zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Mein Kluges Kind macht was es will
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laurina
Dauergast
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zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von laurina »

Mein Sohn (11) ist ein intelligenter, vielseitig interessierter Junge. Die fünfte Klasse Gymnasium hat er fast mit links gemacht - außer in Englisch auf mein Drängen hin hat er effektiv nie was gelernt und schreibt trotzdem seine Einsen und Zweien.
Wie an anderer Stelle erst kürzlich hier gepostet, hat er kaum Freunde und verbringt seine Freizeit am liebsten daheim in seinem Zimmer. Da liest er dann stundenlang, hauptsächlich Comics (Donald Duck, Asterix, Gaston ...) Er liebt diese Welten, erzählt gern und oft davon und zeichnet mit verblüffender Detailtreue Szenen nach. Nebenbei läuft dauerhaft Radiomusik oder Oldtime Jazz; im Moment steht er auf Harry Belafonte. Wir müssen ihn dazu nötigen, mal rauszugehen oder mal was anderes zu lesen - Harry Potter mag er nicht, lieber verschlingt er derzeit historische Biografien von U-Boot-Kommandanten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Wenn ich ihn lassen würde, würde er neben dem Lesen nachmittagelang Spiele auf seinem Tablet spielen (Lego Star Wars ... habe ich ihm erlaubt, damit er darüber vielleicht doch mal Anschluss zu Gleichaltrigen bekommt, obwohl ich eigentlich finde, dass es seine Intelligenz beleidigt :roll: )
Nun kann man wohl geteilter Meinung sein, ob man diese Art, seine Zeit zu verbringen, unbedingt ändern muss, wenn er damit eigentlich glücklich ist, in der Schule alles passt und er nicht übergewichtig und unfit wird ...
Das Schlimme ist aber, dass man ihm zu jeder Tageszeit alles zehnmal sagen muss, damit man ihn von diesen Beschäftigungen loseisen kann - und das geht mir und meinem Mann so ungemein auf die Nerven. Ich habe nichts dagegen, einen Elfjährigen ans Zähneputzen zu erinnern, oder ihn zu bitten, seine Hose umzuziehen, oder zum Essen zu kommen ... Aber ich werde zunehmend aggressiv, wenn ich das immer gefühlte hundert Mal machen muss. Meist hört er erst, wenn man ihn anbrüllt und eine Konsequenz androht. Manchmal hilft auch Letzteres nicht. Dann versäumt er das Frühstück und isst erst mittags was. Wenn er dann herumheult, dass er so Hunger hat, bleibe ich hart - was ihn aber nicht daran hindert, am nächsten Wochenende wieder das Frühstück zu verpassen. Oder Abends die Nachrichten, die er gern immer ansieht.
Wenn er liest, nimmt er um sich herum offenbar nichts mehr wahr und verliert jedes Zeitgefühl. Er hat sich scheinbar selbst darauf konditioniert, erst zu reagieren, wenn ihn jemand anschnauzt. Auch eine Stoppuhr im Zimmer hilft nicht, weil er sie nicht benutzt. Ich könnte ihn auch niemals auf seinen jüngeren Bruder aufpassen lassen, denn sobald er irgendwo etwas zu lesen sieht (und er sieht überall etwas), ist seine Aufmerksamkeit komplett abgeschaltet.
Kennt jemand dieses Verhalten? Ist das typisch? Geht es evtl. in Richtung Aufmerksamkeitsstörung? Gibt sich das mit der Zeit?
In der Schule, wo er sich selbst kontrollieren muss, klappt es offenbar besser. Da verschusselt er nur gelegentlich etwas.
Wie kann ich mich als Taktgeber- und Erinnerungsmaschine zurückziehen, ohne dass er total in seinem Zimmer versauert??
Bin phasenweise echt ratlos und gerate auch immer wieder mit meinem Mann aneinander, weil der viel härter durchgreifen würde (alle Comics weg etc.). Da mein Sohn aber sehr sensibel ist, widerstrebt mir das total, zumal er ja in gewisser Weise ein Opfer seiner eigenen Veranlagung zu sein scheint.
Bin für jeden Tipp dankbar!
luric
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von luric »

mein erster gedanke dazu war: völlig "normales" vorpubertäres verhalten.

rat kann ich dir keinen geben, meine sind noch im volksschulalter.
aber das gedankenversunkene lesen kenne ich von meinem grossen auch, er liest mit seinem kindle wo er steht und geht.
zur zeit ist seine freizeitgestaltung aber noch gut ausgeglichen, er geht zum schach, zum judo und ist pfadfinder, alles dinge die uns für seine soziale entwicklung empfohlen wurden und gsd macht er alles sehr gerne.

video- und handyspiele haben aber auch bei ihm einen hohen stellenwert, am liebsten 24/7.
noch legt er den nintendo brav weg, wenn ich ihm sagen, aber mir graut schon vor der pubertät.

alles liebe und seid nicht zu streng, ich glaube das würde nach hinten los gehen.
2006: maxischlau vs. 2009: minischlau
shaja-neu
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von shaja-neu »

Entschuldige, habe nur kurz Zeit, deshalb kurz :
- meiner versinkt auch gerne, auch beim Lesen. Zeigt für mich eine sehr gute Konzentrationsfähigkeit

-Du könntest die Verantwortung ihm wieder zurück geben, indem ihr nicht mehr brüllt. Ihr könntet ihn ansprechen, warten bis er euch snschaut, eventuell ihn dabei berühren und sobald er euch anblickt ihm sagen, was gerade ansteht.

-Ich frage dann meist nochmal kurz, was ich gerade gesagt habe und ob das für ihn ok ist.

Wenn er sich an eure Vereinbarung nicht hält, dann zieht still und leise die Konsequenzen (nicht Strafe!!!!!)
Wollt ihr irgendwohin gehen und er ist nicht angezogen (wie vereinbart ) , bleibt er zu Hause.
Esst ihr gemeinsam und er erscheint nicht zum Essen, esst ihr alleine (ich würde ihn dann später essen lassen, wenn er dann kommt, dann müsste er bei mir allerdings alleine am Tisch sitzen. ..
Was ich meine :Gebt ihm durch klare Worte, euren Blickkontakt eine faire Chance, vereinbart mit ihm, was ihr gerade von ihm wollt. Verhandelt auch mit ihm, er ist kein Kleinkind. Aber seid ganz konsequent, wenn er euch quasi "versetzt"..
Ich mache das bei meinem Sohn so, mich nimmt et ernst, sein Papa macht das nicht immer so -mein Sohn hört ihm nicht immer zu und es klappt nicht so gut....

LG shaja
Rabaukenmama
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von Rabaukenmama »

Ich habe ganz genau dieselbe Situation mit meinem 5jährigen. Vielleicht ist es erblich, denn ich selbst war als Kind genauso :mrgreen: . Besser wurde es erst, als ich WIRKLICH für mich selbst verantwortlich war.

Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit. Meine Eltern haben geredet und geredet, aber wenn ich meine Comics oder Bücher gelesen habe (Konsolenspiele gab´s damals noch nicht) ist niemand zu mir durchgedrungen. Angezogen hat mich dann meistens meine Mutter weil sie nicht mehr zuschauen wollte - auch dann noch, als ich schon in die Hauptschule ging (für´s Gymnasium hat mir die "soziale Reife" gefehlt). Ich habe auch ständig irgendwelche Dinge verloren: Häkelnadeln, einzelne Turnschuhe, das Ausflugsgeld für den Schulausflug, meine Haube, meine Winterjacke, meine Füllfeder,...

Meistens waren meine Eltern genervt, aber für das Ausmaß waren sie - rückblickend - eh noch geduldig. Ich erinnere mich nur an zwei Auszucker meiner Mutter, wo sie mir sogar den Hintern ausgehaut hat (war sonst gar nicht ihre Art) - einfach aus Verzweiflung.

Draussen war ich nur im Sommer gerne weil ich schwimmen und fischen so geliebt habe. Ansonsten bin ich nur von meinen Büchern, Comics und Briefmarken weg wenn ich mit sanftem Druck dazu genötigt wurde. Mir wäre NIE eingefallen, im Hof mit den anderen Kindern zu spielen. Was die Gleichaltrigen gespielt haben hat mich nie interessiert und die Älteren wollten mit mir nichts zu tun haben. Am ehesten hat es noch mit jüngeren Kindern geklappt, die haben mich aber dann nach einiger Zeit meistens genervt.

So viel mal zu meiner Kindheit.

Bei meinem verträumten Großen halte ich es so, dass er nicht zum essen kommen muss, wenn er nicht will. Ich habe mal eine Autobiografie von Astrid Lindgren gelesen und in ihrem Elternhaus war das genauso. Wer nicht zum essen kam durfte sich nicht beschweren wenn von der Mahlzeit nichts mehr da war und musste sich eben selbst was holen bzw. machen (z.B. ein Wurstbrot oder einen Apfel). Genauso handhaben wir das auch und es funktioniert recht gut. In meinem Elternhaus musste ich auch nicht bei den Mahlzeiten am Tisch sitzen wenn ich keinen Hunger hatte oder noch mit was anderem beschäftigt war. Warum sollte ich es dann meinen Kindern zumuten?

Mit dem anziehen ist es ärgerlicher, weil ich meinen Großen vor meiner Arbeit rechtzeitig in den Kindergarten bringen muss. Da ich aktuell nur noch 2 Tage in der Woche arbeite ist da aber auch schon viel besser geworden (ohne Zeitdruck bin ich viel lockerer) und wenn´s denn doch sein muss kepple ich halt so lange bis er mit viel Protestgejammer doch tut, was ich verlange.

Mir geht´s besser wenn ich mit seinen Eigenschaften locker umgehe. Ich weiß von mir selbst dass Kampf und zwingen nichts bringt. Das haben die Klosterschwestern im Internat (dort kam ich hin als ich 13 war) versucht und es hat genau NICHTS gebracht - im Gegenteil, ich habe mich noch mehr in meine Phantasiewelt zurückgezogen und zu allem Überfluss wurden auch meine Schulnoten deutlich schlechter. Dabei waren Comics dort generell verboten und es gab täglich 3 Stunden bewachte "Lernzeit".
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
shaja-neu
Dauergast
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von shaja-neu »

Was mir noch durch den Kopf geht :
Mein Sohn neigt auch zum Rückzug und liebt Technik. ..Daher ist mir deiner nicht völlig fremd ;) Allerdings ist mein erst 7,5. ....


Ich würde versuchen, das Spielen am Computer durch wirklich schmackhafte Alternativangebote (Angebote, keine Pflicht ) zeitlich zu verringern. .

Meiner spielt zum Glück fast nicht am Computer, darf auch wöchentlich nur eine Stunde ran (er tüftelt damit, bringt sich vieles bei ).Dennoch muss ich ihn in den Ferien immer wieder mit attraktiven Vorschlägen daran erinnern, dass das Leben vor der Haustür auch sehr schön sein kann.
Ich gehe daher in den Sommerferien vor unserem Familienurlaub 6 Nächte auf den Campingplatz (ohne Smartphone etc. ;) , locke ihn immer wieder raus zum Eis essen mit dem Fahrrad, zum jugendhof (Bauernhof ) ,an den See, mal in ein neues Restaurant, ins Theater, ins Kino etc..

Es ist anstrengend, aber ich möchte ihm die Welt mit ihren vielen vielen schönen. Möglichkeiten zeigen, bevor die Pupertät meinen Einfluss auf nahezu Null sinken lässt...

Auch wenn deiner schon recht pupertär klingt, könntet ihr sicherlich immer noch Anregungen geben, spannendes unternehmen ..

Muss ja nicht oft sein. ...

LG shaja
laurina
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von laurina »

Danke für eure Erfahrungsberichte und Anregungen.
Das mit dem Rauslocken ist nicht so sehr das Problem. Soweit uns das mit drei Kindern möglich ist, machen wir viele Ausflüge; Kino, Badesee, Wald, Museen, Bauernhof, Berge ... Das liebt er auch, ebenso wie unsere Urlaube, die wir immer sehr erlebnisreich gestalten. Nur unter der Woche geht das natürlich nicht immer.
Das mit den fairen Konsequenzen klingt schon ganz gut. Wobei ich ihn sowieso fast immer anstupse und nachfrage, ob er mich verstanden hat, wenn ich ihn um etwas bitte ...
Aber es sind so viele Situationen, bei denen er einfach NIE unmittelbar reagiert.
Das fängt beim Anziehen, Waschen und Zähneputzen an, geht übers Instrumentüben oder Tablet zurückbringen weiter, und hört beim Zum-Essen-Kommen auf. Egal, wie ich es anstelle, er reagiert niemals sofort. Auch nicht, wenn ich z.B. ankündige, dass er bitte in zehn Minuten fertig sein soll und ihm eine Uhr stelle. Oder wenn ich zwischendrin Rückmeldung gebe, wie viel Zeit er noch hat. Und gerade bei Arztterminen oder Ähnlichem kann ich ihn ja schlecht zu Hause lassen, wenn er nicht fertig ist ... Für ein normales Verhalten in diesem Alter halte ich das nicht. Weder ich noch mein Mann waren so, und seine neunjährige Schwester ist es auch nicht. Die macht auch nicht alles auf Kommando, aber sie hält sich an Zeitrahmen. Und sie reagiert, wenn man nachdrücklich wird, nicht erst, wenn man brüllt.
Das Brüllen meinerseits versuche ich in der Regel zu vermeiden. Allerdings werde ich meinen Mann schwerlich davon abhalten können, weil er als Ex-Bundeswehrler und Sohn eines DDR-Lehrers überhaupt kein Verständnis für dieses dauernde "Getrane" übrig hat und einfach nicht versteht, warum mein Sohn jedes Wochenende aufs neue die gute Stimmung am Frühstückstisch riskiert, weil er lieber noch fünf Seiten Comic liest, anstatt nach dreimal Rufen einfach zu kommen ...
shaja-neu
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von shaja-neu »

Wie gesagt, mein Sohn hatte auch solch eine Phase. Damals gab nicht ich die Zeit (und deren Verlauf )an, sondern eine Uhr.
Somit trat unsere Beziehung in den Hintergrund, was damals die Situation entspannte.Denn auch ich war damals genervt und schimpfte ein wenig -jedoch weit entfernt vom Brüllen.

Zum Brüllen möchte ich dir sagen, dass das verbale Gewalt ist und nicht nur eurem Verhältnis schaden kann, sondern auch deinem Sohn.

Bitte sei nun nicht sauer, aber ich möchte dir das einfach mal sagen.
Du schreibst, dass du das deinem Mann nicht abgewöhnen könntest.
Bestimmt möchtest du, dass dein Sohn ein glücklicher Mensch wird, sonst würdest du hier nicht schreiben.
Daher bitte ich dich, darüber nachzudenken, ob ihr weiterhin eurem Sohn das antun möchtet. :fahne: :fahne: ...

LG shaja
laurina
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Re: zerstreuter Professor und Dauertrödler - kennt das jemand?

Beitrag von laurina »

@shaja

Ich bin nicht sauer ...
Mir ist durchaus bewusst, dass Anbrüllen einer Kinderseele schadet. Das ist auch ein häufiges Streitthema zwischen mir und meinem Mann. Ich kann mich aber schlecht deswegen von ihm trennen ...

Andererseits ist meines Wissens nach das Herausbrüllen von Wut ein praktiziertes Therapieverfahren in der Behandlung von gewalttätigen Eltern und Ehepartnern. Nach dem Motto, besser Anschreien als Zuschlagen. Letzteres würde mein Mann niemals tun, obwohl seine Wut extrem werden kann, wenn unser Sohn sich zum tausendsten Mal so unbegreiflich verhält. Das provoziert schon ungemein. Wir haben auch schon die "gelbe Karte" als Vorwarnung vor einem Wutausbruch eingeführt, was eine Zeitlang funktioniert hat. Dann aber wieder nicht mehr.

Am besten ist es vielleicht, wir machen einmal wieder eine Familienkonferenz und fragen meinen Sohn nach eigenen Lösungsvorschlägen ...
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