Meine Tochter forderte als Vorschulkind und in Klasse1 diese Heftchen ein und bearbeitete sie alleine. Ich dachte wie Ruth, dass ich nicht noch mehr vorneweg greifen möchte und versteckte das Mathe-Zweitklässlerheft, nachdem sich abzeichnete, dass sie das in kürzester Zeit durchrechnen würde. Das ging dann so weiter, dass mein Kind Ende Klasse 1/Anfang Klasse 2 anfing, Mathe massiv abzulehnen, und Anfang Klasse 3 mit Fingern abzählte und den Zehnerübergang nicht mehr beherrschte, den sie im Kindergarten gekonnt hatte. Es kostete viele Kämpfe und einige glückliche Zufälle, um das wieder einigermaßen umzukehren. Mein Kind hat einen ganz klaren Begabungsschwerpunkt im sprachlichen Bereich, ist aber laut IQ-Test sehr gleichmäßig hochbegabt, ohne auffällige Spitzen. Heute bin ich überzeugt, dass sie auch in Mathe gut begabt ist (zwischendurch googelte ich bei Dyskalkulie...) und dass das Mathe-Drama vermeidbar gewesen wäre, wenn ich sie nur hätte machen lassen. Nicht daneben sitzen und anschieben (hätte mein Trotzkopf in dem Alter sowieso nicht mit sich machen lassen), aber einfach nicht ausbremsen und das Futter anbieten, nachdem es verlangt. Und wenn ich Ruth richtig verstanden habe, ging es ihr nur darum, ob sie auf Interessen des Kindes eingehen soll, nicht darum, dass sie das Kind zum Vorarbeiten drängt. Ein Kind in dem Alter, das lesen oder rechnen lernen möchte, so zu beschäftigen, dass kein Schulstoff vorweggenommen wird, ist praktisch unmöglich, weil das Thema der Grundschule ja genau ist, den Kindern lesen und rechnen beizubringen. Ein Trick für Mathe sind Römische Zahlen, aber das hält auch nur kurz vor. Mein Kind hatte nie Interesse an chinesisch, weil das schlicht in ihrer Welt keine Rolle spielt, und sie kam nie weit auf der Geige, weil sie schlicht intellektuell und nicht musisch hochbegabt ist. Meine Tochter hatte im Alter von Ruths Tochter sozial auch so ihre Probleme, fand schwer Freunde. Bei ihr legte sich das komplett, jetzt in Klasse 4 ist ihr Hauptproblem, dass ihre vielen Freundinnen um sie konkurrieren und Freundin C eifersüchtig wird, wenn sie mit Freundin D eine Minute zu lange spielt o.ä. Wobei mir bewusst ist, dass das nicht verallgemeinerbar ist und dass sich das in Klasse 5 auch wieder schnell ändern kann.Mein Sohn hat keinen IQ von 150+ und konnte das locker. In Klasse 1 Aufgaben aus Klasse 3. Ich hab das alles schon mal mitgemacht. Allerdings hab ich das eben doch recht schnell hinterfragt. Will ich das? Mit meinem Kind sitzen? Nein, will ich nicht. Wenn das Kind das alleine macht, dann ist das ja prima. Dann hat es die intrinsische Motivation und legt los. Das will nur ich. Ohne Muddern. Wenn das aber so ist, bin ich wieder bei @Bliss - muss in Folge auch eine Konsequenz kommen. Es ist ja total unsinnig, dem Schulstoff vorweg zu greifen und dann nichts zu tun.
Meine Tochter ist früheingeschult, aber wir haben uns in Klasse 2 bewusst gegen einen Sprung entschieden, da sie sonst auch zwei Jahre jünger wäre als der Rest. Weil sie selbst nicht aus der Klasse raus wollte. Weil sie sehr ängstlich war und wir soziale Überforderung vermeiden wollten. Auch aus dem abgedroschenen Grund heraus, dass wir ihr nicht die Kindheit verkürzen wollten. Denn ich habe schon den Eindruck, dass das passiert, auch jetzt schon. Weil sie in Deutsch eher drei Jahre als ein Jahr voraus war und die Unterforderung fortbestanden hätte. Weil wir wollten, dass sie möglichst "normal" aufwächst. Weil mit jeder Klasse der Druck und die Hausaufgabenmenge zunimmt und weniger Freizeit bleibt, die intellektuelle Herausforderung aber gar nicht unbedingt größer wird. Ob unsere Entscheidung richtig war, daran zweifle ich auch immer wieder, ist also nicht als Ratschlag in irgendeine Richtung zu verstehen.
Ich finde aber überhaupt nicht, dass man springen MUSS, wenn man Stoff vorneweg genommen hat. Bei meiner Tochter war es so, dass sie sich in Mathe fast die komplette Grundschulzeit hindurch langweilte, völlig egal, ob der Stoff neu war oder nicht. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie bei bereits gut bekanntem Stoff mit einer Ausnahme die ursprüngliche Begeisterung bewahren konnte, neuen Stoff, der viel zu langsam mit viel zu vielen Wiederholungen erarbeitet worden war, hingegen von Anfang an als "langweilig und doof" abspeicherte, anhaltend ablehnte und teilweise nicht auch verstand. In Mathe nahm ich gegen Ende von Klasse 2 mit ihr einmal ein Thema wirklich aktiv vorweg - dividieren mit Rest. Weil sie zu dem Zeitpunkt häufiger frustriert heimkam und in Mathe nichts verstanden hatte. Meine Tochter verstand das Thema nach einem erkärenden Halbsatz prompt, fand das ganz witzig und rechnete aus eigener Motivation zwei, drei Aufgaben, was zu der Zeit bemerkenswert war. Am nächsten Tag nach der Schule schaffte sie aber die Hausaufgaben wieder nicht alleine, erklärte mir, dass sie das Thema überhaupt nicht blicke und einfach zu doof für Mathe sei - und war komplett verblüfft, als ich ihr ihre eigenen am Vortag gerechneten Aufgaben zeigte, kommentierte mit "Ach, das was nur das! Ja, das ist ja babyeinfach!" und konnte es plötzlich wieder.