Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
alibaba

Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von alibaba »

Hallo Momo,

ich gebe Dir vollkommen Recht. Nur leider haben wir kein Umfeld welches so ein Lernen zulässt. Und auch über Schule hinaus kein Umfeld welches das toleriert und akzeptiert.

Bereits in der Grundschule wird hier Druck vermittelt, spätestens ab Kl.3. Und dieses System zieht sich durch, wird mit jedem Jahr mehr. Lerne das, das auch noch und das. Spaß oder Freude ist das schon lange nicht mehr.
Ich würde meine Kinder viel später erst an die Leistungsgesellschaft anpassen, aber diese Leistungsgesellschaft umgibt uns, hüllt und ein, darin leben wir und es gibt nur zwei Möglichkeiten, mitmachen oder ausscheren mit allen Konsequenzen, mit positiven aber auch negativen. Wir machen mit, da es hier keine uni gibt die eben viel Wert auf gutes Witze erzählen legt oder soziale Kompetenz. die wollen Noten, am besten die Besten. Und auch die Arbeitgeber schauen zuerst auf die Note, zuletzt auf Teamgeist oder Verantwortung. Keiner bescheinigt mir ja, in Latein war Kind jetzt nicht so gut, aber im helfen war er spitze.
Im Grunde habt ihr schon Recht, aber das will hier keiner wissen und es verlangt auch keiner. Nur Leistung zählt.

@Rabaukenmama

Der Kindergarten war daher die freieste Zeit, weil Kind machen konnte was es eben gerne machen wollte. Im Zuge dessen war die Elternarbeit Null, da man Kind eben nicht treiben musste die HA zu erledigen, sich auf Prüfungen vorzubereiten, Gedichte auswendig zu lernen, Vokabeln täglich zu üben, das mitzubringen oder jenes, alles fremdbestimmte Dinge. Schule ist hier Muss und da kann Kind sich nicht aussuchen was es will.

Selbständig zu denken lernt man hier nicht. Man erhält brav Befehle (vom Lehrer) welche man ausführen muss. Und es geht im späteren Leben gleich mal so weiter. Und genau hier liegt das Problem - unser gesellschaftliches Problem. Spätestens ab Kl.10 will man Noten sehen und genau darüber wird das Kind beurteilt. Wenn es in der Momo-freien-Schule keine Prüfungen gibt, wie wird man nach 10 Jahren wissen wo man steht im Verhältnis zu den anderen? Wenn ich Papas Hof übernehme wird das wohl keinen interessieren, wenn ich mich an der Uni einschreiben will oder um eine Lehrstelle und Noten vorweisen muss, dann habe ich ein Problem. Was ist, wenn ich einen Bewerbungstest machen muss, damit aber noch nie konfrontiert wurde? Wenn die mich eben nach Herder fragen, ich den aber nie behandelt habe, weil der mich nicht interessierte und Schule das von einem ja auch nicht zwingend verlangte. Dann hatte ich eine tolle entspannte Schulzeit, aber jetzt fliegt es mir um die Ohren, denn Arbeitgeber nehmen keine Rücksicht auf meine alternative Schulform. Da hilft mir auch keiner, wenn ich aufführen kann, wie viele Bälle ich zum jonglieren brauche. Die freie Wirtschaft interessiert das nicht.

VLG
sinus
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von sinus »

Liebe Momo, danke für das Update. Es klingt traumhaft! Für meine Große wäre das sicher auch geeignet, sie ist sehr gut organisiert, kann sich sehr gut Informationen selbst verschaffen und ist auf jeden Fall ein "Freiarbeitstyp". Sie macht zwar in der Schule (jetzt 2. Klasse) brav, was sie soll und geht auch dank wunderbarer Klassenlehrerin nicht ungern, aber sie zerkaut bspw ihre Buntstifte vor Langeweile. ("Malen darf ich ja nicht in der Stunde, aber das Stiftekauen kann mir ja keiner verbieten")
Ihre Mathelehrerin ist streng - Typ "von der Alten Schule" - und meckert die Kinder wohl auch öfter mal an.
So sollte sie neulich, nachdem sie sich weggeträumt hatte, aufstehen und vor der ganzen Klasse eine Kettenaufgabe rechnen. Sie hatte dann ein falsches Ergebnis, was der Lehrerin natürlich den perfekten Anlass bot, ihr zu bedeuten, dass sie sich das Wegträumen nicht leisten kann.
(Nach der Stunde sagte das Kind der Lehrerin dann das richtige Ergebnis. Diese meinte dann nur: "Na, geht doch...")
Zu mir sagte das Kind am Nachmittag: "Ist doch klar, dass ich nicht richtig rechnen kann, wenn mich alle so ansehen!"
Sie mag sie das Fach aber (verständlicherweise) nicht besonders gern und meint: "ich bin schlecht in Mathe". (Was nicht stimmt, aber natürlich klar ist, dass sie es so empfindet, wenn die Lehrerin solche Sachen bringt.)
Wenn ich solche Geschichten aus dem Schulalltag der normalen Grundschule höre, bin ich dann schon bisschen neidisch auf solche schönen Schulen, wie du sie beschreibst.

Eine Freundin hatte ihre Kinder ja auch auf einer freien Schule. Ich schrieb glaub ich davon schonmal....
Denen fiel der Übertritt zum Gymnasium übrigens nur deshalb schwer, weil sie völlig überrumpelt waren von der anderen Form des Miteinander (oder eben nicht Miteinander), was plötzlich in der "normalen Schule" herrschte.
Sie kannten diese krasse Hierarchie nicht ("Ich bin der Lehrer und es wird gemacht, was ich sage und wie ich es sage") und auch die Kinder untereinander waren wohl ganz anders im Umgang. Sie hatten dann ein heftiges Motivationstief, asu dem sie aber weider rausgefunden haben. Allerdings war da schon auch eine Portion Resignation dabei: "Dann machen wir es eben so, wie verlangt"
..............und aber auch nicht mehr, als erwartet. Die Mutter empfand es sehr deutlich, dass die Kinder vorher um des Lernens selbst Willen gelernt haben, in der normalen Schule dann fast nur noch, weil es eben gefordert wurde. :|

Abitur gemacht haben ihre beiden großen Jungs aber dann trotzdem. Beide studieren jetzt, einer Musik, einer Schauspiel.
Der Jüngste (meiner Meinung nach kognitiv auch außergewöhnlich begabt) ist jetzt auch in der 2. Klasse einer freien Schule, aber dort eher unglücklich.
Er kommt mit der Lehrerin nicht so recht klar, findet zu vielen den Mitschülern nicht so ganz Zugang (er teilt ihre Interessen nicht) und am problematischsten für ihn an der Sache ist, dass der Schulweg so weit ist (30 Minuten Autofahrt), dass er sich nachmittags kaum spontan verabreden kann. Womöglich wäre für ihn eine normale Sprengelschule genausogut oder schlecht...
Meine Tochter dagegen (normale Grundschule am Ort) hat die Hälfte der Klassenkameraden fußläufig in der Siedlung, allein in derselben Straße wohnen noch 3 Kinder aus ihrer Klasse und es kommt sehr oft zu spontanen Besuchen und Verabredungen.
Wenn sie sich hier in der Gegend bewegt, kennt sie im Grunde jeden und jeder kennt sie.
Das ist ein großer Vorteil und sicher einer großer "Wohlfühlfaktor", der en paar unschöne Erlebnisse im Schul- und Hortalltag sicher aufwiegt.

Deinem Schulkind wünsch ich alles Gute und dass es so schön für sie bleiben möge.
Die Oma kann sicher ganz beruhigt sein.
Die Kinder besagter Freundin hatten übrigens auch eine Oma, die sogar selbst Lehrerin war und große Zweifel hatte an dem "Experiment" der Tochter bzw. genaugenommen der Töchter, denn ihre andere Tochter hat ihre ebenfalls drei Kinder auch in der freien Schule.
Nervös wurde sie vor allem, als einer der Jungs in der 2./3. Klasse immernoch nicht lesen konnte und wohl zu der Zeit den ganzen Schulalltag nur getobt und Schach gespielt hat.
Aber wie gesagt - 3 der 6 Enkel (einer davon ist der, der so spät lesen lernte) haben inzwischen ihr Abitur hinter sich und sind als Erwachsene wirklich ganz bemerkenswerte Menschen!

PS: Darf ich fragen, wie weit euer Schulweg ist und was das Ganze monatlich kostet?
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(Herbstgedicht der 6jährigen)
Rabaukenmama
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

alibaba hat geschrieben: Selbständig zu denken lernt man hier nicht. Man erhält brav Befehle (vom Lehrer) welche man ausführen muss. Und es geht im späteren Leben gleich mal so weiter. Und genau hier liegt das Problem - unser gesellschaftliches Problem. Spätestens ab Kl.10 will man Noten sehen und genau darüber wird das Kind beurteilt. Wenn es in der Momo-freien-Schule keine Prüfungen gibt, wie wird man nach 10 Jahren wissen wo man steht im Verhältnis zu den anderen? Wenn ich Papas Hof übernehme wird das wohl keinen interessieren, wenn ich mich an der Uni einschreiben will oder um eine Lehrstelle und Noten vorweisen muss, dann habe ich ein Problem. Was ist, wenn ich einen Bewerbungstest machen muss, damit aber noch nie konfrontiert wurde? Wenn die mich eben nach Herder fragen, ich den aber nie behandelt habe, weil der mich nicht interessierte und Schule das von einem ja auch nicht zwingend verlangte. Dann hatte ich eine tolle entspannte Schulzeit, aber jetzt fliegt es mir um die Ohren, denn Arbeitgeber nehmen keine Rücksicht auf meine alternative Schulform. Da hilft mir auch keiner, wenn ich aufführen kann, wie viele Bälle ich zum jonglieren brauche. Die freie Wirtschaft interessiert das nicht.
Ich verstehe genau was du meinst, bin ab mittlerweile (es war nicht immer so) der Ansicht, dass ein kluges Kind, welches sind in 10 oder mehr Schuljahren frei entfalten durfte, flexibel genug ist, sich binnen sehr kurzer Zeit den Anforderungen eines Bewerbungstestes zu stellen.

Das erinnert mich da an meine Studienberechtigungsprüfung, die ich nach 20 Jahren Schul-Abstinez als Erwachsene gemacht habe. Die Professoren haben mit gesagt was sie verlangen, ich habe es gelernt, die Prüfungen abgelegt und fertig - in allen Gegenständen bis auf Physik. Da hatte ich einen "schwierigen" Professor der keinerlei Schwerpunkte vorgegeben hat und bei der schriftlichen Prüfung ausschließlich Rechnungen aufgegeben hat. Formelliste war bei ihm (als einzigem Professor) nicht erlaubt. Das waren Beispiele wie "Zwei Punktmassen von 10g sind in 10m Abstand zueinander. Welche Gravitationskräfte üben sie aufeinander aus?". Auf die erste schriftliche Prüfung dieser Art hatte ich einen katastrophalen 5er. Die zweite Prüfung 3 Monate später war eine glatte 1. Warum? Ich hatte das, wovon ich wußte dass es verlangt wird, bewusst "gebüffelt", Formeln auswendig gelernt und mir einen Nachhilfelehrer genommen. Und das alles neben Vollzeit-Arbeit!

Daher bin ich heute der Ansicht: auch wenn ein junger Mensch seine Lebetag nie was von Herder gehört hat kann er das lernen, wenn er weiß, dass eben DIESE Kenntnisse zur Erlangung eines Zieles (z.B. Studienplatz oder Job) notwendig sind. Wer weiß, was er will, wird mit einem 2. Antreten, sollte es beim ersten Versuch nicht klappen, keine Probleme haben, und aus eigenen Fehlern (in der Vorbereitung) lernen.

Ich kenne die Extreme der anderen, scheinbar "sicheren" Seite. Mein Freundeskreis besteht großteils aus älteren Frauen mit längst erwachsenen Kindern. Fast alle dieser Kinder sollten - laut Plan der Eltern - in der Regelschule einen ordentlichen Schulabschluss (mindestens Matura) schaffen und einen guten Arbeitsplatz bekommen. Tatsächlich haben ETLICHE im Alter von 14-17 Jahren die Schule abgebrochen oder sind nach einmaligem "durchfallen" bei der Matura einfach nicht mehr angetreten. Diese Jugendlichen waren einfach nicht mehr bereit, sich fremdbestimmen zu lassen, und obwohl ihnen bewußt war, dass sie sich eigene Chancen damit verbauen waren sie nicht mehr zum weiter-lernen zu bewegen. Das ist ein Risiko, dessen sich viele Eltern von Regelschulkindern mit Druck und allem drum und dran nicht bewußt sind. Die gute Nachricht: diese Schulabbrecher haben allesamt trotzdem ihren Weg gemacht, teilweise im 2. Bildungsweg die Matura nachgeholt und auch studiert oder eben in einen nicht-akademischen Beruf ihre Erfüllung gefunden.

Bei uns in der Firma gibt es etliche Lehrlinge, die höhrere Schulen abgebrochen und dann eben die Lehre begonnen haben. Und das nicht immer wegen schlechter Noten. Einer davon ist nach 4 Jahren HTL mit einem Notendurchschnitt von 1,3 absolut nicht mehr bereit gewesen, einen Fuß in die Schule zu setzten. Dieser sehr kluge und vielseitig interessierte junge Mann ist für mich bezeichnend dafür dass alles gute zureden und alle Apelle "an die Zukunft" zu denken nicht mehr funktionieren wenn der Frust zu groß geworden ist. Und ich erlebe täglich im echten Leben dass Offentheit, Engagement und Motivation in der Berufswelt viel gefragter sind als Lauter-Einser-Zeugnisse von jungen Menschen, die nicht gelernt haben, selbstständig zu denken.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
sinus
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von sinus »

patchanka hat geschrieben: Das schöne bei begabten Kindern (wie hoch tut da nichts zur Sache) ist das gute Gefühl, dass sie ihren Weg finden werden!
Das ist ein schöner Satz.
Allerdings sehe ich es schon so, dass die Regelschule es gerade diesen Kindern tw zusätzlich schwer macht, da sie dort eben in ihren Interessen und Besonderheiten gebremst werden oder, weil sie eben mitunter "nicht ganz reinpassen", sich in ihrer Denkweise oft als "anders" und dann in Folge dessen womöglich als "unzureichend" oder gar "dumm" empfinden.
So geht es nicht selten meiner wirklich nicht dummen Tochter, die oft von sich selbst glaubt, sie sei nicht gut genug.
Bei einer 1- sieht sie auch nur das Minus... das ist schon sehr schade.

Letztens bekam sie bspw einen halben Punkt Abzug, weil sie aus einer Reihe von Worten, die alle in Großbuchstaben geschrieben und ohne Zusammenhang in einer Reihe aufgelistet waren und aus der die Kinder die Worte markieren sollten, die Substantive sind, das Beispielwort "GELB" als solches markiert hatte...
Im Grunde hat sie damit recht - klar kann eine Farbe als Begriff auch ein Substantiv sein - es steht sogar als solches im Duden. (Adjektive hatten sie übrigens auch noch gar nicht gehabt, darum konnte sie es auch gar nicht als Adjektiv identifizieren.)
Sie hatte sich halt überlegt, dass sie beim Malen durchaus sowas sagt wie : "Gib mir mal das Gelb bitte" und dass es Gelb auch in der Mehrzahl geben müsse - immerhin gäbe es ja verschiedene Gelbs: Sonnengelb, Mittelgelb, Hellgelb etc. Und man könne sich eine Farbe ja auch gut vorstellen. (Das waren die Regeln der Lehrerin - "Substantive kann man anfassen oder erahnen und man kann eine Mehrzahl bilden")
Sie fand, das Wort "GELB" entspräche doch den Regeln und hat sich sehr verunsichern lassen von dem Punktabzug und meinte wieder bestätigt, dass sie "einfach zu dumm sei".
Bis ich ihr im Duden zeigte und erläuterte, dass eine Farbe sowohl eine Eigenschaft/Adjektiv, als auch ein Begriff/Substantiv sein kann und dass die Aufgabenstellung da unpräzise war.
Daraufhin war sie regelrecht erleichtert, meinte, dann hätte sie, um es ganz richtig zu machen, das Wort nur zur Hälfte markieren sollen, "Darum also der halbe Punkt Abzug." (Damit war dann ihre Welt wieder in Ordnung... :lol: )
Und dann hatten wir noch ein wunderbares Gespräch über die deutsche Sprache...
Die Regeln, die die Lehrerin den Kindern gesagt hatte, anhand derer man Substantive erkennt, waren halt auf Grundschulniveau runtergebrochen und recht unvollständig. (Bsp.: "Von Substantiven kann man ein Mehrzahl bilden" - gilt ja auch nicht für alle Substantive.)
Sie hat dann auch selbst direkt erkannt, dass es ein Unterschied ist, ob man über die "schöne gelbe Mappe" oder über "das strahlende Gelb der Mappe" spricht und für sich die Regel abgeleitet, dass ein Substantiv "etwas ist, worüber man reden kann". (Einmal redet man halt über die Mappe und einmal über die Farbe der Mappe, darum ist "Gelb" dann ein Substantiv.)
Das finde ich eine tolle Erkenntnis...
Solche Gespräche und Gedanken passen in den normalen Schualltag halt leider nicht rein, Querdenken und Weiterdenken sind da einfach nicht gefragt oder gar kontraproduktiv, weil sowas dann sogar noch als falsch gewertet wird. Am Bsp: - "gelb" ist in der Grundschule dann eben erstmal grundsätzlich ein Adjektiv und fertig. (Was sicher so für 90% der Grundschüler auch erstmal leichter zu verstehen ist...)
Dabei lernt man doch auf diese Weise so viel mehr und es geht dabei so viel mehr in die Tiefe......
Ist doch Mist, wenn sowas dann aufgrund der Notwendigkeit, einheitlich Punkte und Zensuren zu vergeben nur (abge-)bewertet wird, statt Anlass zum Gespräch über die Sache an sich zu geben. :(
Zuletzt geändert von sinus am Do 29. Sep 2016, 11:28, insgesamt 1-mal geändert.
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alibaba

Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von alibaba »

Rabaukenmama hat geschrieben:
Ich verstehe genau was du meinst, bin ab mittlerweile (es war nicht immer so) der Ansicht, dass ein kluges Kind, welches sind in 10 oder mehr Schuljahren frei entfalten durfte, flexibel genug ist, sich binnen sehr kurzer Zeit den Anforderungen eines Bewerbungstestes zu stellen.
Das Problem ist, das man vom Ding was abgefragt wird, schon einmal gehört haben muss und wenn ich das in der Schule nie behandelt habe, nützt mir erst einmal meine Klugheit, neues schnell zu begreifen, nichts. Von nichts kommt nichts und Dinge die nie behandelt wurden kann ich nicht wissen. Bewerbungstests und deren Fragen können unterschiedlicher leider nicht sein.
Rabaukenmama hat geschrieben:
Daher bin ich heute der Ansicht: auch wenn ein junger Mensch seine Lebetag nie was von Herder gehört hat kann er das lernen, wenn er weiß, dass eben DIESE Kenntnisse zur Erlangung eines Zieles (z.B. Studienplatz oder Job) notwendig sind. Wer weiß, was er will, wird mit einem 2. Antreten, sollte es beim ersten Versuch nicht klappen, keine Probleme haben, und aus eigenen Fehlern (in der Vorbereitung) lernen.
Ja, man kann alles lernen. Nur muss man das wollen und auch, den Lebensumständen geschuldet, können. Wenn man das so wollte, warum gibt es dann nicht nur eine Schulform und jeder sucht sich nach Kl.10 da aus, was er will.
Rabaukenmama hat geschrieben: Bei uns in der Firma gibt es etliche Lehrlinge, die höhrere Schulen abgebrochen und dann eben die Lehre begonnen haben. Und das nicht immer wegen schlechter Noten. Einer davon ist nach 4 Jahren HTL mit einem Notendurchschnitt von 1,3 absolut nicht mehr bereit gewesen, einen Fuß in die Schule zu setzten. Dieser sehr kluge und vielseitig interessierte junge Mann ist für mich bezeichnend dafür dass alles gute zureden und alle Apelle "an die Zukunft" zu denken nicht mehr funktionieren wenn der Frust zu groß geworden ist. Und ich erlebe täglich im echten Leben dass Offentheit, Engagement und Motivation in der Berufswelt viel gefragter sind als Lauter-Einser-Zeugnisse von jungen Menschen, die nicht gelernt haben, selbstständig zu denken.
Natürlich, wunderbar wenn es Firmen gibt, die das tun. Ich kenne keine! Uns umgibt Leistung und wenn mein Mann Mitarbeiter einstellt, dann zählen die Zeugnisse. Ich stimme Dir zu, das Engagement viel mehr Wert sind, nur das sieht man eben erst einmal nicht, wenn man die Entscheidung treffen muss. Und einen Arbeitgeber zu finden, der da anders denkt, das ist eben wahnsinnig schwer.

Und so geben wir uns dem Wahn hier hin und machen in der Leistungs-Ellenbogengesellschaft mit.

VG
alibaba

Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von alibaba »

sinus hat geschrieben:
patchanka hat geschrieben: Das schöne bei begabten Kindern (wie hoch tut da nichts zur Sache) ist das gute Gefühl, dass sie ihren Weg finden werden!
Das ist ein schöner Satz.
Schön ist er, aber, in meinen Augen, naiv. :fahne: Klugheit alleine reicht nicht aus um zu wissen oder zu erkennen wohin mein Weg geht.

Mein Sohn würde wohl Nerd werden. Er hat doch alles. Ein tolles zuhause, Eltern die ihn umsorgen, Mamafahrdienst, ein Handy, ein Tablet und einen Kühlschrank aus dem man sich bedient. Da scheine die Rohstoffe drin zu wachsen. :lol: Ihm fehlt der weite Überblick über das was "Leben" wirklich ist. Er kann ihn auch noch nicht haben, denn die Synapsen dafür, sind noch nicht angelegt. Die kommen erst später im Alter. Erst zur Beendigung der Adoleszenz und das ist bei Buben ja bekanntlich nicht vor dem 18.LJ zu erwarten.

Was mache ich nun dazwischen? Nichts? Dinge die nur ich mag oder will? Ich habe hier kein gutes Gefühl darauf zu vertrauen das begabte Kinder ihren Weg finden werden. Mit dem IQ hat das nämlich nichts zu tun - die Wegfindung. :(

Mein Sohn hat in Kl.8 Praxiswochen. Der hat NULL- Ahnung was er da machen soll. Absolut orientierungslos. Aber Hauptsache er kann die Bestandteile des Mikroskops herbeten. :roll:

VG
sinus
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von sinus »

alibaba hat geschrieben:
Rabaukenmama hat geschrieben:
Natürlich, wunderbar wenn es Firmen gibt, die das tun. Ich kenne keine! Uns umgibt Leistung und wenn mein Mann Mitarbeiter einstellt, dann zählen die Zeugnisse. Ich stimme Dir zu, das Engagement viel mehr Wert sind, nur das sieht man eben erst einmal nicht, wenn man die Entscheidung treffen muss. Und einen Arbeitgeber zu finden, der da anders denkt, das ist eben wahnsinnig schwer.

Und so geben wir uns dem Wahn hier hin und machen in der Leistungs-Ellenbogengesellschaft mit.

VG

...es gibt aber zahlreiche Arbeitsfelder, in denen ganz andere Dinge als "Leistung" wahrgenommen werden.
Ich selbst arbeite bspw. kreativ (und aktuell selbstständig) und da hat bisher noch keiner Interesse an meinen Schul-, Ausbildungs- und Diplomzeugnissen gehabt. (völlig umsonst all die feinen Zensuren... :roll: )
Da zählt meine Mappe mit Arbeitsproben und/oder der Probeauftrag, meine Erfahrungen und das persönliche Auftreten.

Es gibt sicher unzählige Bereiche - gerade im Kreativbereich und im sozialen Bereich - wo das gilt.
Insgesamt wird der Arbeitsmarkt der Zukunft wohl auch eher von den kreativen Köpfen und von flexiblen, sich selbst gut organisierenden Selbstlernern geprägt sein, denke ich.
Gerade sowas wie Kreativität wird sicherlich auch eher schwer durch denkende Maschinen ersetzbar sein. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen stark strukturierten Arbeiten, die langfristig gesehen wohl eher von Computern übernommen werden könnten.

"Freies lernen" ist meiner Meinung nach schon das fortschrittlichere Modell, was auch viel besser zum Arbeitsmarkt der Zukunft passt, als unser momentan vorherrschendes "industrielles Lernen".
Zuletzt geändert von sinus am Do 29. Sep 2016, 22:47, insgesamt 3-mal geändert.
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sinus
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von sinus »

alibaba hat geschrieben:
sinus hat geschrieben:
patchanka hat geschrieben: Mein Sohn hat in Kl.8 Praxiswochen. Der hat NULL- Ahnung was er da machen soll. Absolut orientierungslos. Aber Hauptsache er kann die Bestandteile des Mikroskops herbeten. :roll:

VG
Ja, aber genau DAS sind doch die Folgen des "klassischen Lernens" fernab des Alltags innerhalb unseres Schulsystems!
Er hat keine Ahnung, weil er es nicht gelernt hat, sich im Schulalltag sinnvoll Lernend zu beschäftigen. Er kennt nur "Wissensfutter" zum schnellen Verzehr bereitgestellt.
Freies Lernen erfolgt ja eher im Rahmen das praktischen Alltags. Ich glaube, beim freien Lernen wird keiner die Bestandteile des Mikroskops abfragen, sondern es wird damit gearbeitet. Die Bestandteile werden dann eher "nebenbei" erfahren.
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Karen
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Karen »

Hey, ich kann auch nicht bestätigen dass es nur Leistung zählt. Ich bin Ingenieurin, also überhaupt nicht "kreativ", und arbeite an Schnittstelle Entwicklungshilfe/Humanitäre Hilfe und Forschung (also habe Einsicht in Beides). Und ich stelle an und betreue oft Praktikanten, Masterstudenten, Bachelor arbeiten usw. von Studenten von Unis, Fachhochschulen, und manchmal auch Schüler von Gymnasium. Diese Studenten gehen dann oft für 2-6 Monaten ins Ausland (meistens Afrika) und helfen in einem Bauprojekt oder Monitoring Projekt mit. Und für mich und meine Kollegen ist es ein Grund ein Student nicht als Praktikant zu nehmen wenn Noten "zu Gut" sind und der Student zu "brav" ist. Bei uns zählt es Lebenserfahrung, Teamgeist und Kulturelle Sensitivität viel mehr als Leistung und gute Noten (die Noten schaue ich gar nicht oder nur um zu vergewissern dass es auch ein paar schlechtere drunter sind). Zu Viel Leistungsorientiertes Person führt eher zu Problemen. Und wir sind hier meistens Ingenieure, Naturwissenschaftler, Architekten, Maschinenbauer, usw.
Ich habe auch in meinem Heimatsland studiert, aber in der Schweiz mein PhD gemacht. Als ich damit angefangen habe, war ich 3-4 jahre Junger als alle Schweizer die auch ihres Diss angefangen haben. Mit fehlte 2-3 jahren Schulzeit (bei uns war es so dass man mit 16-17 an der Uni kam, in der Schweiz erst mit 19). Und ich konnte mit begrenztem aufwand alle Aufnahmeprüffungen machen, und mir fehlte diese verpasste Schulzeit Zeit nie nie. Also 2-3 Jahren Schulzeit die mir ersparen blieb nur weil ich in einem anderem Land zu Schule gegangen bin. Irgendwie schon verrückt. Ich erlebe es auch bei Studenten die eine "Sprachmatura" gemacht haben aber danach an der Technischen Uni Ingenieurwesen studieren. Sie hatten hälfte soviel Mathe, Physik und Chemie wie die von MINT Matura, aber holen alles innerhalb der ersten halben Jahr nach. Ihres Latein brauchen sie nie wieder. Also, würde grundsätzlich nicht hälfte von Mathe und kein Latein für alle reichen?
Ich finde dass all Kinder mindestens einmal das Wechsel von Selbstbestimmung zu Zwang erleben müssen. Wann findet es statt? In der Schweiz (und Frankreich) mit 4 da Kindergarten als Vorschule gilt mit festen Lernplan und Lernzielen und mit 4 anfängt. In Deutschland mit 6-7 mit der Schule. Für Kinder aus Freischulen wenn sie an der Uni/ins Lehre wechseln. Ist es erstrebenswert dass die Kinder so früh wie möglich oder so spät wie möglich dieses Wechseln schaffen? ich finde dass es von Kind zu Kind sehr unterschiedlich ist. ich habe in meinem Leben Erfahrungen gemacht die ich sehr schätze und von denen ich sehr viel gelernt habe; die gleiche Erfahrungen haben andere Menschen gebrochen. Ich finde es grundsätzlich gut wenn Leute wie Momo und ihre Tochter Mut haben zu sagen: ich gehe ein anderes weg, egal wohin es mich führt. Da sie dahinter stehen, werden sie auch nur davon profitieren. Es ist eine Einstellungssache. Ich glaube schon jetzt dass Momo würde sich fragen was sie bei ihren Tochter falsch gemacht hat, falls ihre Tochter in 15 Jahren Wirtschaft studieren würde und dann zu grossen Rohstoffunternehmen arbeiten geht um 50,000 euro pro Monat zu verdienen :-) Andere Empfinden das als Erfolg... Diese Andere würden auch an so ein Freischule nur dass sehen was nicht gelernt wird. Wenn man aber in so einem Umfeld ist die meinsten zu den "Anderen" gehören, dann empfindet man es vielleicht auch als Erfolg...
Mir persönlich würde nur etwas an so einer Freischule fehlen: ich bin gerne in Systemen drin gegen die ich rebellieren und kämpfen kann (und manchmal auch was bewirken). Dann habe ich an einer normaler Schule mehr Möglichkeiten. Und jetzt in meinem Beruf ja auch... :-) Was für meine Tochter gut ist, weiss ich nicht. Wir werden sie aber normal nächstes Jahr ins obligatorische Kiga schicken (wie auch alle andere bei uns, Wohnort bestimmt in welche Kiga die Kinder kommen, ohne Ausnahmen), da alle private Kigas zu teuer sind, nicht in der nähe sind und ich möchte dass meine Tochter Möglichkeit hat mit Kinder aus Quartier zusammen zu Schule/Kiga zu gehen und nachmittags mit deren treffen falls sie es möchte. Wenn es zu Schwierigkeiten kommt, werden wir weiter schauen müssen, und sparen jetzt schon Geld um später mal Möglichkeit zu haben zu wechseln falls es zu Problemen kommt.
Momo
Dauergast
Beiträge: 976
Registriert: Mo 13. Jan 2014, 22:49

Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Wow, hier ist ja was los- ich bin gespannt nachher alles zu lesen :) Jetzt nur ganz kurz aktuell von heute:

Tochter beim Abholen von der Schule: " Nein, Mama, ich will nicht gehen, ich will hier bleiben!"
Tochter auf dem Nachhauseweg: " Mama, wie lange dauert es noch, bis endlich wieder Schule ist?"

Und das bei meinem Kind, die so ungern in den Kindergarten gegangen ist, obwohl dieser aus meiner Sicht auch toll war. Das hätte ich nie für möglich gehalten! Ich freue mich sehr!

Momo
"Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht." Mark Aurel (121-180)
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