Mit Druck ist es wie mit Limits. Es gibt Menschen (sowohl Kinder als auch Erwachsene) die ohne besser zurechtkommen und solche, die gerade das "brauchen". Das hat nichts mit der Erziehung zu tun sondern mit der Wesensart. Dass man sowohl Druck als auch Limits erst mal als belastend empfindet ist eine klare Sache. Steht ja entweder ein "du mußt" oder ein "du darfst nicht" darunter.
Ich sehe das nicht nur bei meinen Kindern sondern auch bei meinem Mann. Er ist ein sehr liebevoller und verantwortungsbewußter Vater, BRAUCHT aber manchmal Druck von mir um sich z.B. aufzuraffen, was mit den Kindern zu unternehmen. Bis es soweit ist und sie tatsächlich zur Tür raus sind macht er eher den Eindruck als hätte ich ihn zu seiner Hinrichtung geschickt, als explizit gebeten, mal mit den beiden für 2 Stunden auf den Spielplatz zu gehen. Und wenn die drei dann 4 Stunden später bestens gelaunt heimkommen bedankt sich mein Mann bei mir für den Druck, weil er es ohne nicht geschafft hätte sich zu überwinden und weil er erst in der Situation gemerkt hat, wie gut ihm das tut
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Wenn mein Sohn mal im Hort nicht mit der Hausübung fertig geworden ist dann vereinbaren wir, wann er sie machen will - ich lasse ihm da freie Wahl in Sachen Tag und Uhrzeit. Aber das, was dann ausgemacht wurde, gilt. Da mache ich Druck und beharre darauf. Zuerst ist mal maulen und Versuche, die Vereinbarung in letzter Sekunde zu ändern. Dann jammern, dass es so viel ist. Erst wenn ich das mal zur Kenntnis genommen haben (nicht ignoriert) macht er sich sichtlich únwillig an die Arbeit. Und dann "läuft" es plötzlich von selbst. Vielleicht kommt mal eine kurze Frust-Kreisch-Attacke wenn mal was nicht gleich so klappt, wie er es sich vorstellt. Aber es geht trotzdem voran. Und wenn er dann fertig ist hat er meistens sehr gute Laune und ist stolz, es geschafft zu haben.
Ich bin mir ganz sicher dass mein Sohn auch in einer noch "freieren" Schule als er sie jetzt besucht, viel lernen würde. Aber ob er sich durch Dinge, die am Anfang zu schwierig erscheinen, durchbeißen würde, bezweifle ich mal. Ich sehe das z.B. bei Mathe. Da kann er sehr gut im 100er Bereich rechnen, sucht sich aber in der Freiarbeit immer deutlich leichtere Beispiele aus. Kann sein; dass Versagensangst dahinter steckt und er sich bei den leichten Rechnungen sicherer fühlt. Kann sein, dass er irgendwann mal die schwierigeren Rechnungen (die er sehr wohl kann, aber nicht ganz ohne Anstrengung) auch freiwillig machen würde. Aber ich verstehe nicht ganz warum er es nicht jetzt zumindest probieren soll.
Mit Limits ist es dasselbe. Bei uns zu Hause gab es lange Zeit gar keine Limits und auch jetzt sind es nicht viele. Egal ob Süßigkeiten oder Medienkonsum, mein älterer Sohn hat immer in einem für mich vertretbaren Rahmen agiert. Es kam schon mal vor dass er den Großteil eines Regen-Sonntages vor dem PC verbracht hat oder eine Mahlzeit mich Schokolade ersetzt. Aber dann war der PC 5 Tage komplett uninteressant und es wurde keine Schokolade mehr verlangt. Mein Sohn hatte viel Spaß mit zeichnen, lesen und basteln und wurde von normalem Essen und hie und da mal ein bißchen naschen satt.
Bei meinem jüngeren Sohn ist das anders. Wären da keine klaren Regeln und keine Limits würde er den ganze Tag vor dem Tablett oder dem PC hängen. Wenn es nach ihm ginge würde das Ding schon um 6h 15 morgens eingeschaltet und dann nie wieder aus. Mit Essen ist es ähnlich. Dürfte er da ständig aussuchen gäbe es nur Kuchen, Kekse, Gummibärli und Pudding.
Ich glaube nicht dass sich die Unterschiede in der Wesensart meiner Kinder (auch im Umgang mit besagten Situationen) durch die Art der Erziehung erklären lassen. Und ich bin nun mal 2-Kind-Mama und kann schlecht zum einen Kind sagen "Du darfst den ganzen Abend Tablett spielen" und zum anderen "Bei Dir wird in spätestens einer Stunde abgedreht!". Oder zum einen "Du kannst Dich bei den Naschsachen frei bedienen!" und zum anderen "Bei Dir ist heute Schluß mit naschen!" Daher mußte ich aus der Situation heraus sehr wohl Regeln und Limits einführen, die für alle gelten, und diese auch entsprechend kommunizieren. Wäre mein älterer Sohn ein Einzelkind geblieben hätte ich vermutlich weiterhin gedacht, alle Eltern, deren Kinder Limits brauchen, hätten was falsch gemacht
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Genau so sehe ich das auch mit der freien Schule. Sie ist nicht besser oder schlechter als Regelschule, sondern einfach eine andere Herangehensweise mit demselben Ziel - unsere Kinder zu selbstständigen, eigenverantwortlichen, selbstbewußten, glücklichen Menschen mit guter Bildung zu machen. Und ich bin der fixen Überzeugung dass es keinen für alle passenden Weg dazu gibt!
Wichtig ist, dass Schule und Kind "zusammenpassen" und am allerwichtigsten ist, welche Lehrpersonen man erwischt. Wie wird damit umgegangen, wenn ein Kind nicht wunschgemäß funktioniert? Wie wird kommuniziert? Völlig egal, was außen draufsteht, es ist ganz wichtig wie die Realität dann aussieht. Und da ist es mMn wichtig, als Eltern einerseits nicht die Augen zu verschließen und für das Kind einzustehen, aber andererseits nicht jedes kleine Problem vom Kind zum eigenen zu machen.
Ich denke es ist leicht, ein System zu loben, das offensichtlich beim eigenen Kind gut funktioniert. Für mich wäre es leicht, staunend dazustehen wenn andere Eltern von Anpassungsschwierigkeiten und Abschiedsschmerz im Kindergarten berichten, weil ich das nie kannte - ohne groß was besonders "richtig" gemacht zu haben. Wir hatten einfach nur Glück, dass die Kindergärten, für die wir uns entschieden haben, mit dem Wesen unserer Kinder gut zusammengepaßt haben. Wenn was nicht so gut passt muß man ohnehin individuell IN DER SITUATION entscheiden, wie es weitergehen soll.