Kind schämt sich für gute Beurteilungen

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
nosupermum
Dauergast
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Re: Kind schämt sich für gute Beurteilungen

Beitrag von nosupermum »

Hallo,

danke für eure zahlreichen und auch sehr unterschiedlichen Ideen. Mal einen anderen Blickwinkel einzunehmen, wenn man selbst im eigenen Trott und Denkmuster gefangen ist super. Vielleicht können wir die ruhige Ferienzeit mal für tiefergehende Gespräche nutzen.

Wie habt ihr das eigentlich verpackt? Ich tu mir da immer ein bisschen schwer. Vielleicht hat das ganze „Problem“ was damit zu tun, dass da was im Raum schwebt, was noch nicht verarbeitet wurde.
Katze_keine_Ahnung
Dauergast
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Re: Kind schämt sich für gute Beurteilungen

Beitrag von Katze_keine_Ahnung »

@Meine3

ich halte den Verhalten auf folgenedem Grund für ein soziales Defizit: Mit Sicherheit gibt es im Leben viele Sitaution, bei denen man sich lieber bedeckt hält. Keiner geht laut gröllend an einem Kind vorbei, das in der ganzen Schule als Schläger und Bösewicht bekannt ist. Man hält lieber Abstand und hofft, dass nichts passiert. Die dauernd tiefstapelnde Kinder gehen aber an jedem so vorbei, als ob er ein Bösewicht wäre. Das ist eine Gabel, die entweder zu einer totalen Verbeugung bis zum Durchbrechen oder zu einer sozialen Isolation führt. Die Ursache dieses Verhalten sehe ich in der Kommunikationsschwäche. Die Kinder verstehen zwar im Großen und Hanzen wie die Gleichaltrigen denken, aber sie kriegen es nicht koordiniert, flexibel zu reagieren. Normales Verhaltensmodell setzt voraus, dass man dem Kind, dass wegen einer 4 weint, seine 1 verschweigt, dagegen der Freundin, die laut krakelt, dass sie eine 1 hat, sagen kann, dass man selbst nicht schlechter ist. Die eigene 1 vor der Mutter zu verschweigen ist nicht normal. Diese Botschaft schreit: ich habe Probleme mit meinem Selbswertgefühl. Ich bin es nicht Wert, gelobt zu werden.

@nosupermum

einfache Gespräche führen nicht weit. Die Umgebung hat das Kind so geformt, und solange das Kind auschließlich in dieser Umgebung kocht, wird trotz der Gespräche nicht viel passieren. Im Gymnasium, kann es je nach Klassenzusammensetzung besser werden. Meine Tochter hat plötzlich eine Konkurentin bekommen, die noch fitter ist als sie. Das hat gut getan. Dann musste man plötzlich für die guten Noten sich nicht mehr schämen, sondern schauen, dass die Sitznachbarin keinen zu großen Vorsprung gewinnt. Diese Sitznachbarin geht mit ihrer dicken Begabung ganz gut um: sie hilft gerne den anderen. Meine Tochter sagte mal: "Mama, heute war Marie nicht da, und wir haben daher Physik nicht verstanden!"

Deine Tochter muss lernen ihren Kopf abzuschalten und das Leben zu genießen, ohne über komplexe Themen ständig nachdenken zu müssen. Sie braucht jemanden, der sie zum Schwimmen, Tischtennisspielen oder durch die Berge wandern mitnimmt. Je nachdem was sie mag, muss man Interessengemeinschaften suchen. Diese Gemeinschaft soll nicht aus Busenfreunden bestehen. Sie kann auch ganz locker sein und sich nur zum bestimmten Zweck sich treffen. Es kann eine christiliche Jugendgruppe sein, Jugendfeuerwehr oder DLRG, je nachdem was es von Ort gibt. Kommunikation mit Menschen lernt man nur durch Erfahrung.
sinus
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Re: Kind schämt sich für gute Beurteilungen

Beitrag von sinus »

nosupermum hat geschrieben: Wie habt ihr das eigentlich verpackt? Ich tu mir da immer ein bisschen schwer. Vielleicht hat das ganze „Problem“ was damit zu tun, dass da was im Raum schwebt, was noch nicht verarbeitet wurde.
Ich muss mich immer erst selbst gedanklich damit auseinandersetzen und selbst zu einer Einstellung dazu kommen.
Wenn ich so weit bin, habe ich das innerlich immer "parat" und kann es einbringen, wenn es passt.
Selten "inszeniere" ich solche Gespräche, das würde meine Tochter meist dann auch gar nicht annehmen, weil sie dann nicht offen dafür wäre. Meistens ergeben sie sich nebenbei.
Wenn mich aber was sehr beschäftigt/sorgt, passe ich aber mitunter auch eine ruhige Minute ab und beginne ein Gespräch.
Sowas wie "Du, ich habe beobachtet dass/mir ist aufgefallen..., das geht mir nicht aus dem Kopf und ich habe viel drüber nachgedacht, warum das so ist. Ich würde es gern besser verstehen. Kannst du mir das vielleicht näher erklären...?" Und in so einem Gespräch kann ich dann auch irgendwann meine eigenen Gedanken dazu einbringen und sie fragen, ob ich da vielleicht richtig liege und es so sein könnte.
So in der Art.

Gute Gespräche ergeben sich hier meist abends, wenn ich mal wieder bei ihr im Bett schlafe (das wünscht sie sich recht regelmäßig und dann kann es schon mal sein, dass wir 2,3 Stunden reden) und bei Spaziergängen.
Meine Große läuft total gern (am See lang, im Wald herum) und wenn sie/mich im Zusammenhang mit ihr was beschäftigt, machen wir manchmal extra dafür Abendspaziergänge zusammen.
Oft ist es dann auch so, dass ich quasi erstmal nur "einen Samen" lege, einen Denkanstoß gebe und es dann erstmal ruhen lasse und irgendwann später, an einem anderen Tag, drauf zurückkomme.
Sie ist jetzt aber auch schon 12,5 Jahre alt... die Gespräche sind inzwischen anders, erwachsener als die damals im Grundschulalter.

Als meine Tochter so alt wie deine war (so 7-10/11), haben wir sehr viel durch Metaphern über Probleme gesprochen.
Ich schrieb hier schonmal davon - wir hatten das Bild des "inneren Gartens" mit einer hohen Mauer ringsherum und innen ein Dschungel/Garten aus Pflanzen und Tieren. Darüber haben wir dann gesprochen.
Bspw über ein verletztes Kätzchen, was sich im Garten versteckt: was ist dem Katzenbaby vielleicht passiert, warum versteckt es sich, wie kann man es herauslocken/heilen, was braucht es, was tut ihm gut...
Oder wie ist der momentane Zustand des Gartens, sind da gerade schöne Blüten oder eher stachelige Dornenpflanzen, gab es einen zerstörerischen Sturm oder scheint die Sonne von einem blauen Himmel herab, was möchte sie gern noch anpflanzen, ist das Tor zum Garten gerade offen oder nicht, wer darf rein und wer nicht und warum etc pp...
So habe ich wirklich viel über meine Tochter erfahren, ohne dass sie sich zu sehr öffnen musste. (ich denke, oft konnte sie selbst auch gar nicht klar sagen, was in ihr gerade los war, aber über Metaphern/Geschichten ging das.)

Über die Metaphern haben wir dann oft auch wieder in die Realität zurückgefunden. Immer so viel, wie sie aushalten konnte und wollte. (Metaphern/Geschichten gingen IMMER, die Übertragung in die Realität war oft schwieriger. Muss ja aber manchmal auch gar nicht sein.)

Ich weiß natürlich nicht, ob das was für euch ist. Für uns passt es hervorragend, denn wir sind beide Bilderdenker mit viel Fantasie. Und meine Tochter hat eine ganz besondere Beziehung zu Natur und Tieren. Das ist also ein äußerst individueller Weg.
Aber vielleicht gibts bei euch ja was ähnliches oder einen anderen, zu euch passenden Ansatzpunkt...

Entstanden ist das übrigens so: (passt sehr gut zum Thema!)
Die Lehrerin der Grundschule hatte für die Kinder ein Mutmachheft angefangen (irgendwie so hieß das, habe es aufgehoben aber grad nicht parat), da wurde regelmäßig was positives für die Kinder eingetragen. Mal vom Kind selbst, mal von der Lehrerin.
Einmal wollte sie (etwa in Klasse 2 muss das gewesen sein), dass wir als Eltern hineinschreiben, was die Kinder besonders macht, was sie gut können und was wir toll an ihnen finden.
Ich begann mit den üblichen Dingen: wie klug, musikalisch, sportlich, empathisch (..) sie sei... ich wusste aber genau, dass es ihr sehr schwerfallen würde, das anzunehmen. Sie würde garantiert auch gesagt haben: "Du musst das ja so schreiben, schließlich bist du meine Mama und Mamas lieben ihre Kinder und Kinder ihre Mamas ja so oder so und finden sie toll! Die anderen haben bestimmt fast dasselbe geschrieben."

Nachdem ich also mit der Liste fertig war, fand ich sie irgendwie nicht ausreichend, um das auszudrücken, was ich ihr über sie sagen wollte.
Darum beschrieb ich sie dann noch als verwunschenen, geheimnisvollen Garten, voller wunderschöner, exotischer Blüten und Tiere, manche wild, manche zahm, mit lauschigen Plätzchen, wilden, unerforschten Ecken und prachtvollen Blumenbeeten etc pp.
Und einer Mauer ringsherum und einem wunderschönen Eisentor, was nur manchmal offen steht, oft aber auch fest verschlossen ist.
Und dass der Garten so wunderschön und besonders sei, aber viele andere das gar nicht wissen, weil das Tor so selten offen ist und so wenige Menschen die Gelegenheit bekommen, hineinzugelangen oder auch nur hineinzuschauen.
Dann malte ich ihr noch die Mauer und das Tor und ein paar Ranken die über die Mauer schauten und Vögelchen darüber und eine Katze auf der Mauer...
Das mochte meine Tochter sehr und so haben wir fortan dann öfters über den Garten und seinen aktuellen Zustand geredet.
Als es damals darum ging, zu einer Psychologin zu gehen, was sie nicht wollte, habe ich ihr bspw gesagt, dass ich glaube, dass da irgendwo ein verletztes Kätzchen hockt (Katzen waren jahrelang ihr Hauptthema) und es vielleicht jemanden braucht, der es aus seinem Versteck locken kann, um es zu heilen, so dass es wieder frei durch den Garten schlendern kann...
Daraufhin hat sie sofort gesagt, sie möchte dem Kätzchen gern helfen und würde es mit der Psychologin versuchen!

Die Psychologin war ja dann leider ein Holzweg, aber auch da habe ich ihr dann gesagt, dass sie einfach nicht die richtige war dafür und wir vielleicht gemeinsam auch selbst dem Kätzchen helfen könnten... dass es vielleicht einfach auch nur jemanden braucht, der sich immermal wieder liebevoll um es kümmert und es dann sicher auch ganz von selbst irgendwann mal rauskommt...

Wenn ich jetzt drüber schreibe, erinnere ich mich, dass ich ihr auch schon früher Geschichten erzählt habe zu Themen die sie sehr beschäftigten. (Und sie mir! Als wir in Nepal waren, um ihren Vater dort zu besuchen - da war sie noch keine 3 Jahre alt - hat sie mir immer alles, was sie auf der Reise beschäftigte, von ihrem Kuscheltierhäschen erzählt. "Häschen war auch mal in einem fernen Land und hat..." etc pp)
Als sie so ca. 4 Jahre alt war, drohte sie eine Welt lang öfters mal, dass sie weg wolle, weit weg und nie zurückkommen werde. Und dass sie gern jemand ganz anderes wäre, z.B. ein einsames Tier im Wald. Und auch wie schön es wäre, wenn sie fliegen könnte. Dann würde sie einfach wegfliegen.
Daraufhin habe ich ihr eine Geschichte geschrieben über ein Kind, was immer die Vögel beoachtet hat und gern wie sie gewesen wäre und sich durch einen Zauber in einen Vogel verwandelt und einfach zum Fenster rausfliegt und ein Jahr lang das Leben eines Vogels führt. Samt Nestbau, Futtersuche, Hunger, Kälte, Gefahren durch Raubvögel etc.
Und nach einer langen Zeit doch wieder an die Mama gedacht hat und wie schön warm und gemütlich es zu Hause war und doch gern wieder ein Kind sein und nach Hause zurückkehren wollte.
Und natürlich kam es auch wieder zu Hause an und war dann sehr glücklich, wieder bei der Mama im Bett aufzuwachen...

Die Geschichte habe ich auch abgeheftet...
Irgendwann kriegt sie das alles mal, vielleicht zum 18. Geburtstag, Hochzeit, Geburt eines Kindes... oder so.
Die Blätter sind bunt
nun bellt der Hund
nun lacht der Mund
Raureif liegt auf dem Gras.
Der Has`
friert um die Nas.

(Herbstgedicht der 6jährigen)
kleiner_gremlin
Beiträge: 36
Registriert: Sa 19. Dez 2020, 00:49

Re: Kind schämt sich für gute Beurteilungen

Beitrag von kleiner_gremlin »

Hallo Nosupermom,

für mich ist die Reaktion deiner Tochter auch, wie schon von anderen angesprochen, ein Zeichen für einen sehr schlechten Selbstwert...Die Diskrepanz ihres Selbstbildes und des von der Lehrerin kommunizierten Bildes ist so groß, dass es sie in eine Krise stürzt. Um nicht von anderen kleingemacht zu werden, möchte sie bei dem kleinen Selbstbild bleiben. Von deiner Seite akzeptiert sie wahrscheinlich dein "übersteigertes Bild" von ihr, weil du ja ihre Mama bist und natürlich von Liebe geblendet alles rosig siehst. Die Lehrerin ist aber eine Fachfrau und ihre gute Beurteilung kann sie nicht so leicht als belanglos abheften. Deshalb will sie sie gar nicht wissen, lesen und du sollst sie natürlich auch nicht haben, weil du ja schon in der Fanfraktion bist und damit deine Position gegen sie gestärkt wird...

Sie hat einfach riesige Angst, wieder an sich selbst und ihre Talente zu glauben.
So würde ich das interpretieren.

lg und ich hoffe, du findest die richtigen Worte!
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