Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Probleme und Lösungen für den Kindergartenalltag
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MrsLilith
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Registriert: So 14. Jan 2024, 18:17

Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Beitrag von MrsLilith »

Hallo ihr Lieben,
ich bin auf der Suche nach einem Rat und einer Einschätzung von euch, die Ihr wohl etwas mehr Erfahrung habt, als ich.
Es geht um meinen Sohn (5,5 Jahre). Momentan bricht hier das Chaos aus und auch wenn es sich für euch wahrscheinlich gar nicht so schlimm anhört, fühle ich mich gerade überfordert.
Erstmal kurz zur Grundsituation. Mein Mann und ich wohnen mit unseren beiden Söhnen (fast 3 und 5) mitten in der Pampa. Ich selbst wurde relativ spät als hochbegabt getestet (obwohl die Kindergärtnerinnen meiner Mutter schon ein "komisches Kind" attestierten). Meine jüngere Schwester ist im Spektrum.
Jetzt zu unserem Problem. Mein Sohn soll dieses Jahr eingeschult werden. Nun kam die Erzieherin auf mich zu und sagte mir, dass sie ihn nicht mit guten Gewissen gehen lassen kann. Na gut, dachte ich, dann bekommt er halt noch ein Jahr. Dann war aber die Sprache von Förderschule und da bin ich dann schon stutzig geworden. Er ist bereit für die Schule, aber macht null mit. (Deswegen Förderschule, weil er kognitiv eigentlich nicht mehr in den Kiga gehört.) Er hört nicht zu, bearbeitet selbstständig keine Arbeitsblätter (Nur, wenn sich jmd eins zu eins dazusetzt und das kann die Lehrerin nicht leisten. Verständlich.) Er stört mit seinem Verhalten die anderen Kinder beim Stuhlkreis. "Aber so wirklich nach AD(H)S sieht es auch nicht aus." (Aussage der Erzieherin.) Er kann nicht ausmalen und nicht ausschneiden und will es auch nicht üben....

Mein Problem hier zu Hause mit ihm ist ganz anders. Er geht nicht auf die Toilette, trägt noch eine Windel. Er verweigert vieles. Ich habe seit langem das Gefühl keinen richtigen Kontakt zu ihm aufbauen, bzw. sein Interesse mit nichts wecken zu können. Wenn ich ihn mal was frage, antwortet er oft in Babysprache. Sonst spricht er normal und eher eloquent. (Er hat, wie sein Bruder jetzt, noch vor dem dritten Geburststag in kompletten, grammatikalisch einwandfreien Sätzen gesprochen.)
Bei Fremden und draußen redet er auch in so einer Halb-Babysprache, jedenfalls nicht so, wie er es könnte.
Mein Mann und ich sprachen über die Jahre oft von Autismus, aber so wirklich passt das auch nicht. (Ich habe durch meine Schwester einige Menschen aus dem Sprktrum kennenlernen dürfen.) Er will einfach oft nur nicht und dann ist auch nichts zu machen, keine Chance!
Ihm fehlt allerdings dieser enorme Wissensdurst, den ich einem hochbegabten Kind zuschreiben würde. Deshalb kam mir das so nicht wirklich in den Sinn, bzw. dachte ich, dass es schon auffallen wird, wenn er es wäre.
Nun bin ich mir nicht mehr so sicher. Also er stellt schon Fragen, wie "Was kommt eigentlich hinter dem Universum?", "Wo kommen die toten Menschen hin?" und ähnliche Fragen und geht dann hin und wieder Stunden oder Tage später plötzlich noch mal drauf ein. Also scheinen ihn Dinge ja doch auch zu beschäftigen.
Aber im Allgemeinen hört er sich meine Antworten eigentlich nur selten an. Gleiches Problem, wie im Kindergarten. Ich beginne zu antworten und er redet plötzlich irgendwas ganz anderes oder dreht sich um und geht spielen. Er scheint eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne zu haben, erzählt dann aber doch ab und zu die Geschichten ausm Stuhkreis daheim nach. Also scheint er es ja mitzubekommen.

Jetzt aber etwas, das mich doch verwundert hat. Vor zwei Wochen fragte er was Plus und Minus bedeutet. Kurze Antwort meinerseits, Reaktion wie immer. Ich erwähnte noch kurz was Malnehmen bedeutet, aber da hat er eh schon nimmer zugehört.
Gestern sagt er plötzlich "vier mal fünf ist zwanzig". Danach stellte ich ihm einige Aufgaben und er hat das System wirklich verstanden. ABER er kann noch nichtmal immer fehlerfrei bis zwanzig zählen, geschweige denn darüber hinaus.
Er versteckte sich unter einer Decke, zählte leise vor sich hin und sagte dann die Antwort. Als ich dann bei einer "schwereren" Aufgabe nach der richtigen Antwort überrascht die Decke hob und mit großen Augen "Respekt" sagte, sah er ganz traurig weg und meinte:"...aber du und der Lehrer, ihr werdet sagen, dass ichs falsch mache...". Daraufhin fragte ich verwundert, was er meine und er antwortete, dass er ja die Finger zur Hilfe nähme. Mit der Antwort, dass es doch richtig so ist anfangs und er die Finger irgendwann nicht mehr bruachen wird..., hab ich seit langem mal wieder ein Leuchten in seinen Augen gesehen. Heute jedoch wollte er nichts mehr vom Rechnen wissen.
Im Kindergarten habe ich am Freitag gesehen, dass sie Silben klatschen. Er macht nicht mit. Hier zu Hause hab ich es mal nebenbei versucht, während er geknetet hat. Er klatscht fehlerfrei. Sogar das Wort "Donaudampfschiffahrts...." ihr wisst schon. Das hab ich ihm aus Spaß gesagt, weil mir kein ganz langes mehr eingefallen ist. Er klatscht in einer Geschwindigkeit, die wirklich krass ist. Aber dazu sprechen geht nicht. Er klatscht die richtige Anzahl, sagt (bei Aufforderung) das Wort viel langsamer und kann aber zeitgleich mitzählen, sodass er danach die Anzahl der Silben korrekt benennen kann.

Jetzt bin ich völlig hin und hergerissen. Förderschule auf keinen Fall. Aber kann sein Verhalten, wie Nicht aufs Klo wollen (Hochsensibel?), Babysprache reden, für scheinbar nix Interesse zeigen, usw. trotzdem für Hochbegabung sprechen?
Ich hab gestern eine Psychologin (2,5 h weit weg, näher gibts nix) wegen einer Begabungsdiagnostik angerufen, aber der erste freie Termin ist in fast drei Monaten und das ist NACH dem Anmeldetermin für dieses Schuljahr.

Mich stresst diese Situation gerade. Ich will doch das beste für ihn und mache mir auch etwas Vorwürfe, dass ich der Problematik nicht früher gewahr wurde, obwohl ich sogar selbst betroffen bin und es eigentlich besser hätte wissen müssen.
Ich hatte gehofft, dass alles schon seinen Gang gehen wird. Jetzt ist die Sprache von Förderschule, SPZ, Psychotherapie (Windel-Thema), Frühförderung. Das alles kam innerhalb einer Woche zur Sprache und mir schwirrt echt der Kopf.

Der Text ist super lang geworden. Ich bitte um Entschuldigung.
Dabei ist das nur das, was mir am Wichtigsten erscheint und ich hoffe, das Bild ist nicht allzu verzerrt. Es gibt einige Verhaltensweisen mehr die dafür oder auch dagegen sprechen könnten. Aber das würde den Rahmen sprengen.
Er ist ein toller, lebhafter kleiner Junge. Und auch wenn der Alltag oft sehr turbulent mit den beiden Jungs ist, ist er nicht extrem und auch nicht permanent auffällig oder abwesend...
Danke, dass ihr alles gelesen habt.

Habt ihr ähnliches erlebt oder davon gehört? Wie würdet ihr an meiner Stelle weiter vorgehen?
Lilith
Katze_keine_Ahnung
Dauergast
Beiträge: 1482
Registriert: Do 23. Jan 2020, 09:33

Re: Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Beitrag von Katze_keine_Ahnung »

Hallo MrsLilith,

die Auffälligkeiten zeigen in Richtung Autismusspektrum. Mit Autismus in der Familie ist es recht wahrscheinlich, dass dein Junge einiges geerbt hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er von dir auch hohe Intelligenz geerbt hat, was ihm im Alltag auch hilft, sich ganz unauffällig Informationen zu speichern (Stuhlkreis beim scheinbaren nicht zuhören) und sich sozial anzupassen (die Rückmeldung des Kindergartens kam erst jetzt).

Vor allem das: " Ich habe seit langem das Gefühl keinen richtigen Kontakt zu ihm aufbauen, bzw. sein Interesse mit nichts wecken zu können. " spricht schon Bände. Wenn du als Mutter keinen Zugang zu eigenem Kind in so einem jungen Alter findest, liegt das zumindest zum Teil an dem Kind. Dein Sohn kann nicht im ausreichendem Maße kommunizieren.

Dein Sohn ist klug. Die Szene mit der Decke zeigt, dass es ihm schon ziemlich bewusst ist, dass er nicht passt und anders ist. Das müsst ihr ihn schützen und bestärken. Das ist sehr schwierig, aber vor allem bei dem Schulwahl muss dieses Thema eine der Hauptrollen spielen. Er braucht eine Umgebung, die nicht zu viel von ihm verlangt, aber gleichzeitig ihm doch die Entwicklung ermöglicht. Ob es Förderschule leisten kann? Muss man angucken, was das für eine ist. Es gibt solche und solche.

Es heißt auch nicht, dass er in die Förderschule muss. In D. hat man recht auf einen Schulplatz in der Volkshochschule. Nur mit der Kombination, dass er stört, wird es keinem gut tun. Da ihr noch keine Diagnose habt, ist es wahrscheinlich kaum möglich eine Schulbegleitung gleich ab der Einschulung zu beantragen. Eigentlich braucht er sie ab dem 1. Tag in der Schule, damit es nicht zu einer negativen Entwicklung in der Klassengemeinschaft kommt. Alternativ kann eine kleine Privatschule mit kleinen Klassen einiges besser meistern, falls sie bewusst Kinder mit Problemen aufnimmt.

Bezüglich Frühförderung, Psychotherapie und Diagnostik - ihr habt wenig Zeit. Probiert alles, und schaut genau. Psychotherapie kann auch schaden. Diagnostik wohl kaum.
Rabaukenmama
Dauergast
Beiträge: 2958
Registriert: So 8. Dez 2013, 21:24

Re: Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo MrsLilith,

ja, es spricht viel für Autismus und insgesamt kommt mir deine Geschichte wie ein deja-vú von meiner eigenen Geschichte mit meinem älteren Sohn vor.

Ich bin ja Mutter von zwei diagnostizierten Autisten, wovon der ältere Sohn zusätzlich ADHS hat und der jüngere Sohn zusätzlich gehörlos ist. Beide hatte Probleme mit Sauber-Werden. Der ältere Sohn war zwar mit 3 1/2 Jahren für 3 Monate tagsüber "trocken und sauber", hat aber dann wieder eingenässt und eingekotet bis zu Einschulung (mit 6 1/2 Jahren). Danach hatte er noch jahrelang Probleme mit leichtem Einnässen tagsüber und Bettnässen. Das hat er erst voriges Jahr (mit 13!) komplett in den Griff bekommen.

Der jüngere Sohn hat bis zum 8. Geburtstag Tag und Nacht Windeln gebraucht und dann geplant genau ab Geburtstag war er tagsüber trocken und sauber. Ab dem 9. Geburtstag hat er (mit ganz wenigen "Unfälllen") auch nachts nicht mehr eingenässt. Und ab dem 10 Geburtstag hat er (endlich!) keine Hilfe mehr beim Popo-abwischen gebraucht.

Auch das mit dem "Babysprache-sprechen" kenne ich von meinem älteren Sohn. Er hat unheimlich gern Rollenspiele gespielt, die aber immer nach SEINEN Regeln und immer nach dem gleichen Schema ablaufen mussten. Am liebsten war er ein Babydrache, der im Drachenpark vor mir (der Besucherin) aus einem Ei schlüpft. In der Rolle hat er mir dann in Babysprache erklärt, dass er schon "groß" und gefährlich ist und schon Feuer speien kann. Generell hat er Babysprache bis zum Alter von 8 oder 9 Jahren regelmäßig verwendet.

Mein älterer Sohn ist überdurchschnittlich intelligent mit einer extremen Begabungsspitze in sprachlichen Bereich. Mein jüngerer Sohn hat rechnerisch einen durchschnittlichen IQ (beim letzten Test war es 103), aber mit extremen Ausreißern nach oben und unten. Seine Begabungsspitze ist im mathematisch-technischen Bereich (dreidimensionales Denken). Bei beiden Jungs sind die IQ-Tests aber wegen der extremen Unterschiede zwischen bestem und schlechtestem Unterwert "nicht auswertbar". Beim älteren Sohn ist die Differenz (zwischen bestem und schlechtestem Unterergebnis) über 60 IQ-Punkte, beim jüngeren über 100 (kein Tippfehler!). Beim älteren Sohn, wo der WISC IV gemacht wurde, ist auch - typisch für Kinder mit Wahrnehmungsstörung - ein extremes Absacken bei den Werten VG (Verarbeitungsgeschwindigkeit) und AG (Arbeitsgedächtnis) aufgefallen.

Schulisch hatte der ältere Sohn mit der Grundschule viel Glück. Es war eine Integrationsklasse, die er (damals noch ohne Diagnosen) als Regelschulkind besucht hat, und wo immer Doppel-Lehrerbesetzung war: eine Grundschullehrerin und eine Sonderpädagogin. Vor allem die Sonderpädagogin hat gleich gemerkt, dass mein Sohn keine "normale" Wahrnehmung hat, und sie ist auch ohne Diagnose voll auf ihn eingegangen. Schulbegleitung hatte er damals natürlich keine. Nach einem aufregenden ersten Jahr mit einigen Anpassungsschwierigkeiten hat er sich dort sehr wohl gefühlt. Leider war es dann am Gymnasium trotz zwei engagierten Schulbegleitungen komplett anders. Da hat auch Corona noch negativ mitgespielt. Wobei - in der Zeit, wo abwechselnd nur die Hälfte der Schüler in der Klasse anwesend war - ging es noch am besten! Trotzdem war es insgesamt ein Horror. Immer wieder musste ich meinen Sohn wegen "untragbaren Verhalten" von der Schule abholen, er musste alles "nach Plan" mitmachen, nachschreiben, usw. und immer wieder gab es Rauswurfdrohungen und einmal sogar eine einwöchige Suspendierung. Dazu kam mindestens 1x pro Woche totale Schulverweigerung, depressive Zustände ("Wozu bin ich auf der Welt? Ich bin zu nichts zu gebrauchen?). Alle Gespräche und Bemühungen haben nichts gebracht. Das dritte Jahr in der Gymnasium-Unterstufe habe ich ihm dann erspart und ihn (in Österreich ja möglich) zu Hause nach AHS-Lehrplan beschult. Für die schriftlichen Jahresprüfungen habe ich dann Schulbegleitungen privat bezahlt. Er hat das Schuljahr nach insgesamt 15 Prüfungen (4schriftlich, 11 mündlich) positiv abgeschlossen. Insgesamt hat IHM das Jahr homeschooling sehr gut getan. Wir konnten die Medikamente mit der sehr appetitanregenden Nebenwirkung absetzen, das Gewicht (war schon im Adipositas-Bereich) hat sich normalisiert, einnässen und Bettnässen hat aufgehört und psychisch ging es auch bergauf. Nur war das halt leider viel auf Kosten MEINER Psyche und meines Wohlbefindens, so dass ich für das folgende Schuljahr wieder eine Schule gesucht habe.

Da keine Schule (weder Gymnasium noch Mittelschule, noch Sonderschule (in D: Förderschule) bereit war, meinen Sohn zu nehmen, haben wir um Zuteilung eines Pflichtschulplatzes angesucht. Da hatten wir großes Glück, denn die Mittelschule, die mein Sohn aktuell (beschult nach AHS-Lehrplan) besucht, engagiert sich sehr für ihn. Er hat einen reduzierten Stundenplan, und es reicht, wenn er zeigt, dass er den Schulstoff beherrscht. Das stundenlange Abschreiben von Texten und die ewigen Übungen von Sachen, die er ohnehin schon kann, fallen weg, was ungemein entlastend ist. Auch in der Klassengemeinschaft ist mein Sohn gut integriert.

Mein jüngerer Sohn wurde in einer gebärdensprachigen Sonderschulklasse nach Sonderschullehrplan eingeschult. Ich wollte eigentlich schon damals Regelschullehrplan, aber das wurde mir sehr ausgeredet, weil die Schule meinte, das wäre "extremer Stress und Leistungsdruck" für ihn. Da er gebärdensprachigen Unterricht BRAUCHT, kam aber nur diese Schule in Frage. Nach fast 4 Jahren und mit Unterstützung des Klassenvorstandes seiner Klasse konnte er am Ende der Grundschulzeit in allen Gegenständen in den Regelschullehrplan wechseln. Er hat von seiner gebärdensprachigen Mehrstufen-Kleinklasse vom ersten Tag an profitiert. Während Kindergarten immer ein Drama war, ging mein Sohn schon ab der 2. Woche sehr gern in die Schule. Aktuell ist er als einziges der 6 Kinder seiner Klasse im Mittelschullehrplan und besucht gerade die 2. Klasse (6. Schulstufe). Das letzte Zeugnis war ein "guter Erfolg". Dieser Sohn hat voll von den "Extrawürsten" seiner Sonderklasse und vom besseren Betreuungsschlüssel profitiert. Rückblickend bin ich mir ziemlich sicher, dass er in einer "normalen" gebärdensprachigen Klasse mit 10-15 Schülern mit wehenden Fahnen untergegangen wäre. So hatte er in den ersten 3 Schuljahren nur 3 Mitschüler und 2 Lehrer - also den absoluten Luxus einer 2:1 Betreuung.

Was ich an deiner Stelle jetzt machen würde: bei einer Autismus-Ambulanz (NICHT in einem SPZ!) vorstellig werden und auf eine Diagnostik drängen, die wegen der bevorstehenden Einschulung "so schnell wie möglich" stattfinden soll.

Ich gebe Katze recht, dass Kinder wie dein (oder mein) Sohn im Regelschulsystem oft untergehen! Wobei gerade im Grundschulbereich alles mit der Lehrperson steht und fällt. Da kann man auch (wie wir beim älteren Sohn) Glück haben. Trotzdem macht eine Diagnose Sinn, weil man damit auch Zugang zu Hilfen hat. Das mit der Schulbegleitung hört sich erst mal gut an, aber in der Praxis bekommt man (mit Diagnose) zwar relativ leicht eine Bewilligung, findet aber deshalb trotzdem nur sehr schwer wirklich eine passende Begleitung. Aber auch Autismustherapie und/oder Sozialkompetenztraining sind mit einer Diagnose möglich und oft hilfreich. Leider ist da aber viel Versuch und Irrtum und Erfolg oder Mißerfolg hängt sehr von den involvierten Personen ab. Schulisch können mit Diagnose (und gutem Willen von Seiten der Schule) auch verschiedene Nachteilsausgleiche ermöglicht werden, z.B. Auszeiten, Gehörschutz, verkürzte Anwesenheitszeiten, längere Bearbeitungszeiten bei Schularbeiten, usw. Das ist sehr individuell nach den tatsächlichen Stärken und Schwächen des Kindes zu vereinbaren. Meine Erfahrung ist dazu, dass auch ohne "Schrifltiches" viel möglich ist, wenn die Schule grundsätzlich offen ist, und bereit ist, FÜR und nicht GEGEN das Kind zu arbeiten.

So, wurde jetzt auch ein sehr langer Text! Wenn noch Fragen sind, gerne her damit!
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
MrsLilith
Beiträge: 3
Registriert: So 14. Jan 2024, 18:17

Re: Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Beitrag von MrsLilith »

Hallo ihr beiden,
vielen herzlichen Dank für eure ausführlichen Antworten!
Das musste ich erstmal sacken lassen. Gestern hatten wir die Schuleingangsuntersuchung und die lief ganz gut.
Er war nur, wie immer, recht schnell gelangweilt und hat dann mit wenig Enthusiasmus mitgemacht. Aber alles im Rahmen und sprachlich sehr gut. Weil er schon auffällig hibbelig ist, sagte sie, wäre es evtl ratsam ihn auf ADHS untersuchen zu lassen, aber sie sei ja nicht vom Fach.
Ich hoffe jetzt, dass wir durch Absagen anderer schneller einen Termin zur Begabungsdiagnostik bekommen. Wenn das dann klar ist, kann ich weitere Schritte einleiten. Ich möchte nur nichts übersehen und eben nicht, dass er gleich mit ADHS abgestempelt ist und fertig.
Momentan muss ich an so viel denken, dass ich gar nimmer weiß, wo mir der Kopf steht. (Nicht nur, was den großen und das ganze Thema anbelangt.) Das werden jetzt intensive zwei Monate und bis dahin wird sich bestimmt schon das ein oder andere ergeben.
Falls es was Neues gibt, schreibe ich euch. (Dann auch hoffentlich mit etwas mehr Zeit.)

Nochmal vielen Dank!
Lilith
Rabaukenmama
Dauergast
Beiträge: 2958
Registriert: So 8. Dez 2013, 21:24

Re: Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo MrsLilith!

Ja, sobald irgendeine Diagnose auch nur im Raum steht, wird man voll mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert. Mir ging es damals (leider) ähnlich. Mittlerweile ist mir klar, dass mein Kind ein- und dasselbe Kind ist, egal, ob mit oder ohne Diagnose, und dass nur MANCHE Leute Stempel verteilen bzw. einen Menschen nach diesem Stempel beurteilen ;) .

Und nochmal meine Anregung, keine BEGABUNGS-, sondern in erster Linie eine ENTWICKLUNGS-Diagnostik machen zu lassen. Begabungen werden da genauso angeschaut wie mögliche Wahrnehmungsstörungen (ADS, ADHS, AVWS,ASS) und es ist wirklich hilfreicher, nicht nur um die Talente zu wissen, sondern auch um die Schwierigkeiten!

Im Rahmen der Diagnostik meiner Kinder wollte ich "es" dann selbst auch wissen, und habe mit 19 Jahren die Diagnose "ausgeprägte ADHS" bekommen. Natürlich habe ich die nicht erst, seit ich 49 bin, sondern von frühester Kindheit an. In meiner Kindheit gab es zwar schon ADHS, aber es wurde selten genau hingeschaut. Wäre vermutlich sehr hilfreich gewesen, weil ohne Diagnose war ich wegen meiner Probleme mit Emotionskontrolle, Frusttoleranz und Konzentration ständiger Kritik von Erwachsenen ausgesetzt. Dass ich sehr intelligent bin, wurde mir noch zusätzlich angelastet. Weil "Der xxx ist halt nicht sehr gescheit, der versteht es nicht besser!" aber "Die B.... ist so intelligent, die muss doch wissen, dass man nicht...". Das hatte eine sehr negative Auswirkung auf mein Selbstwertgefühl und hat mich mit 11-14 Jahren in einen sehr, sehr schlechten psychischen Zustand gebracht, weil ich selbst der Meinung war, ich müsse mich doch "einfach" nur "zusammenreißen" - wie mir immer gesagt wurde!

Die Hauptaussage ist aber: dein Kind hat keine oder Stärke MEHR oder WENIGER wenn ihr genauer hinschaut! Und es kann helfen, das schon früh zu tun, und nicht zu warten, bis es auf allen Seiten nur noch Probleme gibt.

Abgesehen davon bist du auch mit gesicherter Diagnose NICHT verpflichtet, diese Kindergarten, Schule oder sonst-wem mitzuteilen! Wenn alles gut läuft würde ich das an deiner Stelle auch nicht tun! Bei meinem älteren Sohn (ADHS in Kombi mit ASS) war es hingegen sehr wichtig, das offen zu kommunizieren, weil er sonst vermutlich schon in der ersten Woche aus jeder Schule rausgeflogen wäre.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
MrsLilith
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Re: Und plötzliche heißt es Förderschule...?!

Beitrag von MrsLilith »

Danke Rabaukenmama,
dein Text hat mich gerade in so vielerlei Hinsicht abgeholt.

Dass es eine allgemeine Entwicklungsdiagnostik gibt, wusste ich so nicht, danke für den Hinweis. Da werde ich mich gleich mal schlau machen.

Ja, wir Erwachsenen können so schnell was mit falschen Worten und Erwartungen kaputt machen.
Ich hoffe, ich kann es bei meinem großen mir viel Verständnis, Akzeptanz und Liebe wieder gut machen.

Ich wünsch dir noch nen schönen Abend!
Lilith
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