen. Aus gescheiterten Versuchen oder Misserfolgen kann viel Gutes entstehen und darum kann man auch Misserfolge als Erfolge betrachten. Als Lernanlass.
Wenn möglich ergänze ich sowas mit eigene Erfahrungen in einem Leben oder berühmten Erfolgsgeschichten von Erfindern, Wissenschaftlern etc pp., wo aus Fehlern und Misserfolge tolle Dinge entstanden sind.
Kurz gesagt: Ich würde dem Kind seine Gefühle nicht ausreden und diese grundsätzlich akzeptieren, denn all die oben zuerst genannten Gründe, sich nicht zu freuen und nicht stolz zu sein sind berechtigt!
Ich würde ihm aber unbedingt zeigen, dass und wie man die Perspektive darauf wechseln kann.
Meine Tochter bezieht übrigens vor allem Zufriedenheit und empfindet Stolz aus Zielen, die sie sich selbst gesetzt hat.
Wenn sie in einem Computerprogramm nach langen Versuchen endlich etwas hinbekommen hat, was erst nicht klappen wollte.
Ihr ein Bild gelungen ist so wie sie es sich vorgestellt hat.
Aktuell: sie ein Zeugnis ohne 3en geschafft hat.
Ich finde das eigentlich sehr gut, dass sie weitestgehend unabhängig davon ist, was
andere als Erfolg definieren und sich eigene Ziele setzt und aus deren Erreichung Befriedigung ziehen kann!
Ich finde das ja sehr viel reifer und potentiell im Leben auch wertvoller, als sich abhängig davon zu machen, was andere erwarten und als Erfolg werten!
Da fällt mir direkt noch ein weiterer Grund auf, den ich oben noch nicht genannt hatte:
5)
Man möchte unabhängig sein und bleiben und sich nicht von anderen vorschreiben lassen, was gut und was nicht gut, was ein lobenswerter, herauszustellender Erfolg und was ein Misserfolg ist.
Wenn dein Kind so wie meine Tochter sich eigene Ziele setzt und sich an deren Erreichung von Herzen erfreuen kann und Stolz empfinden kann, selbst wenn es Kleinigkeiten sind, wie ein gelungener Gesichtsausdruck oder eine sehr lebendig wirkende Körperhaltung einer gezeichneten menschlichen Figur, nachdem man jahrelang gar keine Menschen gemalt hat, weil es einem viel zu schwierig erschien, würde ich mir keine Sorgen machen, das aber unbedingt fördern und mich in solchen Fällen von Herzen mitfreuen.
Denkt mal gemeinsam drüber nach, was sie als Erfolg wahrnimmt und worauf sie stolz ist. Seid gemeinsam "achtsam" gegenüber diesen Situationen und lasst sie nicht ungesehen verstreichen, sondern erfreut euch angemessen daran.
Ansonsten siehe oben, auf "übersehene" Details hinweisen, wenn man glaubt, sich nicht für etwas angestrengt zu haben und du als Mutter es ganz anders wahrnimmst
Zum guten Zeugnis würde ich wohl durchaus sagen, dass ich persönlich es als tolle Leistung empfinde, weil.... und es ansonsten nicht übermäßig betonen/herausstellen, wenn sie das selbst nicht möchte. Das ist nur unnötig beschämend für sie.
PS: Eben kam das Kind, was früher ähnliche Verhaltensweisen wie du sie beschreibst zeigte, mit einem wirklich sehr guten 6.Klasse-Zeugnis heim geschwebt. Sie war sichtlich stolz und glücklich! Und die Großeltern durften es auch gleich sehen.
Es ist aber tatsächlich auch nicht so "vom Himmel gefallen", wie noch die Grundschulzeugnisse und außerdem auch deutlich besser als das 5.Klasse Zeugnis. (Sie hat echt was getan dafür - vor Arbeiten gelernt, sich nicht entmutigen lassen, wenns mal schwere fiel, ihre "Matheangst" überwunden, sehr selbstständig gearbeitet...)
Und sie ist damit zwar unter den besten fünf, aber ragt damit auch nicht besonders heraus.
Das Ziel, keine 3 im Zeugnis mehr zu haben, war ein von ihr selbst gesetztes.
Sprich: Fast alle die von mir genannten Gründe, warum man nicht glücklich über den Erfolg sein sollte, treffen nicht zu.
![Fetzig 8-)](./images/smilies/icon_cool.gif)
Ich habe sie übrigens feste gedrückt und betont, dass es ein sehr verdientes Zeugnis ist und ich stolz darauf bin, dass sie sich von den Startschwierigkeiten am Gymnasium und durch alles rund um Corona nicht hat entmutigen lassen.