Genau so ist auch bei deiner Beschreibung rübergekommen. Ich würde die fehlende Anstrengungsbereitschaft bei deinem Sohn in erster Linie der Angst vor dem Versagen zuschreiben. So nach dem Motto "Je weniger ich mache desto weniger kann ich falsch machen".Flixe hat geschrieben: Er steckt in einem Teufelskreis zwischen Enttäuschung, negativem Selbstbild und fehlender Anstrengungsbereitschaft. Ich habe das Gefühl, dass er Leistung nicht mit Anstrengung sondern mit seinem Wert als Person attribuiert.
Auch mein Sohn hat eindeutig fehlende Anstrengungsbereitschaft. Bei ihm ist aber eher das ökologische Prinzip dahinter, so nach dem Motto "Warum soll ich mich für einen Einser anstrengen, wenn doch auch ein 2er oder ein 3er positive Noten sind? Warum mehr tun als unbedingt notwendig?".
Die letzte Mathe-Schularbeit in der Grundschule war so ein Beispiel: mein Sohn saß schon 20min vor dem Abgabetermin untätig da. Von der Lehrerin dazu befragt meinte er, er wäre schon fertig. Die Lehrerin hat das Blatt dann überflogen und ihn aufmerksam gemacht, dass noch 2 Beispiele fehlen. Darauf meinte mein Sohn, das sei egal, denn ihm würde eine 2 genügen. Begründet hat er es mit "Ich hatte auf der ersten Schularbeit eine 1, ich hatte bei den 2 Tests je eine 1, ich bin mündlich gut, also muss ich im Zeugnis auch dann eine 1 bekommen wenn ich jetzt eine 2 schreibe." Die Lehrerin meinte dann, so wie die SA gerade aussieht würde es nicht mal für eine 2 reichen. Daraufhin hat mein Sohn sich den Notenschlüssel angeschaut, noch ein Beispiel ausgesucht, was er noch gerechnet hat und mit den Worten "Jetzt ist es eine 2" abgegeben .
Was bei meinem Sohn gerade in Mathe zusätzlich noch hinter diesem Verhalten steht, ist die ADHS. Im WISC IV war die Verarbeitungsgeschwindigkeit sein schlechtestes Teilergebnis - typisch für ADHS und das kenne ich auch von mir (erwachsene ADHSlerin). Daher ist gerade in Mathe, wo er "nur" gut, aber kein Überflieger ist, irgendwann mal die Konzentrationsfähigkeit zu Ende. Da geht dann nichts mehr. Mein Sohn hat manchmal als HÜ 10 gleich schwere Beispiele - und braucht für die letzten beiden dann doppelt so lang wie für die ersten 8. Das ist der ADHS geschuldet.
Bei deinem Sohn ist das komplett anders, das zeigt der sehr gute Wert bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Wenn dein Sohn eine Arbeit vorzeitig abgibt, dann ist die Ursache vermutlich, dass er alles, was er auf dem ff kann, erledigt hat. Und allein aus der Angst, er könnte bei den Aufgaben, die ihm erst mal schwierig erscheinen, versagen, macht er sie gar nicht erst. Wenn das Ergebnis so einer Arbeit dann eben "nur" durchschnittlich ist, erscheint ihm das noch zusätzlich als Beweis, nicht gut genug zu sein und "es" nicht zu können.
Das ist ein Teufelskreis, der aber nicht mit einer Lerntherapie besser wird. Mir würde instinktiv eher Psychotherapie einfallen, wenn man da einen guten Therapeuten findet kann gezielt an solchen Ängsten gearbeitet werden. Aber auch hier würde ich bei einem Kind, welches ohnehin schon sehr an sich selbst und seinen Fähigkeiten zweifelt, vorsichtig sein. Dein Sohn könnte jegliche von Dir initiierte Hilfe, so gut sie auch gemeint ist, als Zweifel von DIR an ihm sehen.
Ansonsten könnte man deinem Sohn schwierigere Aufgaben als eine Art "Gratislos" verkaufen. Nach dem Motto: "Wenn du diese Aufgabe nicht erledigst bekommst du dafür 0 Punkte, wenn du sie erledigst und nur ein Teil richtig ist, bekommst du schon mehr, und wenn du sie komplett schaffst bekommst du die Höchstpunktezahl." Auch wenn einem klugen Kind das vom Kopf her sehr wohl bewusst ist, kann der Vergleich mit dem Gratislos vielleicht noch einige tief sitzende Ängste überwinden helfen.
Die nächste Frage ist, wie DU deinen Sohn siehst. Wenn du an seinen Wechsel ins Gymnasium denkst, was sind dann deine Hauptgefühle? Neugier? Angst? Stolz? Eine Mischung von allem? Wenn ja, in welchem Verhältnis?
Als Sonderpädagogin weißt du garantiert, dass sich auch unausgesprochene Ängste der Eltern in sensiblen Kindern (und so eines ist dein Sohn auf jeden Fall) eher manifestieren als ausgesprochener Zuspruch. Und zumindest mir kommt dein Herangehen sehr belastet vor und tatsächlich eher so, als würdest du deinem Sohn nicht viel zutrauen. Und das, obwohl alles, was du hier über ihn schreibst, nahe legt, dass er das schon schaffen wird.
Persönlich beobachte ich gerade bei intelligenten Eltern mit viel pädagogischem Wissen oft das Phänomen, dass sie ihre Kinder bei jeder Gelegenheit ermutigen und loben. Sie glauben, dass ein Kind das für seine emotionale Entwicklung braucht, was ja auch stimmt. Aber gerade wenn so häufig Lob und Ermutigung ausgesprochen wird, die Kinder aber spüren, dass sich die Eltern dennoch Sorgen um sie machen, ist das ein Widerspruch. Ich gehe jetzt nicht näher darauf ein, du weißt sicher schon, was ich meine.
Als unsere Jungs mit 3 und 5 Jahren extrem schwierig waren, habe ich mal spontan angerufen, nachdem ich eine Zeitungsannonce gelesen hatte "Sind sie mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert? Kinderschutzzentrum hilft schnell und unbürokratisch!". Tja, mein Mann und ich haben tatsächlich kurzfristig einen Termin dort bekommen und einer sehr netten Psychologin und Sozialarbeiterin unsere Situation geschildert. Ich dachte dann eigentlich, dass sie unsere Kinder sehen wollen, um festzustellen, wie man bei ihnen was bewirken kann, dass sie sich anders benehmen. Der Große hat damals Fäkalien an die Wände geschmiert, am Strand fremde Personen mit nassem Schlamm beworfen, kleinere Kinder geschubbst, der Kleine hatte fürchterliche Wutanfälle.
Tatsächlich bekamen mein Mann und ich dann in Wochenabständen Termine bei dieser Psychologin, wo wir einfach nur unser Herz ausschütten und unsere Ängste (vor allem beim Großen: Wie wird das weitergehen? Was wird aus ihm werden?) ablegen konnten. Später waren die Termine 14-tägig und dann nur noch 1x im Monat. Insgesamt hat sich nach 9 Monaten alles in Wohlgefallen aufgelöst, ohne dass unsere Kinder vom Kinderschutzzentrum auch nur angeschaut worden wären. WIR waren diejenigen gewesen, die Hilfe und Zuspruch gebraucht haben, nicht unsere Kinder .
Daher wäre ein Vorschlag von mir, für DICH Hilfe zu suchen, damit du deinem Sohn WIRKLICH zutrauen kannst, den Schulwechsel gut zu schaffen und deine Ängste, er könnte ein Underarchiver werden, ablegst.