Andersbegabt

Einfach nur über sich und seine Kinder erzählen
Yupamil
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Andersbegabt

Beitrag von Yupamil »

Hi,
Ich hab heute das Testergebnis meines siebenjährigen Sohnes bekommen. Wir ließen ihn austesten, weil er sich in der Schule sehr schwer tut. Er merkt sich einfach keine Rechtschreibung steht auch sonst oft daneben.
Das Ergebnis ist jedoch sehr anders...
Er hat in keinem einzigen Testbereich (laut HAWIK) einen Durchschnittswert. Ca die Hälfte der Werte sind tw sehr weit überdurchschnittlich (v.a. verbal, auditiv, aber auch logisch-mathematisch) - die andere Hälfte ist unterdurchschnittlich (vor allem visuell). Insgesamt kommt ein guter Durchschnittswert heraus, der ihm aber nichts bringt, weil er visuell anscheinend nur kaum etwas verarbeiten kann...

Kennt wer sowas? Ich bin gerade etwas verzweifelt. Die Psychologin meinte, dass er vermutlich klüger ist als alle anderen in der Klasse, aber das nicht umsetzen kann. Dadurch ist er natürlich sehr frustriert. Er glaubt von sich sowieso, dass er dumm ist :-(
Sie hat uns zu einem visuellen Training geraten, das wir die nächsten Jahre regelmäßig machen sollen. Ich hoffe so sehr, dass ihm das hilft!
Rabaukenmama
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Re: Andersbegabt

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo Yupamil,

erst mal herzlich willkommen hier :) .

Die meisten Kinder haben nicht nur Begabungen sondern auch Schwächen. Und so, wie die Begabungen extrem sein können ist das auch bei den Schwächen möglich. Mein Sohn (wird im März 5) hat lt. Entwicklungsdiagnostik "ein homogenes Entwicklungsprofil mit vielen Stärken und keinerlei Schwächen" - tatsächlich ist er sehr sensibel und reagiert auf Dinge, die ihn belasten (das können - nach Erwachsenenermessen - auch Kleinigkeiten sein) mit einnässen.

Lange Zeit war ich verzweifelt und dachte, das unbedingt in den Griff kriegen zu müssen. Jetzt, nach zwei längeren "trockenen" Phasen (dazwischen war eine Einnäss-Phase von fast einem Jahr!) taucht dieses alte Problem trotzdem wieder auf. Ich wollte nicht wahrhaben dass ein so kluges Kind, welches flüssig und sinnerfassend liest (hat er sich selbst beigebracht) im 100er Bereich im Kopf rechnet, ein immenses Allgemeinwissen hat, sprachlich laut Logopädin "besser als alle Kinder, die ich je hatte" ist und gerade mit Begeisterung das kleine Einmaleins lernt, so was einfaches wie trocken-bleiben nicht fertigbringt.

Mit hat das das Buch "Kinderjahre" von Remo H. Largo sehr geholfen. Da sind viele praktische Beispiele von individuellen Begabungen und Schwächen drin. So wurde z.B. von einer Studie berichtet, wo erwachsene Akademiker in Sachen räumliche Wahrnehmung getestet wurden. Am schlechtesten schnitt ein Mann ab, dessen räumliches Vorstellen dem eines unter-10-jährigen lag. Der Mann gab zu, in fremden Städten grundsätzlich mit dem Taxi unterwegs zu sein weil er sich mit einem Stadtplan sowieso nicht auskennt. Der Mann war Jurist, leitete eine Bankfilliale und sprach fließend 4 Sprachen. Auch seine soziale Kompetenz war stark überdurchschnittlich.

Weiters stellte sich heraus, dass sog. "Teilleistungsschwächen" (im Fall deines Sohnes im visuellen Bereich) häufig vererbt sind und es Familienmitglieder (Eltern, Großeltern, Onkeln, Tanten,...) gibt, welche ähnliche Schwächen haben. Der Autor rät dazu, diese individuellen Schwächen - ebenso wie die Stärken - zu akzeptieren und weg zu kommen von der Vorstellung, das Kind in seinem Schwachpunkt auf "Durchschnittsniveau" zu bringen. Statt dessen sollen die Stärken vermehrt gefördert werden.

Der Mann im Beispiel oben würde nie ein guter Architekt werden - auch mit noch so langer Übung in Sachen "räumliches Vorstellungsvermögen".

Außerdem soll man das Kind darin unterstützen, selbst Strategien zu finden, mit den eigenen Schwächen umzugehen. Generell sollte aber der Schwerpunkt auf die Fähigkeiten gelegt werden. In Eurem Fall würde ich mal in der Familie schauen ob wer anderer auch visuell deutlich schwächer ist. Wenn es jemanden gibt und der/diejenige trotzdem seinen Weg "gemacht hat" dann hat Dein Kind gleich ein Vorbild und kommt sich nicht so "anders" vor.

Vielleicht findet ihr auch andere Kinder mit ähnlichen Interessen und Stärken. Wenn ein Kind etwas, was es gut kann, öfter machen darf und dabei noch Gleichgesinnte hat stärkt das sein Selbstwertgefühl und die Schwächen werden - von ihm selbst - nicht mehr als so belastend empfunden.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
patchanka
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Re: Andersbegabt

Beitrag von patchanka »

hallo!

Erstmal vorweg: mein Sohn wurde nie getestet, aber eine gewisse"Andersbegabung" ist auch bei ihm offensichtlich.
(er tut sich zum Beispiel grafomotorisch relativ schwer, hat auch nie gezeichnet. Feinmotorisch ist er dafür in anderen Dingen sehr geschickt und er hat sonst noch einige Bereiche, wo er anders als die meisten Gleichaltrigen ist. )

Da er aber das Glück hat, in einer Schule zu sein, wo er weitgehend seinen eigenen Interessen nachgehen kann (alternativpädagogische freie elternverwaltete Schule) ist das überhaupt kein Problem.
Er ist auch 7 und niemand verlangt von ihm, Rechtschreibung zu können....

Also irgendwie glaub ich, einerseits muss bei euch der schulische Druck raus, manche Kinder brauchen in manchen Bereichen einfach mehr Zeit, besonders wenn ihre Interessen und Stärken wo anders liegen.

auf der anderen Seite würde ich, besonders wenn er eh schon frustriert ist, nicht zu viel Aufmerksamkeit auf seine Defizite legen, sondern ihn schon vor allem in seinen Begabungen bestärken!
Dazu ist sicher eine guter Dialog mit der Schule notwendig!
Momo
Dauergast
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Re: Andersbegabt

Beitrag von Momo »

Patchanka hat geschrieben:
Da er aber das Glück hat, in einer Schule zu sein, wo er weitgehend seinen eigenen Interessen nachgehen kann (alternativpädagogische freie elternverwaltete Schule) ist das überhaupt kein Problem.
Er ist auch 7 und niemand verlangt von ihm, Rechtschreibung zu können....
Hallo Patchanka,
interessant, was Du über Eure Schule schreibst. Meine Tochter wird wahrscheinlich nächstes Jahr eingeschult und deshalb informieren wir uns derzeit sehr intensiv über unterschiedlichste Schulformen. Da wir selbst im Alltag mit unserem Kind sehr frei und "alternativ" umgehen, faszinieren mich die freien Schulen immer mehr. Ich verstehe das Konzept des freien Lernens und finde es wunderbar, wenn es funktioniert. Es ist nur so schwer vorstellbar, weil wir diese Erfahrungen nicht gemacht haben (meine damalige Schule war zwar auch eine "Freie Schule", doch trotzdem mit einem klaren Lehrplan und Frontalunterricht).
Magst Du ein paar Deiner Erfahrungen berichten? Wie kommt Dein Sohn dort klar? Geht er gerne zur Schule? Hat er Freude am Lernen? Funktioniert es, dass die Kinder wirklich individuell gefördert werden können? Gehen eventuell ruhige Kinder schnell unter? Über einige Erfahrungen würde ich mich sehr freuen!
Liebe Grüße von Momo
"Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht." Mark Aurel (121-180)
Yupamil
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Re: Andersbegabt

Beitrag von Yupamil »

Rabaukenmama: Mein Sohn hat auch überhaupt keinen Orientierungssinn ;-) Architekt wird sicher nie einer aus ihm. Seine Stärken liegen definitiv im sprachlichen, sozialen und kreativen Bereich. Eigentlich wusste ich das immer schon, jetzt habe ich es schwarz auf weiß, aber dass es so extrem ist, hätte ich mir nicht gedacht, weder nach oben noch nach unten.
Mein Bruder hatte leichte Legasthenie gepaart mit Hochbegabung - und eine sehr schwierige Schulkarriere mit Rausschmiss und Studienberechtigungsprüfung mit 30... Aber ich weiß nicht, ob meinem Sohn das was bringt. Mein Bruder war ein richtiges Lego-Genie, etwas, was mein Sohn ganz und gar nicht kann...
Sein älterer Bruder ist in jeder Hinsicht das Gegenteil von ihm. Er tut sich schulisch extrem leicht, konnte auch schon mit 4-5 lesen, rechnen usw. kannte sich mit 4 schon im gesamten U-Bahnnetz aus - aber er ist sozial auf dem Niveau eines Kindergartenkindes und völlig unkreativ. (und hat auch eingenässt, bis er 8 war... das hat nichts mit Intelligenz zu tun).

Mit der Volksschule hätten wir es nicht besser treffen können. Er geht in eine öffentliche reformpädagogische Schule mit Integrationsklassen. Seine Lehrerinnen hatten das alles, was wir gestern von der Psychologin erfahren hatten, schon selbst erkannt und versuchen ihn so gut wie möglich zu fördern.
Angst macht mir aber, was danach kommt, wenn er seine visuellen Fähigkeiten nicht zumindest auf ein unteres Durchschnittsniveau bekommt.
Ich habe (schon bevor ich den Befund hatte) festgestellt, dass er sich Rechtschreibung merkt, wenn wir das rein auditiv machen - er also die Wörter buchstabiert und dabei am Trampolin hüpft oder schaukelt. Das geht jetzt noch, aber wie soll er sich so die Schreibweise sämtlicher Englischvokabeln merken? Außerdem ist er ein totaler Chaot, der ständig immer alles verliert....
Leider bietet das Schulsystem in Österreich nicht gerade viele Möglichkeiten und Kinder, die die Welt anders wahrnehmen und anders denken, tun sich besonders schwer, da erfolgreich durchzukommen...
elboku
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Re: Andersbegabt

Beitrag von elboku »

Hallo!

Meine Tochter ist in vielen Bereichen überdurchschnittlich/weit überdurchschnittlich (v.a in Sprache, Rechnen und Logik), doch auch bei ihr wurde bei dem Test ein Knick in der visuellen Merkfähigkeit festgestellt.
Es ist zwar nicht so extrem wie bei deinem Sohn, aber es ist uns schon auch zu Hause aufgefallen, dass sie z.B. Memory nicht so mit Leichtigkeit spielt, wie andere Kinder.

Uns hat die Psychologin dieses Buch empfohlen http://www.amazon.de/Memo-vergessliche- ... is+elefant
Hier werden verschiedene Gedächtnisstrategien kindgerecht vorgestellt, so dass man für sein Kind eine individuelle Strategie finden kann.

Weiters hat unsere Psychologin gemeint, dass man diesen Bereich auch gut trainieren kann.
Meine Tochter spielt gern:
- Memory
- Tausch-Spiele z.B. lege ich eine Reihe von unterschiedlich gefärbten Kugeln/Karten auf. Sie schaut sich die Reihe kurz an, und ich vertausche dann 2 Kugeln, wenn sie wegschaut. Danach muss sie mir sagen, was jetzt anders ist. Je nach Anzahl an Kugeln und wie viele Sachen vertauscht werden, ist es unterschiedlich schwierig.
- Bilder merken: Man sucht sich ein schönes Bild aus und betrachtet es so genau wie möglich. Da wird es umgedreht, und man muss Fragen beantworten (z.B. welche Farbe hat die Hose des Mannes? Ist auf dem Bild ein Hund zu sehen?).
- Das Spiel "Merkbar"

Wir achten jetzt seit 2 Monaten stärker drauf, dass sie nicht nur Logikspiele spielt, sondern auch zwischendurch diese Merkspiele, und man sieht schon, dass es ihr leichter fällt z.B. findet sie sich in einem 72 Karten Memory viel leichter zurecht.

LG, Lisa
patchanka
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Re: Andersbegabt

Beitrag von patchanka »

Momo hat geschrieben: Magst Du ein paar Deiner Erfahrungen berichten? Wie kommt Dein Sohn dort klar? Geht er gerne zur Schule? Hat er Freude am Lernen? Funktioniert es, dass die Kinder wirklich individuell gefördert werden können? Gehen eventuell ruhige Kinder schnell unter? Über einige Erfahrungen würde ich mich sehr freuen!
Liebe Grüße von Momo
Liebe Momo!

Ja gerne: mein Sohn liebt seine Schule und sie ist allen Kindern die dort sind nicht nur Lern- sondern auch Lebensraum. Er hat große Freude dort zu sein und hat extrem viel dazu gelernt, aber halt in den Bereichen die ihn gerade besonders interessieren und im sozialen Bereich!!! Wissbegierige Kinder wie er, können sich sehr viel holen, es läuft ihnen aber niemand nach um sie irgendwie besonders zu fördern. Die Kinder können sich mit den Materialien beschäftigen die für sie passen, also auch als Erstklässler mit dem Material der Viertklässler, das ist gar kein Problem. Es gibt ein paar Kinder, die kaum von sich aus Interesse am klassischen Schulstoff zeigen, da bedarf es von Seite der Eltern schon sehr viel Geduld. Auch mag es Kinder geben, die mehr Struktur zum Lernen und mehr angeleitete Übungsphasen bräuchten, ich weiß es aber nicht genau. Es gibt einige sehr stille und ruhige Kinder, die sich in der Regel ihren Platz finden und sehr wohlfühlen.
(Die Elternverwaltung, d.h. Mitarbeit, viele gemeinsame Diskussionen und Entscheidungprozesse und auch die finanzielle Belastung ist für uns Eltern allerdings eine Herausforderung.)

@Yupamil

Das klingt toll, dass ihr von Seiten der Schule viel Verständnis habt und er gut gefördert wird. Aber da du schreibst, dass dein Sohn ja erst 7 ist, würd ich mir nicht einen allzu großen Stress machen, weil bis zum Schulwechsel kann sich ja schon noch viel entwickeln. Und es gibt meines Wissens mittlerweile schon auch weiterführende Schulen, die ein gewisses Verständnis für Wahrnehmungsdefizite bzw. Legasthenie haben (vielleicht auch für Chaoten :-) aber ich habe da bei meinem Sohn die Hoffnung, dass sich das ja noch etwas ändern wird!).
Aber ich kann deine Sorgen sehr wohl nachvollziehen, auch wir machen uns Gedanken, wie es nach der Volksschule weitergehen kann, ob unsere Sohn trotz vielfältiger Begabungen dem Leistungsdruck eines Gymnasiums gewachsen ist (bzw. ob wir ihn überhaupt so einem Druck aussetzen wollen). Und das Schulsystem bietet uns ja wirklich kaum Alternativen....
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Andersbegabt

Beitrag von Rabaukenmama »

Yupamil hat geschrieben:Rabaukenmama: Mein Sohn hat auch überhaupt keinen Orientierungssinn ;-) Architekt wird sicher nie einer aus ihm. Seine Stärken liegen definitiv im sprachlichen, sozialen und kreativen Bereich. Eigentlich wusste ich das immer schon, jetzt habe ich es schwarz auf weiß, aber dass es so extrem ist, hätte ich mir nicht gedacht, weder nach oben noch nach unten.
Daher empfehle ich ja das Buch "Kinderjahre" - da ist viel von solchen Extremabweichungen vom Durchschnitt die Rede und wenn man die Fülle der möglichen Stärken und Schwächen betrachtet fallen erstaunlich viele Menschen unter diese "Extreme"
Yupamil hat geschrieben: Mein Bruder hatte leichte Legasthenie gepaart mit Hochbegabung - und eine sehr schwierige Schulkarriere mit Rausschmiss und Studienberechtigungsprüfung mit 30... Aber ich weiß nicht, ob meinem Sohn das was bringt. Mein Bruder war ein richtiges Lego-Genie, etwas, was mein Sohn ganz und gar nicht kann...
Sein älterer Bruder ist in jeder Hinsicht das Gegenteil von ihm. Er tut sich schulisch extrem leicht, konnte auch schon mit 4-5 lesen, rechnen usw. kannte sich mit 4 schon im gesamten U-Bahnnetz aus - aber er ist sozial auf dem Niveau eines Kindergartenkindes und völlig unkreativ. (und hat auch eingenässt, bis er 8 war... das hat nichts mit Intelligenz zu tun).
In meiner Familie gibt es viele Personen mit Teilleistungsstärken und auch Teilleistungsschwächen. Ein Onkel von mir mußte wegen seiner schweren Legasthenie (40 Schreibfehler auf einer A4 Seite bei Schulabschluss) die Sonderschule besuchen. In Mathe war er aber spitze. Nach seiner erfolgreichen Tischlerlehre hat er den Hauptschulabschluss nachgeholt. Danach dachte er, auf biegen und brechen die Matura nachmachen zu müssen. Nach 7 Jahren hatte er alle Prüfungen - bis auf deutsch, englisch und französisch - und mußte einsehen, dass auch 8 Schreibfehler pro A4 Seite (im Fach Deutsch) für ein erfolgreiches maturieren zu viel sind und er die Fremdsprachen sowieso nicht schafft. Er hat sich dann wieder auf seine Fähigkeiten besonnen und die Tischler-Meisterprüfung gemacht. Jetzt ist er selbstständiger Tischlermeister :).

Ein Cousin von mir konnte nicht sinnerfassend lesen. Ich erinnere mich an seine Schulzeit, als ihm seine Mutter das Buch für die Nacherzählung 3x laut vorgelesen hat - und er sich danach trotzdem nicht an den Inhalt erinnern konnte. Aber er war sehr sozial, hat sich um jüngere Kinder gekümmert und gerne mit Puppen (denen, des Nachbarmädchens, er bekam damals keine eigenen) gespielt. Familie und Geborgenheit war ihm extrem wichtig und er war ein sehr anhängliche Kind. Außerdem war er feinmotorisch sehr geschickt und
hatte ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Er wurde ebenfalls Tischler, arbeitet jetzt aber in einer Fabrik. Doch sein eigentliches Leben spielt sich hauptsächlich in seiner Familie an. Er hat eine Frau gefunden, die super zu ihm passt (genauso ordentlich, genauso sparsam, ebenfalls Familienmensch) und sie haben zwei total süße Mädchen, denen er ein liebevoller Vater ist. Mit seinem handwerklichem Geschick hat er seiner kleinen Familie ein tolles Haus gebaut und er kommt mir sehr zufrieden und ausgeglichen vor.

Ein anderer Cousin ist das genaue Gegenteil: er war sowohl grob- als auch feinmotorisch wirklich extrem schlecht, was durch eine leichte spastische Lähmung von Hand und Fuß noch verstärkt wurde. Dafür war er sprachlich extrem fit und hatte ein extrem gutes Zahlen-Verständnis und Gedächtnis. Nun, er ist heute noch nicht imstande einen Nagel einzuschlagen, arbeitet aber seit Jahren erfolgreich für eine Statistik-Firma, wo er telefonische Kunden-Befragungen macht. Sein sehr gutes Mathe-Verständnis und seine sprachliche Fitness kommen ihm da sehr zugute. Nebenbei hat er ein 500seitiges Buch mit über 100 selbst erstellten Statistiken geschrieben.
Yupamil hat geschrieben:
Angst macht mir aber, was danach kommt, wenn er seine visuellen Fähigkeiten nicht zumindest auf ein unteres Durchschnittsniveau bekommt.
Ich habe (schon bevor ich den Befund hatte) festgestellt, dass er sich Rechtschreibung merkt, wenn wir das rein auditiv machen - er also die Wörter buchstabiert und dabei am Trampolin hüpft oder schaukelt. Das geht jetzt noch, aber wie soll er sich so die Schreibweise sämtlicher Englischvokabeln merken? Außerdem ist er ein totaler Chaot, der ständig immer alles verliert...
Bitte trau deinem Sohn zu dass er "seine" Wege zu lernen und zum Schule-bewältigen zu finden. Du kannst ihn zwar unterstützen, es ist aber nicht deine Aufgabe, ihn durch die Schule zu bringen. Kann sein dass er irgendwann mal eine Klasse wiederholen muss - na und? Wenn er Bestätigung für seine Stärken bekommt und seine Familie trotzdem hinter ihm steht wird das keine Tragödie sein.

Mein jüngerer Sohn wurde gehörlos geboren. Er hat zwar vor 10 Monaten Hörimplantate bekommen, weitert sich aber seit Wochen, sie zu tragen. Im Moment ist er in einem von 2 Kindergärten, wo außer deutsch auch noch Gebärdensprache verwendet wird. Obwohl sich schon jetzt Teilleistungsstärken zeigen (vor allem im technischen Bereich) habe ich keine Ahnung ob er jemals die Möglichkeit zu einem "normalen" Schulabschluss bekommen wird.

Mich tröstet, dass mein Kleiner extrem stur ist, was zwar jetzt, in der Trotzphase, sehr nervt, ihm aber im Leben sicher dabei helfen wird, sich durchzusetzen. Ich kann nur nach bestem Wissen und Gewissen Bedingungen suchen, die für meine Kinder passen KÖNNTEN. Aber sie selbst können viel mehr, wenn ich sie lasse und an sie glaube.
Yupamil hat geschrieben: Leider bietet das Schulsystem in Österreich nicht gerade viele Möglichkeiten und Kinder, die die Welt anders wahrnehmen und anders denken, tun sich besonders schwer, da erfolgreich durchzukommen...
Davon kann ich ein Lied singen. Bin gerade in einer kleinen Gruppe dabei, die sich dafür einsetzt, dass Gebärdensprache auch als Unterrichtssprache anerkannt wird und mein kleiner Sohn - sollte er trotz Implantaten nicht hören können oder wollen - trotzdem Zugang zu normaler Bildung hat.

Da beruhigt mich aber der Gedanke an meine Verwandten, die trotz ihrer Teilleistungsschwächen und österreichischem Schulsystem "ihren" Weg gefunden haben :) .
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Yupamil
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Re: Andersbegabt

Beitrag von Yupamil »

elboku: Danke für den Buchtipp. Ich hab es schon bestellt. Memory spielt meiner eigentlich kaum - eh klar, wenn er sich visuell nichts merkt. Ich hab mich immer gewundert, warum er da nicht besser ist, weil ich im Kopf hatte, dass Vorschulkinder normalerweise Erwachsene bei Memory schlagen.

Das Programm, das die Psychologin für uns vorgesehen hat, geht aber genau in die Richtung. Es sind Übungen zur Verbesserung der visuellen Wahrnehmung (gleiche Bilder finden, Fehlern finden etc.). Angeblich sprechen die meisten Kinder gut auf dieses Programm an und machen große Fortschritte. (Sindelar-Programm)

Rabaukenmama: deine Familie scheint ja auch sehr spannend zu sein :-) Meine Großeltern väterlicherseits waren gehörlos, die Cousine meiner Mutter ist es ebenfalls. Und sonstige Menschen, die anders ticken haben wir einige...
Ich finde das eigentlich ja auch sehr interessant, aber im Schulsystem ist es leider nicht immer einfach. Bei meinem Bruder hätte das auch schlecht ausgehen können (Drogen, Alkohol, Verschuldung,..).
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Andersbegabt

Beitrag von Rabaukenmama »

Yupamil hat geschrieben: Das Programm, das die Psychologin für uns vorgesehen hat, geht aber genau in die Richtung. Es sind Übungen zur Verbesserung der visuellen Wahrnehmung (gleiche Bilder finden, Fehlern finden etc.). Angeblich sprechen die meisten Kinder gut auf dieses Programm an und machen große Fortschritte. (Sindelar-Programm)
Es spricht ja auch nichts dagegen, das auszuprobieren. Wenn dein Sohn in geschützter Atmosphäre die Dinge üben kann, wo er schwach ist, kann das ja durchaus positiv sein.

Ich erinnere mich nur mit Schrecken an die Empfehlung an meine Mutter, mich wegen meiner groben grobmotorischen Defizite (im Kindergartenalter) in einen Turnverein zu geben. Es war schrecklich, dort nichts zustande zu bringen, alle anderen Kinder waren besser als ich und mir ist das natürlich aufgefallen. Die netteren haben nur mitleidig geschaut, die anderen haben mich offen ausgelacht. Nach nur wenigen Monaten haßte ich den Turnverein und wollte absolut nicht mehr hingehen.

Bei meinem Sohn war das anders, da war die Psychologin ganz ratlos was sie mit ihm machen sollte. Sie meinte, üblich sei es, mit dem Kind seine schwächsten Punkte immer wieder zu üben, damit es darüber mehr Selbstbewusstsein aufbauen kann. Da mein Sohn aber "ein homogenes Entwicklungsprofil mit vielen Stärken und keinerlei Schwächen" hatte gab´s nichts, wo man ansetzen konnte.

Da hat mich aber schon gewundert dass ein Kind, welches viele Begabungen hat, ausgerechnet über die Punkte mehr Selbstbewusstsein bekommen soll, die es am schlechtesten kann :?: . Hätte ich als Kind mein Selbstbewusstsein aus meinen Turnleistungen ableiten müssen wäre es noch viel trauriger gewesen als es ohnehin war...
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
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