Ich muss leider auch sagen, dass die Schule bei uns das Prinzip der Differenzierung nicht verstanden hat. Das zum einen. Zum anderen haben sie mit Ansagen kapituliert. Gerne gebe ich euch mal ein Bild davon, wie es hier bei uns läuft. Das ergänzt sehr schön das allgemeine Bild, dass die wenigsten Lehrer wissen, wie man das mit dem Differenzieren macht.
Während Corona hat meine Tochter sich gelangweilt. Weil aber alle Aufgaben von Mama keine richtigen Aufgaben sind, nur die von der Schule werden bearbeitet, habe ich dort um differenziertes Material gebeten. Ich bekam nur mehr vom Gleichen. Die Höhe war: Irgendwo auf einer Website 20 runtergeladene 1x1-Blätter. Und die voller Fehler! Wenigstens hat es meiner Tochter Spaß gemacht, diese zu finden.
Dann durfte sie Mathe aus Klasse 3 machen und Deutsch aus 4 als der Präsenzunterricht im Schichtsystem wieder begann. D.h. sie saß mit Kopfhörern in DE un MA und löste ihre Aufgaben. Vor dieser Konzentrationsleistung habe ich bei dieser lauten Klasse echt Respekt. Da sieht man, wie viel ihr der schwerere Stoff gegeben hat.
DE war Literaturanalyse, was sie noch nie gemacht hatte. Grundsätzlich werden viele Aufgaben davon in der Klasse besprochen, z.B. "Durch welche Wort drückt XY Angst aus?" "Wie umschreibt XY dies und das?" Sie musste sich selbst erschließen, was gefordert ist, denn die Lehrerin hatte nur am Ende der Stunde Zeit, ihr was (5 min) zu erklären. Bis dahin sollte sie warten, die anderen hatten also Vorrang. Und alle Aufgaben, die sonst besprochen oder gemeinsam gelöst werden (da ist sind so Symbole für schriftlich und mündlich dran), musste sie schriftlich machen. In 2/2 ist man schriftlich ja noch nicht so weit. Da stellte das eine große Herausforderung da, an der sie zu Beginn fast verzweifelt wäre. Sie hat es aber gut gemacht. Allerdings: Ich musste am Nachmittag alles erklären. Da gehört ja auch Arbeitsstrategien vermitteln dazu. Und weil es so fordernd war, brauchte sie auch Rückmeldung von mir. Von der Lehrerin kam ja keine. Sie hat sich die Aufgaben scheinbar gar nicht angeschaut. Wie demotivierend das für ein Kind ist. Gerade wenn es sich an was schwierigeres traut braucht es diese Rückmeldung. Ich habe sogar der Lehrerin Mails geschrieben, dass meine Tochter z.B. auf dies oder das besonders Wert gelegt hat, z.B. versucht hat, sich Komma-Regeln zu erschließen und jetzt ein guter Punkt wäre, ihr dazu noch was zu erklären, ein Blatt zu geben oder oder. Damit sie einfach mal einen Anpack hat, dem Kind eine Rückmeldung zu geben. Wie armselig ist das denn! Und die Höhe war dann, dass jetzt in Klasse 4 Leseprojektwoche war und was für ein Buch haben sie durchgenommen? Das was sie schon in Klasse 2 gemacht hatte. Dafür kam eine externe Kraft in die Schule und die meinte doch glatt, sie müsse die Aufgaben dann eben nochmal machen bzw. sie glaubte nicht, dass sie das schon bearbeitet hatte. Am Ende haben sie ein darstellendes Spiel draus gemacht. Gott sein Dank.
Und Mathe war das Gleiche. Keine Zeit zum Erklären. Und die Bücher enthalten ja auch keine didaktischen Hinweise, keine Rechenwege, keine Beispielaufgaben, damit ein Kind sich das Thema selbst erschließen kann. Nur weil ein Kind clever ist, heißt es noch lange nicht, dass es sich schriftlich Addieren selbst beibringen kann. Es wendet eben die Strategien an, die es schon kennt. Doch die sind nicht immer richtig. Und schwups, hat sich eine falsche Herangehensweise eingeschlichen, die man nur schwer rausbekommt. Auch in Mathe musste meine Tochter oft bis zum Ende der Stunde waren und war total frustriert.
Dass es so laufen wird, das wusste ich schon. Die Direktorin hat mir von vorne herein gesagt, dass sie keine Zeit für Differenzierung haben werden. Nur in der Homeschooling-Zeit, weil dann könnten sie ja differenzierte Aufgaben raussuchen, zuschicken und (dieser Teile wurde nicht ausgesprochen) das Kind kann die dann von Mama erklärt, begleitet und kontrolliert bekommen. Aber in der Schulzeit müsse man sich auf die Schwächeren konzentriere. Die mit Lernschwäche, die die einfach nicht so gut mitkommen und besonder sie, die noch soziale Probleme haben. Und dann käme das Mittelfeld, das einfach so ganz passabel mitkommt. Aber für meine Tochter sei da keine Zeit. Gern könne auch mal die Förderlehrerin kommen und schauen, wie es bei ihr in Mathe so aussähe. Aber die habe generell zu wenige Stunden. Die müsse sie dann ja erst auf die lernschwachen Kinder aufteilen und wenn dann was übrig sei (wovon aber nicht auszugehen sei) könne sie mal nach ihr schauen. Vielleicht so 1-2 mal im Halbjahr.
Dann wollte man sie mal außerhalb des Stoffes fördern. Während Corona. Da durfte sie ein Plakat zu einem Buch machen. Sie hat sich selbst viel vorgenommen, sich daran die Zähne ausgebissen, tolle Texte geschrieben etc Aber alles was die Kinder zuhause machen, dürfe nicht bewertet werden. Klar, keine Note. Das war mir ja schon klar. Aber noch nicht mal inhaltlich dürfe sie drauf eingehen, also kein "Schöne Sätze formuliert, fehlerfrei geschrieben". Nein, nur pädagogisch würdigen. "Schön, dass du schwarze Pappe und silberne Stifte verwendet hast, das passt zu Zauberern. Ich habe das Buch auch gerne gelesen als ich jünger war."
Als die Unterforderung erkannt war, stand uns nur der Klassensprung als Option zur Wahl. Drehtür ginge wegen Corona nicht.
Differenzierung ginge auch nicht. Maximal in einem Fach, aber nicht in mehreren. Gründe siehe oben. Mathe sei für die Differenzierung ganz schlecht. Auf Mathestoff 4 in Klasse 3 müsse dann ja Mathestoff 5 in Klasse 4 folgen. So sah deren Konzept aus. Und das wäre problematisch/ginge nicht. Hätte ich denen auch nicht zugetraut. Also nur Differenzierung in Deutsch, wobei das blöd ist, wenn die größte Stärke und Leidenschaft des Kindes in Mathe steckt. Und dann käme noch hinzu, dass man das ja nicht garantieren kann, wegen den schwachen Kindern.
Also nur Klassensprung. Da sagte man uns, sie müsse, auch für den Fall, dass sie zurück will, bis zu den Herbstferien bleiben, damit sie zwei Wochen Quarantäne vor dem Wechsel zurück hätte. Achtung: Das stimmt so nicht. Da hatte ich mit dem Bildungsministerium Kontakt. Auch wenn die Hygieneverordnung sagt, die Gruppen sollen nicht durchmischt werden, Förderzüge seien nicht möglich, steht meist ein "möglichst nicht durchmischt werden" da. Und die Formulierung öffnet die Tür. Aus pädagogischen Gründen kann es notwendig sein! Dann ist es erlaubt!
Pullout-Programme sind wegen Corona gestrichen, nur online gibt es Angebote. Die darf sie aber nicht machen, weil sie gesprungen ist.
Jetzt ist sie ja in Klasse 4 gesprungen und es klappt vordergründig gut. Sie kommt mehr als gut mit. In Mathe darf sie, Gott sei Danke, mit zwei anderen Kids die Aufgaben aus dem Forderheft bearbeiten. Aber weil sie gut mitkommt, schenkt die Lehrerin ihr auch wenig Aufmerksamkeit. Sie würde nie sagen, dass sie was nicht kann. Das sind meist Arbeitstechniken, z.B. wie legt man ein Portfolio an. Hat sie nie gemacht in Klasse 2. Die aktuelle Klasse schon. Da fragt die Lehrerin nicht nach. Das frustet und da arbeitet sie sich (mit Ausdauer, manchmal mit Tränen) dran ab. In solchen Fällen schreibe ich nun einfach direkt eine Mail (Achtung, hatte sie noch nie). Die Aufgaben sind immer noch geschlossen und auf das mittlere/untere Niveau angelegt. Es folgt immer noch dem Prinzip Multiple Choice (HSU zum Beispiel), ein Stich = eine Antwort (für meine Tochter heißt das: Nicht mehr und nicht weniger, wer mehr macht ist ein Streber), keine offenen Aufgaben.
Fehlender Stoff aus Klasse 3 (Grammatik, Lernwörter in Deutsch) erhält sie nicht. Das Nacharbeiten obliegt uns, ohne Unterstützung.
Eingehen auf die besonderen kognitiven Eigenschaften begabter Kinder gibt es nicht. Ich weiß nicht, ob die Lehrerin überhaupt weiß, dass diese Kinder nicht einfach nur mehr Stoff brauchen, sondern auch Strategien, wie sie ihr Potential besser nutzen. Das Wissen zu organisieren. Sich selbst zu organisieren. Frustrationstoleranz entwickeln, sich mehr zutrauen. Belohnen, wenn man sich was schweres zutraut, auch wenn es nicht richtig ist. Logisches Denken fördern, sich selbst Wissen aneignen etc. Aber es ist einfach leichter, einfach ein Arbeitsblatt mehr für solche Kinder zu kopieren, statt sie ganzheitlich zu fördern.
Zum Abschluss noch zur Notwendigkeit von Präsenzunterricht vs. Homeschooling: Die Direktorin hat mir mal erklärt, dass sie 30 min darauf verwenden, zu erklären, was auf dem Blatt gemacht werden soll, z.B. ein Matheblatt, bis es alle verstanden haben. Erst dann dürfen die Kinder loslegen. D.h. 30 min Leerlauf für die, die schon wissen was zu tun ist. Dann wird 15 min effektiv gearbeitet. Die schnelleren Kinder machen das Blatt dann in 5 Minuten, bekommen dann noch 2 andere vom gleichen Stoff. Und der Rest nimmt sich Matheblatt Nr 1 als Hausaufgabe mit nach Hause. Wenn man das mal mit Homeschooling vergleicht, dann ist doch klar, wo mehr gelernt wird.