Koschka hat geschrieben:Ihr beide schreibt, ich bin dankbar, so ein Kind nicht zu haben. Ist das ernst gemeint??? Ist das nicht das was euch aufregt, wenn das jedemand normal begabter über einen normal hochbegabten sagt? Ich habe so ein Kind auch nicht, aber ich kann gut mitfühlen. Ich kann mir gut vorstellen, wie verzweifelt die Eltern und das Kind sein können, wenn sie feststellen, dass ihr Kind unter normalen Bedingungen nicht in die Gesellschaft integrierbar ist.
Wer schreibt, er sei dankbar, nicht "so ein" Kind zu haben, hat entweder nicht viel nachgedacht oder es geht ihm/ihr schlichtweg "zu gut".
Wenn wir schon theoretisch bei "Bau Dir Dein Wunschkind!" sind, wie wäre denn das Kind, dass ihr gerne hättet? Klug genug, um locker durch die Schule zu kommen aber bitte keinesfalls so klug, um mit 8 das Abitur zu schaffen, sozial unauffällig mit der Fähigkeit Freudschaften zu knüpfen und zu pflegen, empathisch, resilient, kreativ, musikalisch genug um im Schulorchester zu bestehen, aber nicht um Solo-Pianist zu werden, sportlich genug, um alle Turnabzeichen zu bestehen, aber nicht so sehr dass ein zukünftiger Marathonsieger draus wird, normalgroß oder etwas größer (weil kleinere Menschen ja nachweislich bei gleicher Ausbildung weniger verdienen), normalgewichtig und selbstverständlich auch noch gesund, sowohl körperlich als auch geistig (Wahrnehmunsstörungen eingeschlossen)...
So viel mal zum Wunschdenken! Aber unsere Kinder sind, wie sie nun mal sind. Wenn mal - wie im Fall des Buben, der mit 8 sein Abitur gemacht hat, ein Kind geboren wird, das einen immensen kognitiven Vorsprung gegenüber Gleichaltrigen hat, dann ist für seinen Werdegang in erster Linie verantwortlich, wie in der Familie des Kindes damit umgegangen wird. Die Eltern können sagen "Wir ermöglichen unserem Sohn, mit 8 Jahren das Abitur zu machen" oder "Ok, er darf von der 2. in die 3. Klasse springen" , oder "Nix da, der soll dasselbe machen bzw. lernen wie die anderen Kinder seines Alters". Und je nach der RESTLICHEN Persönlichkeit des Kindes wird es daran entweder wachsen oder (zer-)brechen. Es gibt sicher etliche sehr kluge Kinder, welche die Möglichkeiten, die 8jährige Abiturent hatte, nicht haben. Ein Teil davon sitzt ruhig und unauffällig unter Altersgenossen oder 1-2 Jahre älteren Kindern in einer Schulklasse. Ein anderer Teil hat psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen, wieder andere sind sogenannte "Problemkinder", weil sie die von Ihnen erwartete Anpassung nicht schaffen und verhaltensauffällig werden. Dann gibt es durchschnittlich begabte oder "begabte" Kinder, die vom Elternhaus unter dem Druck stehen, möglichst immer die besten Noten zu schreiben, Klassen zu überspringen, daneben noch (mehr oder weniger unfreiwillig) im Sport- und Musikverein zu glänzen. Das sind Kinder,denen DADURCH die Möglichkeit, Kind zu sein, genommen wird. Auch diese Kinder können Beschwerden bekommen, auffällig werden, müssen ein Ventil finden, weil sie in ein Schema gezwängt werden, wo sie einfach nicht reinpassen.
Fakt ist: wir können uns nicht aussuchen, welche Kinder wir bekommen und haben nur bedingt Einfluß darauf, wie sie sich entwickeln! Die Pränataldiagnostik läßt es so erscheinen, als können man (bald) alles, was Eltern (oder sie beratende Ärzte) als "nicht lebenswert" erachten, von vorne herein verhindern. Tatsächlich sind genau jene Störungen, die man pränatal NICHT erkennen kann, heute mindestens genauso häufig vertreten, als zu Zeiten, wo es noch keine Ultraschall-Untersuchungen und Fruchtwasserpunktionen gab!
Eltern sind in erster Linie ihren Kindern verpflichtet. Für mich bedeutet das, zu erkennen, was diese brauchen, und ihnen - je nach Möglichkeit - jene Bedingungen zu schaffen, unter denen sie sich bestmöglich entwickeln können. Klischees, was mit welchem Alter sein soll, darf, muss oder nicht sein darf, sind hier fehl am Platz. Es geht um das Kind, nicht darum, es anderen recht zu machen. Es geht auch nicht darum, irgendwelche gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen.
Eines meiner Kinder ist 100% behindert. Ich habe keine Ahnung, ob es jemals einem Beruf nachgehen wird, selbstständig leben, eine Partnerschaft eingehen,...alles Dinge, die Eltern von gesunden Kindern sehr oft als selbstverständlich voraussetzen. Wäre ich froh, "so ein" Kind NICHT zu haben? Welches hätte ich gern statt dessen?
Ganz ehrlich - es gab schon Momente, wo ich echt froh gewesen wäre, so ein Kind NICHT zu haben! Und wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich zuerst mal die Wutanfälle und den extremen Dickschädel "ändern". Als nächstes den Autistmus und als nächstes die Gehörlosigkeit. Bei meinem anderen Sohn würde ich zuerst mal die soziale Kompetenz verbessern und ihm mehr Empathie mitgeben. Die intellektuelle Ausstattung meiner Jungs steht bei meinen Änderungswünschen so ziemlich an letzter Stelle. Aber ich habe leicht reden, mein älterer Sohn ist (vermutlich) hochbegabt, mein jüngerer (schwer testbar) mindestens durchschnittlich intelligent. Ob ich anders denken würde, wenn ich ein Kind mit IQ 50 hätte, weiß ich nicht.
Als selbst-HB mit knapp 3 Standardabweichungen kann ich aus Erfahrung sagen, dass ich allein durch meine Intelligenz wirklich NOCH NIE Probleme hatte. Meine Probleme haben sich aus den Bedingungen ergeben, denen ich ausgesetzt war. Vermutlich wäre meine Kindheit, die bis ich ca. 10 Jahre alt war, durchaus glücklich war, auch danach deutlich besser gewesen, wenn ich andere Bedingungen (Stichwort Schule) gehabt hätte. Einiges an den Bedingungen können die Eltern ändern. Bei dem, was sie nicht ändern können, können Sie immer noch Stütze und Bollwerk sein.
So gesehen hätte ich kein grundsätzliches Problem damit, "so ein" Kind, wie den 8jährigen Jungen, der Abitur gemacht hat, zu haben. Mit den beiden Jungs, die tatsächlich meine Söhne sind, tue ich ja ohnehin genau dasselbe tun, wie ich es auch mit jedem anderen Kind tun würde: ich beobachte, schaue, was sie brauchen, was für Möglichkeiten es gibt, das zu bekommen, und entscheide nach bestem Wissen und Gewissen für sie. Irrtümer möglich! Es kann sein, dass ich in 10 oder 20 Jahren sage "Ach, hätte ich doch damals nur (nicht)...gemacht!". Aber so ist das Leben. Wir sind alle nur Menschen und haben die Kinder, die wir haben. Und das ist auch gut so. Wenn ich Kinder hätte, die den Großteil der Kindheit problemlos wären, hätte ich ja selbst auch keine Möglichkeit, zu "wachsen" und würde vielleicht undankbar werden und aus jeder Mücke, die nicht passt, einen Elefanten machen. Solche Eltern kenne ich einige. Vielleicht rede ich mir die Besonderheiten meiner Kinder aber auch nur schön. Wenn es so sein sollte: ICH DARF DAS
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