Moonchild hat geschrieben:Hallo,
danke für das schnelle Feedback! Ich merke, dass ich manche Angaben doch präzisieren muss, und es tut mir leid, dass zum Teil vielleicht ein zu extremer Eindruck entstanden ist, was die Asperger-Komponente angeht. Das ist der Vereinfachung geschuldet - wenn ich hier alle Facetten des Verhaltens meiner Tochter schildere, sitze ich morgen noch hier. Ich versuche, nochmal die sozialen Probleme genauer zu beschreiben:
Meine Tochter läuft nicht stumm durch den Kindergarten und ignoriert die Kinder. Sie sagt Hallo, fragt auch mal ein Kind nach dem Namen und schreibt manchen Kindern zu deren Bildern den von ihnen gewünschten Text. Sie hat sich letztens sogar gefreut, als sie ein Kind aus ihrem Kindergarten auf dem Spielplatz antraf und hat ein Gespräch versucht. Es gibt also ein wenig Interaktion und Kommunikation.
Zumindest ICH kennen nur einen einzigen Asperger Autisten, der stumm herumläuft, und die Kinder ignoriert. Das ist mein jüngerer Sohn und das stumm-herumlaufen ist seiner Gehörlosigkeit geschuldet. Ansonsten habe ich mittlerweile etliche Asperger Autisten kennengelernt, davon durchaus auch einige mit fixen Freunden. Ich weiß nicht, welches Bild du von Autismus hast, aber gerade bei Asperger ist es längst nicht so extrem und auffällig, wie du vielleicht vermutest. Die Störung liegt nicht im Verhalten (des Kindes) sondern im denken und verstehen. Das ist oft schwer festzustellen, vor allem bei Kindern, die beim logisch-analytischen Denken sehr klug sind.
Moonchild hat geschrieben:
Die Asperger-Thematik kam auf, weil sie es nicht gut aushält, wenn sich z.B. in Räumen etwas verändert (Regal wird umgestellt etc). Damit hat sie zuerst Probleme, wenn man das Ganze als Spiel "verkauft" oder eine lustige Komponente darin entdeckt, ist es für sie schnell ok. Sie ist wie gesagt geräuschempfindlich, hält enge Kleidung auf der Haut nicht aus und hat motorische und taktile Schwächen. Ich war bereits im Autismusberatungszentrum und habe mit der Beraterin einen langen Fragebogen durchgearbeitet, dessen Ergebnis zwar Asperger-Züge, aber keine eindeutige Autismus-Spektrum-Störung auswies. Ich weiß, dass das alleine nicht ausreicht, um Asperger auszuschließen, aber ich bin auch nicht überzeugt von den Verfahren der Autismus-Diagnostik. Diese erscheinen mir auch nicht eindeutig bzw. unstrittig, daher habe ich mich zunächst gegen eine Diagnostik entschieden. Die Erzieherin meiner Tochter teilt diese Einstellung. Es ist auch nicht so, dass ich mich hier querstelle, weil ich etwas nicht wahrhaben will. Ich käme damit klar, wenn sie Asperger hätte und würde/werde auch eine Diagnostik in die Wege leiten, sobald ich sehe, dass es massiv wird.
Bei der Asperger Diagnostik gibt es einen klaren cut-off, also einen Punkt, ab wann man von "ASS" (Autistmus-Spektrums-Störung) spricht, und bis wann es "nur" autistische Züge sind. Da können durchaus Fragebogen und tatsächlich gezeigtes Verhalten unterschiedliche Ergebnisse bringen, also kann ein Kind, welches laut Fragebogen klar "im Spektrum" ist, verhaltensmäßig durchaus im Normbereich sein - oder umgekehrt. Bei der Diagnostik wird beides berücksichtigt.
Leider haben die meisten Menschen ein ziemlich klar umrissenes Klischee-Bild eines "Autisten" im Kopf, dem aber mindestens 95% der Betroffenen nicht entsprechen. Tatsächlich wird viel zu selten gefragt, was ein Kind BRAUCHT, sondern viel mehr, wie sehr es AUFFÄLLT. Solange es nicht allzu sehr auffällt, glauben viele, ist alles OK. Bei meinem älteren Sohn ist es so, dass er autismusbedingt GANZ NORMALE soziale Situationen sehr oft mißversteht. Er glaubt z.B., das andere Kind im Hort würde ihn "provozieren", weil es ihm gesagt hat, dass es zum Mittagessen Spaghetti gibt. Denn "Warum sagt mir der xxx das? Es steht doch eh auf dem Speiseplan?" - dass das andere Kind einfach Konversation machen will, dass es sich auf die Spaghetti freut, und diese Freude teilen will, dass es einen Gesprächseinstieg sucht - all das versteht mein Sohn nicht (obwohl er sich selbst oft gar nicht anders verhält).
Um beim auffälligen Verhalten zu bleiben. Wenn mein Sohn die Aussage "Heute gibt es Spaghetti" missversteht, ist seine Reaktion, das andere Kind anzuknurren "Lass mich in Ruhe!". Das ist zwar keine nette oder angemessene Reaktion, aber auch nicht extrem auffällig. Hat halt (leider) die Nebenwirkung, dass andere Kinder meinem Sohn häufiger aus dem Weg gehen, weil er so unfreundlich ist. Auffällig wäre es, würde er das andere Kind wegen seiner Aussage schlagen oder wüst beschimpfen. Unauffällig wäre wiederum, wenn ein Kind so eine Aussage zwar als persönlichen Angriff nimmt, aber gar nicht reagiert. Das, was sich IM KIND abspielt ist immer dasselbe. Aber der Außenstehende sieht nur die tatsächlich gezeigte Reaktion. Im Fall meines Sohnes glaubt man, das Kind sei unfreundlich, im Fall des schlagenden Kindes hält man es für grundlos aggressiv, im Fall des nicht-reagierenden Kindes für desinteressiert. Und immer steckt dieselbe Störung dahinter. Oft weiß man als Eltern (oder Erzieher) nicht mal, was im Kopf des Kindes wirklich vor sich geht.
Das schlagende Kind wird viel eher eine Diagnose und eventuell auch Hilfe (Autismus-Therapie, Sozialverhalten-Gruppe, ev. auch Medikamente) bekommen als Kinder mit derselben Störung, die weniger auffälliges Verhalten zeigen. Dabei BRAUCHT jedes dieser Kinder Hilfe! Was nichts darüber sagt, wie man (als Eltern) mit der Diagnose umgeht. Man ist nicht verpflichtet, mit wem-auch-immer darüber zu sprechen. Aber manchmal kann es durchaus hilfreich sein.
Moonchild hat geschrieben:
Ich gehe momentan davon aus, dass meine Tochter den Schulalltag im Grunde - auch ohne Schulbegleiter - meistern kann, was die Abläufe angeht; und nach einer gewissen Vorinformation der zuständigen Lehrer - da bin ich halt etwas unsicher, wie schnell man wie die überbesorgte Mutter oder die ehrgeizige "Eislaufmutti" rüberkommt. Wie habt ihr das gemacht? Habt ihr euer Kind bei der Schule vorab vorgestellt?
Es ist eine wirklich sehr kleine, ländliche Schule (für die wir die Einschulung beantragt haben), Klassenstärke 15 Kinder. Dennoch sehe ich Schwierigkeiten auf uns zukommen, was den Unterricht angeht, weil ich nicht sehe, wo sie reinpasst.
Du kannst die Schule einfach mal auf euch zukommen lassen. Ein "mißfit", also wenn es für deine Tochter nicht passen sollte (egal, wie angepasst sie sich vielleicht tatsächlich verhält) bemerkst du ohnehin sehr schnell. Dann kannst du immer noch entscheiden, wie offen du mit den Eigenheiten deiner Tochter umgehst. Was die Angst, als "Eislaufmutti" dazustehen betrifft, wirst du vielleicht die Entscheidung treffen müssen, was Dir wichtiger ist: dein Ego oder dein Kind.
Das mag jetzt hart klingen
, aber es läuft bei so Störungen, die man nicht gleich sieht, leider oft darauf hinaus. Das ist im Prinzip genauso, wie wenn man ein Kind hat, welches Gleichaltrigen in vielen Bereichen weit voraus ist: einige stehen dem offen und wohlwollend gegenüber, einigen ist es egal, und dann gibt es immer ein paar Mitmenschen, die glauben, man würde den ganzen Tag zu Hause mit dem Kind irgendwas "üben"
. Ich gehe mit dem Asperger Syndrom meines Jungs offen um, zumindest im Umgang mit Menschen, die häufiger mit ihm zu tun haben (Lehrer, Hortbetreuer, Kursleiter beim Programmierkurs oder Schikurs,...) Beim jüngeren Sohn wird mir meistens auf Anhieb geglaubt, weil der einfach mehr dem Klischee entspricht. Beim älteren Sohn gibt es durchaus Personen, die der fixen Überzeugung sind, er sei ohnehin "ganz normal" und die Mama steigert sich da in was rein. Ok, damit habe ich leben gelernt, ich muss nicht die ganze Welt aufklären. Und gerade dort, wo ich mich (früher, als mir das noch wichtiger war) sehr bemüht habe, die Leute für die Eigenheiten meines Sohnes zu sensibilisieren, wurde mir am wenigsten geglaubt. Die Energie spare ich mir heute lieber und stecke sie in meine Kinder
.
Moonchild hat geschrieben:
Vielleicht liege ich mit meinem Bauchgefühl auch völlig falsch, und sie benötigt einen Schulbegleiter, eine andere Schule oder eine andere Klasse. Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich sie doch auf Hochbegabung testen lassen - aber ändert das etwas? Die Schulen sind doch so oder so kaum darauf eingestellt, da hilft auch kein Test, oder?
Wie lief das denn bei euch ab vor der Einschulung? Habt ihr bei der Schuluntersuchung erwähnt, dass eure Kinder "mehr" können? Habt ihr gefragt, welche Möglichkeiten es für euer Kind an der Schule gibt?
Was die Schule betrifft steht und fällt alles mit der Lehrperson. Egal, ob mit einem Zettel in der Hand winkst, wo fett HOCHBEGABT draufsteht, oder nicht, egal, ob auf der Schule "Montessori" oder "stätisch" draufsteht, egal was im Konzept auf der Schul-Homepage steht. Wenn die Lehrperson differenzieren kann wird es deiner Tochter deutlich besser gehen, als wenn sie stur ein "Programm" abspult.
Nicht die SCHULE bietet spezielle Möglichkeiten für kluge Kinder, es sind die Lehrer, die diese anbieten können - oder auch nicht! Manche haben Extra-Aufgaben für besonders kluge, flotte Kinder. Nur werden diese dann oft gar nicht mehr angeschaut, was manchen Kindern schnell die Lust darauf verdirbt. Andere setzen kluge Kinder geschickt ein, um schwächeren Kinder durch sie etwas erklären zu lassen. Wenn man einen Lehrer findet, der für so was ein Händchen hat, entstehen WIN-WIN Situationen für alle Beteiligten.
Dein Kind kann in einer Klasse todunglücklich sein und in der Parallelklasse derselben Schule aufblühen, einfach weil dort ein Lehrer ist, der bereit ist, sich auf die Besonderheiten jedes Kindes einzulassen.
Beim Einschulungstest habe ich überhaupt nichts gesagt. Dass mein Sohn kognitiv extrem fit ist und schon super lesen, schreiben und rechnen kann, haben die dort selbst in nullkommanix gemerkt.
Moonchild hat geschrieben:
@Koschka und Rabaukenmama
Mir ist bewusst, dass ich Zeit verlieren könnte, wenn ich nicht sofort die Diagnostik angehe. Ich habe das bedacht und mich daher schon letztes Jahr mit der Thematik auseinandergesetzt, bin aber wie oben schon gesagt, nach vielen Gesprächen mit Autismus- und Hochbegabungsberatungsstellen zu dem Entschluss gekommen, es "so" zu versuchen. Mich beschäftigt hauptsächlich, wie Schulen mit Hochbegabung umgehen oder darauf eingehen können. Was darf man erwarten/verlangen, was muss man hinnehmen. Was wäre eurer Meinung nach für meine Tochter in der Schule notwendig und möglich, wenn man "nur" die Lese- und Schreibfähigkeiten und die zu erwartende Unterforderung bedenkt? Jedenfalls danke für eure Einschätzungen!
Liebe Grüße,
Moonchild
Je nach Lehrer muss bei der Lese- und Schreibfähigkeit deiner Tochter gar keine Unterforderung auffällig werden. In der Schule meines Sohnes durfte der vom ersten Tag an lesen, was die Schulbibliothek hergegeben hat, während die anderen Kinder Buchstaben gemalt haben. Nicht die Schulen stellen sich auf Hochbegabung ein, sondern die Lehrer - oder eben nicht! Wenn du ohnehin schon weisst, in welche Klasse deine Tochter kommen wird, würde ich einfach mal Kontakt mit dem zukünftigen Lehrer aufnehmen. Vielleicht gibt es auch eine Möglichkeit, bei ihm/ihr mal zu hospizieren. Vermutlich hat er/sie jetzt eine 4. Klasse und wenn du einfach mal im Unterricht dabei sitzen darfst, und siehst, wie der Unterricht abläuft, kannst du dir schon mehr vorstellen. In Wien gibt es für diese Möglichkeit den "Tag der Wiener Schulen" und verschiedene Tage der offenen Tür. Im ländlichen Bereich wirst du eher mal mit der Direktion reden müssen und fragen, ob die Möglichkeit des hospizierens besteht.
Wegen "was kann man erwarten, was muss man hinnehmen" gibt es keine klaren Vorgaben. Das richtet sich ganz danach, wie es deiner Tochter dann im Unterricht tatsächlich geht. Das lässt sich nicht vorhersehen. Da kannst du dich dann kratzen, wenn es juckt
.