Nutzt eine Früheinschulung überhaupt irgend etwas?

ja oder nein? Erfahrungen und Ratschläge
enigma
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Registriert: Mi 18. Mär 2015, 12:39

Re: Nutzt eine Früheinschulung überhaupt irgend etwas?

Beitrag von enigma »

Nunja, ich werde abwarten. Das ist an und für sich nicht schlimm. Nur ist mir nicht ganz klar, worauf ich warten soll.
In einem halben Jahr wird die Ausgangssituation doch exakt die selbe sein. Mein Sohn wird Fortschritte gemacht haben, wie auch die anderen Kinder. Er wird weiterhin kleiner und schwächlicher und unsportlich und kopflastig sein, denn er kann nicht aus seiner Haut und wird sich jetzt wohl kaum zur kräftigen, rüpelhaften Sportskanone verwandeln. Meine Frage, ob man solchen zarten, sensiblen Kindern wie meinem Sohn überhaupt eine Früheinschulung zumuten sollte, die ja seinen Kopf eh nicht wirklich auslasten wird (bzw. vermutlich vorerst schon, aber eben nicht auf Dauer bzw. nicht auf eine Art, die gut für ihn wäre), bliebe ja bestehen?
Worauf muss ich bzw würdet ihr den Schwerpunkt legen bei der Beurteilung ihn einzuschulen?
Bzw. da ich ehrlich zugeben muss, dass ich eher dagegen tendiere: Wäre es so schlimm für ihn, ihn nicht einzuschulen? Könnte es ihm wirklich schaden?
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Nutzt eine Früheinschulung überhaupt irgend etwas?

Beitrag von Rabaukenmama »

Du kannst nicht vorhersehen was deinem Kind mehr schadet oder nützt. Für welchen Weg du dich auch entscheidest, es kann immer sein dass du im Nachhinein glaubst, der andere Weg wäre der bessere gewesen.

Meine Mutter kam mit guten Noten aus der Volksschule ins Gymnasium. Dort schaffte sie es aber nicht und wurde nach einem Jahr in die Hauptschule rüchversetzt - eine Enttäuschung für ihren Vater!

Etliche Jahre später stand sie vor der Entscheidung, mich mit gutem Volksschulzeugnis ins Gymnasium oder in die Hauptschule zu geben. Mein IQ war genauso bekannt wie meine fehlende"soziale Reife". Meine Mutter war von ihrer eigenen Vergangenheit befangen. Sie wollte mir eine Rückstellung ersparen(ich war zwar klug, aber nicht fleißig ) und gab mich in die Hauptschule. Dort wurde ich dann derart gemobbt und bedroht, dass ich mit 12 Jahren einen Nervenzusammenbruch hatte und ernsthaft an Selbstmord dachte.

Ich weiß nicht, was gewesen wäre wenn ich ins Gymnasium gekommen wäre. Vielleicht hätte ich wie meine Freundin aus der Volksschule nach einige Dämpfern (sprich: schlechten Noten) lernen gelernt und wie sie mit Notendurchschnitt 1,3 maturiert.

Ich weiß aber dass ich Jahre später meine Mutter gefragt habe warum sie mich das Gymnasium nicht wenigstens versuchen hat lassen. Und dann erst war mir klar dass sie ihre Entscheidung nicht mit Fokus auf mich sonder auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen und Ängste getroffen hat.

Vor knapp 4 Jahren bekam ich die Diagnose "gehörlos" bei meinem jüngeren Sohn. Es wurde von Seiten der Ärtzte von mir erwartet, möglichst bis zum 1. Geburtstag einer Hö fr implantate-OP zuzustimmen. Aber das könnte ich nicht. Ich war erst mal total voreingenommen gegenüber dem Eingriff und suchte Gründe, ihn nicht machen zu lassen. Ich fand auch genug. Dann kam die Zeit der Unsicherheit und schließlich erschien mir, als wäre dem Rest der Welt viel klarer als mir selbst was für eine "einzigartige Chance" diese OP für meinen Sohn ist. daher suchte ich dann Gründe für die OP und fand auch hier genug.

Am ersten Geburtstag hatte ich mich immer noch nicht entschieden. Dann kam ein Tag als mein Sohn 14 Monate alt war. Ich las wieder mal in einer Zeitung des Implantatherstellers Interviews von scheinbar glücklichen, zufriedenen Kindern, die unheimlich dankbar waren, die Implantate bekommen zu haben. Denn dadurch können sie hören, Freundschaften mit hörenden Kindern schließen, in normale Schulen gehen usw.

Ich ging dann auf die Homepage einer Gehörlosenseite und kas Interviews von scheinbar glücklichen und zufriedenen Kindern, die nicht implantiert wurden. denn die OP ist ja schmerzhaft und gefährlich, es kann sein dass sie nichts bringt, man kann dann etliche Sportarten nicht ausüben und auf Freunde, die einen nur dann akzeptieren, wenn man operiert wurde, kann man verzichten wenn ohnehin genug gehörlose Freunde da sind, die Gebärdensprache können.

Nachdem ich die beiden unterschiedlichen Sichtweisen wirken hatte lassen dachte ich an meine Gespräche mit Eltern, die sich FÜR und solche die sich GEGEN die OP ihres Kindes entschieden hatte. Die Angst , das Kind könnte ohne Implantate nicht akzeptiert oder gar gemobbt werden, es habe schlechtere Chancen in Schule oder Berufsleben, es könnte einem später mal vorwerfen, durch die Verweigerung der OP im frühen Kindesalter sein Leben zustört zu haben...

...und auf der anderen Seite die Angst, die OP könnte irreparable Schäden oder ständige Schmerzen beim Kind verursachen. Das Kind könnte dadurch (wenn es gehörlose Eltern hat)der Gehörlosengemeinachaft entfremdet werden, die OP könnte sinnlos sein weil das Kind dann trotzdem nichts hören kann. Und nicht zuletzt könnte einem das Kind später mal vorwerfen, man hätte es nicht so geliebt, wie es ist.

Da merkte ich, dass jede einzelne Entscheidung nicht davon gelenkt war, den für das KIND besseren Weg zu finden sondern den Ängsten der Eltern besser zu entsprechen. Und ich merkte auch, dass Kinder vor Eintritt der Pupertät fast immer dasselbe wollen, wie deren Eltern.

Die Entscheidung aber lag bei mir und ich versuchte bewusst, diese nicht aus der Angst heraus (sonst passiert dieses oder jenes) zu treffen Sonden um meinem Kind SEINEN Weg zu ermöglichen. Ich entschied mich dann sehr rasch für beides: OP und Gebärdensprache.

Seitdem sind fast 3 Jahre vergangen. Mein Sohn hat seit 2,6 Jahren seine "Horchis", verweigert jedoch meistens , sie zu tragen. Seine Sprachentwicklung ist extrem zurück. Dafür ist er mittlerweile (obwohl "late talker") im stande, in Gebärdensprache zu kommunizieren. Obwohl die OP bisher keinen Erfolg gebracht hat bin ich heute froh, so entschieden zu haben. Ich habe die Entscheidung mit positiven Beweggründen getroffen und habe nicht vorhersehen können, wie es kommt. Und vielleicht zeigt sich ja doch noch mal, dass es gut war.

Bei meinem älteren Sohn habe ich mich aus mehreren Gründen gegen eine vorzeite Einschulung entschieden. Es war nicht aus Angst um ihn oder wegen etwaigen daraus resultierenden Problemen sonden aus positiven Gründen für ihn. Und da er bis zum letzten Tag gerne im Kindergarten war, dürfte es gepasst haben.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
enigma
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Registriert: Mi 18. Mär 2015, 12:39

Re: Nutzt eine Früheinschulung überhaupt irgend etwas?

Beitrag von enigma »

Ich danke dir, dass du deine Erfahrungen hier so offen mit mir teilst. Es sind sehr wahre Worte, sogar sehr weise, finde ich. Du bist eine starke Persönlichkeit.

Ich werde versuchen, mir etwas von deinem Rat zu Herzen zu nehmen. Ob es mir gelingt, weiß ich noch nicht, denn du hast recht, man wird sicher, und wenn auch nur unbewusst, von den eigenen Erfahrungen beeinflusst. Ist ja auch klar, was sollte man sonst zur Entscheidungsfindung heranziehen. Man greift viel darauf zurück, was man selbst erlebt hat und was einen geprägt hat. Ich hoffe, dass sich dadurch der Blick auf das, was für meinen Sohn eigentlich richtig ist, nicht so sehr vernebelt.
Ich kann es wirklich nur hoffen.

Nochmals danke für deine (und natürlich auch die der anderen, die mir geantwortet haben) Mühe :)
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