Soziale Reife

ganz allgemein zu Kleinkindern, ob nun aufgeweckt, klug oder hochbegabt
Rabaukenmama
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Soziale Reife

Beitrag von Rabaukenmama »

Angeregt durch eine Diskussion in einem anderen Thread hier mache ich dazu mal einen eigenen auf. Das Thema ist mMn sehr umfangreich und vor allem war es viele Jahre MEIN Thema. Die fehlende soziale Reife verfolgt mich nämlich schon seit meinem Kindergartenalter. Das begann damit, dass sich die Kindergärtnerinnen mit dieser Begründung gegen eine reguläre Einschulung (in meinem Fall mit 6 Jahren und 2 Monaten) ausgesprochen haben. Meine Eltern sind trotzdem mit mir zum Einschulungstest und damals kam zum ersten Mal meine Hochbegabung raus und ich wurde deshalb doch eingeschult.

In der VS ging es mir insgesamt sehr gut. Bin gerne hingegangen, hatte Freunde (wenngleich auch keine so gute Freundin mehr wie im Kindergarten), wurde eingeladen und schrieb gute Noten. Trotzdem habe ich mich in der 3. und 4. Klasse ziemlich gelangweilt und aus Langeweile und Faulheit den Schulstoff nicht mehr mitgeschrieben bzw. damals schon angefangen, keine Hausübungen mehr zu machen. Wenn es hieß "nächste Woche ist Heftkontrolle" habe ich einfach ein neues Heft gekauft, ein- oder zweimal mitgeschrieben und so getan, als wäre das alte Heft leer gewesen. Später habe ich nur noch die ersten ein, zwei Seiten aus dem Heft rausgerissen, so brauchte ich nicht immer neue Hefte kaufen. Der VS-Lehrerin ist entweder nichts aufgefallen oder sie hat nichts gesagt.

Auch damals hieß es immer mit würde die soziale Reife fehlen. Das war aber nicht etwa weil ich nicht mit den anderen kommunieziert habe sondern weil ich meine Emotionen nicht gut im Griff hatte. Wenn mich wer "sekkiert" hat konnte ich sehr wütend werden und mich gegen verbale Angriffe oft nur körperlich wehren. Und weil ich weder groß noch stark war, aber kräftige Zähne hatte, habe ich mich da aufs beißen verlegt. Während die sekkierenden Kindern sich krummgelacht haben wenn ich sie wütend geschlagen habe hat keiner mehr gelacht, der meine Zähne im Arm hatte. Natürlich ist das kein angemessendes Verhalten für ein Volksschulkind. Auch mein Benehmen war nicht gut. Bei der Geburtstagsfeier einer Schulkollegin habe ich z.B. mit der Zunge den Schlagobers von der vorbereiteten Torte geleckt noch bevor diese angeschnitten und verteilt war. Ich wußte zwar vom Kopf her dass ich das nicht darf, es war mir zu dem Zeitpunkt aber egal. #

Im vierten VS-Jahr ging es mir am allerbesten. Ich hatte in einem Buben aus meiner Klasse einen guten Freund gefunden mit dem ich stundenlang durch den Wald streifte, ins Bad ging, Heuschrecken und Fische fing (das konnte er mit bloßen Händen), Baumhäuser baute und mir Lügengeschichten erzählen ließ (das konnte er am besten :mrgreen:). Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit zurück. Meine Eltern machten sich unterdessen Sorgen wegen meiner weiteren Schullaufbahn. Wieder ging es um die fehlende soziale Reife. Das ganze 4. Schuljahr ging in 1x in der Woche zur Schulpsychologin damit sich diese einen Eindruck verschaffen konnte ob ich reif für´s Gymnasium bin. Am Ende kam raus, dass sie es selbst nicht sagen konnte denn ihrer Ansicht nach sollte ich kognitiv gesehen unbedingt ins Gym und sozial gesehen keinesfalls :? . Meine Eltern entschlossen sich dann für die Hauptschule. Leider kamen alle Kinder, mit denen ich mich in der VS gut verstanden hatte, und auch mein Freund, entweder ins Gymnasium oder eine andere Hauptschulklasse. Mit mir kam nur ein Mädchen aus meiner VS-Klasse meinsam in die neue HS-Klasse.

Die erste Zeit in der HS war noch halbwegs ok. Ich befreundete mich mit einem Mädchen aus meiner Klasse. Wir verstanden uns sehr gut und die Freundschaft hätte so intensiv werden können wie die aus meiner Kindergarten-Zeit, doch dann zog die Mutter (Alleinerzieherin) mit meiner Freundin weg. Dann versuchte ich mit einem anderen Mädchen Freundschaft zu schließen. Dieses Mädchen war ziemlich dick und ungeschickt und da wir beide Außenseiter waren dachte ich, das könnte passen. Außerdem wurde dieses Mädchen von den Buben, die in der Klasse in Überzahl waren (20 Buben, 12 Mädchen) immer wieder schickaniert und auch körperlich angegangen. Daher wechselte auch sie nach einiger Zeit die Schule. Und dann war ich diejenige, die sekkiert und körperlich angegangen wurde. Dabei mußte ständig ICH zur Direktorin weil ich mich anfangs noch oft gewehrt habe und wenn 3 Aussagen gegen eine standen wurde mir nicht geglaubt.

Mehr später, ich muß in die Arbeit.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
alibaba

Re: Soziale Reife

Beitrag von alibaba »

Ich glaube Rabaukenmama, Du bemittleidest dich selber. :fahne: Komm da mal raus. Du bist eine tolle Mama, mit unglaublich weitsichtigen Blicken. Du hast das gar nicht nötig!

Man muss es mal so sagen, wie es ist. Du warst einfach eine Zicke und sozial definitiv hinten dran. Was ich mich frage, warum?

Das man im Kiga so ist, ist das eine. Aber selbst hier - es muss etwas schief gelaufen sein. Denn im Kiga meiner Kinder fiel mein Großer immer auf, durch seine kognitive Stärke als auch durch sein soziales Durcheinander. Und ich sah es ja selber.

Wir beide wissen, eine Hochbegabung ist in den meisten Fällen sozial verträglich. Ich glaube daher nicht, das es nur daran glegen hat. Aber ich bin natürlich kein Experte. Ich denke trotzdem das du da ein Trauma mit dir herum schleppst, von dem du dich aber lösen solltest.

Meine Rede ist ja immer, klug sein alleine reicht nicht. Es muss auch Eltern geben die das Kind, so wie es ist, bestärken - positiv. Hat das bei Euch gefehlt? Es klingt etwas durch in deinen Posts, wo du manchmal etwas über deinen Weg schreibst. Und es müssen noch andere Dinge passen, damit eben alles rund läuft.

VG
Rabaukenmama
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Re: Soziale Reife

Beitrag von Rabaukenmama »

alibaba hat geschrieben:Ich glaube Rabaukenmama, Du bemittleidest dich selber. :fahne: Komm da mal raus. Du bist eine tolle Mama, mit unglaublich weitsichtigen Blicken. Du hast das gar nicht nötig!
Wie kommst du darauf dass ich mich selbst bemitleide? Ich erinnere mich einfach gut zurück und kann heute genau in Worte fassen was ich damals großteils nur gefühlt habe. In der VS ging es mir gut, auch wenn mein Verhalten damals zeitweise auffällig war die HS habe ich großteils als Horror empfunden.

Mit 12, 13 Jahren hatte ich täglich intensive Selbstmordgedanken, kam mir hilflos, wertlos und ausgegrenzt vor. Meine Eltern haben sich immer um mich bemüht, wollten mir helfen, sind zu den besten Psychologen gefahren. Aber was hilft einem Kind, wenn der Psychologe meint "So, jetzt sprechen wir mal über deine Ängste"? Das kann bei diffusen Ängsten helfen, z.B. vor einem Monster unter dem Bett oder davor, dass bald Aliens die Erde überfallen. Meine Ängste waren dass mir beim heimgehen von der Schule aufgelauert wird, dass ich geschlagen und verhöhnt werden, dass man mich mit dem Kopf voran in den Mistkübel stößt und dass alle, die nicht mitmachen, wegschauen. Und genau das ist täglich in der Schule passiert. Wenn ich "gepetzt" habe wurde es noch schlimmer. Was sollte es helfen mit einem Psychologen darüber zu reden?

Wenn ich heute darüber schreibe dann mit emotionalem Abstand. Ich will die Vergangenheit weder beklagen noch die Tür hinger ihr zuschlagen. Selbstmitleid ist mMn was anderes.

Dass ich meinem älteren Sohn, der mir in sehr vielen Bereichen ähnlich ist, nichts ersparen kann, weiß ich jedenfalls.

Und eigentlich hatte ich den Thread auch eröffnet weil ich sehe, wie unterschiedlich "soziale Reife" verstanden wird. Wenn bei einem 3jährigen Kind, welches lieber mit Erwachsenen als mit Gleichaltrigen zusammen ist, schon von mangelnder sozialer Reife die Rede ist dann ist damit definitiv was anderes gemeint als damals bei mir.
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alibaba

Re: Soziale Reife

Beitrag von alibaba »

Soziale Reife ist ein weites Themengebiet. Man nimmt aber nur diesen einen Begriff dazu. Es sollte eigentlich mehrere Unterbegriffe dazu geben. :)

Ich wollte Dich nicht verletzten mit der Argumentation des Selbstmitleids. Es kommt mir so vor. Ich wäre daher ganz klar für ein Vorangehen, nicht für ein rückblicken.

Ohne Expertenwissen (oftv wissen die es ja auch bloß nicht) sage ich, Selbstmordgedanken haben nichts mit fehlender sozialen Reife zu tun. Da passt eher schon das schlagen und beißen des Grundschulkindes. Selbstmordgedanken würde ich schon als auffällig bezeichnen, als depressiv nicht als sozial unreif. Sich hilflos, wertlos und ausgrenzt zu fühlen, das über einen längeren Zeitraum muss Ursachen haben. Solche durcheinander geratenen Gefühle hat sicherlich jeder schon einmal gehabt, aber wenn sie sich dann so sammeln, das ist schon nicht mehr so lapidar abzutun. Aber das ist doch Vergangenheit. Blicke doch positiv nach vorne. Du machst das doch schon richtig.
Wenn Du Angst hast, das es deinem Großsohn so ähnlich ergehen könnte, dann mach doch das, was Du Dir damals vielleicht anders gewünscht hättest. Im Nachhinein sieht man ja die Dinge oft anders. Und trotzdem rate ich davon ab Dinge sehen zu glauben, denn jeder Mensch ist anders.

Was will ich jetzt eigentlich damit sagen. Ich finde du machst das bei deinen Kindern schon richtig. ;)

VG
Willow77
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Re: Soziale Reife

Beitrag von Willow77 »

Hallo,

@ Rabaukenmama: Also mir kam deine Schilderung nicht als Selbstmitleid vor, obwohl sie manche Erinnerung auch in mir geweckt hat.
Es muss doch wirklich schrecklich für dich gewesen sein, mit dieser Angst und den Gedanken zu leben. Wie gut nur dass du weitergemacht hast und nun hier bist. Du kannst durch deine Erfahrungen ein wachsames Auge über deine Kinder behalten, und wie ich das Leben jetzt genießen.

Nein, Selbstmordgedanken hatte ich wohl nie. Körperlich verletzt wurde ich auch nur in der Grundschule. Später dann "nur" noch gemobbt, bestohlen und ausgegrenzt. Ich hatte auch immer nur jeweils eine gute Freundin. Und zumindest in der Grundschule galt ich wahrscheinlich auch als sozial Unreif, da ich wirklich für jede Kleinigkeit geweint habe.

Auch ich schaue nun mit dem nötigen Abstand zurück, kann mich an Situationen und die dazu passenden Gefühle gut erinnern, und weiss, dass ich nun, im HIER und JETZT auf jeden Fall glücklicher bin. Ich konnte nie die Leute verstehen, die sagen: "Genieß deine Jugend, du bist nur einmal jung." Meine Jugend war nicht schön, JETZT aber ist das Leben schön. Ok, es ist vieles anstrengender, aber es lohnt sich!

Auch ich hatte von Vorne herein Angst um meine Kinder: Werden sie auch so sein wie ich? Werden sie auch ausgegrenzt und gemobbt werden? Glücklicherweise sind sie aber alle drei wohl ihrem Alter entsprechend "sozial Reif" und haben ihre Freunde. Wobei, bei meinem Großen sind die Sorgen noch nicht ganz weg. Er hatte bisher immer mehr Freundinnen als Freunde, da er gerne Fantasie-Spiele spielt, und weniger gerne rauft oder mit 'nem Ball spielt. Allerdings jetzt mit 8 Jahren fangen manche Mädels so langsam an etwas zickig zu werden, und wollen schon nichts mehr mit Jungs zu tun haben. Was mein Sohn natürlich nicht versteht. Aber die Zahl seiner Freundschaften sinkt dadurch in letzter Zeit...

LG,
Willow77
Waterlily78
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Re: Soziale Reife

Beitrag von Waterlily78 »

alibaba hat geschrieben: Ohne Expertenwissen (oftv wissen die es ja auch bloß nicht) sage ich, Selbstmordgedanken haben nichts mit fehlender sozialen Reife zu tun. Da passt eher schon das schlagen und beißen des Grundschulkindes. Selbstmordgedanken würde ich schon als auffällig bezeichnen, als depressiv nicht als sozial unreif. Sich hilflos, wertlos und ausgrenzt zu fühlen, das über einen längeren Zeitraum muss Ursachen haben. Solche durcheinander geratenen Gefühle hat sicherlich jeder schon einmal gehabt, aber wenn sie sich dann so sammeln, das ist schon nicht mehr so lapidar abzutun.


Hallo ihr Drei!
Das ist ein sehr interessantes und schwieriges Thema.

Zum Thema Selbstmordgedanken, ich glaube, es ist gut nachvollziehbar, dass ein Kind, das täglich gemobbt wird und sich völlig ausgegrenzt und hilflos fühlt, früher oder später in dieser Ausweglosigkeit Selbstmordgedanken entwickelt. Das hat nichts mit sozialer Unreife zu tun und wird von Rabaukenmama, glaube ich zumindest, auch nur erwähnt um ihre ganze Geschichte zu erzählen.

Zur sozialen Unreife, sicher ist es nicht besonders hilfreich sich mit seinen Zähnen zu wehren oder die Schlagsahne von der Torte zu lecken, ob das jetzt jedoch sofort soziale Unreife bedeutet, wage ich zu bezweifeln. Hat jemand nach der Ursache für dein Verhalten gesucht? Was hat die Psychologin gemacht?

Unser Psychologe hatte uns mal erklärt, dass es oft vorkommt, dass begabte Kinder auch sozial reifer sind, was dazu führt, dass sie z.B. im Kindergartenalter wo Dinge eben auch mal mit Schubsen und Kraft geklärt werden, versuchen zu argumentieren oder einfach Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. Das führt zu Unverständnis bei den anderen Kindern oder sogar dazu, dass dieses Kind als vermeintlich schwächer angesehen wird, da es sich in Machtkämpfen nicht behauptet. 

Ich weiß nicht, wie es bei dir gewesen ist Rabaukenmama, aber vielleicht hast du erst versucht Dinge verbal zu klären, was nicht zum Erfolg führte und hast dir dann die Strategie mit dem Beissen zugelegt und es dann leider auch noch getan, als die anderen vielleicht in ihrer Entwicklung für Argumente offener geworden sind.

Meiner Meinung nach macht man es sich mit dem Stempel "Sozial unreif" sehr einfach. Es geht doch immer um Passung. Fühle ich mich wohl, angenommen und haben meinen Platz in der Gemeinschaft wird es kaum Probleme geben. Das bedeutet für begabte Kinder eben, dass sie vielleicht lieber mit älteren Kindern oder Erwachsenen sprechen/spielen. Ist das dann sozial unreif oder ist es nicht einfach ganz normal seinen Bedürfnissen entsprechend Anschluss zu suchen/finden?

Fühle ich mich deplatziert und unverstanden, wird sich das auf die eine oder andere Weise äussern, entweder durch Rückzug oder Widerstand. Ist soziale Reife denn immer das Unterordnen und Anpassen an die Mehrheit?

Ja, ich weiß, dass die Kinder sich letztendlich anpassen müssen um in dieser Gesellschaft zurecht zu kommen, da sie nur eine Minderheit sind und den allermeisten wird es auch gelingen. Trotzdem ist es traurig solche Geschichten wie deine zu lesen Rabaukenmama und deine Einsamkeit von damals zu fühlen und man möchte seinen Kinder solche Schmerzen ersparen auch wenn man schon weiß, dass man nicht viel tun kann...

Aber ich finde es macht auch Mut, zu lesen wo du jetzt stehst und wer du bist!

Liebe Grüße!
Waterlily
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Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Soziale Reife

Beitrag von Rabaukenmama »

alibaba hat geschrieben:Ich wollte Dich nicht verletzten mit der Argumentation des Selbstmitleids. Es kommt mir so vor. Ich wäre daher ganz klar für ein Vorangehen, nicht für ein rückblicken.
Ich bin nicht verletzt (jedenfalls nicht von Dir ;) ), mich hat aber ehrlich gestanden schon ziemlich verwundert dass meine Beiträge so rüberkommen als wäre ich voller Selbstmitleid und würde hauptsächlich in der Vergangenheit leben. Aber selbst sieht man sich ja nie so, wie einen andere sehen.

alibaba hat geschrieben:Ohne Expertenwissen (oft wissen die es ja auch bloß nicht) sage ich, Selbstmordgedanken haben nichts mit fehlender sozialen Reife zu tun. Da passt eher schon das schlagen und beißen des Grundschulkindes. Selbstmordgedanken würde ich schon als auffällig bezeichnen, als depressiv nicht als sozial unreif. Sich hilflos, wertlos und ausgrenzt zu fühlen, das über einen längeren Zeitraum muss Ursachen haben. Solche durcheinander geratenen Gefühle hat sicherlich jeder schon einmal gehabt, aber wenn sie sich dann so sammeln, das ist schon nicht mehr so lapidar abzutun.
Naja, hier stellt sich eher die Frage ob das eine (fehlende soziale Reife) das andere (Mobbing, soziale Isolation) bedingt. Ich habe meine Situation unter anderem deshalb detailliert erzählt weil in der Hautschule vor mir noch ein anderes Mädchen Mobbing-Opfer war. Dieses Mädchen hat auch AUFGRUND DESSEN Schule gewechselt. Und jedes Opfer war irgendwie auffallend "anders". Dieses Mädchen war dick und sehr ungeschickt. Ich war eben auf andere Art "anders" und damit meine ich nicht die Hochbegabung. Ich war emotionaler als die anderen Kinder, vertrauensseeliger, naiver, driftete manchmal in meine Phantasiewelten ab...

Durch das Mobbing und meine Isolation in der Klasse wurde das noch schlimmer und ich wurde noch auffälliger weil ich mir dachte "Jetzt ist es ohnehin schon egal...".

Zu "Expertenwissen" muß ich nur lachen. Meine Eltern haben immer versucht, Hilfe für mich zu finden. Ich kann mich an mehrere Kinderpsychologen konkret erinnern. Ich weiß genau dass mir keiner (es waren Frauen und Männer) auch nur annähernd sympathisch war und ich zu keinem Vertrauen hatte (auch wenn ich sonst sehr vertrausseelig war). Bei einigen war ich nur einmal bei anderen öfter. Alle wollten binnen kurzer Zeit irgendetwas von mir hören und haben auf mich eingeredet um zu ihren "Infos" zu kommen. Ich hatte damals schon einige Psychologie-Bücher gelesen und habe mir nach und nach eine Art Spaß daraus gemacht irgendwelche Symptome zu simulieren einfach um die Reaktionen zu testen. Keiner hat je gemerkt dass ich ihn an der Nase herumgeführt habe. Vielleicht wäre es anders gewesen wenn nur einer dabei gewesen wäre, der echtes Interesse an mir gezeigt hätte und langsam Vertrauen aufgebaut...keine Ahnung!


alibaba hat geschrieben: Wenn Du Angst hast, das es deinem Großsohn so ähnlich ergehen könnte, dann mach doch das, was Du Dir damals vielleicht anders gewünscht hättest. Im Nachhinein sieht man ja die Dinge oft anders. Und trotzdem rate ich davon ab Dinge sehen zu glauben, denn jeder Mensch ist anders.

Was will ich jetzt eigentlich damit sagen. Ich finde du machst das bei deinen Kindern schon richtig. ;)

VG
Danke dass du das so siehst :) .

Aber so groß ist meine Angst wegen meinem Großsohn gar nicht. Vor allem will ich mich nicht kratzen, bevor es juckt :mrgreen: . Sollte er dennoch Mobbing Opfer werden hilft mir leider meine Erfahrung auch nicht weiter. Denn meine Familie, insbesondere meine Mutter, ist immer hinter mir gestanden. Mehr kann ich für meine Kinder auch nicht tun. Und das Verhalten meines Sohnes so zu "modellieren" dass er gar nicht erst potentielles Opfer wird, kann ich sowieso nicht. Will ich ehrlich gesagt auch nicht - er ist schon ok wie er ist und muss halt seine eigenen Erfahrungen machen. Ich kann nur jeweils in der Situation agieren und werde das auch nach bestem Wissen und Gewissen tun - ohne Gewähr, immer die "richtigen" Entscheidungen zu treffen.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Momo
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Re: Soziale Reife

Beitrag von Momo »

Liebe Rabaukenmama,
ich denke es ist gut, wenn man sich den Schwierigkeiten der Vergangenheit stellt, diese reflektiert und aufarbeitet. Was in Dir selbst vorgegangen ist, weißt Du selbst am besten und heute kannst Du Deine Rückschlüsse daraus ziehen und daraus lernen.
Einen Bruch sehe ich in Deiner Kindheit ganz klar bei Deinem Schulwechsel zur Hauptschule. Du warst hier weder geistig noch sozial gefordert sondern ganz im Gegenteil- Du warst wahrscheinlich absolut unterfordert. Denn wie soll sich ein positives soziales Verhalten und ein stabiles Selbstgefühl in einer Umgebung von Unmenschlichkeit und Mobbing entwickeln? Hieraus kannst Du selbst Deine Schlüsse ziehen und auf Deine Kinder bezogen anders handeln, als Deine Eltern es getan haben (sie haben sicherlich auch nur nach bestem Wissen gehandelt, doch Dir hat es einfach überhaupt nicht gut getan!). Dein älterer Sohn ist ein aufgeweckter, offener Mensch, der ganz bestimmt liebe Freunde finden wird. Und wenn man sich sozial angenommen, wertgeschätzt und akzeptiert fühlt und zusätzlich einen stabilen Rückhalt in der Familie findet, dann entwickelt sich ganz von alleine ein gutes Sozialverhalten. Ich glaube, der Weg für Dich ist die Verarbeitung Deiner eigenen Geschichte, die Trennung Deiner Vergangenheit von dem Lebensweg Deiner Kinder und Vertrauen, welches Du den Fähigkeiten Deiner Kinder und ihrer Entwicklung entgegenbringen kannst.

Ganz liebe Grüße von Momo
"Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht." Mark Aurel (121-180)
lissi74
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Re: Soziale Reife

Beitrag von lissi74 »

Hallo Rabaukenmama,

mich berührt deine Geschichte sehr, wahrscheinlich weil es viele Paralellen zu meinem Sohn gibt. Soziale und emotionale Reife ist bei ihm sehr schlecht entwickelt. Und ich sehe den direkten Zusammenhang zu Mobbing und auch späteren Problemen.
Dazu muss ich sagen, dass ich früher auch immer dachte ein stabiles und liebevolles Elternhaus ist Basis für die Entwicklung im sozial/emotionalen Bereich. Mittlerweile muss ich aber sagen, dass das in gewissen Fällen einfach nicht ausreicht.
Mich würde sehr interessieren was dir wirklich geholfen hat. Denn ich merke, dass mein Sohn sich sehr vor anderen verschließt und diese oft weniger heraus bekommen als ich oder andere Bezugspersonen über ihn wissen. Das liegt vor allem an seiner hohen Sensibilität gegenüber Vertrauenspersonen.
Das größte Problem besteht bei ihm darin, dass sehr große Gegensätze vorhanden sind. Einesteils kann er schlecht auf andere eingehen, ist aber für Stimmungen anderer sehr sensibel und reagiert darauf, aber evtl nicht angemessen. Auch er selbst ist sehr sensibel, bringt das aber dann durch schreien oder hauen auf den Tisch zum Ausdruck, was natürlich ebenfalls alle stört. Außerdem wird ein lautes aber sensibles Kind weniger vorsichtig behandelt als es ein ruhiges eher weinerliches Kind wird. Z.B. wenn du vom Beißen anderer erzählst, dann wird das Kind, welches so gehandelt hat sofort als der Täter bestraft. Da wird oft auch die Vorgeschichte völlig vergessen und es geht am Ende nur noch um den aggressiven körperlichen Akt, der inakzeptabel ist. Dass das Kind aber wohl sehr mit der Situation gekämpft hat und das nicht einfach aus Böswilligkeit gemacht hat, interessiert niemanden mehr.
Als Eltern ist es schwer, man ist nicht in jeder Situation dabei und kann nicht steuern und es ist auch unheimlich belastend, denn von Außenstehenden wird man behandelt als ob man unfähig ist sein Kind zu erziehen. Das wird nun erst besser, da wir noch eine Tochter haben, die ganz anders tickt und sehr weit in ihrer sozialen/emotionalen Reife ist. Und ich weiß nun auch, dass es nicht nur an uns liegt, dass alles so läuft. Aber egal was der Grund ist wir wollen natürlich unseren Sohn unterstützen und ihm helfen.
LG
orangenminze
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Re: Soziale Reife

Beitrag von orangenminze »

Liebe Rabaukenmama,

vielen Dank für Deinen Erlebnisbericht. Wenn ich das so lese, dann kommt mir in den Sinn, dass es manchmal für ein Kind wichtiger sein kann, sich selbst zu retten als die gesellschaftlichen Verhaltensnormen zu erfüllen. Ich denke mal, dass Du als Volksschulkind wusstest, dass man nicht beissen darf. Aber als Kind erschien Dir Deine Situation so ausweglos, dass Du etwas tun musstest, damit Du nicht "verschwindest". Und wer weiss, vielleicht ist so ein Weg, die Agressionen nach Außen zu tragen, dann für ein Kind gesünder, als sich als Kind womöglich selbst etwas anzutun oder die Aggressionen gegen sich selbst zu richten. Damit will ich nicht sagen, dass alle Kinder ständig um sich hauen und treten sollen, hauptsache, ihnen geht es gut. Aber ich denke es lohnt sich genauer hinzuschauen, wenn ein Kind zu solchen Maßnahmen greift. Ich denke nämlich, dass Kinder eigentlich die Regeln des Sozialverhaltens schon sehr früh verstehen und dass es Gründe gibt, wenn sie diesen Erwartungen der Gesellschaft nicht entsprechen. Denn Kinder wollen gemocht und anerkannt werden und sie wollen sich mit ihrer Umgegebung verstehen.

Lg orangenminze
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