Was soll ich nur tun?
Verfasst: Mi 11. Sep 2019, 21:12
Hallo und guten Abend in die Runde,
in einem anderen Thread habe ich unsere aktuelle Situation schon kurz umrissen, würde sie aber gern an dieser Stelle etwas ausführlicher erläutern, da ich gern eure Meinungen und Ansichten dazu wüsste. Ich habe nämlich gerade das Gefühl, ich gehe unter…
Mein Sohn ist inzwischen 3 Jahre und 2 Monate alt. Seit meinem ersten Eintrag hier im Februar diesen Jahres hat sich vieles verändert, und zwar lange nicht zum Guten. Es gab viele Probleme im und mit dem Kindergarten, die Schlafsituation hatte zwischendurch einen neuen Tiefpunkt erreicht und die Eltern-Kind-Beziehung ist mitunter auf’s äußerste gespannt. Doch der Reihe nach.
Mir fiel früh auf, dass unser Sohn anders war, als gleichaltrige Kinder. Wir waren im Säuglingsalter immer mit ihm unter Kindern, sei es beim Delphi, beim Babyschwimmen oder bei der Babymassage. Immer war es das gleiche Bild: alle Kinder schliefen nach den Stunden selig in ihren Maxi Cosis. Nur meiner schrie. Wie am Spieß. Immer! Ich höre noch die Worte der Kursleiterinnen in meinem Ohr: „Sie werden sehen, nach der Stunde schläft ihr Baby wie ein Murmeltier.“ Nope. Nicht so unser Sohn. Schlafen war so gar nicht sein Ding. Tagsüber hat er maximal 40 Minuten geschlafen. Und das auch nur, mit viel vorheriger Einschlafbegleitung. Am besten im Kinderwagen über möglichst holprigen Untergrund fahren. Je holpriger, desto besser. Abends mussten wir ihn über mehrere Stunden in den Schlaf begleiten. Dann wurde er auch noch krank und hatte über Wochen jede Nacht starke Schmerzen. Als endlich die Diagnose gestellt war und die Medikamente griffen, war er wieder deutlich entspannter, doch das Schlafproblem blieb. Wir waren in dieser Zeit bei vielen vielen Experten und werden auch jetzt noch regelmäßig von einem SPZ betreut. Seit etwa 4 Monaten fruchten endlich unsere Bemühungen und unser Sohn schläft ALLEINE in SEINEM Zimmer ein. Was für andere banal klingen mag, war für uns ein sehr langer, harter Weg. Am Durchschlafen hapert es aber nach wie vor. Die Nächte sind sehr heterogen. Mal kommt er nur einmal in der Nacht rüber, mal 4 Mal. Vereinzelt schafft er auch mal eine Nacht durchzuschlafen, dann wieder ist er 2 Stunden lang wach und erzählt uns, dass es im Traum keinen Schlaf mehr für ihn gibt. Zwischenzeitlich hatte sich auf meinem Schlafkonto ein derartiges Schlafdefizit-Kontigent aufgebaut, dass ich arbeitsunfähig war. Dort kämpfe ich mich nun langsam, sehr langsam raus.
Doch nicht nur durch sein Schlafverhalten unterscheidet sich unser Sohn von anderen Kindern. Vor allem sprachlich fiel er auf. Mit 13 Monaten konnte er die Worte „Lampe“, „Ja“ und „Nein“, „Mama“, „Papa“, „Da“ sagen. In der Krippe meldeten uns die Erzieherinnen zurück, dass er ein sehr gutes Sprachverständnis habe (zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Monate alt). Mit 19 Monaten konnte er Worte wie „Eieruhr“ und „Apfelsaft“ und bildete erste Sätze („Schnee auf Mama Auto!“). Mit 23 Monaten spricht er viele 3-Wort-Sätze („Papa hat Fiebermessen“), kombiniert Formen und Farben („rosa Viereck“), singt Lieder, erkennt und benennt alle Zahlen von 0-9 und kann mehrere kurze Buchgeschichten auswendig. Er hat einen weitaus größeren Wortschatz als bei der U7 abgefragt wird. Erstmals kommt auch dem Kinderarzt der Gedanke, dass Aidan möglicherweise begabt sein könnte (dieser hatte mich zuvor immer als überambitionierte Mutter abgetan). Auch Dreirad fährt er sicher. Mit 2 Jahren und 3 Monaten spricht 5- und Mehrwortsätze und benutzt Nebensätze und Satzverbindungen (und, trotzdem, sondern), zählt bis 14 und betreibt mit großem Spaß Silbentrennung. Mit 2 Jahren und 5 Monaten spricht er erstmals von der Schule (er hat keine Geschwister). Er stellt korrekte Zusammenhänge her und schafft wenn-dann-Verbindungen. Mit 2 Jahren und 7 Monaten schreibt er immer mal wieder den Buchstaben A. Hörbücher sind nun sehr gefragt, Regeln werden grundsätzlich ausdiskutiert. Wenig später beginnt er zu reimen und spielt mit uns mit Leidenschaft das Spiel „Die freche Sprechhexe“. Mit 2 Jahren und 11 Monaten kann er mehrere seiner 3-Minuten Gute-Nacht-Geschichten komplett auswendig und rezitiert sie nahezu fehlerfrei. Und heute? Seit einigen Tagen macht er einen riesen Satz! Er zählt nun bis 40 (allerdings vergisst er hier und da nochmal eine Zahl), schreibt seinen Namen, erkennt Opel und Audis wenn wir in der Stadt unterwegs sind, benutzt sicher den Konjunktiv und Worte wie „stattdessen“ und „tatsächlich“, fährt seit einigen Tagen Fahrrad. Alte Ängste, wie etwa Höhe, sind fast weggeblasen, er klettert nun bis zu einer gewissen Höhe selbstsicher hoch und springt zu Boden (das war schon aus geringer Höhe vor kurzem noch undenkbar!). Er baut Lego City Fahrzeuge fast komplett alleine nach der Anleitung zusammen und stellt mehr Wissensfragen denn je („Warum brauchen Schiffe Diesel?“ „Was ist Fett?“ „Was ist rechnen?“ „Was fressen Delphine?“). Und: er redet einen in Grund und Boden. Wirklich. Er redet ohne Punkt und Komma. Auch redet er immer dazwischen. IMMER. Egal wie oft ich es ihm erkläre, er kann einfach nicht den Mund halten. Ist mein Gesprächspartner anwesend, möchte er am Gespräch teilhaben und greift beispielsweise Inhalte des Gesprächs auf und quatscht so dazwischen. Oder er will meinem Gesprächspartner unbedingt etwas zeigen, dass keinen Aufschub duldet. Ist mein Gesprächspartner für ihn nicht sichtbar (z.B. am Telefon), dann fällt es ihm zwar etwas leichter, sich zurückzunehmen, aber nur für eine kurze Zeitspanne. Ich werde die ganze Zeit mit Worten und Lauten bombadiert. Das ist sooooo anstrengend! Und er fragt mir Löcher in den Bauch. Manchmal wartet er nicht mal die Antwort ab sondern stellt gleich die nächste Frage. Wie oft habe ich mich in Gedanken schon an einen stillen Ort gewünscht… Radio/Musik läuft bei uns aus diesem Grund gar nicht mehr. Ich bin froh um jede Minute Ruhe, die ich kriegen kann. Das ist ganz schlimm für mich, denn eigentlich höre ich gerne Radio, allen voran Nachrichten und Gesellschaftsthemen. Eigentlich debattiere ich auch leidenschaftlich gern. All das ist weg, seit ich ständig von Sprache umgeben bin. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, meine eigenen Gedanken nicht mehr hören. Meine Redegewandtheit ist weg, oft fallen mir alltägliche Worte nicht ein. Die Lust zu reden ist insbesondere am Abend, wenn das Kind im Bett ist, auf dem Nullpunkt. Nicht gerade förderlich für eine Ehe, die gepflegt werden will. Am Ende des Tages bin ich erschöpft und fühle mich wie ausgelutscht.
Das alles hat noch deutlich an Brisanz zugenommen, seit unser Sohn nicht mehr in den Kindergarten geht. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht an meinen Beitrag im Februar, wo ich geschildert habe, dass unser Sohn bei den 2-4jährigen Kindern ist (wobei es zu diesem Zeitpunkt keine 4jährigen Kinder dort gab). Nachdem die Eingewöhnung sowie die ersten Monate problemlos verliefen, konnte er sich plötzlich nicht mehr von mir trennen. Über Wochen hatten wir richtige Abschiedsdramen am Kindergarten. Gespräche mit der Leitung und dem SPZ brachten keine nachhaltige Besserung. Unser Sohn wurde psychosomatisch, klagte abends über Bauchschmerzen wenn er wusste, dass er am nächsten Tag wieder in die Krippe sollte. Er nässte wieder vermehrt ein. Auch sagte er uns und den Erzieherinnen immer wieder, dass ihn die anderen Kinder nicht verstehen würden. Wieder folgten Gespräche mit der Leitung (welche um meinen Verdacht, dass er begabt sein könnte wusste), dieses Mal mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass unser Sohn zu den großen Kindern (3-6 Jahren) wechselt. Unser Wunsch wurde abgelehnt, da er sich nicht an Regeln halten würde und sozialemotional noch nicht so weit wäre. Und dann, von einem Tag auf den anderen stellte unser Sohn den morgendlichen Trennungsboykott ein und fing an, die anderen Kindern zu hauen, zu schubsen, in den Haaren zu ziehen. Ich bekam immer häufiger die Rückmeldung, dass es Probleme mit unserem Sohn gebe. Wieder Leitungsgespräch, wieder keine Wechsel in die große Gruppe. Stattdessen der Vorschlag, ihn als Integrationskind laufen zu lassen. Wir waren unsicher, viele Experten wurden konsultiert und Meinungen eingeholt. In der Zwischenzeit eskalierte die Situation im Kindergarten derartig, dass (angeblich) die Hälfte der Krippenkinder Angst vor unserem Sohn hätte. Von Leitungsseite hieß es, die Situation sei nicht mehr tragbar und wir mussten uns entscheiden: I-Platz oder wir gehen. Wir haben uns dann binnen von 2 Tagen für’s Gehen entschieden. Das war unmittelbar vor den Sommerferien. Utopisch zu glauben, da noch einen Kiga-Platz für September zu bekommen. Und so sitze ich hier mit meinem wissbegierigen Plapperfrosch und versuche, nicht unterzugehen. Er bringt mich jeden Tag an meine Grenzen, sei es mit seinem Dauergerede, sei es, weil er nicht hört und sich nicht an die Regeln hält, nur um sofort zu beteuern, dass er aber ab jetzt wieder hören würde. Ich bin mittlerweil in einer ganz furchtbaren wenn-dann-Spirale gefangen (Wenn du XY nicht tust, dann…) weil dass der einzige Weg ist, womit ich ihn noch einigermaßen einfangen kann. Aber selbst das lässt schon nach. Wenn ich ihn beispielsweise in sein Zimmer schicke, fragt er nur noch träge, wann er wieder raus kommen dürfe und das war‘s. Spielzeug wegnehmen? Juckt ihn nicht. Keine Gute-Nacht-Geschichte? Kein Problem, er sagt er kann auch ohne einschlafen. Und so weiter und so fort. Das schafft mich. Obendrein machte er ja, wie weiter oben beschrieben, im Moment enorme Entwicklungsfortschritte. Zeitgleich macht er Rückschritte. Er nässt wieder täglich ein, er wacht wieder in der Nacht häufiger auf, er schubst uns wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. Heute hat er in seine Legokiste gespuckt, keine Ahnung, warum!
So, bevor mein Roman noch länger wird (Entschuldigung! Und danke an alle, die sich bis hierhin durchgekämpft haben!) fasse ich meine Fragen hier am Ende mal zusammen:
- Kommt jemandem von euch unser Werdegang bekannt vor? Was habt ihr gemacht, wie habt ihr das durchgestanden?
- Warum macht er das (Einnässen, spucken, schubsen etc.)? Ist das alles altersgerecht und fällt mir nur deshalb so massiv negativ auf, weil er kognitiv schon weiter ist? Muss er schon seine Impulse kontrollieren und seine eigenen Bedürfnisse hinten an stellen können, wie es uns von der ehemaligen Kiga-Leitung immer wieder als sein Manko mitgeteilt wurde?
- Werden Fähigkeiten wie das Erkennen von Zahlen und Buchstaben wieder verlernt? Er konnte mit knapp 2 Jahren alle Zahlen von 0-9. Und heute? Ist es so, als hätte er sie noch nie gekonnt (mit Ausnahme der 4, die erkennt er immer noch). Das bringt mich manchmal regelecht auf die Palme.
- Warum diese Schere zwischen kognitiver und sozialemotionaler Entwicklung? Es ist mir natürlich klar, dass nicht alles gleichzeitig gleich weit entwickelt sein kann. Auch habe ich schon oft von dieser „Schere“ gelesen. Aber sie dann selber zu erleben, ist nochmal was ganz anderes und hat mir nur allzu deutlich gemacht, dass ich eigentlich doch noch nicht so richtig verstanden habe, warum das so ist.
Ich bin so dankbar für dieses Forum! Endlich mal alles frei von der Seele schreiben zu können, ohne als Heli-/Eislaufmama abgestempelt zu werden tut so unglaublich gut! Denn das ist ein weiterer Punkt in unserem Werdegang: nur wenige sehen unseren Sohn wie ich ihn sehe. So schrieb die ehemalige-Kigaleitung in ihrem Entwicklungsbericht, dass unser Sohn im Kiga noch keine Rollenspiele zeigen würde. Der erste Satz im Entwicklungsbericht der Ergotherapeutin vom SPZ hingegen, die ihn nur 1 Stunde gesehen hat (!) war, dass unser Sohn den Raum exploriert und sofort ins Rollenspiel geht… Wie geht das zusammen??? Ich freue mich auf eure Meinungen.
Ganz herzliche Grüße!
in einem anderen Thread habe ich unsere aktuelle Situation schon kurz umrissen, würde sie aber gern an dieser Stelle etwas ausführlicher erläutern, da ich gern eure Meinungen und Ansichten dazu wüsste. Ich habe nämlich gerade das Gefühl, ich gehe unter…
Mein Sohn ist inzwischen 3 Jahre und 2 Monate alt. Seit meinem ersten Eintrag hier im Februar diesen Jahres hat sich vieles verändert, und zwar lange nicht zum Guten. Es gab viele Probleme im und mit dem Kindergarten, die Schlafsituation hatte zwischendurch einen neuen Tiefpunkt erreicht und die Eltern-Kind-Beziehung ist mitunter auf’s äußerste gespannt. Doch der Reihe nach.
Mir fiel früh auf, dass unser Sohn anders war, als gleichaltrige Kinder. Wir waren im Säuglingsalter immer mit ihm unter Kindern, sei es beim Delphi, beim Babyschwimmen oder bei der Babymassage. Immer war es das gleiche Bild: alle Kinder schliefen nach den Stunden selig in ihren Maxi Cosis. Nur meiner schrie. Wie am Spieß. Immer! Ich höre noch die Worte der Kursleiterinnen in meinem Ohr: „Sie werden sehen, nach der Stunde schläft ihr Baby wie ein Murmeltier.“ Nope. Nicht so unser Sohn. Schlafen war so gar nicht sein Ding. Tagsüber hat er maximal 40 Minuten geschlafen. Und das auch nur, mit viel vorheriger Einschlafbegleitung. Am besten im Kinderwagen über möglichst holprigen Untergrund fahren. Je holpriger, desto besser. Abends mussten wir ihn über mehrere Stunden in den Schlaf begleiten. Dann wurde er auch noch krank und hatte über Wochen jede Nacht starke Schmerzen. Als endlich die Diagnose gestellt war und die Medikamente griffen, war er wieder deutlich entspannter, doch das Schlafproblem blieb. Wir waren in dieser Zeit bei vielen vielen Experten und werden auch jetzt noch regelmäßig von einem SPZ betreut. Seit etwa 4 Monaten fruchten endlich unsere Bemühungen und unser Sohn schläft ALLEINE in SEINEM Zimmer ein. Was für andere banal klingen mag, war für uns ein sehr langer, harter Weg. Am Durchschlafen hapert es aber nach wie vor. Die Nächte sind sehr heterogen. Mal kommt er nur einmal in der Nacht rüber, mal 4 Mal. Vereinzelt schafft er auch mal eine Nacht durchzuschlafen, dann wieder ist er 2 Stunden lang wach und erzählt uns, dass es im Traum keinen Schlaf mehr für ihn gibt. Zwischenzeitlich hatte sich auf meinem Schlafkonto ein derartiges Schlafdefizit-Kontigent aufgebaut, dass ich arbeitsunfähig war. Dort kämpfe ich mich nun langsam, sehr langsam raus.
Doch nicht nur durch sein Schlafverhalten unterscheidet sich unser Sohn von anderen Kindern. Vor allem sprachlich fiel er auf. Mit 13 Monaten konnte er die Worte „Lampe“, „Ja“ und „Nein“, „Mama“, „Papa“, „Da“ sagen. In der Krippe meldeten uns die Erzieherinnen zurück, dass er ein sehr gutes Sprachverständnis habe (zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Monate alt). Mit 19 Monaten konnte er Worte wie „Eieruhr“ und „Apfelsaft“ und bildete erste Sätze („Schnee auf Mama Auto!“). Mit 23 Monaten spricht er viele 3-Wort-Sätze („Papa hat Fiebermessen“), kombiniert Formen und Farben („rosa Viereck“), singt Lieder, erkennt und benennt alle Zahlen von 0-9 und kann mehrere kurze Buchgeschichten auswendig. Er hat einen weitaus größeren Wortschatz als bei der U7 abgefragt wird. Erstmals kommt auch dem Kinderarzt der Gedanke, dass Aidan möglicherweise begabt sein könnte (dieser hatte mich zuvor immer als überambitionierte Mutter abgetan). Auch Dreirad fährt er sicher. Mit 2 Jahren und 3 Monaten spricht 5- und Mehrwortsätze und benutzt Nebensätze und Satzverbindungen (und, trotzdem, sondern), zählt bis 14 und betreibt mit großem Spaß Silbentrennung. Mit 2 Jahren und 5 Monaten spricht er erstmals von der Schule (er hat keine Geschwister). Er stellt korrekte Zusammenhänge her und schafft wenn-dann-Verbindungen. Mit 2 Jahren und 7 Monaten schreibt er immer mal wieder den Buchstaben A. Hörbücher sind nun sehr gefragt, Regeln werden grundsätzlich ausdiskutiert. Wenig später beginnt er zu reimen und spielt mit uns mit Leidenschaft das Spiel „Die freche Sprechhexe“. Mit 2 Jahren und 11 Monaten kann er mehrere seiner 3-Minuten Gute-Nacht-Geschichten komplett auswendig und rezitiert sie nahezu fehlerfrei. Und heute? Seit einigen Tagen macht er einen riesen Satz! Er zählt nun bis 40 (allerdings vergisst er hier und da nochmal eine Zahl), schreibt seinen Namen, erkennt Opel und Audis wenn wir in der Stadt unterwegs sind, benutzt sicher den Konjunktiv und Worte wie „stattdessen“ und „tatsächlich“, fährt seit einigen Tagen Fahrrad. Alte Ängste, wie etwa Höhe, sind fast weggeblasen, er klettert nun bis zu einer gewissen Höhe selbstsicher hoch und springt zu Boden (das war schon aus geringer Höhe vor kurzem noch undenkbar!). Er baut Lego City Fahrzeuge fast komplett alleine nach der Anleitung zusammen und stellt mehr Wissensfragen denn je („Warum brauchen Schiffe Diesel?“ „Was ist Fett?“ „Was ist rechnen?“ „Was fressen Delphine?“). Und: er redet einen in Grund und Boden. Wirklich. Er redet ohne Punkt und Komma. Auch redet er immer dazwischen. IMMER. Egal wie oft ich es ihm erkläre, er kann einfach nicht den Mund halten. Ist mein Gesprächspartner anwesend, möchte er am Gespräch teilhaben und greift beispielsweise Inhalte des Gesprächs auf und quatscht so dazwischen. Oder er will meinem Gesprächspartner unbedingt etwas zeigen, dass keinen Aufschub duldet. Ist mein Gesprächspartner für ihn nicht sichtbar (z.B. am Telefon), dann fällt es ihm zwar etwas leichter, sich zurückzunehmen, aber nur für eine kurze Zeitspanne. Ich werde die ganze Zeit mit Worten und Lauten bombadiert. Das ist sooooo anstrengend! Und er fragt mir Löcher in den Bauch. Manchmal wartet er nicht mal die Antwort ab sondern stellt gleich die nächste Frage. Wie oft habe ich mich in Gedanken schon an einen stillen Ort gewünscht… Radio/Musik läuft bei uns aus diesem Grund gar nicht mehr. Ich bin froh um jede Minute Ruhe, die ich kriegen kann. Das ist ganz schlimm für mich, denn eigentlich höre ich gerne Radio, allen voran Nachrichten und Gesellschaftsthemen. Eigentlich debattiere ich auch leidenschaftlich gern. All das ist weg, seit ich ständig von Sprache umgeben bin. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, meine eigenen Gedanken nicht mehr hören. Meine Redegewandtheit ist weg, oft fallen mir alltägliche Worte nicht ein. Die Lust zu reden ist insbesondere am Abend, wenn das Kind im Bett ist, auf dem Nullpunkt. Nicht gerade förderlich für eine Ehe, die gepflegt werden will. Am Ende des Tages bin ich erschöpft und fühle mich wie ausgelutscht.
Das alles hat noch deutlich an Brisanz zugenommen, seit unser Sohn nicht mehr in den Kindergarten geht. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht an meinen Beitrag im Februar, wo ich geschildert habe, dass unser Sohn bei den 2-4jährigen Kindern ist (wobei es zu diesem Zeitpunkt keine 4jährigen Kinder dort gab). Nachdem die Eingewöhnung sowie die ersten Monate problemlos verliefen, konnte er sich plötzlich nicht mehr von mir trennen. Über Wochen hatten wir richtige Abschiedsdramen am Kindergarten. Gespräche mit der Leitung und dem SPZ brachten keine nachhaltige Besserung. Unser Sohn wurde psychosomatisch, klagte abends über Bauchschmerzen wenn er wusste, dass er am nächsten Tag wieder in die Krippe sollte. Er nässte wieder vermehrt ein. Auch sagte er uns und den Erzieherinnen immer wieder, dass ihn die anderen Kinder nicht verstehen würden. Wieder folgten Gespräche mit der Leitung (welche um meinen Verdacht, dass er begabt sein könnte wusste), dieses Mal mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass unser Sohn zu den großen Kindern (3-6 Jahren) wechselt. Unser Wunsch wurde abgelehnt, da er sich nicht an Regeln halten würde und sozialemotional noch nicht so weit wäre. Und dann, von einem Tag auf den anderen stellte unser Sohn den morgendlichen Trennungsboykott ein und fing an, die anderen Kindern zu hauen, zu schubsen, in den Haaren zu ziehen. Ich bekam immer häufiger die Rückmeldung, dass es Probleme mit unserem Sohn gebe. Wieder Leitungsgespräch, wieder keine Wechsel in die große Gruppe. Stattdessen der Vorschlag, ihn als Integrationskind laufen zu lassen. Wir waren unsicher, viele Experten wurden konsultiert und Meinungen eingeholt. In der Zwischenzeit eskalierte die Situation im Kindergarten derartig, dass (angeblich) die Hälfte der Krippenkinder Angst vor unserem Sohn hätte. Von Leitungsseite hieß es, die Situation sei nicht mehr tragbar und wir mussten uns entscheiden: I-Platz oder wir gehen. Wir haben uns dann binnen von 2 Tagen für’s Gehen entschieden. Das war unmittelbar vor den Sommerferien. Utopisch zu glauben, da noch einen Kiga-Platz für September zu bekommen. Und so sitze ich hier mit meinem wissbegierigen Plapperfrosch und versuche, nicht unterzugehen. Er bringt mich jeden Tag an meine Grenzen, sei es mit seinem Dauergerede, sei es, weil er nicht hört und sich nicht an die Regeln hält, nur um sofort zu beteuern, dass er aber ab jetzt wieder hören würde. Ich bin mittlerweil in einer ganz furchtbaren wenn-dann-Spirale gefangen (Wenn du XY nicht tust, dann…) weil dass der einzige Weg ist, womit ich ihn noch einigermaßen einfangen kann. Aber selbst das lässt schon nach. Wenn ich ihn beispielsweise in sein Zimmer schicke, fragt er nur noch träge, wann er wieder raus kommen dürfe und das war‘s. Spielzeug wegnehmen? Juckt ihn nicht. Keine Gute-Nacht-Geschichte? Kein Problem, er sagt er kann auch ohne einschlafen. Und so weiter und so fort. Das schafft mich. Obendrein machte er ja, wie weiter oben beschrieben, im Moment enorme Entwicklungsfortschritte. Zeitgleich macht er Rückschritte. Er nässt wieder täglich ein, er wacht wieder in der Nacht häufiger auf, er schubst uns wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. Heute hat er in seine Legokiste gespuckt, keine Ahnung, warum!
So, bevor mein Roman noch länger wird (Entschuldigung! Und danke an alle, die sich bis hierhin durchgekämpft haben!) fasse ich meine Fragen hier am Ende mal zusammen:
- Kommt jemandem von euch unser Werdegang bekannt vor? Was habt ihr gemacht, wie habt ihr das durchgestanden?
- Warum macht er das (Einnässen, spucken, schubsen etc.)? Ist das alles altersgerecht und fällt mir nur deshalb so massiv negativ auf, weil er kognitiv schon weiter ist? Muss er schon seine Impulse kontrollieren und seine eigenen Bedürfnisse hinten an stellen können, wie es uns von der ehemaligen Kiga-Leitung immer wieder als sein Manko mitgeteilt wurde?
- Werden Fähigkeiten wie das Erkennen von Zahlen und Buchstaben wieder verlernt? Er konnte mit knapp 2 Jahren alle Zahlen von 0-9. Und heute? Ist es so, als hätte er sie noch nie gekonnt (mit Ausnahme der 4, die erkennt er immer noch). Das bringt mich manchmal regelecht auf die Palme.
- Warum diese Schere zwischen kognitiver und sozialemotionaler Entwicklung? Es ist mir natürlich klar, dass nicht alles gleichzeitig gleich weit entwickelt sein kann. Auch habe ich schon oft von dieser „Schere“ gelesen. Aber sie dann selber zu erleben, ist nochmal was ganz anderes und hat mir nur allzu deutlich gemacht, dass ich eigentlich doch noch nicht so richtig verstanden habe, warum das so ist.
Ich bin so dankbar für dieses Forum! Endlich mal alles frei von der Seele schreiben zu können, ohne als Heli-/Eislaufmama abgestempelt zu werden tut so unglaublich gut! Denn das ist ein weiterer Punkt in unserem Werdegang: nur wenige sehen unseren Sohn wie ich ihn sehe. So schrieb die ehemalige-Kigaleitung in ihrem Entwicklungsbericht, dass unser Sohn im Kiga noch keine Rollenspiele zeigen würde. Der erste Satz im Entwicklungsbericht der Ergotherapeutin vom SPZ hingegen, die ihn nur 1 Stunde gesehen hat (!) war, dass unser Sohn den Raum exploriert und sofort ins Rollenspiel geht… Wie geht das zusammen??? Ich freue mich auf eure Meinungen.
Ganz herzliche Grüße!