Abgeklärte 4 Jährige

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Rabaukenmama
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Rabaukenmama »

Linasina hat geschrieben:Schon ok ich verstehe öfter mal was falsch. ;) ja da hast du schon irgendwie recht genauso wie fast jedes Kind ADHS hat. Allgemein nehmen irgendwie die psychischen Erkrankungen zu. Irgendwie ist es heute auch so dass die Mehrheit nur noch an sich denkt. Ich denke das du weil du hochbegabt bist den sozialen Bereich besser ausgleichen kannst.
Der Meinung, dass ich durch meine Hochbegabung den sozialen Bereich besser ausgleichen kann, bin ich nicht. Ich hatte doch 3 Jahrzehnte meines Lebens sehr grosse Schwierigkeiten im Umgang mit meinen Mitmenschen. Die Diagnose "hochbegabt" wurde bei mir zwar schon mit 6 Jahren (durch den Schuleintrittstest) erstmals gestellt, aber richtig selbst bewusst wurde ich mir dessen erst mit 15. Geholfen hat mir die Erkenntnis, HB zu sein, erst mal gar nichts, eher im Gegenteil. Ich sah in mir das verkannte Genie auf das die böse Umwelt keinerlei Rücksicht nimmt und das hoffnungslos unter die Räder irgendwelcher dummen Ignoranten gekommen ist. Und das meine ich NICHT sarkastisch, ich habe es tatsächlich so gesehen.

Von da an dauerte es noch weitere 15 Jahre mit kaum sozialen Kontakten und im ständigen Versuch, einen Spagat zwischen Anpassung (schliesslich WOLLTE ich ja Freunde) und Selbstverwirklichung zu machen, bis ich erkannte, dass nicht meine Mitmenschen ein Problem mit MIR haben sondern ICH ein Problem mit meinen Mitmenschen. Und für die Lösung MEINER Probleme bin ich nun mal selbst verantwortlich. Es begann dann eine Zeit, wo ich langsam aber sicher vom hohen Ross runterkam und ALS ERWACHSENE Dinge lernte, die sich ein Grossteil meiner Mitmenschen (mehr oder weniger) schon im Kindesalter angeeignet hatte.

Damit meine ich: ich lernte, dass es gefühlsmässig einen grossen Unterschied macht, ob jemand etwas (was mir z.B. schadet) absichtlich, fahrlässig oder aus Versehen tut. Ich bemerkte, dass bei den meisten Dingen, wo ich nächtelang Gründe gesucht hatte, anderen ihre "Schuld" hieb- und stichfest nachzuweisen, meistens ICH SELBST der Agressor und Konfliktauslöser war. Weiters erkannte ich, dass eine Entschuldigung an Wert verliert, wenn ihr ein oder mehrere Male das Wort "aber" folgt. Vor allem aber erkannte ich, dass ich NICHT perfekt sein muss um nicht von den anderen "niedergemacht" zu werden.

Ich begann, mir einen Freundeskreis aufzubauen, der aus Menschen bestand, die ehrlich zueinander waren und mir manchmal die Wahrheit beinhart ins Gesicht sagten (was mir oft gar nicht gefiel). Durch diese neuen Freunde lernte ich immer besser, meine Gefühle in Worte zu fassen und zu erkennen, wo es - im eingenen Interesse oder im Interesse der anderen - besser ist, zu schweigen. Ja, man kann auch schweigen OBWOHL man noch Argumente hätte - das hatte ich jahrelang nicht so praktiziert und plötzlich ging es mir dabei sogar BESSER als davor, wo ich bis zum letzten Atemzug ums "Recht haben" gekämpft hatte.

Das war aber für mich schwierig und immer wieder mit Rückschlägen verbunden. Sicher nichts, was mir durch meine Hochbegabung erleichtert worden wäre.
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Linasina
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Linasina »

Ganz genauso ging und geht es mir. Ich dachte schon ich wäre die Einzigste mit solchen Problemen. Nur dass ich nicht hochbegabt bin. Das ist ganz toll dass du das mal so geschrieben hast. Es hilft schon irgendwie, sich mal mit Leuten mit den gleichen Erfahrungen auszutauschen. Die ganze soziale Ebene ist irgendwie für mich ein Kampf.
Rabaukenmama
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Rabaukenmama »

heinerprahm hat geschrieben: So neu ist das Thema ja nicht seit den 30er Jahren wird dort geforscht und für mich war damals der Anlass zu der Diskussion bei Mensa ja die Quarks & Co. Sendung über Autismus...
Naja, laut Wiki (nicht so mein Ding, aber zumindest eine halbwegs glaubwürdige Quelle) wurde das Asperger-Syndrom erst nach 1981 beachtet und 1991 bzw. 1994 überhaupt erst in die grossen Klassifikationssysteme aufgenommen. Bitte nicht missverstehen - es ist deshalb für mich nicht mehr oder weniger real. Auch Depressionen galten ja lange Zeit als "moderne Erscheinung" (so nach dem Motto "früher ist man auch nicht wegen jedem Sch.... gleich zum Psychologen gelaufen" - tatsächlich waren die Symptome unter dem Namen "Schwermut" sehr wohl schon seit Jahrhunderten bekannt.

Umfomuliert begründet sich meine Kritik vielmehr durch die fliessenden Übergänge (was ist noch normal, was schon krankhaft?) und das nicht-vorhanden-sein von klaren, standardisierten Diagnosemöglichkeiten. Ich empfinde es einfach unverantwortlich dass solche Diagnosen nach einer kurzen Einschätzung durch einen "Experten" gestellt werden können.
heinerprahm hat geschrieben: ... das bedeutet, dass die Anzahl der 'Betroffenen' noch wesentlich geringer ist als die von Höchstbegabten, aber gerade beim Thema Autismusspektrum ist es wichtig eine gute Diagnostik zu haben, denn es gibt im Kleinkindalter ein Fenster, dass wenn es für gezielte Förderung genutzt wird, es den Betroffenen oft ermöglicht ein eher selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, wird das Fenster nicht genutzt, bleiben die Kinder später als Erwachsene oft sehr abhängig und müssen betreut werden. Das Fenster ist nicht groß und von daher bin ich, auch wenn die Zielgruppe klein ist, auf jeden Fall dafür für jede Erkrankung eine Diagnose zu finden und kann mich dem 'Präsident einer bekannten Gesundheitsklassifikationsbehörde' nicht anschließen (der sollte mMn auch besser was anderes machen als diese Institution leiten).
Wie sieht diese Förderung innerhalb des von Dir beschriebenen Entwicklungsfensters konkret aus? Schadet sie Kindern, die NICHT an Asperger leiden (also "Fehldiagnosen") oder kann man sie ohnehin auf jedes Kind anwenden?

Dem schliesst sich die umgekehrte Frage an: schaden die zusätzlich zu einer etwaigen Förderung üblicherweise bei diesem Krankheitsbild verabreichten Medikamente einem GESUNDEN Kind? Oder sollte man die auch gleich sicherheitshalber jedem Kind geben? Die Frage mag provokant sein, aber wenn durch Fehldiagnosen mehr SCHADEN an gesunden Kindern angerichtet wird als tatsächlich erkrankten Kindern geholfen wird, dann wäre ich dafür, dieses Syndrom wieder aus den Katalogen der Gesundheitsklassifikationsbehörden zu nehmen!
heinerprahm hat geschrieben: Aus meiner Sicht macht das einen riesen Unterschied, alleine sicher zu wissen, dass man hochbegabt ist und eben nicht autistisch, oder an einer Hirnstoffwechselerkrankung leidet die zu ADS oder ADHS führt, kann doch im Leben entscheidend sein, denn gerate z.B. an den falschen Lehrer/in, die aus einem Mangel an Information heraus, aus deinem HB-Kind einen HFA machen, oder ADHS vermuten und auf Grund ihrer Vermutungen mit Deinem Kind interagieren und Entscheidungen treffen, die eventuell Einfluß auf das gesamte restliche Leben deines Kindes haben. Natürlich sollte man damit nicht hausieren gehen, aber wenn es wichtig wird und man auf Ignoranten mit Macht trifft, sollte man vorbereitet sein und da ist ein glasklare Diagnose mehr wert als alles andere!
Ignorante Menschen trifft man immer wieder und in allen Lebenslagen. Die lassen sich normalerweise auch nicht von einem "offiziellen Schreiben" beeindrucken - unabhängig davon, ob es um eine Hochbegabung oder eine Erkrankung geht. Auch die Gesetze gehen auf individuelle Bedürfnisse, die von der Norm abweichen, oft nicht ein.

Darauf aufpassen, dass meine Kinder nicht unter irgendwelche Räder geraten und in ihrem Sinne die passenden Entscheidungen treffen muss ich sowieso immer.

Gerade bei Asperger ist die von Dir angesprochene GLASKLARE Diagnose ohnehin kaum möglich. Allein die Tagesverfassung der Kinder macht schon viel zu gewaltigen Unterschied, als dass ein Experte von (bestenfalls) ein paar Stunden Beobachtung meines Kindes so eine Diagnose stellen könnte.

Die geschiedene Frau meines Mannes hat übrigens bei ihrem Sohn (damals 10) ADS vermutet und ist mit ihm so lange von einem Arzt zum anderen gegangen bis sie den gewünschten Befund und das Rezept für die Ruhigstellungs-Medikamente bekommen hat. Die Ärztin, welche diese Diagnose letztendlich gestellt hat, ist bekannt dafür, so ziemlich jedes Kind als ADS-krank zu sehen und ebenso bekannte Verfechterin von medikamentöser Behandlung.

Drei Jahre später (in denen der Bub bis zu 4 Tabletten am Tag genommen hat) war das Kind dann übrigens stationär ein halbes Jahr in der Kinderpsychiatrie, weil sich seine Probleme im sozialen Bereich trotz der Medis noch weiter verschlechtert hatten, und dort wurde ein Befund erstellt, dass der Bub NICHT ADS hat.

Obwohl ich dem Grossteil der Eltern, die sich Gedanken machen, ob ihr Kind Asperger oder ADS hat, mehr Eigendenken im Interesse des Kindes zutraue, zeigt dieses Beispiel die traurigen Auswüchse im Umgang mir dieser Art von Erkrankungen.

heinerprahm hat geschrieben: Ich denke, wie gesagt nicht, dass Du ein Asperger Syndrom hast, sondern der Wert aus Deiner HB resultiert, wie bei allen anderen HBs die diesen Test machen auch. Und Du kannst das ja mal testen, antworte in dem Test mal so, wie Du denkst was gesellschaftlich erwartet wird, bei mir liegen zwischen den beiden 'Testvarianten' ganze 37 Punkte ;)
Ehrlich gesagt habe ich bei ALLEN Fragen, wo ich zwischen zwei Antwortmöglichkeiten geschwankt bin, die Antwort ausgewählt, die mMn eher den gesellschaftlichen Erwartungen entsprochen hat. Von der Warte betrachtet müsste mein tatsächlicher Wert noch höher sein.

Ansonsten sehe ich wenig Sinnhaftigkeit darin, erraten zu wollen, welche Antworten mir ein unauffälligeres Ergebnis bescheren würden. Genausowenig kann ich mir vorstellen einen Intelligenztest zu machen, mit der Zielsetzung, einen IQ zu erreichen, der möglichst nahe bei 100 liegt.
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heinerprahm
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von heinerprahm »

Rabaukenmama hat geschrieben: Wie sieht diese Förderung innerhalb des von Dir beschriebenen Entwicklungsfensters konkret aus? Schadet sie Kindern, die NICHT an Asperger leiden (also "Fehldiagnosen") oder kann man sie ohnehin auf jedes Kind anwenden?
Hallo Rabaukenmama,

Dazu aus http://diaphanoskopie.wordpress.com/201 ... ett-dzvha/ ... ich kann das nicht besser formulieren:
Sieht man einmal von den Ideen ab, die hinter CEASE stehen, hat es ganz praktische Auswirkungen auf das Leben von betroffenen Familien, wenn sie sich in die Hände eines CEASE-Therapeuten begeben. Es ist ziemlich sicher, dass eine möglichst früh beginnende “konventionelle” Therapie die Prognose der Kinder verbessert. Es gibt für viele Fähigkeiten bestimmte “Entwicklungsfenster”, in denen es deutlich leichter fällt, diese zu erlernen. Wer seine Zeit in die CEASE-Therapie investiert, verpasst andere Möglichkeiten, wirksame Möglichkeiten.

Natürlich hindert eine CEASE-Therapie nicht prinzipiell daran, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Doch die Ressourcen der betroffenen Kinder und Familien sind begrenzt. Finanzielle Ressourcen. Zeitliche Ressourcen. Motivation: je mehr Therapien ein Kind macht, desto höher die Gefahr, dass es Therapiemüde wird. Eltern und Therapeuten die schon länger dabei sind, wissen, dass es manchmal auch Therapiepausen geben muss. Je mehr Therapie, desto eher eine Therapiepause. Ärgerlich, wenn eine der Therapien wirkungslos ist.
oder auch mal hier lesen: http://www.brain.mpg.de/fileadmin/user_ ... kinsey.pdf

Konkret bedeutet es, das es grundsätzlich es diese Fenster bei allen Kindern gibt, aber das es gerade bei 'Autisten' besonders wichtig ist, das zeitlich genau die richtigen Möglichkeiten zu richtigen Zeit zu nutzen... und ob es schadet ein Entwicklungsfenster nicht optimal zu nutzen... naja, eine verpasste Möglichkeit ist noch kein Schaden.
Rabaukenmama hat geschrieben: Dem schliesst sich die umgekehrte Frage an: schaden die zusätzlich zu einer etwaigen Förderung üblicherweise bei diesem Krankheitsbild verabreichten Medikamente einem GESUNDEN Kind? Oder sollte man die auch gleich sicherheitshalber jedem Kind geben? Die Frage mag provokant sein, aber wenn durch Fehldiagnosen mehr SCHADEN an gesunden Kindern angerichtet wird als tatsächlich erkrankten Kindern geholfen wird, dann wäre ich dafür, dieses Syndrom wieder aus den Katalogen der Gesundheitsklassifikationsbehörden zu nehmen!
Ich lehne die Gabe von psychoaktiven Medikamenten bei Kindern grundsätzlich ab, es gibt viele andere Wege den Hirnstoffwechsel zu beeinflussen, z.B. Meditationstechniken u.ä
Rabaukenmama hat geschrieben: Gerade bei Asperger ist die von Dir angesprochene GLASKLARE Diagnose ohnehin kaum möglich. Allein die Tagesverfassung der Kinder macht schon viel zu gewaltigen Unterschied, als dass ein Experte von (bestenfalls) ein paar Stunden Beobachtung meines Kindes so eine Diagnose stellen könnte.
Auch wenn natürlich auf Grund der sehr kleinen Zielgruppe der Forschungstand eher dürftig ist, so gibt es doch sehr gutes Material, das es einem ermöglicht sehr genau abzugrenzen z.B. für Erwachsene http://www.aspergia.de/cms/download.php ... omolla.pdf ist wirklich eine hervorragende Arbeit, aber auch für Kinder aller Entwicklungsstufen gibt es Material http://www.autismus-darmstadt.de/conten ... x_ger.html .
Rabaukenmama hat geschrieben: Die geschiedene Frau meines Mannes hat übrigens bei ihrem Sohn (damals 10) ADS vermutet und ist mit ihm so lange von einem Arzt zum anderen gegangen bis sie den gewünschten Befund und das Rezept für die Ruhigstellungs-Medikamente bekommen hat. Die Ärztin, welche diese Diagnose letztendlich gestellt hat, ist bekannt dafür, so ziemlich jedes Kind als ADS-krank zu sehen und ebenso bekannte Verfechterin von medikamentöser Behandlung.
Drei Jahre später (in denen der Bub bis zu 4 Tabletten am Tag genommen hat) war das Kind dann übrigens stationär ein halbes Jahr in der Kinderpsychiatrie, weil sich seine Probleme im sozialen Bereich trotz der Medis noch weiter verschlechtert hatten, und dort wurde ein Befund erstellt, dass der Bub NICHT ADS hat.
... genau das ist das Problem, da werden vorschnell Diagnosen gestellt, schnell ist das Medikament verschrieben und das auf einer mehr als dürftigen Anamnese ohne Fachkompetenz heraus.
Rabaukenmama hat geschrieben:
Ehrlich gesagt habe ich bei ALLEN Fragen, wo ich zwischen zwei Antwortmöglichkeiten geschwankt bin, die Antwort ausgewählt, die mMn eher den gesellschaftlichen Erwartungen entsprochen hat. Von der Warte betrachtet müsste mein tatsächlicher Wert noch höher sein.

Ansonsten sehe ich wenig Sinnhaftigkeit darin, erraten zu wollen, welche Antworten mir ein unauffälligeres Ergebnis bescheren würden. Genausowenig kann ich mir vorstellen einen Intelligenztest zu machen, mit der Zielsetzung, einen IQ zu erreichen, der möglichst nahe bei 100 liegt.
Also mir macht es z.B. Spass ganz genau herauszufinden wie mein Gehirn tickt und ich teste mich bei sowas auch gerne selbst und lasse mich auch gerne überraschen, wie z.B. beim Autismus-Test, bin dann aber auch immer sehr daran interessiert den Sachverhalt aus jeden möglichen Winkel zu betrachten (das weckt den Forscher in mir)... und z.B. rauszubekommen welche Antworten dazu führen das mein Ergebnis 'unauffällig' wird, ermöglicht es mir z.B. das Test-Design zu durchschauen und auch den Grund für die fehlende Differenzierung zwischen Autismus und Hochbegabung auf zuarbeiten, aber das ist halt auch mehr ein Hobby von mir.

Liebe Grüße
Heiner
MajoMam
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von MajoMam »

heinerprahm hat geschrieben:
Aus meiner Sicht macht das einen riesen Unterschied, alleine sicher zu wissen, dass man hochbegabt ist und eben nicht autistisch, oder an einer Hirnstoffwechselerkrankung leidet die zu ADS oder ADHS führt, kann doch im Leben entscheidend sein, denn gerate z.B. an den falschen Lehrer/in, die aus einem Mangel an Information heraus, aus deinem HB-Kind einen HFA machen, oder ADHS vermuten und auf Grund ihrer Vermutungen mit Deinem Kind interagieren und Entscheidungen treffen, die eventuell Einfluß auf das gesamte restliche Leben deines Kindes haben. Natürlich sollte man damit nicht hausieren gehen, aber wenn es wichtig wird und man auf Ignoranten mit Macht trifft, sollte man vorbereitet sein und da ist ein glasklare Diagnose mehr wert als alles andere!
Kann man denn aber wirklich sicher wissen, dass es "nur" HB ist und eben nicht zusätzlich noch z.B. Asperger?
Ich war gestern auf einem Vortrag über HB-Kinder, und dort hieß es auch eindeutig, dass durch mangelnde Passung Abweichungen von normierten Verhaltenserwartungen entstehen können. Solche Verhaltensweisen erinnern dann eben an autistische, seien aber keineswegs gleichzusetzen mit einer mangelnden sozio-emotionalen Entwicklung, d.h. es sind keine Defizite.
Ich persönlich wäre ja sehr erleichtert, wenn mein Kind tatsächlich "nur" HB wäre (auch das wissen wir ja, wie gesagt, noch nicht), aber er hat eben verdammt viele Verhaltensweisen, die tatsächlich an Autismus denken lassen. Letztlich ist es ja egal, was nun die Ursache für seine Auffälligkeiten ist. Wichtig ist ja, das er bestmöglich damit zurecht kommt. Leider gehöre ich aber auch zu denen, die für alles immer gerne eine Diagnose hätten. Zudem fällt es mir als Nicht-HB und Nicht-Autistin verdammt schwer, da die Grenzen zu ziehen. Ich bin mittlerweile sehr verunsichert und weiß nicht so recht, ob ich jetzt eine Diagnostik anstreben soll (eben um nicht mögliche wertvolle Zeitfenster für Förderung zu verpassen) oder nicht, um ihm nicht womöglich noch eine falsche Diagnose und damit einen falschen Stempel verpassen zu lassen, gerade im Hinblick auf die Schule später.

LG
MajoMam
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Rabaukenmama »

heinerprahm hat geschrieben: Dazu aus http://diaphanoskopie.wordpress.com/201 ... ett-dzvha/ ... ich kann das nicht besser formulieren:
Sieht man einmal von den Ideen ab, die hinter CEASE stehen, hat es ganz praktische Auswirkungen auf das Leben von betroffenen Familien, wenn sie sich in die Hände eines CEASE-Therapeuten begeben. Es ist ziemlich sicher, dass eine möglichst früh beginnende “konventionelle” Therapie die Prognose der Kinder verbessert. Es gibt für viele Fähigkeiten bestimmte “Entwicklungsfenster”, in denen es deutlich leichter fällt, diese zu erlernen. Wer seine Zeit in die CEASE-Therapie investiert, verpasst andere Möglichkeiten, wirksame Möglichkeiten.

Natürlich hindert eine CEASE-Therapie nicht prinzipiell daran, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Doch die Ressourcen der betroffenen Kinder und Familien sind begrenzt. Finanzielle Ressourcen. Zeitliche Ressourcen. Motivation: je mehr Therapien ein Kind macht, desto höher die Gefahr, dass es Therapiemüde wird. Eltern und Therapeuten die schon länger dabei sind, wissen, dass es manchmal auch Therapiepausen geben muss. Je mehr Therapie, desto eher eine Therapiepause. Ärgerlich, wenn eine der Therapien wirkungslos ist.
oder auch mal hier lesen: http://www.brain.mpg.de/fileadmin/user_ ... kinsey.pdf

Konkret bedeutet es, das es grundsätzlich es diese Fenster bei allen Kindern gibt, aber das es gerade bei 'Autisten' besonders wichtig ist, das zeitlich genau die richtigen Möglichkeiten zu richtigen Zeit zu nutzen... und ob es schadet ein Entwicklungsfenster nicht optimal zu nutzen... naja, eine verpasste Möglichkeit ist noch kein Schaden.
Oje, ich habe mich wieder falsch ausgedrückt. Ich zweifle nicht an Entwicklungsfenstern (beobachte sie ja selbst immer wieder bei meinem Sohn), bin aber der Ansicht, dass keine Diagnosen notwendig sind, um diese Fenster zu nutzen. Du wirkst selbst wie ein Vater, der sein Kind sehr genau beobachtet und weiss, was wann möglich ist. Genau dasselbe können andere Eltern (sofern sie klug und motiviert genug sind) auch.
heinerprahm hat geschrieben: Ich lehne die Gabe von psychoaktiven Medikamenten bei Kindern grundsätzlich ab, es gibt viele andere Wege den Hirnstoffwechsel zu beeinflussen, z.B. Meditationstechniken u.ä
An DEINER Einstellung zweifle ich nicht, ich frage mich nur, was weniger (selbst)sichere Eltern mit der (Fehl?)-Diagnose "Asperger Syndrom" anfangen. Für viele sind Ärzte, Therapeuten und Psychologon immer noch allwissende Götter in weiss. Und wenn Herr/Frau Dr. Sowieso erklärt, dass das Kind medikamentöse Unterstützung braucht (vielleicht noch mit einem kleinen Horrerszenario dazu, was passieren könnte, wenn ihm diese vorenthalten wird), ob dann noch viel weiter nachgedacht oder andere Meinungen eingeholt werden.

Für mich war selbstverständlich, mich vor meiner Entscheidung für oder gegen CIs (Cochlea Inplantate zur könstlichen Herstellung von Höreindrücken) umfassend zu informieren und das hiess, sowohl die Argumente der Befürworter als auch die der Gegner genau zu lesen bzw. anzuhören und aus der Summe der Informationen die für uns passende Entscheidung zu treffen. Ich kenne einige andere Familien mit inplantierten Kindern. Für den Grossteil davon war es SELBSTVERSTÄNDLICH der Inplantation zuzustimmen, nachdem Logopäde und HNO-Arzt dazu geraten hatten. Die wollten nicht mal kritische Stimmen dazu lesen um sich selbst nicht zu verunsichern.

Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass es sich bei Asperger-Syndrom deutlich anders verhält.
heinerprahm hat geschrieben: Auch wenn natürlich auf Grund der sehr kleinen Zielgruppe der Forschungstand eher dürftig ist, so gibt es doch sehr gutes Material, das es einem ermöglicht sehr genau abzugrenzen z.B. für Erwachsene http://www.aspergia.de/cms/download.php ... omolla.pdf ist wirklich eine hervorragende Arbeit, aber auch für Kinder aller Entwicklungsstufen gibt es Material http://www.autismus-darmstadt.de/conten ... x_ger.html .
Ehrlich gesagt kommt mir das (für Kinder) recht dürftig vor. Einige Merkmale davon weisen viele Kinder auf. In jeder durchschnittlichen Kindergartengruppe gibt es doch ein paar Kinder, die kein Interesse an Rollenspielen haben und immer wiederkehrende Abläufe "brauchen". Eine von Dir angesprochene klare Grenze, ab wann es "noch normal" und ab wann "schon krankhaft" ist erkenne ich jedenfalls nicht.

heinerprahm hat geschrieben: ... genau das ist das Problem, da werden vorschnell Diagnosen gestellt, schnell ist das Medikament verschrieben und das auf einer mehr als dürftigen Anamnese ohne Fachkompetenz heraus.
Leider führt genau der von Dir vorgeschlagene Weg (das Kind im "Zweifelsfall" auf Asperger hin testen zu lassen) sehr häufig zu Fehldiagnosen. Viele Eltern sind verunsichert, wenn sie von einem Krankheitsbild lesen, dessen Symptome teilweise auf das eigene Kind zutreffen. Obwohl ich dem Grossteil der Therapeuten kein Eigeninteresse (die Pharmaindustrie lebt ja sehr gut von den Produkten, die für diese Krankheitsbilder verschrieben werden) unterstelle, sind ein Grossteil der sog. "Fachleute" einfach nur Menschen, die sich irren können. Leider würden häufige Aussagen wie "ich weiss auch nicht ob ihr Kind Asperger hat oder nicht" die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit des Therapeuten schwächen, daher steht er unter dem Druck, eine möglichst klare Diagnose abzugeben. In wie weit diese tatsächlich den Tatsachen entspricht, ist fraglich.
heinerprahm hat geschrieben: Also mir macht es z.B. Spass ganz genau herauszufinden wie mein Gehirn tickt und ich teste mich bei sowas auch gerne selbst und lasse mich auch gerne überraschen, wie z.B. beim Autismus-Test, bin dann aber auch immer sehr daran interessiert den Sachverhalt aus jeden möglichen Winkel zu betrachten (das weckt den Forscher in mir)... und z.B. rauszubekommen welche Antworten dazu führen das mein Ergebnis 'unauffällig' wird, ermöglicht es mir z.B. das Test-Design zu durchschauen und auch den Grund für die fehlende Differenzierung zwischen Autismus und Hochbegabung auf zuarbeiten, aber das ist halt auch mehr ein Hobby von mir.
Mir geht´s ganz anders, ich habe von Natur aus ein sehr unangenehmes Gefühl wenn ich Fragen nicht meiner echten Intuition entsprechend beantworte. Der maximale Kompromiss meinerseits ist der, den ich gemacht habe (bei Unsicherheit zwischen zwei Antwortmöglichkeiten jene wählen, die ich als "unauffälliger" betrachte). Ich mag auch Spiele, wo man lügen müss (da gibt´s z.B. so ein Kartenspiel) überhaupt nicht, während es mir relativ leicht fällt, undurchschaubar zu wirken (Pokerface) - abder das innere Gefühl passt gar nicht dazu. Selbst wenn´s nur ein Internet-Test ist, womit ich ja niemanden weh tue oder absichtlich täusche, komme ich mir dabei wie ein Betrüger vor.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
heinerprahm
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von heinerprahm »

Hallo Rabaukenmama,

ich wollte zu folgenden Punkten noch ein etwas schreiben, weil ich da am Nachmittag drüber nachdenken musste,
Rabaukenmama hat geschrieben: Der Meinung, dass ich durch meine Hochbegabung den sozialen Bereich besser ausgleichen kann, bin ich nicht. Ich hatte doch 3 Jahrzehnte meines Lebens sehr grosse Schwierigkeiten im Umgang mit meinen Mitmenschen. Die Diagnose "hochbegabt" wurde bei mir zwar schon mit 6 Jahren (durch den Schuleintrittstest) erstmals gestellt, aber richtig selbst bewusst wurde ich mir dessen erst mit 15. Geholfen hat mir die Erkenntnis, HB zu sein, erst mal gar nichts, eher im Gegenteil. Ich sah in mir das verkannte Genie auf das die böse Umwelt keinerlei Rücksicht nimmt und das hoffnungslos unter die Räder irgendwelcher dummen Ignoranten gekommen ist. Und das meine ich NICHT sarkastisch, ich habe es tatsächlich so gesehen.
Ich weiß ja nicht wie hoch Dein IQ ist, aber bei mir ist das so, dass ich eigentlich in allen Tests IQ135 +- 3 erreiche, was auch mein psychologisch getesteter Wert ist, ich bin als so der 'Durchschnittshochbegabte'. Ich wusste eigentlich von Anfang an, dass ich mit den 'normalen' Menschen nicht viel anfangen kann und die mit mir ebenfalls auch nichts. Ich habe dadurch, dass meine Eltern als Beamte ständig versetzt wurden und durch familiäre Umstände, auch ständig die Schule gewechselt. Bis zum Abitur war ich insgesamt auf 6 Schulen und da die Klassen damals wegen der geburtenstarken Jahrgänge recht groß waren (so zwischen ab 30 und bis zu 43 Schüler und die Oberstufe war auch riesig), hatte ich auch das 'Vergnügen' mit sehr vielen Klassenkameraden/innen (über 200) die Klassen und Kurse zu teilen und von sehr vielen verschiedenen Lehrern unterrichtet zu werden (bestimmt über 60). Unter all diesen Menschen habe ich in 13 langen Jahren niemanden gefunden, der/die sich mit mir auch nur annähernd auf einem intellektuellen Niveau befand, ich hatte also während der ganzen Schulzeit niemanden mit dem ich mich adäquat hätte austauschen können.

Es war dabei nicht so, dass ich irgendwie außen vor war, weil ich nicht gemocht wurde, ich war sogar Klassensprecher und wurde ganz normal eingeladen und bekam auch Besuch, aber das waren alles völlig oberflächliche Kontakte, ohne jeglichen Tiefgang, mich interessierte einfach null mit was für Dingen sich die Jugendlichen beschäftigten, ich konnte vor allem mit den pubertierenden Jungen rein gar nichts anfangen, die stellten sich mir wie ein hirnlose Horde Affen dar, die auf Grund von Hormonflutungen jegliche Kontrolle über ihr zerebrales System verloren hatten und obwohl ich auch Freundinnen hatte, hielten diese 'Beziehungen' halt nicht lange und das lag nicht an fehlender 'Verliebtheit' sondern alleine an dem Umstand, dass ich mich zwar unter diesen Menschen physisch bewegte, aber dennoch mental völlig isoliert war. Ich musste um diese Sozialkontakte aufrecht zu erhalten, vor allem wenn es um 'Freundschaften' zu Jungs, aber auch die ersten Liebesbeziehungen ging, im Grunde meine Persönlichkeit aufgeben, um den Anforderungen zu entsprechen und das verstieß gegen alle meine Prinzipien, das war mir unmöglich.
Du schreibst sehr schön, dass Du Dich als das verkannte Genie gesehen hast, auf das keiner Rücksicht nimmt. Genau das habe ich auch erlebt, im Grunde war mein Kindheit, Jugend und Adoleszenz ein, wie Du das schön beschreibst, 'intellektuelles und emotionelles unter die Räder kommen', mit dem man (so auch ich) irgendwie selbst klar kommen musste, denn es gab objektiv niemanden, der die Problematik in der ich mich befand hätte greifen können und mit dem man sich hätte austauschen können. Du schreibst dann weiter:
Rabaukenmama hat geschrieben:Von da an dauerte es noch weitere 15 Jahre mit kaum sozialen Kontakten und im ständigen Versuch, einen Spagat zwischen Anpassung (schliesslich WOLLTE ich ja Freunde) und Selbstverwirklichung zu machen, bis ich erkannte, dass nicht meine Mitmenschen ein Problem mit MIR haben sondern ICH ein Problem mit meinen Mitmenschen. Und für die Lösung MEINER Probleme bin ich nun mal selbst verantwortlich. Es begann dann eine Zeit, wo ich langsam aber sicher vom hohen Ross runterkam und ALS ERWACHSENE Dinge lernte, die sich ein Grossteil meiner Mitmenschen (mehr oder weniger) schon im Kindesalter angeeignet hatte.

Damit meine ich: ich lernte, dass es gefühlsmässig einen grossen Unterschied macht, ob jemand etwas (was mir z.B. schadet) absichtlich, fahrlässig oder aus Versehen tut. Ich bemerkte, dass bei den meisten Dingen, wo ich nächtelang Gründe gesucht hatte, anderen ihre "Schuld" hieb- und stichfest nachzuweisen, meistens ICH SELBST der Agressor und Konfliktauslöser war. Weiters erkannte ich, dass eine Entschuldigung an Wert verliert, wenn ihr ein oder mehrere Male das Wort "aber" folgt. Vor allem aber erkannte ich, dass ich NICHT perfekt sein muss um nicht von den anderen "niedergemacht" zu werden.

Ich begann, mir einen Freundeskreis aufzubauen, der aus Menschen bestand, die ehrlich zueinander waren und mir manchmal die Wahrheit beinhart ins Gesicht sagten (was mir oft gar nicht gefiel). Durch diese neuen Freunde lernte ich immer besser, meine Gefühle in Worte zu fassen und zu erkennen, wo es - im eingenen Interesse oder im Interesse der anderen - besser ist, zu schweigen. Ja, man kann auch schweigen OBWOHL man noch Argumente hätte - das hatte ich jahrelang nicht so praktiziert und plötzlich ging es mir dabei sogar BESSER als davor, wo ich bis zum letzten Atemzug ums "Recht haben" gekämpft hatte.

Das war aber für mich schwierig und immer wieder mit Rückschlägen verbunden. Sicher nichts, was mir durch meine Hochbegabung erleichtert worden wäre.
... das mit dem neuen Freundeskreis war bei mir genauso, ich bin eine Woche nach dem Abi zu Hause ausgezogen und nie wieder zurückgekehrt, womit gemeint ist, dass ich meine Kindheit und Jugendzeit und alle dort wirkenden Personen vollständig zurückgelassen habe und ich das Glück hatte auf der Uni sofort andere intelligente Menschen und auch Hochbegabte zu finden mit denen ich mich das erstmal austauschen konnte und die nach den gleichen Prinzipien lebten und in den gleichen Kategorien dachten wie ich auch. Das Leben war auf einmal spannend und schnell, eine enorme Beschleunigung ...

... was Du aber schreibst, "vom hohen Ross runterkommen", "anderen ihre "Schuld" hieb- und stichfest nachzuweisen, meistens ICH SELBST der Agressor und Konfliktauslöser war.","dass ich NICHT perfekt sein muss um nicht von den anderen "niedergemacht" zu werden." sieht für mich wie ein Rückschritt aus.
Ich weiß es ist für Dich ein Fortschritt und jeder Mensch geht seinen eigenen Weg, aber aus meiner Sicht ist das irgendwie doch ein sehr devote Grundhaltung, denn aus meiner Sicht hast Du als Hochbegabte 'zu Recht' auf dem hohen Ross gesessen und es war 'richtig' den anderen die Schuld zu geben und man ist selbst nicht der Agressor, oder Konfliktaulöser, sondern es sind die Umstände und das Umfeld vor allem das extrem hohe intellektuelle Gefälle, welches sich nicht nivellieren lässt (durch gar nichts), welches, wenn es nicht reflektiert wird, fast zwangsläufig ein extrem hohes Konfliktpotential entstehen lässt. Aus meiner Sicht trägst Du daran überhaupt keine 'Schuld', sondern im Gegenteil, wenn es Dir 30 Jahre so ergangen ist, dann bist Du Opfer. Opfer von gesellschaftlichen Strukturen in denen Menschen mit hohem Intellekt sich verstecken müssen, sich verbiegen müssen, sich bis zur Selbstverleugnung hin anpassen müssen, um überhaupt soziale Kontakte zu haben, oder eben, wie Du einen jahrzehntelangen Kampf führen, mit sich selbst und anderen.

Ich schreibe hier jetzt darüber, weil ich zwar den persönlichen Nutzen für Dich sehe und mich freue, dass Du so einen ehrlichen Freundeskreis gefunden hast, aber ich denke Du solltest eventuell noch mal über Dich selbst als Kind, Heranwachsende und junge Frau nachdenken und das Ganze aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, denn ein Satz wie, "dass nicht meine Mitmenschen ein Problem mit MIR haben sondern ICH ein Problem mit meinen Mitmenschen" stimmt aus meiner Sicht nicht, oder besser ist nur die halbe Wahrheit, denn natürlich hatten Deine Mitmenschen ein Problem mit Dir und für diese Probleme gab es handfeste Gründe und die hatten nur vordergründig etwas mit deinem vermeintlich mangelhaften Sozialverhalten zu tun, denn dieses ist letztlich nur der Ausdruck der dahinterliegenden Problematik, die weit tiefer geht und die sich, anders als ein mangelhaftes Sozialverhalten (so wie Du es getan hast), eben nicht ändern lässt, sondern immanent ist.

Was will ich damit sagen, wo will ich hin? Es ist mir wichtig zu sagen, dass ich denke, dass die Probleme die bei hochbegabten Kindern, jugendlichen und jungen Erwachsenen durch das hohe intellektuelle Gefälle entstehen, eben nicht dem Hochbegabten zuzuschreiben sind, sondern schlicht ein Resultat der Umstände sind. Diese Umstände kann man akzeptieren, oder dagegen einen unsinnigen kraftraubenden Kampf führen, der einen viele Jahre kostet.
Ich denke aber, dass es besonders wichtig ist, mit Sicht auf eigene hochbegabte Kinder, dass man denen diesen Umstand erklärt, sie gar nicht erst in ein Schuldgefühl hineinlaufen lässt und ihnen Strategien vermittelt (am besten durch Vorleben) mit der Gesamtsituation und den daraus eventuell resultierenden Widrigkeiten souverän umzugehen und ihnen mitgeben, dass es völlig ok und normal ist, wenn man nicht krampfhaft an den gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen will und mit den meisten Menschen einfach nichts anfangen kann.

Und noch mal ganz deutlich, ich freue mich wirklich, dass Du nach 30 Jahren Deinen Weg gefunden hast und kritisiere diesen Weg auch nicht, sondern es geht mir lediglich um die Metaebene und die Reflexion der Historie, da denke ich könntest Du eventuell noch viel für Deine Seelenhygiene bewirken, wenn Du Deine Geschichte nochmal aus diesem Blickwinkel betrachtest.
Rabaukenmama hat geschrieben: Für mich war selbstverständlich, mich vor meiner Entscheidung für oder gegen CIs (Cochlea Inplantate zur könstlichen Herstellung von Höreindrücken) umfassend zu informieren und das hiess, sowohl die Argumente der Befürworter als auch die der Gegner genau zu lesen bzw. anzuhören und aus der Summe der Informationen die für uns passende Entscheidung zu treffen. Ich kenne einige andere Familien mit inplantierten Kindern. Für den Grossteil davon war es SELBSTVERSTÄNDLICH der Inplantation zuzustimmen, nachdem Logopäde und HNO-Arzt dazu geraten hatten. Die wollten nicht mal kritische Stimmen dazu lesen um sich selbst nicht zu verunsichern.

Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass es sich bei Asperger-Syndrom deutlich anders verhält.
Da kannst Du sicher sein, das verhält sich genauso und Mütter wie Du, die sich informieren und kritisch hinterfragen, sind da nicht wirklich gerne gesehen. Letzten habe ich noch eine schönen Bericht gesehen zum Thema Cochlea Implantate vs. Recht auf Taubheit und Stummheit und dem schleichenden Verlust und der Abwertung von hohen Kulturtechniken, wie der Taubstummensprache oder dem Lippenlesen gesehen... der Drang der Normalen Alle und Alles 'normal' machen zu wollen ist irrsinnig hoch, da werden einfach keine Frage mehr gestellt, vor allem wenn es vermeintlich um das eigene Kind geht, obwohl es nur vordergründig darum geht, sondern eigentlich um die eigene Person... ich höre manchmal am Wochenende so am Rande, wenn sich Tochter und Freunde auf dem Spielplatz treffen, wie sich deren Mütter (das sind alles auch noch Lehrerinnen) über Inklusion unterhalten. Das ist so erschreckend, weil die alle überhaupt keine Ahnung und noch weniger Erfahrung haben und auch noch verlogen sind... denn sie erzählen z.B. anderen Eltern, dass diese doch ihren Kindern vor der Schule keine Schulbücher geben sollen, aber selbst geben sie dann untereinander unisono zu, das sie ja mit ihren Kindern auch schon geübt hätten.

Ich wünsche euch noch alles Gute und hoffe, dass sich in den nächsten Monaten in der Lernphase deinem Kind durch die Cochlea Implantate eine ganz neue Welt erschließt, ich denke gerade weil Du Dich intensiv informiert hast, dass dieses (unabhängig vom Ausgang) eine sehr gute Entscheidung für Deine Kind und dessen Zukkunft war und drücke euch weiter fest die Daumen.

Liebe Grüße
Heiner
Linasina
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Linasina »

Das klingt schon recht sehr arrogant. Wenn du in deinem Alltag viel mit Hochbegabten zu tun hast ,die ja recht selten sind ,mag das ja gehen. Ich denke aber dass die meisten Hochbegabten studierten viel in ihrem Alltag mit normalen Leuten zusammen sind und sich einfach anpassen müssen weil Sie sonst total isoliert wären.
Rabaukenmama
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Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Rabaukenmama »

@heinerprahm: Laut Mensa-Test liegt mein IQ bei 143, von den insgesamt 3 Tests, die ich ausserdem gemacht habe kam der Schuleintrittstest (mit 6) auf ca. 140, der Selbsttest mit 15 auf 135 und der Selbsttest mit 30 auf 153. Da der Mensa-Test (den ich mit ca. 35 gemacht habe) von all dem der annerkannteste ist und der Wert in etwa dem Durchschnitt der Ergebnisse entspricht, gehe ich davon aus, dass 143 in etwa stimmt.

Deine Ansichten stimmen mit meinen in vielen Punkten nicht überein. Dabei liegt mir fern, Dich kritisieren oder gar belehren zu wollen. Ich schreibe deshalb bewusst nur von MIR und MEINEN Erkenntnissen.

Meine Probleme mit meiner Umwelt resultierten grossteils gar nicht aus meinem hohen IQ sondern meiner geringen sozialen Anpassung und meinen Problemen, mit Emotionen umzugehen. Meine Intelligenz mag das zwar noch etwas verstärkt haben, aber insgesamt waren meine Leistungen in der Schulzeit immer wesentlich unter meinem Potential (die Schule interssierte mich ab etwa der 3. Klasse Volksschule NULL). In der Volksschule gab es noch ein Mädchen, welches mir intelektuell ähnlich war, und die ein bisschen meine Freundin wurde. "Ein bisschen" deshalb, weil sie im Gegensatz zu mir nicht nur klug, sondern auch sozial angepasst, sehr hübsch, sehr sportlich und sehr beliebt war. Sie konnte sich die Freundinnen aussuchen, wogegen ich (klein, dicke Brille, orthopädische Einlagen, Zahnspange, unsportlich, verhaltensauffällig) froh sein musste, wenn sich überhaupt wer mit mir abgab.

Nach der Volksschule kam ich - auf Empfehlung einer Schulpsychologin - wegen "mangelnder sozialer Reife" in die Hauptschule. Dort war kein einziges Kind mit dem ich über die Dinge reden konnte, die mich interessierten. Ich gewann zwar in der ersten Klasse Hauptschule den Lyrikwettbewerb (als jüngeste von über 30 Teilnehmern), aber so was macht weder beliebt noch hilft es beim Freunde-finden. In der dritten Klasse wurde ich von 3 Buben gemobbt und sowohl psychisch als auch körperlich misshandelt (mit dem Kopf voran in den Mistkübel gestossen, mit U-Hakerl aus Draht beschossen, zwei halten mich auch dem Heimweg fest und der dritte fährt mit dem Rad auf meinen Füssen auf sowie Schläge, Tritte usw. und natürlich jede Menge Beschimpfungen). Weil ich es nicht mehr aushielt habe ich mich meinen Eltern anvertraut, aber das hat die Sache nur verschlimmert. Mein Vater ging in die Schule und machte ein Riesenspektakel daraus, was seine Tochter da erleiden muss und die 3 Buben mussten zu einem Gespräch zur Direktorin. In der nächsten Pause hörte ich von ihnen Morddrohungen gegen mich, weil ich "gepetzt" hatte. Daraufhin hatte ich (mit 12) einen Nervenzusammenbruch und weigerte mich, die Klasse jemals wieder zu betreten.

Da ich vor Buben grosse Angst hatte wollte ich unbedingt auf eine reine Mädchen-Schule. Da es die aber in meinem Heimatort nicht gab kam ich in eine weiter entferntes Kloster-Internat für Mädchen. Dem Internat war auch eine Schule angeschlossen, die aber hauptsächlich von Kindern der Umgebung (=Externe) besucht wurde. In meiner Klasse waren 36 Mädchen, darunter (mich mitgerechnet) 5 "Interne". Wieder gab es niemanden, mit dem ich mich über die Dinge unterhalten konnte, die mich interessierten. Meine Schulmotivation, die ohenhin schon auf null war, sank weiter. Ich hörte auf, Schulübungen mitzuschreiben oder Hausübungen zu machen. Das war angesichts von täglich 3 Stunden bewachter Lernzeit gar nicht so einfach. Mein Anschlusszeugnis der Hauptschule besteht praktisch nur aus der Note "befriedigend" weil die Lehrer sich nicht trauten, eine schlechtere Note zu geben, aber meine mangelnde Mitarbeit bestrafen wollten.

Gemobbt wurde ich von den Mädchen meiner Klasse übrigens noch mehr als zuvor von den Buben, aber es gab zumindest keine körperlichen Misshandlungen und Morddrohungen mehr. Im Internat unterstanden die Mädchen einer Nonne und einer weltlichen Erzieherin, die ein eisernes Regime führten. Unbedingter Gehorsam ohne hinterfragen war erwünscht und ich verstiess (ohne es zu beabsichtigen) ständig gegen die Internatsregeln. Dafür wurde mir zur Strafe der Ferienlager-Aufenthalt gestrichen und ich durfte nicht mit bei Unternehmungen (Ausflüge, Kino,..). Dabei war das gar keine Strafe denn eigentlich war mir sowieso lieber, allein im Schafraum (16 Betten) gemütlich ein Buch zu lesen. "Freizeit" zum selbst-nutzen gab es ohnehin keine und wenn wir am Nachmittag bei Schönwetter mal 2 Stunden auf den hauseigenen Spielplatz (mit Geräten für Kindergartenkinder) durften, dann wurde ich zurechtgewiesen, ich habe bei so einem schönen Wetter nicht zu lesen sondern zu spielen - wie die anderen.

Ich weiss noch dass ich einmal aus Langeweile anfing, vier-, fünf- oder sechsblättrige Kleeblätter zu sammeln und in einem Buch zu pressen. Dann erstellte ich Statistiken, wie häufig welche Anzahl auf der Spielplatzwiese vorkam. Aber nach einigen Wochen wurde mir das auch verboten ("das ist ja krank, das Kind sitzt nur allein in der Wiese rum und sucht nach Kleeblättern"). Ausserdem wurde mir unterstellt, meine Mischüler und Internatskolleginnen zu bestehlen (was ich NIE getan habe) und niemand glaubte mir, als ich meine Unschuld beteuerte. Einmal wurde ich beschuldigt, einer Mitschülerin ihren Kuchen weggegessen zu haben - dabei hatte ich ihn nur mit meinem verwechselt. Als dann die Erzieherinnen draufkamen, dass ich die Wahrheit gesagt hatte fand es niemand für notwendig, sich bei mir zu entschuldigen, obwohl ich mir vorher von ihnen verdächtigt, der Lüge bezichtigt und beschimpft worden war.

Es war eine sehr schwere Zeit für mich. Nach der Hauptschule kam ich endlich in eine Schule, wo meine Mitschülerinnen mich so akzeptieren, wie ich bin. Von der Warte her war ich glücklich, nur waren meine schulischen Leistungen leider so schlecht, dass ich diese (höhere) Schule im Halbjahr wieder verlassen musste. Ich hatte zuvor 6 Jahre lang NICHTS für die Schule getan und es war für mich absolut ungewohnt und eine Zumutung, plötzlich in einer Schule zu sein, wo man LERNEN und ÜBEN muss um positve Noten zu erreichen.

Nach einem weiteren halben Jahr polytechnischer Lehrgang (wo einige meinter Mitschüler nicht mal sinnerfassend lesen konnten) begann ich eine Lehre als Verkäuferin in einem grossen Supermarkt. Das war in etwa die Zeit, wo ich einen IQ-Selbsttest aus einem Buch machte - und plötzlich glaubte ich, die Ursache all meiner Probleme gefunden zu haben. Daraus resultierte dann meine Sichtweise, ein verkanntes, unverstandenes Genie zu sein dem die ganze Welt immer nur Steine in den Weg legt. Weder in der Arbeit noch in der Beruffschule fand ich Anschluss. Ich machte (rückblickend) den Fehler, meine Mitschüler und Kollegen für meine Isolation verantwortlich zu machen. Heute weiss ich, dass meine fehlende soziale Kompetenz dazu wesentlich mehr beigetragen hat als mein hoher IQ.

Ich betrachte es überhaupt nicht so, dass ich mich "verbiegen" muss um irgendeiner Masse zu entsprechen. Ich habe meinen Freundeskreis und bin nicht darauf angewiesen, mich anders zu verhalten als es meinem Naturell entspricht, nur um irgendwelchen Leuten zu gefallen. Aber ich bin viel offener für die Sichtweisen anderer geworden und habe daraus eine gewisse Empathie entwickelt, die mir im zwischenmenschlichen Umgang automatisch weiterhilft. Während meine Aussagen früher oft mit einem "so ist es weil ich das sage"-Unterton rübergekommen sind kann ich heute meinen Standpunkt klarlegen ohne damit (offen oder versteckt) den anderer als falsch hinzustellen oder lächerlich zu machen. Den Grossteil der Dinge, die mich heute ausmachen, habe ich von durchschnittlich begabten Menschen gehört.

Einige Zeit war ich aktiv in einem HB-Forum für Erwachsene. Da habe ich mich aber jetzt zurück gezogen weil es in vielen Punkten hauptsächlich ums recht-haben geht. Darunter leidet die Diskussionskultur und mich ärgert wenn sich wer bei einer ernsten Diskussion nur mehr mit sarkastischen Meldungen wichtig machen muss, weil ihm die echten Argumente längst ausgegangen sind. Das war aber in dem HB-Forum häufig der Fall und ich erkannte schliesslich, dass ich auch langsam begann, wieder auf dieser Welle mitzuschwimmen. Aber das schadet mir selbst und daher erschien mir Rückzug als angemessene Entscheidung, die ich bisher auch nie bereut habe.

In meinem Freundeskreis, der grossteils aus durchschnittlich begabten, aber toleranten, einfühlsamen Menschen besteht, fühle ich mich wesentlich besser aufgehoben und aktzeptiert, selbst wenn die Meinungen zu manchen Themen oft weit auseinanderklaffen.

So, jezt höre ich aber auf, in vier Stunden geht´s für mindestens eine Woche ab ins Krankenhaus. Mein Grosser ist gut bei Oma und Opa untergebracht. Ich bin innerlich total nervös, was sonst überhaupt nicht meine Wesensart ist.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Linasina
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Registriert: Di 11. Okt 2011, 14:42

Re: Abgeklärte 4 Jährige

Beitrag von Linasina »

Ist ja lustig. Kleeblätter sammeln mache ich total gerne. An die 100 Stück habe ich gefunden. Ich hatte auch eine hochbegabte Freundin als sie dann studiert hat und ihren dr gemacht hat war es dann keine Freundschaft mehr. Sie hatte krine Zeit mehr und ich hatte Kinder.
ich drücke nochmals die Daumen dass alles gut geht bei drr OP.
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