Hallo Twochild!
Im Vergleich mit meinem ADHS-Asperger Sohn und meinen gehörlosen Nur-Asperger-Sohn sehe ich bei der Beschreibung deines Sohnes (ähnlich wie koschka) MEHR Asperger- als ADHS-Hinweise. Was mich vor allem sehr verwundert ist der Test auf ASS und dass da quasi "ein bißchen Asperger" rausgekommen ist. Kommt mir vor wie "ein bißchen schwanger"
. Was für ein Test habt ich da in Richtung ASS machen lassen und von wem? Was mich auch wundert ist, dass die Schule nicht wirklich befragt wurde. Ich kenne Asperger-Abklärungen nur als eine Kombi von Testung, Eltern-Fragebogen UND Lehrer-Fragebogen (beide sehr ausführlich).
Gute ASS-Abklärung gibt es in einem Autismus-Kompetenz-Zentrum. Auch SPZ bieten manchmal Testungen an, nur ist hier das Personal nicht spezifisch geschult und gerade bei einem klugen und gut kompensierenden Kind ist Autismus oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Da die SPZ-Ärzte "Generalisten" sind und auch viel mit Kindern aus sozial schwierigen Verhältnissen zu tun haben (welche im Verhalten Autisten oft ziemlich ähnlich sind) gibt es hier häufig falsch-negative Diagnosen. Auch so Aussagen wie "Das Kind ist ein bisschen autistisch" stammen denfinitiv NICHT von Fachleuten, die sich mit Autismus auskennen.
Die Testwerte beim IQ-Test sind jedenfalls nicht ADHS-typisch. Ich bin selbst HB mit ADHS und die Verarbeitungsgeschwindigkeit ist der wirklich EINZIGE Bereich, der bei meinen Tests immer im unteren Durchschnittsbereich war. Auch bei meinem ADHS-Asperger-Sohn war die VG mit 91 der bei weitem schlechteste Wert, während mein jüngerer Sohn ganz andere Schwachstellen hat (bei unauffälliger VG).
Bei meinem älteren Sohn sind die Hauptproblembereiche Frustrationstoleranz und Implulskontrolle. Ähnlich deinem Sohn will er beim spielen immer sagen, was andere zu tun oder zu sagen haben. Er liebt Rollenspiele, aber nur dann, wenn er sie selbst "in der Hand" hat. Er kann ein- und dasselbe Rollenspiel in leicht abgewandelter Form über Monate hinweg immer wieder spielen. Dafür hat er aber selten andere Kinder gewinnen können und so war meistens ich der Spielpartner. Im Gegensatz zu früher kann ich aber im Rahmen der von ihm vorgesteckten Handlung mittlerweile schon eigene Ideen einbringen. Noch vor zwei Jahren habe ich alles vorgegeben bekommen ("Mama, im Spiel sagst du jetzt:...."). Auffällig waren bei ihm in erster Linie die immer wieder kehrenden Mißverständnisse auf Grund falscher Deutung ganz normaler, sozialer Situationen. Wenn ein Kind in einigen Metern Entfernung beim Spiel mit anderen Kindern gelacht hat, dachte mein Sohn, ER würde ausgelacht, weil das Kind ganz zufällig dabei kurz in seine Richtung geschaut hat. Oder er hat der Hortbetreuerin unterstellt, den Ausflug nur zu machen, um IHN zu ärgern. Es gab eine Zeit, da hat er praktisch alles auf sich bezogen.
Bei meinem Sohn hat unretardiertes MPH keinerlei Wirkung gezeigt und das retadierte Medikament hatte extreme, nicht tragbare Nebenwirkungen. Deutliche Besserung haben wir jedoch durch Neurofeedback erreichen können. Die Mißverständnisse sind dadurch zwar nicht weniger geworden, nur reagiert mein Sohn nicht mehr so krass (und teilweise aggressiv) wenn er sich provoziert oder angegriffen fühlt. Auch mit konstruktiver Kritik kann mein Sohn mittlerweile viel besser umgehen als z.B. noch vor einem Jahr. Die Arbeitshaltung ist besser geworden, auch wenn er immer noch jemanden braucht, der ihm bei der Selbstorganisation hilft (hier hat er eine sehr engagierte Hort-Betreuerin
).
Mein jüngerer Sohn ist komplett anders "gestrickt". Er interessiert sich so wenig für das, was andere tun, dass kaum Missverständnisse entstehen. Im Gegensatz zum Bruder fühlt er sich nicht mal dann provoziert, wenn er WIRKLICH provoziert wird. So, wie mein älterer Sohn glaubt, ALLE Handlungen anderer hätten was mit ihm zu tun, glaubt mein jüngerer Sohn, NICHTS von dem, was andere tun, würde ihn betreffen. Daher ist er den Großteil der Zeit auch fröhlich und mit sich und der Welt im Reinen (dabei aber oft ganz schön anstrengend und fordernd
).
ABER mein jüngerer Sohn hat auch eine andere Seite: wenn ihm etwas "zu viel" wird, kann er lange kompensieren, aber wenn das nicht mehr möglich ist, kippt er in autistische Wutanfälle (Meltdowns), aus denen er lange Zeit nicht heraus findet. Er weint dann, kreischt, schreit, schlägt um sich und fordert immer wieder irgend etwas ein, was er, wenn man es ihm geben will, aber wieder vehement ablehnt. Aus eigene Kraft kommt mein Sohn aus solchen Anfällen nicht mehr heraus. Man muss abwarten, bis sie vorbei gehen, was meistens 30-45 Minuten dauert. Dabei musss man daneben sein und vor allem darauf achten, dass er nicht sich selbst oder andere dabei verletzt. In der schlechtesten Phase hatte mein Sohn mehrere solcher Anfälle in der Woche (bis zu 10) , was uns alle (und auch ihm) sehr viel Kraft gekostet hat. Er selbst war nach den Anfällen irgendwann mal wieder im fröhlich-ausgeglichenen Normalzustand, während der Rest der Familie oft Stunden gebraucht hat, sich davon zu erholen.
Wir haben für unseren jüngeren Sohn von einer Kinder-Neurologin deshalb Risperidon verschrieben bekommen, was wir aber über 1 Jahr nicht verabreicht haben, nachdem wir und über die möglichen Nebenwirkungen informiert hatten. Nach einer sehr schwierigen Zeit mit vielen Anfällen und nochmaliger Rücksprache mit unserem KJP (Kinder- und Jugendpsychiater) haben wir es doch gegeben - und es hat erst mal keine Wirkung gezeigt. Danach haben wir (natürlich in Absprache) die Dosierung erhöht und tatsächlich wurden die Anfälle deutlich weniger und kürzer, unser Sohn war insgesamt interessierter und aufnahmefähiger und hat wirklich keine einzige der unzähligen Nebenwirkungen gezeigt.
Wenn - wie ich jetzt mal ins Blaue vermute - die Hauptprobleme eures Sohnes nicht durch ADHS sondern durch ASS ausgelöst wurden, kann vielleicht Risperidon oder Risperidal bessere Wirkung zeigen als das MPH-Produkte möglicherweise tun. Vielleicht googelst du mal Autismus zusammen mit Meltdown. Dann kannst du feststellen, ob die Wutausbrüche deines Sohnes in diese Richtung gehen oder eben "normale" Wutausbrüche sind. Zumindest bei meinem jüngeren Sohn (der definitiv Meltdowns hat) war die medikamentöse Behandlung hier wirklich erfolgreich. Im Gegensatz zu früher, wo er oft täglich einen oder sogar mehrere Anfälle hatte, die bis zu 2 Stunden gedauert haben, ist er momentan bei 1-3 Anfällen mit einer Dauern von 15-30 Minuten PRO MONAT. Das ist eine wirklich extrem positive Entwicklung!
Was die Medis für euren Sohn betrifft solltet ihr euch erst mal zwei Fragen stellen und zwar "Wie sehr leidet unser Kind unter seiner Störung" und "Wie sehr leidet die Umgebung unter seiner Störung?". Mit Umgebung ist nicht nur die Schule gemeint, sondern auch die Familie und der Freundeskreis, also alle größeren Umfeld-Bereiche des Kindes. Wenn auf der einen oder anderen Seite (oder sowohl/als auch) ein deutlicher Leidensdruck besteht, dann würde ich an eurer Stelle Medikamente ausprobieren - natürlich nur verordnet und begleitet durch zumindest eine Fachfrau oder einen Fachmann.
Unretardiertes MPH (wie z.B. klassisches Ritalin) hat den Vorteil, dass es schnell wirkt - der Unterschied wird also von jetzt auf gleich merkbar sein. Oft nicht ganz am Anfang, weil die Verträglichkeit sehr unterschiedlich ist und erst mal mit niedriger Dosierung begonnen wird. Und wenn es auch nach langsamer Dosissteigerung nicht wirken oder zu viele unerwünschte Nebenwirkungen zeigen sollte, kann man es auch von jetzt auf gleich wieder absetzen. Bei retardierten Medikamenten auf MPH-Basis (die ihre Wirkstoffe über einen längeren Zeitraum verteilt an den Körper abgehen), die schon über einen längeren Zeitraum regelmäßig verabreicht worden sind, wird empfohlen, sie nicht unmittelbar abzusetzen (falls es nicht wirken oder Nebenwirkungen zeigen sollte), sondern begleitet von Profis eben langsam auszuschleifen.
Das Risiko beim ausprobieren von Medikamenten ist mMn gering. Wenn man merkt, dass es deutliche, unerwünschte Nebenwirkungen zeigt, wird man es schließlich nicht weiter verabreichen. Oft muss man nur mehrere Produkte und Dosierungen nacheinander ausprobieren, um herauszufinden, worauf das Kind am besten anspricht. Wenn ein Medikament wenig oder gar keine Wirkung zeigt sollte man es mMn auch absetzen, weil auch wenn keine Nebenwirkungen bemerkbar sind bei langfristiger Einnahme Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden können. Hier muss man selbst schauen, in welchem Verhältnis die positive Wirkung zu möglichen Organschäden in 30 Jahren steht. Es ist auch nicht vorgesehen, dass ein Kind, welches z.B. mit 10 Jahren MPH bekommt, den Rest seines Lebens Medikamente braucht. Ich weiß mittlerweile von mehreren Erwachsenen, wo das MPH im Jugendalter langsam ausgeschliffen worden ist und die jetzt ohne Medikation gut zurecht kommen.
ABER: Medikamente sollten nie die einzige Behandlung sein! Je nachdem, wo die individuellen Probleme liegen, sollte man immer noch zusätzliche Möglichkeiten nutzen. Das kann z.B. eine spezifische Autismus-Therapie oder eine Sozialverhalten-Gruppe sein, oder auch eine Selbsthilfegruppe für Eltern. Die Behandlung von Wahrnehmungsauffälligkeiten (egal, ob mit oder ohne Diagnose) sollte immer multimodal sein. In wie weit ihr dann die Schule einbindet oder "ins Boot holt" bleibt euch selbst überlassen.