Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
sinus
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von sinus »

@Momo: Ja, die erwähnten beiden älteren Jungs meiner Freundin haben wohl auch immer gefragt, wann endlich die Ferien vorbei sind und sie wieder zur Schule gehen können...
Ihr dritter Sohn wie gesagt erlebt seine freie Schule leider nicht als so schön und will da am Liebsten nicht hin.
Bei meiner Tochter (Regelschule) ist es mal so, mal so. Nach den Sommerferien hat sie sich sehr gefreut, wieder zur Schule zu gehen, es gibt aber auch immer Tage, an denen sie nicht hin mag.
Die Blätter sind bunt
nun bellt der Hund
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Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Sehr spannend, was Ihr geschrieben habt, danke für diese Diskussion!!!

Alibaba hat geschrieben:
Bereits in der Grundschule wird hier Druck vermittelt, spätestens ab Kl.3. Und dieses System zieht sich durch, wird mit jedem Jahr mehr. Lerne das, das auch noch und das. Spaß oder Freude ist das schon lange nicht mehr.
Ich würde meine Kinder viel später erst an die Leistungsgesellschaft anpassen, aber diese Leistungsgesellschaft umgibt uns, hüllt und ein, darin leben wir und es gibt nur zwei Möglichkeiten, mitmachen oder ausscheren mit allen Konsequenzen, mit positiven aber auch negativen. Wir machen mit, da es hier keine uni gibt die eben viel Wert auf gutes Witze erzählen legt oder soziale Kompetenz. die wollen Noten, am besten die Besten. Und auch die Arbeitgeber schauen zuerst auf die Note, zuletzt auf Teamgeist oder Verantwortung. Keiner bescheinigt mir ja, in Latein war Kind jetzt nicht so gut, aber im helfen war er spitze.
Im Grunde habt ihr schon Recht, aber das will hier keiner wissen und es verlangt auch keiner. Nur Leistung zählt.
Liebe Alibaba, ich denke, heute zählt gerade nicht mehr allein die Leistung! Das Schulsystem stammt aus dem Zeitalter, als angepasste Befehlsempfänger benötigt worden sind, Menschen, die nicht widersprechen, die nicht selber denken, die funktionieren. Das ist heute anders! Ich erlebe es tagtäglich, dass Firmen auf der Suche sind nach jungen Menschen mit Engagement, die nicht mit den Händen in den Hosentaschen dastehen, sondern die mutig zupacken, eine eigene Meinung und Profil haben. Menschen mit innovativen Ideen und Power! Wer braucht heute bis oben mit Wissen vollgestopfte aber abgestumpfte und unmotivierte junge Menschen? Und in Zukunft wird die Persönlichkeit der einzelnen Menschen noch mehr in den Vordergrund drängen, viele Menschen werden selbstständig arbeiten, kreativ und motiviert. Gute Noten? Wofür? ist das Wissen noch abrufbar? Wie lange bei dem Bulimielernen? Was nützt mir ein kluger aber hohler Kopf mit leeren Augen???

Dazu fällt mir ein- im letzten Jahr habe ich an einer absoluten Eliteschule die Abiturienten fotografiert. Diese jungen Menschen hätten strotzen müssen vor Lebensfreude, Power und Energie. Mir stand aber ein absolut unmotivierter Haufen gegenüber, keiner hatte die Motivation gehabt, ein Abschlussfest zu organisieren, keiner wollte etwas sagen, nur leere Gesichter. Ich fand es äußerst bemerkenswert!!! Wer möchte diese Menschen einstellen? Ich würde eindeutig einen jungen Menschen vorziehen, der sich Gedanken macht, der etwas bewegt, der nicht perfekte Zeugnisse hat, doch viel Elan, neue Ideen und ein gutes Sozialverhalten. Ich bin auch selbstständig und ich suche mir meine Praktikanten genau nach diesen Gesichtspunkten aus. Ich glaube, damit bin ich nicht alleine :)

Karen hat geschrieben:
Hey, ich kann auch nicht bestätigen dass es nur Leistung zählt. Ich bin Ingenieurin, also überhaupt nicht "kreativ", und arbeite an Schnittstelle Entwicklungshilfe/Humanitäre Hilfe und Forschung (also habe Einsicht in Beides). Und ich stelle an und betreue oft Praktikanten, Masterstudenten, Bachelor arbeiten usw. von Studenten von Unis, Fachhochschulen, und manchmal auch Schüler von Gymnasium. Diese Studenten gehen dann oft für 2-6 Monaten ins Ausland (meistens Afrika) und helfen in einem Bauprojekt oder Monitoring Projekt mit. Und für mich und meine Kollegen ist es ein Grund ein Student nicht als Praktikant zu nehmen wenn Noten "zu Gut" sind und der Student zu "brav" ist. Bei uns zählt es Lebenserfahrung, Teamgeist und Kulturelle Sensitivität viel mehr als Leistung und gute Noten (die Noten schaue ich gar nicht oder nur um zu vergewissern dass es auch ein paar schlechtere drunter sind). Zu Viel Leistungsorientiertes Person führt eher zu Problemen. Und wir sind hier meistens Ingenieure, Naturwissenschaftler, Architekten, Maschinenbauer, usw.
Karen, vielen Dank für Deinen Beitrag als Ingenieurin, sehr spannend und es entspricht genau dem, was ich hier auch erlebe!

Rabaukenmama hat geschrieben:
Ich kenne die Extreme der anderen, scheinbar "sicheren" Seite. Mein Freundeskreis besteht großteils aus älteren Frauen mit längst erwachsenen Kindern. Fast alle dieser Kinder sollten - laut Plan der Eltern - in der Regelschule einen ordentlichen Schulabschluss (mindestens Matura) schaffen und einen guten Arbeitsplatz bekommen. Tatsächlich haben ETLICHE im Alter von 14-17 Jahren die Schule abgebrochen oder sind nach einmaligem "durchfallen" bei der Matura einfach nicht mehr angetreten. Diese Jugendlichen waren einfach nicht mehr bereit, sich fremdbestimmen zu lassen, und obwohl ihnen bewußt war, dass sie sich eigene Chancen damit verbauen waren sie nicht mehr zum weiter-lernen zu bewegen. Das ist ein Risiko, dessen sich viele Eltern von Regelschulkindern mit Druck und allem drum und dran nicht bewußt sind.
Genau, die jungen Menschen wollen nicht fremdbestimmt werden, viele wehren sich, werden auffällig, ziehen sich zurück oder werden krank. Doch dafür gibt es ja Medikamente :twisted: Und sie haben kaum eine Chance, sie müssen "da durch", teilweise 13 Jahre lang und verlieren teilweise sehr viel, was sie kaum mehr zurückgewinnen können. Ich rede nicht von allen jungen Menschen, bestimmt gibt es auch glückliche Kinder in Regelschulen, die sich wohl fühlen, die dort gut klar kommen und sich auch entfalten können. Doch alarmierend vielen Kindern geht es nicht gut und das gibt mir zu denken, da kann ich nicht wegsehen und diese Situationder Kinder geht mir ans Herz.

Alibaba hat geschrieben:
Ja, man kann alles lernen. Nur muss man das wollen und auch, den Lebensumständen geschuldet, können. Wenn man das so wollte, warum gibt es dann nicht nur eine Schulform und jeder sucht sich nach Kl.10 da aus, was er will.
Genau das ist die Frage und die Antwort ist- Weil die Schule dann nicht nur reformiert werden sondern komplett von unten neu aufgebaut werden muss. Hier liegt das Problem! Im Grunde erkennen wir alle, dass das Schulsystem nicht mehr zeitgemäß ist, doch um es wirklich grundlegend zu ändern bedarf es nicht nur kleiner Reformen, die die oberflächlichen Risse kittet. Das Schulsystem muss sich grundlegend ändern!!!

Alibaba hat geschrieben:
Klugheit alleine reicht nicht aus um zu wissen oder zu erkennen wohin mein Weg geht.

Mein Sohn würde wohl Nerd werden. Er hat doch alles. Ein tolles zuhause, Eltern die ihn umsorgen, Mamafahrdienst, ein Handy, ein Tablet und einen Kühlschrank aus dem man sich bedient. Da scheine die Rohstoffe drin zu wachsen. :lol: Ihm fehlt der weite Überblick über das was "Leben" wirklich ist. Er kann ihn auch noch nicht haben, denn die Synapsen dafür, sind noch nicht angelegt. Die kommen erst später im Alter. Erst zur Beendigung der Adoleszenz und das ist bei Buben ja bekanntlich nicht vor dem 18.LJ zu erwarten.

Was mache ich nun dazwischen? Nichts? Dinge die nur ich mag oder will? Ich habe hier kein gutes Gefühl darauf zu vertrauen das begabte Kinder ihren Weg finden werden. Mit dem IQ hat das nämlich nichts zu tun - die Wegfindung. :(

Mein Sohn hat in Kl.8 Praxiswochen. Der hat NULL- Ahnung was er da machen soll. Absolut orientierungslos. Aber Hauptsache er kann die Bestandteile des Mikroskops herbeten. :roll:
Sinus hat geschrieben:
a, aber genau DAS sind doch die Folgen des "klassischen Lernens" fernab des Alltags innerhalb unseres Schulsystems!
Er hat keine Ahnung, weil er es nicht gelernt hat, sich im Schulalltag sinnvoll Lernend zu beschäftigen. Er kennt nur "Wissensfutter" zum schnellen Verzehr bereitgestellt.
Freies Lernen erfolgt ja eher im Rahmen das praktischen Alltags. Ich glaube, beim freien Lernen wird keiner die Bestandteile des Mikroskops abfragen, sondern es wird damit gearbeitet. Die Bestandteile werden dann eher "nebenbei" erfahren.
Sinus erwähnte es schon und ich sehe es exakt genauso!! Dein Sohn hat nicht gelernt, eigenmotiviert zu lernen. Er lernt, was im vorgeschrieben wird. Das ist wirklich schade, denn ihm ist seine Kreativität, seine Eigenmotivation abhanden gekommen, die er sicherlich als kleines Kind noch hatte. Das ist doch genau der Punkt, den ich meine! Jedes Kind kommt unglaublich motiviert auf diese Welt. Erarbeitet sich komplett selbstständig diverse Fertigkeiten wie Laufen, Sprechen etc. etc. Oder machen wir Lauftraining mit den Kindern? Büffeln wir mit Einjährigen Grammatik? Wie lernen Kinder diese Fertigkeiten dann und zwar mit Freude und fast nebenbei? Indem sie es einfach selbstmotiviert tun! Erinnert Ihr Euch an die Freude in ihren Augen, wenn sie selbstständig etwas geschafft haben? Das ist Lernen!! Nichts anderes!!! Alles andere wird wieder vergessen, wird gestopft, um abgefragt und danach wieder ausgespuckt zu werden. Kinder wollen genießen, nicht gestopft werden. Doch stopfen und genießen schließt einander aus!!!! Schaut hin, denkt nach, hört auf Euer Gefühl! Im Grunde fühlen wir Eltern doch alle, wenn unsere Kinder unglücklich sind. Warum zwingen wir sie zu etwas, was völliger Quatsch ist? Und von dem wir WISSEN, dass es ineffektiv ist??? Diese Fragen müssen wir uns wirklich stellen, dieser Verantwortung dürfen wir uns nicht entziehen, denn die Kinder können nicht entscheiden- sie MÜSSEN (zumindest in Deutschland) zur Schule gehen! Wir Erwachsenen können zumindest die Schulform wählen oder uns stark machen für die Kinder, dass sich etwas ändert!! Wir brauchen alle den Mut, genau hinzusehen und zu handeln und wenn es im Kleinen ist!! Ach ja, natürlich finden nicht nur Kinder mit hohem IQ ihren eigenen Weg- alle Kinder finden ihn, wenn wir es ihnen zutrauen und sie darin unterstützen!!!

Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Nun möchte ich Euch aber auch noch eine heutige Begebenheit zum Schmunzeln schreiben ;)

Ich hatte die Möglichkeit, eine Zeit im Schulgarten zu verweilen, bevor ich meine Tochter von der Schule abgeholt habe. Ich saß also in der Sonne und konnte folgende Szene beobachten:

Meine kleine Tochter flitzte mit einigen großen und kleinen Mädels, alles neue liebe Freundinnen, durch den Garten. Schreiend rannten einige Jungs hinterher, mit Stöcken "bewaffnet"- scheinbar machte es ihnen riesigen Spaß, die Mädels zu ärgern. Ein klassisches Bild, kennen wir alle, oder :lol:? Meiner Tochter machten die großen Jungs etwas Angst, sie kam einige Male zu mir gelaufen und fragte sich, was passieren würde, wenn sie den Jungs ganz alleine begegnen würde. Doch dann sah ich plötzlich ein freches Leuchten in ihren Augen. Schnell rannte sie zu den Mädchen zurück, stellte sich etwas erhöht auf einen Baumstamm und erklärte so laut, dass selbst ich es hören konnte: "Ich habe eine Idee! Wir spielen jetzt "Kussmaschine!! Wir jagen die einfach die Jungs und küssen sie!!" Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie verblüfft die Burschen ihre dicken Stöcke fallen ließen und schreiend und lachend vor den Mädchen davonliefen. Danach waren die Jungs dran. Sie hatten tatsächlich einen Weg gefunden, fröhlich miteinander zu spielen!!

Ich lächelte in mich hinein und hatte nur einen Satz im Kopf" " Make love not war", heute ganz natürlich in einer Freien Schule erlebt :lol: :lol: :lol:
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von sinus »

Momo hat geschrieben: Meine kleine Tochter flitzte mit einigen großen und kleinen Mädels, alles neue liebe Freundinnen, durch den Garten. Schreiend rannten einige Jungs hinterher, mit Stöcken "bewaffnet"- scheinbar machte es ihnen riesigen Spaß, die Mädels zu ärgern. Ein klassisches Bild, kennen wir alle, oder :lol:? Meiner Tochter machten die großen Jungs etwas Angst, sie kam einige Male zu mir gelaufen und fragte sich, was passieren würde, wenn sie den Jungs ganz alleine begegnen würde. Doch dann sah ich plötzlich ein freches Leuchten in ihren Augen. Schnell rannte sie zu den Mädchen zurück, stellte sich etwas erhöht auf einen Baumstamm und erklärte so laut, dass selbst ich es hören konnte: "Ich habe eine Idee! Wir spielen jetzt "Kussmaschine!! Wir jagen die einfach die Jungs und küssen sie!!" Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie verblüfft die Burschen ihre dicken Stöcke fallen ließen und schreiend und lachend vor den Mädchen davonliefen. Danach waren die Jungs dran. Sie hatten tatsächlich einen Weg gefunden, fröhlich miteinander zu spielen!!

Ich lächelte in mich hinein und hatte nur einen Satz im Kopf" " Make love not war", heute ganz natürlich in einer Freien Schule erlebt :lol: :lol: :lol:
:lol:
... dann scheint ja nicht nur "Jungs jagen Mädchen" ein altbekanntes und in der Altersklasse überall gespieltes Spiel zu sein, sondern auch die Gegenwehr der Mädels gehört zum "klassischen Spiel". Die Mädchen hier in Kiga und Hort machen das hier nämlich haargenauso. ;)
(Ich sehe das allerdings nicht als "make love not war" sondern eher als Waffe der Wahl, um die Jungens effektiv in die Flucht zu schlagen)
Meine Tochter agiert übrigens mit ihrem aktuellen bewusst gewählten jungenhaften Aussehen auf beiden Seiten mal mit - ganz wie es ihr gerade beliebt.
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Ach, das ist spannend- ich sage nur- mit den Waffen der Frauen :lol: :lol: :lol: Übrigens hat auch meine Tochter seit einiger Zeit einen frechen Kurzhaarschnitt, denn sie wollte nen coolen Haarschnitt zur Einschulung und hat sich selbst ihre Haarpracht abgeschnitten. Da blieb uns nur ein Spontanbesuch bei meinem Lieblingsfriseur und nun hat das Kind nen frechen Pixischnitt 8-)
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Kind springt um 6:00 Uhr aus dem Bett, zieht sich schnell an und steht gesattelt und gespornt parat und drängelt: "Mama, nun beeil Dich, ich will endlich los zur Schule!!!" Meinen Einwand, wir müssten doch erst um 9:30 Uhr dort sein, lässt sie nicht gelten :schwitz: Verdrehte Welt...

Liebe Grüße von Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Freitag Mittag: Der Papa freut sich, dass die Schule heute etwas früher schließt, da er dann seine Tochter besser dazu bewegen kann, mit nach Hause zu kommen...
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Rabaukenmama
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

alibaba hat geschrieben:
Rabaukenmama hat geschrieben:
Ich verstehe genau was du meinst, bin ab mittlerweile (es war nicht immer so) der Ansicht, dass ein kluges Kind, welches sind in 10 oder mehr Schuljahren frei entfalten durfte, flexibel genug ist, sich binnen sehr kurzer Zeit den Anforderungen eines Bewerbungstestes zu stellen.
Das Problem ist, das man vom Ding was abgefragt wird, schon einmal gehört haben muss und wenn ich das in der Schule nie behandelt habe, nützt mir erst einmal meine Klugheit, neues schnell zu begreifen, nichts. Von nichts kommt nichts und Dinge die nie behandelt wurden kann ich nicht wissen. Bewerbungstests und deren Fragen können unterschiedlicher leider nicht sein.
Ich habe bestimmt mehr als 30 Bewerbungstests gemacht und kann dir versichern: sie sind alle nach einem ähnlichem Schema aufgebaut. Wenn man nicht gerade einen Germanistik-Studienplatz anstrebt wird keinen interessieren ob ein 18jähriger weiß, wer Herder war. Und ich bezweifle stark dass Regelschüler in einer Testsituation Wissen abrufen können, welches vielleicht Jahre zuvor mal am Lehrplan war.

Ich selbst hätte bei der Frage "wer war Herder" auch nicht mehr gewußt als "ein deutscher Dichter" (hätte zumindest für eine muliplee choice-Antwort gereicht - nicht dass ich glauben würde, er sei ein britischer Rockstar oder ein amerikanischer Präsident :mrgreen: ) .

Mein Mann hat seine Lehrstelle aus Großhandelskaufmann im technischen Verkauf bekommen, weil er imstande war, mit einem Maßband eine Tür korrekt auszumessen.
alibaba hat geschrieben:
Rabaukenmama hat geschrieben: Bei uns in der Firma gibt es etliche Lehrlinge, die höhrere Schulen abgebrochen und dann eben die Lehre begonnen haben. Und das nicht immer wegen schlechter Noten. Einer davon ist nach 4 Jahren HTL mit einem Notendurchschnitt von 1,3 absolut nicht mehr bereit gewesen, einen Fuß in die Schule zu setzten. Dieser sehr kluge und vielseitig interessierte junge Mann ist für mich bezeichnend dafür dass alles gute zureden und alle Apelle "an die Zukunft" zu denken nicht mehr funktionieren wenn der Frust zu groß geworden ist. Und ich erlebe täglich im echten Leben dass Offentheit, Engagement und Motivation in der Berufswelt viel gefragter sind als Lauter-Einser-Zeugnisse von jungen Menschen, die nicht gelernt haben, selbstständig zu denken.
Natürlich, wunderbar wenn es Firmen gibt, die das tun. Ich kenne keine! Uns umgibt Leistung und wenn mein Mann Mitarbeiter einstellt, dann zählen die Zeugnisse. Ich stimme Dir zu, das Engagement viel mehr Wert sind, nur das sieht man eben erst einmal nicht, wenn man die Entscheidung treffen muss. Und einen Arbeitgeber zu finden, der da anders denkt, das ist eben wahnsinnig schwer.

Kapier ich jetzt nicht ganz: Du findest es wunderbar, dass es Firmen gibt, die NICHT auf Grund von Zeugnissen Leute einstellen, findest es aber voll ok, wenn genau DAS für deinen Mann das Einstellungskriterium für neue Mitarbeiter ist :gruebel: ? Für mich widerspricht sich das. Oder gehst du davon aus wenn dein Mann das so handhabt werden es fast alle anderen genauso machen?

In meiner Firma wurden viele Jahre schematisch ähnliche Eignungstests für Lehrstellensuchende verwendet. Leider ist das Niveau der Schulabgänger aber im Laufe der Jahre stark gesunken und es gab mal ein Jahr, wo von ca. 30 Lehrstellenanwärtern gerade mal EINER den Test bestanden hat. Gesucht wurden aber 8 Lehrlinge.

Weißt du, was dann das Auswahlkriterium war? Unser Prokurist hat alle Bewerber, deren Test nicht ganz unter jeder Sau war, nochmal hinbestellt. Und diejenigen, die als sie zu ihm ins Zimmer gerufen wurden, laut und verständlich gegrüßt haben, wurden aufgenommen. Kein Scherz!

Meine Erfahrung hat mir gezeigt dass spätestens nach 5 Jahren Berufsleben ein Schulzeugnis uninteressant ist. Was zählt sind ARBEITSzeugnisse. Schon als ich Lehrstelle gesucht habe gab es Betriebe, die in die Zeugnismappe nicht mal reingeschaut haben. Ich weiß nur von einer einzigen Firma (unter mindestens 50!), die auf einem "Vorzugszeugnis" bestanden hat. Für die anderen waren Bewerbungstests in Kombi mit persönlichen Gesprächen Einstellungskriterium. Ins Zeugnis wurde manchmal reingeschaut, manchmal auch nicht. Länger als 10 Sekunden hat sich kaum wer damit aufgehalten.

Meine Lehrstelle habe ich nur auf Grund des sehr guten Testergebnisses bekommen. Es gab 50 Bewerber für 3 Lehrstellen. Und etlichem mit 1-er Vorzugszeugnis haben durch die Finger geschaut.

Ich war dann mehrmals arbeitslos: gleich nach meiner Lehre (ich hätte nur Teilzeit bleiben können), nach einem kurzen Zwischenspiel in einer Firma, die bald wieder geschlossen hat, nach einem Umzug, nach Schließung meiner Firma weil der Chef in Pension ging, usw. Da mußte ich mich immer wieder vorstellen und bewerben.

Mit 19 und 22 Jahren hat noch VEREINZELT wer die Schulzeugnisse kurz angeschaut. Mit 30 haben sie absolut niemanden mehr interessiert. Soviel zum Abschlusszeugnis "welches ein ganzes Leben lang wichtig ist", wie ich im letzten Hauptschuljahr ständig gehört habe ;) .
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Zu diesem Thema fällt mir ein, dass bei meinem Vorstellungsgespräch für meinen Traumausbildungsplatz zur Fotografin meine Fotomappe absolut wichtig war (also mein wirkliches Talent und Können) und auch meine Fähigkeit, vor den gesamten Führungskräften des Betriebes (Kunstmuseum) meine Begeisterung und Leidenschaft für diesen Beruf darzustellen. Ich weiß nicht, ob mein Schulzeugnis relevant war, ich glaube nicht. So hatte ich es als junge Schulabgängerin geschafft, mich gegen ca. 100 Bewerber durchzusetzen und einen wunderbaren Ausbildungsplatz bekommen. Hier war ich übrigens so begeistert bei der Sache, dass ich 3 Jahre später als Landessiegerin mit reinem Einserzeugnis die Ausbildung beendete- dieser Erfolg ist einzig und allein meiner ungeheuren Motivation und Begeisterung für die Fotografie und die herzliche Unterstützung meiner Ausbilderin zuzuschreiben :D
Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

... Und letztendlich ist im Berufsleben auch dieses Zeugnis völlig irrelevant. Was dann interessiert, sind wirklich greifbare Fertigkeiten: Fachwissen, Talent, Professionalität, Freundlichkeit, Sozialkompetenz, Einfühlungsvermögen, Organisation, Zielstrebigkeit, Engagement, Kreativität, Offenheit, Eloquenz etc. etc. Das lernt man nicht in der klassischen Schule, doch das sind letztendlich die Faktoren, die einen weiterbringen. Diese Fertigkeiten könnten Kinder dann in der Schule lernen, wenn sie Zeit hätten, sich wirklich mit ihren Mitschülern und im Dialog auseinander zu setzen (nicht nur in den kurzen Pausenzeiten), wenn Kinder eigenverantwortlich Dinge tun und lernen dürfen, die sie wirklich interessieren und wenn sie von ihren Lehrern wertgeschätzt und engagiert begleitet werden würden etc.
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