Soziale Reife

ganz allgemein zu Kleinkindern, ob nun aufgeweckt, klug oder hochbegabt
Rabaukenmama
Dauergast
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Registriert: So 8. Dez 2013, 21:24

Re: Soziale Reife

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben:Dein älterer Sohn ist ein aufgeweckter, offener Mensch, der ganz bestimmt liebe Freunde finden wird. Und wenn man sich sozial angenommen, wertgeschätzt und akzeptiert fühlt und zusätzlich einen stabilen Rückhalt in der Familie findet, dann entwickelt sich ganz von alleine ein gutes Sozialverhalten.
lissi74 hat geschrieben: Dazu muss ich sagen, dass ich früher auch immer dachte ein stabiles und liebevolles Elternhaus ist Basis für die Entwicklung im sozial/emotionalen Bereich. Mittlerweile muss ich aber sagen, dass das in gewissen Fällen einfach nicht ausreicht.
Mich würde sehr interessieren was dir wirklich geholfen hat. Denn ich merke, dass mein Sohn sich sehr vor anderen verschließt und diese oft weniger heraus bekommen als ich oder andere Bezugspersonen über ihn wissen. Das liegt vor allem an seiner hohen Sensibilität gegenüber Vertrauenspersonen.
Das größte Problem besteht bei ihm darin, dass sehr große Gegensätze vorhanden sind.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen dass ein stabiles und liebevolles Elternhaus extrem hilft, Mobbing-Situationen zu überstehen, aber nicht, sie zu vermeiden bzw. im Keim zu ersticken. Am meisten geholfen hat mir die vorbehaltlose Liebe meiner Mutter, die ich IMMER gespürt habe. Sie konnte mir in den konkreten Situationen natürlich nicht direkt helfen, aber es tat sehr gut mit ihr über alles reden zu können.

Wir hatten oft so ein Abendritual wenn ich meiner Mutter was erzählen wollte. Da habe ich sie vor dem schlafen gehen gefragt ob sie noch Zeit für "ein Stündchen dies und das" hat und dann hat sie sich neben mich ins Bett gekuschelt und ich habe erzählt was mich bewegt.

Seltsam, rückblickend merke ich dass es eigentlich ein Zeichen sozialer Kompetenz war, meiner Mutter in der Hauptschulzeit immer weniger zu erzählen. Denn ich habe gemerkt dass es sie belastet und sie sich Sorgen macht wenn ich davon erzähle, dass ich sekkiert werde oder unglücklich bin. Daher habe ich immer seltener mein "Stündchen dies und das" eingefordert - ich spürte die Ratlosigkeit meiner Mutter und wollte nicht, dass sie sich Sorgen macht. Als die Sekkierereien nach und nach in Drohungen und Handgreiflichkeiten übergingen kam dann die Angst vor den Kindern dazu, die mir das antaten. Ich spürte dass eine Grenze überschritten war und meine Mutter sehr wahrscheinlich in die Schule gehen würde wenn ich was erzähle. Also habe ich weiter geschwiegen weil da wieder die Angst war, die Übergriffe könnten durch mein "petzen" noch schlimmer werden (hat sich dann ja bestätigt).

Ganz viel von dem, was du von deinem Sohn beschreibst, kenne ich auch von mir. Ich war ein lautes, extrovertiertes Kind (so, wie es jetzt mein älterer Sohn ist) und konnte - je nach Situation und Tagesverfassung - positiv oder negativ auffallen. Aufgefallen bin ich aber immer. Dabei war ich zu Hause meistens problemlos und kooperativ. Aber mit anderen Kindern (vor allem Gleichaltrigen) hatte ich immer Schwierigkeiten. Ich fühlte mich als Nesthäckchen unter älteren Kindern sehr wohl und genoss das Ansehen als "Große" unter deutlich jüngeren Kindern. Aber mit Gleichaltrigen konnte ich nichts anfangen. Denn die waren nicht bereit, mich als Anführerin zu akzeptieren (kein Wunder, ich war klein und unsportlich, mit Brille, Zahnspange und orthopädischen Einlagen) und mit der Rolle als "Untertan" unter einem anderen Rädelsführer war ich nicht zufrieden.

Rückblickend weiß ich nicht viel, was meine Eltern hätten besser machen können. Die Entscheidung, mich in die Hauptschule zu geben, hat meine Mutter unter anderem deshalb getroffen weil sie selbst Kindheitserinnerungen hatte. Mit gutem VS-Zeugnis hatte sie das Gymnasium begonnen, dem Stoff aber schon bald nicht folgen können und dann wurde sie rückgestuft in die Haupstschule. An sich nicht schlimm, nur sie selbst kam sich als Versagerin vor, hauptsächlich weil sie die Erwartungshaltung ihres Vaters nicht erfüllt hatte. Bei der Entscheidung wegen meiner weiteren Schullaufbahn hat das mitgespielt. Heute glaube ich, dass das Gymnasium für mich doch die bessere Wahl gewesen wäre. Aber wir sind nun mal alle Menschen und so, wie ich nicht in die Zukunft sehen kann damit ich die besten Entscheidungen für meine Kinder treffe.

Ansonsten sehe ich keine groben Fehler meiner Eltern. Sie hatten ihre eigenen Leben mit eigenen Schwierigkeiten (meine Mutter wurde selbst jahrelang von einer Arbeitskollegin gemobbt) und so fiel ihnen zwar auf, dass es mir nicht mehr so gut ging wie in der Volksschule, sie hatten aber so lange keine Ahnung was dahintersteckte, bis ich es ihnen erzählt habe.

orangenminze hat geschrieben:Und wer weiss, vielleicht ist so ein Weg, die Agressionen nach Außen zu tragen, dann für ein Kind gesünder, als sich als Kind womöglich selbst etwas anzutun oder die Aggressionen gegen sich selbst zu richten. Damit will ich nicht sagen, dass alle Kinder ständig um sich hauen und treten sollen, hauptsache, ihnen geht es gut. Aber ich denke es lohnt sich genauer hinzuschauen, wenn ein Kind zu solchen Maßnahmen greift. Ich denke nämlich, dass Kinder eigentlich die Regeln des Sozialverhaltens schon sehr früh verstehen und dass es Gründe gibt, wenn sie diesen Erwartungen der Gesellschaft nicht entsprechen. Denn Kinder wollen gemocht und anerkannt werden und sie wollen sich mit ihrer Umgegebung verstehen.
Ich glaube auch dass ich die Regeln für Sozialverhalten grundsätzlich schon früh verstanden habe. Erst vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit meiner Mutter über meine Kindergartenzeit. Sie erinnerte sich dass ich zu Hause erzählt hatte, dass ein Mädchen aus dem Kindergarten von den anderen Kindern wegen ihres (leider wirklich starken) Lulu-Geruches sekkiert wurde und dass ich es gemein von den andern Kindern gefunden habe, dass sie diese Mädchen ständig "die stinkige U..." nannten. Ich erinnere mich selbst heute noch an dieses Mädchen und dass ich wegen ihres Geruches selbst nicht mit ihr spielen wollte, abgesehen davon, dass sie kaum gesprochen hat und mir Kommunikation beim Spiel immer wichtig war. Aber ich verstand nicht warum man sie zusätzlich zum ausgrenzen noch beschimpfen mußte.

Außerdem ist mir noch eine Situation aus der Volksschule eingefallen. Die Lehrerin gab mir nach dem Unterricht den Schlüssel für das Klassenzimmer damit ich es absperren sollte. Ich bekam natürlich mit dass noch 2 Mädchen in der Klasse waren, aber anstatt zu rufen "Kommt raus, ich muß zusperren!" habe ich sie einfach eingesperrt. Dann habe ich absichtlich damit getrödelt der Lehrerin den Schlüssel zurückzugeben und bin dann doch noch zurück und habe die zwei Mädchen wieder rausgelassen. Warum ich das gemacht habe? Ganz ehrlich: aus Langeweile! Ich habe keine Sekunde daran gedacht dass die Mädchen vielleicht Angst bekommen könnten, ich fand es nur cool, so viel Macht zu habe, sie einzusperren. Als sie mir dann Vorwürfe deswegen gemacht habe habe ich so getan als hätte ich nicht bemerkt dass sie in der Klasse sind. Heute sehe ich solche Situationen auch als Zeichen meiner sozialen Unreife.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
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