Was ist eigentlich Hochbegabung

mein Kind verhält sich anders als die anderen - ist es hochbegabt?
Willow77
Dauergast
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Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Willow77 »

Hallo,

Ich mache mir seit einer ganzen Weile Gedanken über die Frage: Was ist denn nun eigentlich Hochbegabung? Und möchte diese Frage auch an euch weitergeben.

Hier mal meine Gedanken der Reihe nach:
- Laut Mensa wäre ich ja zum Beispiel hochbegabt, da ich in rein logischen Intelligenztests dementsprechend hoch abschneide. Da wird aber kein Allgemeinwissen, keine besonderen Talente, nix dergleichen getestet, nur das logische Denken halt. Mensa erklärt es so, dass ja alle Menschen die Möglichkeit haben sollten, theoretisch mehr oder weniger gut in einem IQ-Test abzuschneiden, ganz unabhängig von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft. Sobald Wissen oder Sprache getestet würde, würden schon Leute "durchfallen", die einfach nie in Kontakt mit dem entsprechenden Wissen gekommen sind, und das wäre unfair. Denn auch unter sozial benachteiligten Menschen gibt es hochbegabte Menschen. So weit so logisch.
- Psychologen scheinen da aber anderer Meinung zu sein. Um festzustellen ob jemand hochbegabt ist, wird nicht nur die logische Intelligenz getestet, sondern es werden oft auch mathematisches Wissen, Allgemeinwissen, Sprachverständnis, usw... mit getestet. Dann hätte man auch ein genaueres Bild darüber, wo die Talente liegen. So weit eigentlich auch logisch.

Nur: Gibt es denn nicht auch Hochbegabte, die nichts besonders gut können, sondern einfach alles, oder besser gesagt vieles ziemlich gut hinbekommen, an vielen verschiedenen Dingen interessiert sind? Besonders Kinder müssen ihr "Talent" ja nicht unbedingt schon sofort finden und kennen. Ich selbst bin als Kind jedenfalls nicht aufgefallen, weder positiv noch negativ. Und ich weiß auch nicht, wie es um mein Allgemeinwissen stand. Auch jetzt weiss ich nicht, ob ein Psychologe mit einem Allgemeinen Test mich als Hochbegabt einstufen würde.
Gilt dann für Kinder vielleicht eher das, was ich in diesem Forum schon gelesen habe: Auch wie Dritte mein Kind einschätzen ist wichtig? Aber auch hier, wenn das Kind nun extrem zurückhaltend ist, ist es dann automatisch nicht hochbegabt, weil niemand es merken würde?

Mein Sohn ist recht intelligent. Wie ich an anderer Stelle schon geschrieben habe, mit 5 Jahren knapp über der "magischen Grenze", und mit 7 Jahren knapp drunter. Mit 5 Jahren wurde aber nur das logische Denken geprüft, mit 7 Jahren noch andere Bereiche. Ein bestimmtes besonderes Talent hat er aber nicht, außer dass er sehr gut und viel liest. Auch das Kind einer Freundin wird laut eines solchen alles in Betracht ziehenden Tests als sehr intelligent aber nicht hochbegabt eingestuft, und dabei hätte ich als Dritte schwören können, dass gerade dieses Kind...

Unser ehemaliger Nachbar wußte, dadurch dass er täglich Zeitung laß, besser bescheid, über Politik, und was so in der Welt los ist als ich. Trotzdem galt er in der Nachbarschaft als nicht sehr intelligent. Vieles musste man ihm zigmal erklären, bis er verstand.

Manche Denken Hochbegabung bleibt ein Leben lang, manche denken sie kann schwanken und wieder verschwinden, manche denken, sie ist erst ab einem bestimmten Alter stabil.

Also, was genau ist nun Hochbegabung? Ein hoher IQ in einem nur Logik testenden Test? Hohe Werte in vielen anderen getesteten Bereichen? Ein bestimmtes Talent haben? Vom Baby-Alter an in vielen Bereichen anders/schneller ticken als andere? Bitte entschuldigt, mir fällt es gerade sehr schwer, das richtig einzuschätzen. Denn nach reiner Logik, wären sowohl ich als auch mein Sohn und das Kind der Freundin hochbegabt. Kommen andere Bereiche hinzu, wären wir es alle drei wohl eher nicht.

Vielen Dank fürs Lesen und für eventuelle Denkanregungen,
LG,
Willow77
Momo
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Momo »

Zu diesem Thema müsste man erstmal die Frage klären, was eigentlich Intelligenz ist und wie Intelligenz gemessen werden kann. Fest steht, es gibt nicht DIE Intelligenz, sondern sehr viele unterschiedliche Intelligenzbereiche: Verbale, analytische, numerische, musische, motorische, soziale, emotionale usw. Es gibt im Grunde keine allgemeine, einheitliche Definition von Intelligenz. Das ist im Grunde auch völlig klar, da die Intelligenzbereiche so unterschiedlich sind wie die Menschen selbst. Also wie soll dann die Intelligenz durch einen "Einheitstest" überhaupt erfasst werden? Und was wird gemessen? Letztendlich geht es darum, wie viele Aufgaben ein Mensch unter Zeitdruck verarbeiten kann. Dabei ist der gemessene IQ keine feste Größe, er kann je nach Situation, Alter und Art des Tests stark variieren. Und letztendlich sagt dieser Wert, also auch eine zahlenmäßig "attestierte" Hochbegabung nichts über über das Lernpotential, die Lernmotivation und die Persönlichkeit des Menschen aus. Ob also ein hochbegabter Mensch seine Begabungen durch seine ausgeprägte Fähigkeit zu schnellem und abstrakten Denken voll entfalten kann, hängt von seiner Persönlichkeit und seinem Umfeld ab und dies kann nicht gemessen werden.

Schöne Grüße von Momo
"Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht." Mark Aurel (121-180)
Rabaukenmama
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Rabaukenmama »

Dazu fällt mir die schlichte Antwort ein "Der IQ ist der Wert, den den IQ-Test mißt". Und dem ist mMn nichts hinzuzfügen.

Es ist schon einige Zeit her dass ich den letzten IQ-Test gemacht habe (und ich weiß nicht mal welchen Test genau Mensa damals verwendet hat), aber ich kann mich nicht erinnern dass dabei Allgemeinwissen oder tatsächliches mathematisches WISSEN abgefragt worden wäre (so eine Frage wäre z.B. "Was ist cosinus" oder "Wie berechnet man den Umfang eines Kreises?"). Sprachlich detto: es ging in den Test nie darum, wie man z.B. "Intelligenzquozient" schreibt oder wo man den 3. und wo den 4. Fall verwenden.

Tatsächlich ging es überall darum, Zusammenhänge herzustellen. Eine Zahlenreihe korrekt fortzusetzen, die mit 3,6,9,12 beginnt ist relativ einfach, eine die mit 3,5,9,17 beginnt schon etwas schwerer. Natürlich ist derjenige "draußen" der diese Zahlen nicht kennt weil er nie rechnen bzw. Zahlen schreiben gelernt hat, aber 99,9% der Bevölkerung sollten diese Zahlen an sich vertraut sein. Trotzdem können die im IQ-Test immer schwerer zu erkennenden Zusammenhänge längst nicht mehr von allen (und vor allem in der vorgegebenen Zeit) er erkannt werden.

Mit Sprache ist es dasselbe. Aufgabe ist meistens, logische Zusammenhänge herzustellen und Gleichheiten oder Unterschiede herauszufinden. Detto bei den vielen Bildfolgen wo man dann logisch darauf kommen sollte welches Bild einen vorgegebene Reihe fortsetzt.

Doch so sehr man sich auch bemüht, bei den IQ-Test für alle gleiche Voraussetzungen zu schaffen, ganz wird man das nie hinbekommen. Das liegt schon allein an der unterschiedlichen Verarbeitungsgeschwindigkeit und an den unterschiedlichen Ansprüchen an sich selbst. Ich erinnere mich dass eine der wenigen Aufgaben, wo ich unterdurchschnittlich abgeschnitten habe, das schlichte kontrollieren von Zahlenreihen. Zwar war mein Ergebnis zu 100% korrekt aber andere hatten in derselben Zeit doppelt so viele Zahlenreihen kontrolliert und wenngleich bei denen ein paar Flüchtigkeitsfehler dabei waren war das Gesamtergebnis trotzdem deutlich besser als bei mir.

Ich gehöre zu denjenigen, die glauben, dass der IQ unter normalen Voraussetzungen (also keine langfristigen "mißfits") ein Leben lang in etwa gleich bleibt, von Schwankungen durch die Tagesverfassung und andere äußere Bedingungen (Testsituation) mal abgesehen. Ein anregendes Umfeld kann das Ergebnis etwas verbessern während es ein gleichgültiges oder negatives Umfeld etwas verschlechtern kann, aber nicht in gravierendem Ausmaß. Wenn jemand z.B. mit 10 einen getesteten IQ von 140 hatte und der IQ-Test mit 16 zeigt den Wert 100 dann ist die Person nicht etwa dümmer geworden sondern es gibt andere Gründe (hat z.B. aus Liebeskummer nächtelang kaum geschlafen).

Generell halte ich den IQ für total überbewertet. Ich bin ja selbst an der Grenze zur Höchstbegabung und würde man mich nur oder hauptsächlich auf meinen IQ reduzieren dann hätte man immer noch keinerlei Eindruck davon, wie ich z.B. tatsächlich arbeite, mich im sozialen Umfeld verhalte, wie ich mit Krisen fertig werde usw.

Für mich ist der IQ EINE von ganz vielen Voraussetzungen, die ein Mensch mitbringt. Andere sind z.B. Frusttoleranz, Durchhaltevermögen, soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen, Resilienz oder die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Die Summe all dessen macht im Zusammenspiel mit den anderen Voraussetzungen (soziales Umfeld, Beziehungen, wirtschaftiche Verhältnisse,...) aus, wie glücklich, zufrieden oder erfolgreich ein Mensch sein kann.

Gerade bei Kindern halte ich es für sehr gefährlich sie auf ihren IQ zu reduzieren - und genau DIESE Gefahr besteht, sobald ein Zahlenwert als Testergebnis vorhanden ist. Denn im Gegensatz zum IQ lassen sich die anderen Fertig- und Fähigkeiten nicht genau bemessen. Vielleicht ist das ein Mit-Grund meinen Sohn bisher nicht getestet zu haben. Vor allem die Einteilung: >=130 = hochbegabt/<=129 = nicht hochbegabt; empfinde ich als problematisch. So, als würden ein oder zwei Punkte mehr oder weniger da was ausmachen...

Dazu fällt mir noch ein Zitat aus dem Faust ein:

Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern, was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,
was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, was ihr nicht wägt hat für euch kein Gewicht,
was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Momo
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Momo »

Im Grunde stellt sich mir die Frage, was hohe Intelligenz eigentlich mit hoher Begabung zu tun hat. Ist ein Mensch mit niedriger gemessener Intelligenz weniger begabt? Bezieht sich die hohe Begabung, die durch einen Intelligenztest festgestellt wird, nicht nur auf einen kleinen Teil von Begabungen, z.B. dem außergewöhnlichen logisch- mathematischen Verständnis gepaart mit der Fähigkeit, auch in Prüfungssituationen konzentriert und schnell denken zu können? Gibt es nicht viel viel mehr hohe Begabungen, die durch einen Intelligenztest überhaupt nicht erfasst werden können? Und letztendlich ist die magische Grenze zur Hochbegabung bei einem Messwert von 130 festgelegt, eine seltsame Richtlinie, die Übergänge können doch nur fließend sein.

Ich selbst habe keinerlei Erfahrungen mit seriösen Intelligenztests, sicherlich können sie in einigen Fällen hilfreich sein, doch der bloße Zahlenwert spiegelt meiner Meinung nach viel zu wenig differenziert die (hohen) Begabungen eines Menschen wider.

Momo
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Willow77
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Willow77 »

Liebe Momo, liebe Rabaukenmama,

Vielen Dank für eure ausführlichen Überlegungen.
Ja, ich selbst habe bei mir ja auch keinen großen Wert auf das Testresultat gelegt, ich hatte den Test nur aus reiner Neugier gemacht. Und danach hatte sich das Thema für mich. Der Mensch ist halt mehr als nur ein Zahlenwert in einem Test.

Und auch die magische Grenze fand ich schon immer seltsam. Eben, warum sollte ein Mensch/ein Kind anders ticken, nur weil es knapp unter dieser Grenze ist, als der/diejenige, die knapp drüber ist. Anders herum, also am anderen Ende der Gausschen Kurve, als Lehrerin in der Schule, habe ich mich auch schon über diese Grenze geärgert. Ein Kind gilt nicht als geistig behindert, weil es ein paar Punkte über dieser Grenze ist, hat aber mit ganz ähnlichen Lernschwierigkeiten zu tun wie ein Kind, das knapp unter dieser Grenze liegt. Mit dem Stempel geistig behindert bekommt das Kind aber langfristig geholfen, ob in der Schule oder bei der Jobsuche, knapp über der Grenze, muss Kind/Mensch dann schauen, wo er/sie bleibt...

Der Test bei meinem Sohn hat wohl auch eher Verständnis geprüft als echtes WISSEN. Bei dem Kind der Freundin allerdings wurde anscheinend tatsächlich auch einfach WISSEN abgefragt, wie "von welchem Tier stammt der Hund ab?".

Einerseits bin ich auch der Meinung, dass es genau so gut für alle wäre, wenn man nicht testen würde. Ich bin als Lehrerin eigentlich auch nicht so begeistert von diesem Etiketten-aufdrücken. Das AD(H)S-Kind, Das Hochbegabte, Der Behinderte, Der Legastheniker, .... Ja in manchen Situationen kann es helfen, zu wissen, wo das Problem liegt, oft läuft man aber auch Gefahr, alles dann nur noch darauf zu beziehen. Deswegen, alles hat immer zwei Seiten.

Hmm, ich werde wohl noch weiter über dieses Thema nachdenken.
LG,
Willow77
Rabaukenmama
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo Willow77,

ich finde dass testen in manchen Situationen durchaus Sinn macht. Und sei es ganz lapidar weil es unter den Menschen, die beruflich mit Kindern arbeiten, LEIDER etliche gibt, für die so ein Wert einen Unterschied macht. Wenn mein Kind z.B. in KIGA, Hort oder Schule was nicht machen darf, weil es "zu jung" dafür ist, kann durchaus sein, dass ein IQ-Wert über der Hochbegabungsgrenze die dafür verantwortliche Person zukünftig anders agieren zu lassen. Das hilft zwar nur dem EINEN Kind, das es betrifft, aber immerhin!

Ich habe hier häufig geschrieben ich würde meinen Sohn sofort testen lassen wenn er durch ein "gutes" Ergebnis irgendwelche Vorteile hätte. Dazu stehe ich nach wie vor. Aber ehrlich gesagt bin ich auch froh, dass es bisher nicht notwendig war. Mir sind nämlich Menschen, welche die Bedürfnisse von Kindern ernst nehmen und "nach Gefühl" differenzieren viel lieber als solche, die einen Zahlenwert brauchen um ein Kind seinen Eigenheiten und Fähigkeiten entsprechend zu behandeln.

Das mit dem anderen Ende der Gausschen Kurve stimmt leider auch. So gesehen bin ich sogar froh, dass mein kleiner Sohn als 89% behindert gilt. Er ist rundum super betreut, wird bestmöglich gefördert und ich hatte erst gestern wieder ein über 1-stündiges Entwicklungsgespräch im Kindergarten. Die betreuenden Personen (Sonderpädagogin im KIGA, gehörlose Pädagogin im KIGA, Frühförderin und Logopädin) sind untereinander und mit mir gut vernetzt. Jetzt wurde auf Grund einiger Auffälligkeiten in der (Gebärden-)sprachentwicklung und Verdachtsmomenten in Sachen Wahrnehmungsstörin auch Ergotherapie angeraten und ich habe schon die Kontaktadresse einer ÖGS-kompetenten Logopädin bekommen. Natürlich hängst auch für mich an all dem viel Arbeit dran, aber ich habe echt eine tolle Peergroup, die mich mit meinem jüngeren Sohn super unterstützt.

Die Tochter einer Freundin ist auf einem Ohr schwerhörig und entwicklungsverzögert. Ihr IQ ist unter dem Durchschnitt, aber nicht tief genug, um gute Unterstützung zu bekommen. Sie hatte nie auch nur annährend die Förderungen, die mein Sohn jetzt bekommt. Gerecht ist leider was anderes...
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lissi74
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von lissi74 »

Hallo,

also ich muss sagen, dass der Test meines Sohnes im Zusammenhang mit ADHS uns insgesamt schon weiter gebracht hat und auch die Lehrer reagieren auf einen solchen Wert (der bei uns knapp unter der Grenze liegt). Das musste ich schon erleben, denn bei uns stand definitiv nach ca. 2 Monaten die Schule auch mit dem Vorschlag zur Förderschule auf der Matte. Nun spricht eigentlich niemand mehr drüber. Natürlich arbeiten wir auch enger zusammen und die Lehrerin ist anders gebrieft wie man mit unserem Sohn umgeht. Aber ohne Hilfe und ohne Test wäre das nix geworden.

Jetzt zum eigentlichen Thema:

Willow77, es gibt den Bereich der kristallinen Intelligenz, dieser ist sozusagen antrainiert und kann "erworben" werden. Ein Hoch oder Höchstleister kann hier in bestimmten Bereichen sicherlich mit HBs mithalten oder eben auch erfolgreicher sein.
Der Sprachteil im Test hat wohl mehr mit kristalliner Intelligenz zu tun, deshalb gibt es auch viele nonverbale Tests. Wir haben bespielsweise das Thema Zweisprachigkeit und uns konnte man nicht sagen wie denn das im Sprachteil zu werten ist. Denn unser Sohn spricht beide Sprachen sehr gut, ist aber eben Test nicht über die Grenze von 130 gekommen. Der KJP meinte, dass der Wert wohl erst später stabiler zu messen ist.
Dann gibt es noch die fluide Intelligenz. Das ist quasi das angborene Potential und kann nicht erlernt werden.
Allerdings vermute ich dass jemand zwar in der kristallinen Intelligenz nicht besonders auffällig sein kann und trotzdem eine hohe fluide Intelligenz vorhanden sind kann, da aber die Umstände nicht gut waren, die Vorraussetzungen einfach nicht genutzt werden konnten. Sozusagen wurde da nichts wachgeküsst... Anders herum ist es aber durchaus so, dass jemand der im bereich der kristallinen Intelligenz sehr gut ist, bestimmt kein sehr schlechter Wert im fluiden Bereich dahinter steckt.

LG
Rabaukenmama
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von Rabaukenmama »

@lissi74: das mit der kristallinen und fluiden Intelligenz sehe ich ähnlich wie du.

Das Thema Zweisprachigkeit ist ja bei uns auch aktuell und ich hoffe, bald einen Termin zur Entwicklungsdiagnostik für meinen jüngeren Sohn zu bekommen, wo das berücksichtigt wird. Da seine Erstsprache ja Gebärdensprache ist kein einfaches Unterfangen, aber immerhin möglich. Laut Kindergarten ist er ja in der Sprachentwicklung (auch in Gebärdensprache) nicht altersgemäß. Auch ich hatte ja bisher diesen Eindruck, aber einfach zu wenig Vergleichsmöglichkeiten. Auch grobmotorisch hat er sichtbare Defizite gegenüber Altersgenossen. Hingegen ist er auf anderen Gebieten weit voraus (lesen, schreiben, rechnen, Feinmotorik...), er hat sogar noch ein halbes Jahr früher als sein älterer (vermutlich hochbegabter) Bruder mit schreiben begonnen und möchte jetzt täglich etliche Wörter buchstabiert haben, die er dann schriftlich sogar teilweise wieder erkennt. Dazu ist sicher eine mindestens durchschnittliche Intelligenz nötig, wobei bei ihm auch Befürchtungen in Richtung autistisches Spektrum geäußert wurden (von der Frühförderin und der Logopädin) weil vor allem das Interesse an Zahlen extrem groß ist während ihn andere Dinge (z.B. wenn ein anderes Kind weint) nicht sonderlich zu interessieren scheinen.

Ehrlich gesagt ist mir bei meinem jüngeren Sohn eine Testung in Richtung Hochbegabung bzw. Teilleistunsstärken wichtiger als bei meinem älteren. Dass mein 6jähriger klug und kognitiv sehr fit ist merkt ohnehin jeder, der ihn halbwegs interessiert beobachtet. Und wenn mein älterer Sohn wo gelangweilt oder unterfordert ist fällt er negativ auf, was man auch wiederum bemerkt. Mein jüngerer Sohn dagegen ist in der Gruppe ein braves, unauffälliges Herdentierchen und lebt seine Emotionen im sicheren Kreis der Familie aus. Seine Fähigkeiten fallen Außenstehenden nur dann auf, wenn sie sich häufig und intensiv mit ihm befassen während seine Defizite schnell offensichtlich sind. Hier ist eine Testung allein mit Fokus auf die "Außenwelt" sicher sinnvoller als bei seinem älteren Bruder.

Momentan geht es meinem jüngeren Sohn sehr gut und er macht in vielen Bereichen Fortschritte. Mit einer Entwicklungsdiagnosik, wo AUCH (längst nicht nur) darauf geschaut wird, wie die geistige und kognitve Entwicklung verläuft (IQ eingeschlossen), kann man Stärken und Defizite viel früher erkennen als wenn man einfach nur abwartet bis das Ganze so auffällig wird, dass es augenscheinlich ist. Und da Kleinsohn ja in gut 2 Jahren in die Schule kommt und fällt auch sein "geschützten Bereich" (sehr guter, aufmerksamer Kindergarten, Einzelförderung durch Sonderpädagogin und Frühförderin) weg.

@willow77: So gesehen finde ich es individuell sehr verschieden ob IQ-Tests im Vorschulalter Sinn machen oder nicht. Das von Dir angesprochene Etiketten-aufdrücken findet ja ohnehin ständig statt, unabhängig ob der IQ eines Kindes bekannt ist oder nicht. Was mir daran auffällt ist, dass der Großteil dieser Etiketten gedanklich negativ besetzt ist. Was, bitteschön, traut man einem "behinderten" Kind zu. Welche Erwartungen hat man im Turnunterricht an ein "Spasti-Kind"? Und kann man dem "ADHS-Kind" die 2stündige Schularbeit überhaupt zumuten? Solche Vorurteile sind durchaus teilweise berechtigt, wer sie hat geht aber nicht mehr unbefangen auf das jeweilige Kind zu sondern reagiert irgendwie anders. Und weil dieses anders-reagieren meistens darauf hinausläuft dass man weniger (positive) Erwartungshaltung an die Fertig- und Fähigkeiten hat, wird das Kind immer tiefer in diese Schublade reinkommen.

Interessant sind die Vorurteile gegenüber hochbegabten Kindern. Mich fasziniert immer wieder, wie viele PädagogInnen immer noch davon ausgehen, das müßten automatisch auch Hochleitster sein. Bei anderen Eltern beobachte ich immer wieder unterschiedliche Reaktionen, von positiver Bewunderung (wow, was der/die schon alles weiß und kann!) bis zu Neid und Häme (na, so toll ist der/die auch wieder nicht). Immer wieder höre ich auch so Meldungen wie "Na, ich bin FROH dass sich mein Kind nicht für Buchstaben interessiert, es soll ja eine unbeschwerte Kindheit haben". So Reaktionen sind deshalb ärgerlich weil sie den Eltern indirekt unterstellen, das Kind ständig zu gängeln und zu "trainieren" um diese Kenntnisse zu erwerben. Früher habe ich da manchmal noch erklären und rechtfertigen wollen, aber es ist sinnlos. Wenn wer glauben WILL dass ein Kind von sich aus nicht auf die Idee käme, nach Buchstaben oder Zahlen zu fragen, weil es das eigene Kind nicht tut, dann ist alles reden vergeblich. Und mittlerweile lebe ich damit, bei MANCHEN Menschen in diese Schublade zu stecken. Viele sind es ja GsD nicht ;) .

Dabei sucht sich jeder Kind - unabhängig vom IQ - selbst Spiele und Beschäftigungen, die es interessant findet. NICHTS (gefährliche oder jugendgefährdende Dinge mal ausgenommen), was das Kind aus eigenem Antrieb und Interesse heraus macht, schadet der "unbeschwerten Kindheit"! Weder das buddeln in der Sandkiste dem 10jährigen, noch das lernen des Alphabet dem 2jährigen!
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
alibaba

Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von alibaba »

Hi,

eigentlich ist das mathematisch gesehen ganz einfach. Hochbegabt ist man ab einem gemessenen Wert von 130. :fahne: Das ist der Normwert mit einem genormten Test. Hat man 129 und nicht 130, ist man nicht hochbegabt und 1nen Prozentpunkt weniger begabt als ein Hochbegabter. Logo, oder? :mrgreen:

Neulich, wurde der gestorbene Prince als Hochbegabter tituliert. Ist so formal gesehen nicht richtig, denn eine Hochbegabung bezieht sich nur auf das intelektuelle Vermögen. Also das was in einem IQ-Test gemessen wird.

Mittlerweile ist es ja so, das man von diesem sturen Modell immer mehr abweicht. Wenn man uns dann etwas erklärt, fließen da sehr oft dann alle Intelligenzen mit ein. So wird ein guter Psychologe nicht sagen, so ihr Kind hat einen Wert von 129 erreicht, er ist nicht hochbegabt, Tschüß. Er wird erklären und das hoffentlich im Zusammenhang mit den Eigenschaften die für eine Talententfaltung notwendig sind.

Ich sehe das praktisch so. Mein Großkind hat vom Dirigenten des Sinfonieorchesters Noten bekommen. Er spielt da noch nicht mit, da zu jung. Diese Noten hat er mit seinem Musikschullehrer "besprochen". Nach 45 Minuten war das Ergebnis: "Paul kann das ohne Probleme, wenn er sich nur besser konzentrieren würde." :schwitz: Sprich, ein Talent, ein IQ ist ein gemessener Wert. Das aber dann immer umzusetzen, da bedarf es jedoch vieler anderer wichtiger Voraussetzungen, die im Gleichklang laufen müssen.

Mittlerweile sind mir IQ-Werte egal. In der Praxis ist es nämlich immer nur so, das Leistungen verlangt werden. Wer also leistet, der muss hochbegabt sein. Der, der nicht leistet, kann nicht hochbegabt sein. Vor allem nicht, wenn man nur oberflächlich drüber sieht. Das sind oft Lehrer. Sie kategorieren einen.
Da mein Sohn faul ist, weder von sich aus kommt noch von sich aus mehr fordert, kann er also nicht begabt sein. So legte er nämlich das Orchesterstück zerknittert in den Schulranzen, mit der Begründung: "Der Lehrer hat mir gesagt, ich solle da mal drüber schauen. Das habe ich gemacht!" Wörtlich hat das mein Kind genommen (ja, er hat sich sich angesehen), Ansporn fehl am Platze! ICH habe das Teil aus dem Schulranzen gezogen, es in seinen Musikschulhefter gehangen und seinem Musikschullerer gesagt, das sie sich das "ansehen" sollen.

In der letzten Mathearbeit hat mein Kind eine 4 geschrieben. :o Aber beim Känguru den 4.Platz belegt. Was soll ich dazu noch sagen, nichts!

VG
orangenminze
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Re: Was ist eigentlich Hochbegabung

Beitrag von orangenminze »

Hallo zusammen,

es passt vielleicht gerade nicht ganz zum Thema, greift aber auf, dass Begabungen nicht immer sichtbar werden in Schul- oder Testsituationen. Unser Sohn hatte vor einigen Wochen die Schuluntersuchung. Ich war mit im Raum, auch wenn das von dem Gesundheitsamt Arzt nicht gern gesehen wurde, aber unser Sohn hatte mich ausdrücklich darum gebeten. Er hat zwar bei allem mitgemacht, aber war weder besonders motiviert, noch hat er sich sonderlich angestrengt. Außerdem hatte er die ganze Zeit die Hände im Mund und hat sie erst nach mehrmaliger Aufforderung des Arztes aus dem Mund genommen (macht er sonst nie beim Sprchen). Ich habe unserem Sohn angesehen, dass er die Sinnhaftigkeit dessen, was er tun sollte, nicht erkannt hat. Nach der ganzen Kiste, hat mich Sohnemann dann darüber aufgeklärt, dass er wohl arabische oder griechische Buchstaben hätte nachmalen müssen (der Arzt hatte ihm gesagt, jetzt solle er Buchtaben nachmalen, allerdings waren es keine, sondern nur verschiedene Zeichen, wie Kreis mit kleiner Öffnung etc), da er die Buchstaben nicht gekannt habe. Das hat ihn während der ganzen restlichen Zeit anscheinend sehr beschäftigt. Hör- und Mengenerkennungstest waren da längst nicht so spannend wie die Frage, was das wohl für Buchstaben waren...

lg Orangenminze
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