Hallo,
interessantes Forum!
Also ich habe damals auch zwei Klassen uebersprungen. Zuerst zum Ende des Halbjahres von der 7. in die 8. Klasse und dann vom Ende der 9. direkt in die 11. Klasse. Das Abitur habe ich letztlich 2006 mit 17 Jahren gemacht, wobei ich durchschnittlich zwei, teilweise auch drei oder vier Jahre, juenger war als meine Klassenkameraden. Insgesamt habe auch ich relativ gute Erfahrungen gemacht und wuerde es im Nachhinein auch nicht anders machen.
Stofflich war das kein wirklich grosses Problem. Ich habe nun wirklich keinen wahnsinnig ueberdurchschnittlichen IQ oder wuerde mich gar als hochbegabt bezeichnen. Ich hatte allerdings schon immer ein reges Interesse an Sprachen, Literatur, den Sozial- und Geisteswissenschaften und (mit Einschraenkung
) auch an den Naturwissenschaften. Die Herausforderung, mit dem Stoff in hoeheren Klassen umzugehen, hat mich angespornt und mir ironischerweise auch den Leistungsdruck genommen - ich konnte die Schule nach dem Springen deutlich laessiger angehen. Das "Aufholen" bzw. "Nachlernen" hielt sich bei mir auch in Grenzen. Die paar Latein-Vokabeln waren schnell gelernt, in Mathematik musste der relevantere Stoff der unteren Klasse ohnehin immer noch einmal fuer die schwaecheren Schueler wiederholt werden und in Faechern wie Deutsch, Geschichte, Musik etc. ging es eher um Textverstaendnis und emotionale Reife etc., stures Auswendiglernen war da also ohnehin fehl am Platz. Ich habe durchaus ueberdurchschnittlich viel fuer die Schule getan, allerdings waere das wahrscheinlich auch ohne das Springen nicht viel anders gewesen. Neben der Schule hatte ich immer noch Zeit fuer Fussball, mehrere Instrumente, Orchester, Jugendgruppe, Politik und natuerlich die ueblichen Kneipen-Abende und Parties mit Freunden. Mein Abitur habe ich letztlich mit 1,0 abgeschlossen, nebenher noch ein viersemestriges Schuelerstudium in Englischer Philologie absolviert. Meiner Meinung nach ist Springen immer eine gute Idee, wenn bei dem Kind selbst genuegend Interesse vorhanden ist, sich durch Teilnahme am Unterricht hoeherer Klasse neue Horizonte zu erschliessen. Eine reine Schulzeitverkuerzung aus taktischen Interessen oder elterlichem Druck halte ich dagegen fuer wenig sinnvoll.
In sozialer Hinsicht sehe ich beim Springen auch keine grundlegenden Probleme. Natuerlich ist es nie einfach, in eine bereits bestehende Klassen- oder Stufengemeinschaft zu kommen. Ich hatte zu Anfang zwar nicht mit Kritik oder Mobbing, doch aber mit Desinteresse meiner Mitschueler zu tun. Allerdings legte sich das bald und ich fuehlte mich spaetestens ab der 12. Klasse voll integriert. Der Altersunterschied war kein Problem, aegerlich war dagegen, dass ich teilweise einfach nicht in Kneipen, Clubs etc. reingekommen bin (was mit 16 natuerlich deutlich dramatischer ist, als es sich jetzt vllt. anhoert). Waehrend ich das Zusammensein mit Aelteren durchaus als Bereicherung empfunden habe (wobei ich natuerlich auch an meinen 'alten' Klassen sehr hing und mir die Trennung auch nicht leicht gefallen ist), empfanden meine Eltern das anders, was fuer mich auch das groesse Problem bei der ganzen Sache darstellte. Wenn Kinder ploetzlich mit Leuten zur Schule gehen, die deutlich aelter als sie selber sind, dann muessen Eltern mitziehen. Waehrend ich es nachvollziehen kann, dass der Schock, mich vom einen auf den anderen Tag nicht auf Kindergeburtstage sondern auf Parties mit Alkohol etc. zu cheauffieren nicht einfach zu verdauen war, haben sie meine Integration in der Stufe durch Ausgeh-Verbote und eingeschraenkte Freiheiten nicht gerade erleichtert. Das Argument, man sei ja schliesslich zwei Jahre juenger als alle anderen, wirkte in diesem Zusammenhang auch eher kontraproduktiv. Also, auch Eltern sind in dieser Hinsicht gefordert.
Das sind also meine Erfahrungen. Wie gesagt, bereue ich das zweimalige Springen nicht. Natuerlich stellt es in gewisser Hinsicht eine Belastung fuer ein Kind dar, in ein neues Umfeld geworfen zu werden, sich immer erklaeren zu muessen, zumindest zeitweilig als 'anders' wahrgenommen zu werden. Manchmal wuenschte ich mir, ich haette - wie mein kleiner Bruder - einfach nur mehr Zeit gehabt dummes Zeug zu reden, wegzugehen, einfach in den Tag hineinzuleben. Allerdings hatte auch ich bei all dem Stress Zeit fuer solche Sachen und haette ich mehr Zeit gebraucht, ich haette sie mir wohl genommen. Als ich mit 17 zum Studieren nach London ging hatte sich der Altersunterschied dann schon fast wieder erledigt, im europaeischen Vergleich sind deutsche Schueler ja ohnehine relativ alt. In diesem Zusammenhang sollte vielleicht auch erwaehnt werden, dass man durch das Springen in gewisser Hinsicht an Zeit gewinnt. Ich habe nach dem Abitur einen Doppelstudiengang in deutschem und englischen Recht angefangen. Im Moment stecke ich mitten in einem Master an der Uni Oxford. Wenn ich im Sommer nach Deutschland zurueckkehre um mein Staatsexamen zu absolvieren, werde ich trotz der drei "Extra-Jahre" in England nicht aelter sein als meine Mit-Stundenten, dafuer aber ungleich mehr Erfahrung haben. Ich muss sagen, dass mir das ein ein gewisses Mass an Gelassenheit gibt.
Alles in allem, haette meine schulische Karriere nicht besser verlaufen koennen. Ich denke, wenn sowohl Eltern als auch Kinder mit der richtigen Einstellung, aber auch mit einem gewissen Grad an Lockerheit an die Sache rangehen, wenn es um persoenliche und akademische Weiterentwicklung des Kindes und nicht Sensations-orientierte Schulzeitverkuerzung geht und wenn alle Beteiligten sich der damit verbundenen Anstrengungen bewusst sind und trotzdem nicht zurueckschrecken, ist das Ueberspringen von Klassen eine durchaus empfehlenswerte Sache.
Mit besten Gruessen,
Katharina