Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Hochbegabung geht oft mit Wahrnehmungesstörungen Hand in Hand
Rabaukenmama
Dauergast
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Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo,

wieder mal ein paar Neuigkeiten von uns. Mein Sohn hatte jetzt entlich (nach 5 Monaten Wartezeit auf den Termin :roll: ) seine Entwicklungsdiagnostik. Ich habe einige Erwartungen reingelegt, vor allem weil die erste Entwicklungsdiagnostik vor über 3 Jahren ja ziemlich "daneben" war, um es mal milde auszudrücken: die Psychologin war eine einzige Katatstrophe, hat sogar alles verdreht, was ich ihr verbal erzählt habe, hat jede Menge Fehldiagnosen gestellt und als Therapie eine "Psychodrama"-Gruppe empfohlen, die es für seine Altersstufe gar nicht gab :twisted: .

Jetzt war es wesentlich besser. Die KJP, bei der mein Sohn die Termine hatte, war mir von mehreren Seiten (andere Mutter, Schuldirektorin) wärmestens empfohlen worden. Vergangene Woche hatten wir dann das Abschlussgespräch mit ihr, zu dem sich auch mein Mann freigenommen hat.

Wie gesagt, die KJP war - rein subjektiv - wesentlich besser als die erste. Nur hat sie im Abschlussgespräch leider viel geredet und dabei wenig gesagt. Die immer wieder erwähnte kognitive Fitness ist uns bekannt - aber nicht unsere "Baustelle".

Neu war für uns die Erkenntnis, dass unser Sohn durch seine mangelnden grobmotorischen Fähigkeiten immer wieder frustriert ist und dass genau diese mangelnden Fähigkeiten auch andere Kinder dazu bringen könnten, ihn skeptisch zu betrachten oder auszuschließen. Das zu hören hat sowohl meinen Mann als auch mich ziemlich erstaunt. Wir wissen dass unser Sohn kein Spitzensportler ist und vor allem Ballspiele hasst, aber unserer Beobachtung nach ist er grobmotorisch durchschnittlich gut. Er kann radfahren seit er 4 Jahre alt ist, schwimmen seit er 6 ist, klettert ganz gut, hat aber Probleme mit Höhenangst (das hat er von mir) und ist mMn damit ziemlich durchschnittlich unterwegs. Die KJP hat mit ihm hauptsächlich Ball spielen geübt um seine Motorik zu testen, wo er natürlich nicht gut war, weil er Ball spielen eigentlich nicht mag und ihm daher auch die Übung fehlt.

Davon abgesehen meinte sie, eine Autismus-Spektrums-Störung nicht ausschließen zu können und hat uns eine Überweisung an eine Spezialistin geschrieben, wo sowohl die kognitiven Fähigkeiten klar festgestellt werden sollen und "daneben" wird die Dame auch schauen, ob er Utist sein könnte.

Was meinen älteren Sohn betrifft: er hat eine blühende Phantasie, liebt Rollenspiele über alles, kann jede Mimik in Nullkommanix deuten, ist ironisch, verwendet Metaphern,...

...und steht trotzdem oft voll daneben, wenn es darum geht, zu erkennen, was von ihm erwartet wird. Er kann ein schlechtes Gewissen haben weil er aus Versehen ein Glas umgeschüttet hat, weil er Angst hat, ich könnte mich furchtbar darüber ärgern, und ist andererseits total erstaunt, wenn ich mich tatsächlich darüber ärgere, dass er unsere Hängehöhle mit der Schere kaputt gemacht hat ("Aber Mama, das kann man ja nähen! Und ich helfe Dir dabei"). Er schafft es nicht, auf andere Kinder einfach zwanglos zuzugehen und "Darf ich mitspielen?" zu fragen. Kontaktaufnahme ist bei ihm in den meisten Fällen mit Provokationen verbunden, was es natürlich noch schwieriger macht.

Bei seinen Gefühlen kenne ich mich gar nicht aus. Einerseits ist er unglaublich sensibel, so dass er es nervlich immer noch nicht schafft, einen ganz normalen Kinderfilm (FSK ab 0 Jahre) oder eine Zeichentrickserie anzusehen, wo mal was "Schlimmes" vorkommt. Selbst ein einfaches Strichmännchen, welches in ein Loch zu fallen droht, löst bei ihm Ängste aus. Er kann sich also durchaus in Situationen reinversetzen.

Auffällig ist aber, dass er sich immer wieder provoziert fühlt, ohne dass wirklich was nennenswertes vorgefallen wäre. Es reicht, wenn ein anderes Kind lacht - prompt glaubt mein Sohn er wird ausgelacht. Je nach Stimmung will er sich dann "rächen" (mit knurren oder Drohgebärden) oder ist depremiert und fühlt sich als Opfer. Mit Kleinkindern mein Sohn meistens sehr lieb um, fühlt sich aber sofort angegriffen, wenn die was tun, was er als Bedrohung auffasst. Neulich ist ein nicht mal 2-jähriger Bub auf der Hängebrücke am Spielplatz fröhlich gesprungen während mein Sohn am anderen Ende stand. Da dachte er sofort, der Bub würde das nur machen, um IHN zu ärgern! Es kann sogar vorkommen, dass er sich von einem lachenden Baby ausgelacht fühlt.

Er erkennt einfach keinen Kontext. Wenn man ihm Bilder von Gesichtern zeigt, die traurig, verärgert, fröhlich oder nachdenklich aussehen, kann er das zwar in nullkommanix erkennen und benennen, nur im echten Leben irrt er irgendwie herum ohne wirklich zu wissen, welches Verhalten in welcher Situation angemessen ist, oder eben nicht.

Andere Kinder, die ihn ganz normal freundlich ansprechen, werden oft angeschnauzt oder angeknurrt. Und dann versteht er nicht, dass manche Kinder nicht mit ihm spielen wollen. Er hatte noch nie einen fixen Freund oder ein fixe Freundin. Es gab im Kindergarten einige Kinder, mit denen er gut zurecht kam. Die gibt es auch in der Schule und im Hort, aber für eine echte Freundschaft hat es leider noch nicht gereicht. Ich mache mir deshalb keine übertriebenen Sorgen, aber es passt halt leider auch ins Bild "irgend etwas stimmt einfach nicht".

Ich habe mich lange dagegen gewehrt dass mein Sohn Autist sein könnte. Er ist eben so ganz anders als sein bereits als Autist diagnostizierter Bruder. Ihre große Gemeinsamkeit ist, dass sie beide Einzelgänger sind. Ich sage ja oft spaßhaft, ich habe zwei Einzelkinder, die zufällig in derselben Familie "gelandet" sind.

Nun suche ich Erfahrungsaustausch mit Eltern von ähnlichen Kindern. Wenn es Autismus ist, dann ziemlich sicher atypisch, weil eben so viele Sachen, die man Autisten zuschreibt, einfach nicht zutreffen. Ich bin jetzt auch offen für alle anderen "Verdachts-"Diagnosen, weil ich einfach sehe, dass sein Verhalten mit zunehmenden Alter immer auffälliger wird und ich merke, dass mein Sohn oft mit sich selbst unglücklich ist.

Neuerdings schimpft er sich immer selbst "Ich Dummkopf, ich Esel!", aber nie, wenn er wirklich einen Blödsinn gemacht hat, sondern meistens in Situationen, wo man ihm was nicht erlaubt, was er will, oder wo er was nicht bekommt. Da kann man dann immer wieder erklären dass er KEIN Dummkopf ist weil ICH nach einem langen Arbeitstag keine Lust mehr habe, um 19h30 noch mal einkaufen zu gehen um mit ihm was zu backen. Ich weiß nicht, ob er das wirklich nicht VERSTEHT oder ob er mich mit diesem Verhalten irgendwie aus der Reserve locken will.

Ach, es ist so viel und mir kommt im Moment vor, es wird immer schwieriger statt leichter. Sohnemann kommt ja jetzt demnächst aus dem Hort raus, weil wir im August 3 Wochen Urlaub haben und ich ab September meine Arbeitszeit verändert habe. Und genau JETZT, in der letzten Woche, gefällt es ihm dort auf einmal total gut. Da werde mal wer schlau draus :gruebel: . Naja, ich hoffe dass ihm der Monat, wo er nur bei uns oder vereinzelt mal ein paar Tage bei Oma und Opa ist, gut tun wird. Wir werden sehen...
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Maca
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Maca »

Hallo rabaukenmama,

Wir haben im letzten Sommer für unseren damals 10jährigen eher überraschend die Diagnose
"Autismus-Spektrum-Störung" erhalten, auf einem sehr niedrigen Symptomlevel.

Vorher hielt ich das für unwahrscheinlich, weil mein Sohn Ironie liebt und oft in seinen inneren phantastischen Welten versinkt.
Dass Autisten über einen Mangel an Phantasie verfügen, halte ich mittlerweile für einen großen Irrtum.
Im Gegenteil, viele Autisten tragen in sich eine so vielfältige imaginäre Vorstellungskraft, die sie aber nicht immer mit ihrer Umwelt teilen können, es bleibt in ihnen ohne sich kommunikativ zu zeigen. Das heißt aber nicht, dass es nicht da wäre.
Andere Autisten haben die Fähigkeit sich mitzuteilen, merken aber z.b. nicht, ob die Umwelt an ihren Erzählungen interessiert ist und gehen dann anderen ein wenig mit ihren "spinnerten" Geschichten auf die Nerven. ;)

Das Problem von Autisten ist vor allem,
dass sie sich nicht so schnell auf all die unzähligen, verschiedenen Kontexte in der Lebenswirklichkeit einlassen können.
Das geschieht nämlich für neurotypische Menschen intuitiv in kaum meßbarer Zeit und bedarf keiner analytischen Überlegungen.

Jahrelang hat mein Sohn sich in jeder Warteschlange vorgedrängelt.
Er hat einfach nicht verstanden wo eine Schlange endet.
Sobald eine größere Lücke entstand, hat er sich dazwischengequetscht :roll: .
Das intuitive Erfassen der Gesamtsituation und die Interpretation des Verhaltens der Leute in und um die Schlange herum, haben ihn überfordert.
Ich sehe, ohne darüber nachzudenken sofort, ob jemand IN oder eher seitlich AN einer Schlange steht, auch weil ich die Körperhaltung der Wartenden intuitiv interpretieren kann und weiß, ob sie zielgerichtet mitwarten oder noch unentschlossen eher seitlich stehen.
Genau so etwas kann mein Sohn nicht, jedenfalls nicht intuitiv.
Er kann es aber lernen.

Diese Buch hat mir sehr geholfen meinen Sohn besser zu verstehen:
http://www.v-r.de/de/autismus_als_konte ... 0/1038090/

Einige Psychologen vertreten ja die Theorie, dass die Abnahme des intuitiven Kontextverständnisses, bei sehr hohem analytischen Denkvermögen unumgänglich ist.
Nach dieser Theorie gehen sehr hohe (theoretische) Intelligenz und Aspergertendenzen häufig miteinander einher.


Lustigerweise habe ich zu Hause zwei Kinder, die diesbezüglich diametral verschieden sind.

Meine Tochter ist im intuitiven Erfassen sozialer Geschehnisse extrem schnell, hat schon "alle über den Tisch gezogen" bevor wir das überhaupt merken. Im theoretischen Problemlösen ist sie dagegen extrem langsam.

Mein Sohn ist im theoretischen Problemlösen blitzschnell, im Interptretieren komplexer Alltagssituationen oft überfordert. :mrgreen:

Hui,
spannend der menschliche Geist, oder? :D

Ich drücke euch ganz fest die Daumen,
dass euch der "Spezialist" konkrete Orientierung plus eventueller Diagnose bieten kann!!!!!

lg
von Maca
Rabaukenmama
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Rabaukenmama »

Maca hat geschrieben: Andere Autisten haben die Fähigkeit sich mitzuteilen, merken aber z.b. nicht, ob die Umwelt an ihren Erzählungen interessiert ist und gehen dann anderen ein wenig mit ihren "spinnerten" Geschichten auf die Nerven. ;)
Das trifft voll auf meinen Sohn zu. Er quatscht ständig von den unterschiedlichsten Themen: von Entenhausen, von Elektroautos, Tablett-Spielen, Klimawandel, Paw Patrol,...dabei dürfte ihn gar nicht interessieren ob wer zuhört oder nicht.
Maca hat geschrieben:Das Problem von Autisten ist vor allem, dass sie sich nicht so schnell auf all die unzähligen, verschiedenen Kontexte in der Lebenswirklichkeit einlassen können.
Das geschieht nämlich für neurotypische Menschen intuitiv in kaum meßbarer Zeit und bedarf keiner analytischen Überlegungen.
Maca hat geschrieben: Ich sehe, ohne darüber nachzudenken sofort, ob jemand IN oder eher seitlich AN einer Schlange steht, auch weil ich die Körperhaltung der Wartenden intuitiv interpretieren kann und weiß, ob sie zielgerichtet mitwarten oder noch unentschlossen eher seitlich stehen.
Genau so etwas kann mein Sohn nicht, jedenfalls nicht intuitiv.
Er kann es aber lernen.
Genau DARAUS werde ich einfach nicht schlau. Bei mir war es nämlich als Kind ganz genau so. Wenn aber Autismus eine lebenslange Wahrnehmungsstörung ist (was ich schon oft so gehört und gelesen habe), kann man ja maximal lernen, zu kompensieren, aber es geht trotzdem nicht weg. Da frage ich mich dann, warum ich heute, als Erwachsene Mitte 40 so ziemlich jeden Kontekt intuitiv verstehe, dasselbe als Kind und Jugendliche aber nicht mal mit großer Mühe konnte.
Maca hat geschrieben:Jahrelang hat mein Sohn sich in jeder Warteschlange vorgedrängelt.
Er hat einfach nicht verstanden wo eine Schlange endet.
Sobald eine größere Lücke entstand, hat er sich dazwischengequetscht :roll: .
Bei meinem Sohn ist das die Rutsche am Spielplatz. Ich weiß nicht, wie viele hundert mal ich ihn schon darauf aufmerksam gemacht habe, dass er erst losrutschen soll, wenn die anderen Kindern aus dem Rutschenauslauf weg sind. Das hat einfach NIE geklappt. Mein jüngerer, als autistisch diagnostizierter Sohn, hat schon mit 2 Jahren intuitiv auf andere Rücksicht genommen.

So ist das auch in anderer Situationen: mein jüngerer Sohn verhält sich TROTZ Gehörlosigkeit und diagnostiziertem Autismus intuitiv oft angepasster als sein älterer Bruder. Wenn beide Buben z.B. beim McDonalds in den Spielbereich gehen kann man Wetten abschließen dass spätestens 1 Minute später ein oder mehrere Kinder anklagend rauskommen und so was sagen wie "Da ist ein Bub drin, der hat... ... meine kleine Schwester umgeschubbst/auf die Rutsche Lulu gemacht/mir den Popo gezeigt/uns seinen Schuh nachgeworfen,usw." und es ist IMMER mein älterer Sohn gemeint - wie das Amen im Gebet :( !
Maca hat geschrieben: Diese Buch hat mir sehr geholfen meinen Sohn besser zu verstehen:
http://www.v-r.de/de/autismus_als_konte ... 0/1038090/
Danke für den Tipp, werde ich mir besorgen. Ich habe ja schon "Einander verstehen lernen" und einige Tipps darauf wende ich sehr erfolgreich im Umgang mit meinem älteren Sohn an ;) .
Maca hat geschrieben: Lustigerweise habe ich zu Hause zwei Kinder, die diesbezüglich diametral verschieden sind.

Meine Tochter ist im intuitiven Erfassen sozialer Geschehnisse extrem schnell, hat schon "alle über den Tisch gezogen" bevor wir das überhaupt merken. Im theoretischen Problemlösen ist sie dagegen extrem langsam.

Mein Sohn ist im theoretischen Problemlösen blitzschnell, im Interptretieren komplexer Alltagssituationen oft überfordert. :mrgreen:
Meine Jungs sind auch sehr gegensätzlich. Bei meinem älteren Sohn kmmt mir vor, dass er die meisten Alltagssituationen gar nicht interpretieren kann. Mein jüngerer Sohn kann das - meiner Beobachtung nach - um einiges besser, hat aber auch einen viel extremeren Dickschädel und wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat ist ihm der Kontext bzw. was von ihm erwartet wird so was von egal. Ich habe aber trotzdem das Gefühl, dass er es zumindest WEISS.
Maca hat geschrieben:Hui,
spannend der menschliche Geist, oder? :D
Ja, auf jeden Fall!
Maca hat geschrieben:Ich drücke euch ganz fest die Daumen,
dass euch der "Spezialist" konkrete Orientierung plus eventueller Diagnose bieten kann!!!!!

lg
von Maca
Ich bin ja ein bißchen skeptisch weil die Spezialistin alles (kognitive Fähigkeiten abklären und schauen ob eine ASS vorliegt) in einem einzigen, 2-3stündigen Termin machen will. Aber sie meinte das würde am besten gehen und während sie mit mir spricht würde sie nebenbei die Reaktionen und Handlungen meines Sohnes beobachten und daraus ihre Schlüsse ziehen.

Warum genau die kognitive Leistungsfähigkeit abgeklärt werden soll ist mir nicht ganz klar. Dass mein Sohn kognitiv sehr fit ist bezweifelt niemand, aber es hat mit den aktuellen Problemen, die er hat und macht, mMn nicht unbedingt was zu tun. Aktuell ist das einnässen wieder besonders arg, oft an einem Abend 3x hintereinander. In der Schule und im Hort hat er es aber meistens im Griff. Da ist mir auch nicht ganz klar ob das so ist, weil es ihm dort irgendwie besser geht als zu Hause, oder ob er erst zu Hause entspannt genug ist, sich von den Strapazen des Tages "gehen zu lassen" und dann kommt eben das einnässen.

Jedenfalls vielen lieben Dank für die Tipps und guten Wünsche :) !
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Bliss
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Bliss »

Rabaukenmama hat geschrieben: Wenn beide Buben z.B. beim McDonalds in den Spielbereich gehen kann man Wetten abschließen dass spätestens 1 Minute später ein oder mehrere Kinder anklagend rauskommen und so was sagen wie "Da ist ein Bub drin, der hat... ... meine kleine Schwester umgeschubbst/auf die Rutsche Lulu gemacht/mir den Popo gezeigt/uns seinen Schuh nachgeworfen,usw." und es ist IMMER mein älterer Sohn gemeint - wie das Amen im Gebet :( !
Was gibt es denn für ihn für Konsequenzen aus seinem Verhalten? Also abgesehen davon, dass die anderen Kinder vermutlich nicht mit ihm spielen wollen, aber wie reagiert ihr Elten auf sein Verhalten?

Würde eins meiner Kinder sich so verhalten, würde der kleine Bruder alleine in den Spielbereich dürfen und der andere müsste bei uns am Tisch bleiben. Und wenn das regelmäßig vorkommt eben auch schon prophylaktisch.
Rabaukenmama
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Rabaukenmama »

Bliss hat geschrieben: Was gibt es denn für ihn für Konsequenzen aus seinem Verhalten? Also abgesehen davon, dass die anderen Kinder vermutlich nicht mit ihm spielen wollen, aber wie reagiert ihr Elten auf sein Verhalten?
Es kommt darauf an was genau passiert ist. Es ist erst mal immer ein Gespräch wo er mal seinen Standpunkt bringen kann. Ich halte nichts davon, nur eine Seite anzuhören (unabängig davon, on mein Sohn "Täter" und wer "Opfer" ist). Dabei praktiziere ich aktives zuhören, versuche also, mich in die Situation meines Sohnes zu versetzen.

Bei so Sache wie anrempeln oder beim rutschen draufrutschen meint mein Sohn dann immer, es nicht absichtlich gemacht zu haben. Er ist dann auch meistens von sich bereit, sich zu entschuldigen (der Vorschlag kommt von ihm selbst) und manchmal klappt es anschließend recht gut.

Bei Provokationen durch meinen Sohn (z-B. Popo zeigen, Schimpfwörter,...)bin ich - je nach momentaner Stimmungslage - entweder authentisch stinkwütend oder ich versuche, ihm zu erklären dass sein Verhalten einfach unangemessen ist. An seiner Reaktion sehe ich dann, ob er immer noch provokant drauf ist, und wenn ja dann kann durchaus sein, dass er eben an dem Tag nicht mehr in den Spielbereich darf. Manchmal ist er aber auch hier dann nachträglich bereit, sich zu entschuldigen, und dann klappt es doch.

Ich würde mir einfach nur wünschen dass nicht jedes Mal erst was passieren muss, dass es dann klappt. Vorher reden und erklären, was ich erwarte, hat bisher leider nicht geholfen.
Bliss hat geschrieben:Würde eins meiner Kinder sich so verhalten, würde der kleine Bruder alleine in den Spielbereich dürfen und der andere müsste bei uns am Tisch bleiben. Und wenn das regelmäßig vorkommt eben auch schon prophylaktisch.
Ach Bliss, wenn man Kinder hat, die bestimmte Probleme NICHT haben oder machen, ist es leicht zu sagen "da würde ich...".

Ich gehe mal davon aus dass mein Sohn das NICHT macht, weil es es so cool oder witzig findet, weil er so gern negative Aufmerksamkeit hat, oder mich (bzw. andere) provozieren will. Ich sehe, dass er selbst in so Situationen absolut "unrund" läuft und unter seinem eigenen Verhalten leidet. Das geht es mir nicht um Strafe (und in dem Zusammenhang, wie du das schreibst, ist mit "Konsequenzen" nichts anderes gemeint), sondern um mögliche Lösungen.

Klar muß ich immer abwägen: Wie schlimm ist das Ganze? Wie sehr leiden andere wirklich unter diesem Verhalten? Ist es nur Empörung, weil wer anderer sich was rausnimmt, was man sich selber (ev. aus Angst vor Strafe) nicht traut, aber gern machen würde? Ist auch legitim - aber ich sehe es dann trotzdem anders, als wenn wer wirklich böswillig angegriffen oder gar verletzt wird.

In Extrem-Situationen habe ich auch schon Ausflüge abgebrochen und wir sind nach Hause gefahren - eben um zu verhindern, das andere Kinder verletzt oder wiederholt beschimpft werden. Das habe ich auch mit meinem Sohn besprochen damit er mein Verhalten einordnen kann: es geht nicht darum, IHN zu bestrafen sondern ANDERE vor Übergriffen zu schützen. Gott sei Dank hatten wir so Extrem-Situationen schon länger nicht mehr - der ganz "normale" Wahnsinn reicht mir :schwitz: .

Dazu kommt, dass wir nicht so ständig in Situationen sind, wo so was passieren kann. Ganz normal auf dem Spielplatz schaue ich immer, dass ich beide Kinder im Blickfeld habe, daher eskaliert es da viel seltener. Es sind immer Situationen, wo mein Sohn ohne "Aufsicht" unter anderen Kindern ist - vielleicht 1x im Monat, wenn überhaupt.

Bei einem 7jährigen Kind - wie klug auch immer - wird ein Argument "da darfst du jetzt nicht rein, weil du vor 5 Wochen in einer änhnlichen Situationen dasundddas gemacht hast" auch auf wenig echtes Verständnis stoßen. Mein Sohn ist ohnhin ein Einzelgänger, hat Schwierigkeiten im sozial-emotionalen Bereich und wenig Selbstwertgefühl. Daher halte ich es für keine gute Idee, ihm einerseits von Situationen, die für ihn schwierig sind, bewusst fernzuhalten und das damit zu begründen, dass ich ihm nicht zutraue, zu lernen damit umzugehen.

Sorry, falls ich deine Frage nach den Konsequenzen falsch verstanden habe, in dem Fall bitte ich noch mal um genaue Erklärung was du damit meinst und wie man das praktisch ausprobieren könnte!
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Rabaukenmama
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Rabaukenmama »

Maca hat geschrieben: Diese Buch hat mir sehr geholfen meinen Sohn besser zu verstehen:
http://www.v-r.de/de/autismus_als_konte ... 0/1038090/
Danke für den Buchtipp! Ist wirklich sehr interessant und ich erkennen meinen älteren Sohn in vielen Punkten wieder. Vor allem gefällt mir, dass dieses Buch auch aufzeigt, was Autisten durchaus KÖNNEN, wo die gängigen Klischees aber oft was anderes sagen. Bin jetzt etwa in der Mitte des Buches (ich lese immer paralell mehrere Bücher 8-) ), aber allein bis jetzt war es den doch ganz schön heftigen Kaufpreis schon wert!

Unabhängig davon habe ich diesen online-Test gemacht, den unwissende-neu in einem anderen Thread erwähnt hat. Und obwohl mein älterer Sohn das extreme Zahlen-Interesse des jüngeren Bruders NICHT teilt, ist sein Wert in diesem Online-Test (der nicht als Diagnostik-Ersatz sondern nur als Orientierung gilt) sehr hoch - fast so hoch, wie der des Bruders.

Bin schon gespannt was die Diagnostik jetzt wirklich bringt. LG und vielen Dank ;) !
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Maca
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Maca »

@rabaukenmama,

diesen Test ("Asperger-Quotient", fand ich erst eher irritierend) habe ich auch mal mit beiden Kinden gemacht.

Was ich erstaunlich fand war, dass doch einige Bereiche bei beiden Kindern ähnlich beantwortet werden mussten und
TROTZDEM
hatte mein Sohn 90 und meine Tochter nur 11 Punkte!

Das hätte ich während der Beantwortung wirklich nicht gedacht. Ich hätte vermutet, dass sie näher beieinander liegen.

Würde mich interessieren, wie dieser Quotient berechnet wird.

Nur simples die Punkte zusammenzählen, scheint es nicht zu sein.


Weiterhin euch alles Gute bei eurem weiteren Weg!!!
lissi74
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Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von lissi74 »

Hallo,

melde mich hier auch mal wieder :mrgreen: .

Liebe Rabaukenmama ich habe gelesen, was du alles schreibst und ich kann einfach alles nachvollziehen. Mein Sohn "versteht" so vieles einfach auch nicht. Er weiß manchmal einfach nicht intuitiv was für ein Verhalten angebracht ist. Und manchmal ist es ihm auch einfach nicht wichtig gerade den Erwartungen zu entsprechen, sondern er möchte eben das umsetzen was er im Kopf hat. Das hat dan Priorität vor allem anderen. Bei anderen Kindern sehe ich, dass das ganz anders funktionieren kann. Wenn die Kinder miteinander spielen, rücken die Wünsche des einzelnen meist in den Hintergrund um eben am großen Ganzen teil zu haben. Natürlich gibt es auch Leader, die eben bestimmen, was gemacht wird, diese verfügen aber meist über eine extrem gute Intuition gegenüber den anderen (das muss nicht immer nur positiv sind, das kann auch unter Druck setzten oder Intregieren sein). Mein Sohn kann das aber leider gar nicht. Wenn er dann seine Version eines Spiels umsetzen möchte kommt es oft zum Kampf, denn die anderen Kinder sind auch oft sehr feinfühlig gegenüber seiner Unfähigkeit.
Mein Sohn kennt mittlerweile seine "Schwachstellen", wir sprechen öfter darüber, versuchen Auswege zu finden und ihn richtig zu untestützen. Letztens gab es bei uns ein Fest mit vielen Freunden und Kindern. Er spielte mit einem Freund und es kam zum Streit, weil der Freund die Reglen auf einmal anpassen wollte. Mein Sohn flippte aus (ging aber weg, also kein übergriffiges Verhalten) und wollte dann mit dem anderen Kind sprechen. Ich hatte schon bedenken, weil er sich ja auch nicht immer gut unter Kontrolle hat. Er sagte dann zu dem Kind: "Weißt du, ich ärgere mich viel stärker als andere Kinder darüber, wenn du die Regeln änderst, aber ich möchte gerne mit dir weiter spielen und bemühe mich nicht mehr so zu schreien!". Das andere Kind sagte " Ja gut!" und es ging weiter. Ich war sehr erstaunt und stolz, dass er den Konflikt so klar durchschauen konnte und auch dem Kind erklären konnte was los ist. Er nimmt wahr was anders bei ihm läuft und versucht sich auf seine Art eben durchzubeißen.
Was sich schon massiv ändert mit der Zeit ist sein eigenes Verständnis. Er merkt sich was funktioniert und wendet es je nach Situation an. Immer nur wenn die Motivation dafür vorhanden ist. Hätte er bei dem Kind sowieso keine Lust gehabt weiter zu spielen, wäre es wohl nicht möglich für ihn.
Ich sehe auch bei meinem Mann, der für mich ebenfalls ins Spektrum gehört, dass er mittlerweile fast alles "kann". Außenstehende halten ihn vielleicht für ruhig und manchmal etwas abwesend. Aber mehr vermutet da eigentlich keiner. Je nach Motivation hat er sogar sehr enge Freundschaften und pflegt diese viel konsequenter als ich das tue. Er sagt mir auch, was ihm als Kind alles so schwer gefallen ist und was jetzt eher einfach erscheint und er eigentlich fast vergessen hat. Das kommt jetzt durch unseren Sohn erst wieder alles hoch. Mein Mann war aber eher der introvertierte Typ. Damit kommt man auch sicherlich einfacher durchs Leben als mein lauter und extrovertierter Sohn.
Ich vermute auch, dass die Unterschieder der Asperger Autisten im Alter zwischen 6 und 15-18 (also nach Pubertät) am größten sind. Danach kann einfach auch eine andere Ebene angesprochen werden und es bilden sich unterschiedliche Gruppen oder eben eher Einzelfreundschaften. Es wird nicht mehr so viel "gespielt", was für meinen Sohn eine der größten Herausforderungen ist (unkontrollierbare Spiele mit anderen Kindern). Auch der Einfluss (positiv und negativ) der Eltern und Lehrer wird weniger. Die Interessen können also konsequenter verfolgt werden, was mit Sicherheit zur gesamten Befriedigung eines Autisten beiträgt. Allerdings kommt für viele Autisten auch eine schwere Zeit, viele Autisten bekommen Depressionen, weil die Anpassung eben viel Energie auffrisst und sehr anstrengend sein kann.
Auch der Großvater meines Sohnes ist sicherlich Autist und wurde nie dahingehend erkannt. Bis ich es meinem Mann erklärt hatte, konnte er es selbst nicht sehen. Mittlerweile sehen wir den Großvater und die extrem schrullige Art auch anders. Er ist extrem intelligent, kann unglaublich tolle Gespräche führen, aber er erkennt nicht was die Impulse seines Gegenüber sind, man muss ihm tatsächlich ganz klar sagen was ist, dann kann er darauf reagieren. Er selbst würde sicher nie auf die Idee kommen, dass er selbst Autist ist.
Ich hoffe für meinen Sohn ebenfalls, dass er sich so in die Welt einfügen wird, wie es eben die Männer in seiner Familie vor ihm taten. Er hat zum Glück zwei Sachen geerbt, die Intelligenz und das gute Aussehen (ok, als Mama muss ich das wohl so sehen, aber er hat wirklich eine super Anatomie geerbt und ist auch recht hübsch, was ihm immer wieder Verehrerinnen beschert :mrgreen: ). Ich hoffe, dass er durch unsere Akzeptanz der Situation lernt, selbst damit umzugehen und auch schon jetzt in jungen Jahren lernt Hilfen in Anspruch zu nehmen, die für ihn notwendig sind. Was wir dann alles falsch gemacht haben hören wir bestimmt auch irgendwann von ihm, denn Ehrlichkeit ist ihm ins Herz gepflanzt und er muss das im positiven und negativen kund tun.
Ich vermute, dass viele Autisten mit hoher kongnitver Leistungsfähigkeit nicht mehr als Autisten im Erwachsenenleben erkannt werden.

Alles was meinen Sohn ausmacht hängt mit dem Autismus zusammen, im positven und negativen. Das Gute wäre nicht ohne das "Schlechte" vorhanden. Es geht auch nicht darum ihn nicht mehr als Autist zu erkennen, sondern nur ihm sein Leben so zu ermöglichen, wie es für ihn lebenswert ist.

Achja und bei uns ist es genau wie bei Maca, die kleine Hexe spielt schon jetzt den 4 Jahre älteren Bruder mit links aus und ist auch im Kindergarten und mit anderen Freunden die Strippenzieherin für alles. Echt unglaublich, ich würde mir öfter mal wünschen, dass die Verteilung eher gleichwertig verlaufen wäre. Aber interessanter ist es mit Sicherheit auf diese Weise :lol: .


Alles Gute für die weiteren Termine!

LG
Lissi
Rabaukenmama
Dauergast
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Registriert: So 8. Dez 2013, 21:24

Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo Lissy!

Vielen Dank für deinen Beitrag. Vor allem das, was du von deinem Mann schreibst, trifft 1:1 auch auf meinem Mann zu. Er ist der ruhige, introvertierte Typ, braucht länger um "aus der Reserve" zu kommen, ist vermutlich überdurchschnittlich intelligent (nicht unbedingt HB), interessiert sich aber nicht dafür. Wir arbeiten im selben Betrieb und mein Mann ist der Typ, den so ziemlich alle Kollegen ungefragt ihre Sorgen und Probleme erzählen - vermutlich einfach, weil er so ein netter, ruhiger Typ ist und andere nicht runter macht.

Als Kind war mein Mann bis zur Pupertät der totale Einzelgänger und hat - nach eigener Aussage - in seiner Phantasiewelt gelebt. Er hat sehr wenige, aber intensive Freundschaften und (auch berufsbedingt) viele oberflächliche Bekanntschaften. Interessant finde ich vor allem, wie gut er (beruflich) smalltalk beherrscht, wenn es notwenig ist, und wie wenig Interesse er daran im echten Leben hat :mrgreen: .

Mein älterer Sohn ist aber eher mir ähnlich. Nicht so sehr vom Aussehen (da schlägt er in die Schiene der Männer meiner mütterlichen Verwandtschaft), sondern vom Wesen. Im Urlaub habe ich jetzt wieder erlebt, dass er sich durchaus "zusammenreißen" kann, wenn er mal ein Kind gefunden hat, mit dem er gerne spielen will. Der andere Bub war ein Jahr jünger als mein Sohn und ebenfalls kognitiv sehr fit. Er hat meinen Sohn auch immer wieder in die Schranken gewiesen wenn der aus der Situation heraus zu hippelig war und ich war erstaunt, wie gut die beiden Konflikte untereinander lösen könnten. Der andere Bub konnte aber mit unserem gehörlosen jüngeren Sohn nichts anfangen und wollte ihn nicht beim (Konsolenspiel) spielen dabei haben. Und da hat mein älterer Sohn automatisch Partei für den jüngeren Bruder ergriffen und gemeint "Warum soll er nicht bleiben? Er stört doch nicht!". Es tut sich also auch was im Sozialverhalten 8-) .

Ich habe übrigens auch Familienmitglieder (vor allem einen Onkel und einen Cousin, sie sind Vater und Sohn) bei denen ich sehr stark auf Asperger Autsimus tippe. Mit meinem Cousin habe ich schon mal darüber gesprochen und er hält es für unwahrscheinlich, Autist zu sein (hat aber auch eine sehr vorgefasste Meinung dazu). Mein Onkel gehört dagegen einer Generation an, wo viele der typischen Verhaltensweisen eher positiv bewertet wurden (eher ruhig und zurückhaltend, sich gut selbst beschäftigen können = "brav") und ich schätze ihn als einen Menschen ein, der schon von weitem schaut, wo Konflikte auftreten könnten, und diesen aus dem Weg geht.

Mein älterer Sohn dagegen ist wie ich - laut, extrovertiert, mit einer gehörigen Portion Egozentrik in Kombi mit extremer Empfindlichkeit und geringer Frusttoleranz. Eine Wesensart, die mit Kindergruppen (egal ob in Schule, Hort oder Freizeit) und gemeinsamen Interessen und Zielen einfach nicht gut zusammenpasst.

Dazu kommt, dass er öfter mal gerne Ruhephasen hätte, was aber durch den kleinen Bruder meistens nicht möglich ist. Denn der hat gerade wieder mal eine extrem schwierige Phase :schwitz: .

Bei mir selbst vermute ich übrigens viel eher ADHS als Autismus. Ich weiß ja nicht wie andere Menschen "ticken", aber mir kommt oft vor mein Kopf ist ein einziger Chaoshaufen. Im Laufe der Jahre habe ich halbwegs gut gelernt, damit zurecht zu kommen und mir Strategien zugelegt, trotzdem zu "funktionieren", aber das Chaos selbst ist nicht besser geworden. Dagegen habe ich viele soziale softscilss jetzt automatisch verinnerlicht, die ich als Kind und Jugendliche eindeutig noch nicht hatte. DAS (also mein sozial-emotionaler Zustand) ist wirklich deutlich besser geworden. Vielleicht trifft deine Vermutung, dass Autismus bei kognitiv fitten Erwachsenen weniger auffällig ist als bei Kindern, tatsächlich zu. Dabei sehe ich mich selbst nicht als Autistin sondern, wie gesagt, eher als ADHSler-in. Aber es stimmt schon, im Erwachsenenalter hat man durch die eigene Lebensführung mehr Einfluss darauf, was Außenstehende eventuell von einem erwarten. Das ist ja auch eine Sache, wo ich für meinen Sohn hoffe, dass er davon profitieren wird - unabhängig davon, was genau jetzt die Ursache für seine aktuellen Probleme ist ;) .
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unwissende-neu
Dauergast
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Registriert: Mi 4. Jan 2017, 02:49

Re: Atypischer Autismus? Erfahrungen gesucht!

Beitrag von unwissende-neu »

Ich denke, dass der Übergang aller Psychischen Störungen sehr fließend ist und die Abgrenzung auch den behandelnden Ärzten einen gewissen Spielraum lassen, bzw. jeder auf seiner Weise interpretiert, da es ja keine messbaren absoluten Werte gibt.
Maca hat geschrieben:
Das Problem von Autisten ist vor allem, dass sie sich nicht so schnell auf all die unzähligen, verschiedenen Kontexte in der Lebenswirklichkeit einlassen können.
Das geschieht nämlich für neurotypische Menschen intuitiv in kaum meßbarer Zeit und bedarf keiner analytischen Überlegungen.
Maca hat geschrieben:
Ich sehe, ohne darüber nachzudenken sofort, ob jemand IN oder eher seitlich AN einer Schlange steht, auch weil ich die Körperhaltung der Wartenden intuitiv interpretieren kann und weiß, ob sie zielgerichtet mitwarten oder noch unentschlossen eher seitlich stehen.
Genau so etwas kann mein Sohn nicht, jedenfalls nicht intuitiv.
Er kann es aber lernen.

Genau DARAUS werde ich einfach nicht schlau. Bei mir war es nämlich als Kind ganz genau so. Wenn aber Autismus eine lebenslange Wahrnehmungsstörung ist (was ich schon oft so gehört und gelesen habe), kann man ja maximal lernen, zu kompensieren, aber es geht trotzdem nicht weg. Da frage ich mich dann, warum ich heute, als Erwachsene Mitte 40 so ziemlich jeden Kontekt intuitiv verstehe, dasselbe als Kind und Jugendliche aber nicht mal mit großer Mühe konnte.
Koschka, könnte es sein, dass du als Kind einfach zu viel analysiert hast? Ich persönlich habe lange Jahre damit verbracht "unbewusst" Menschen und ihre verhaltensweisen zu studieren. Weil sie mir auf dem ersten Blick auch sehr unlogisch vorkamen. Dadurch wirkte ich ebenfalls ein wenig autistisch. Das verhalten ging bis ins frühe Erwachsenenleben mit rein. Aber es war wohl eher so, dass ich versuchte zuviel hinein zu interpretieren. Heute erkenne ich soziale Zusammenhänge überdurchschnittlich gut und erkenne auch sehr gut, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. Das konnte ich vermutlich als Kind auch schon und war daher verwirrt, weil man ja eigentlich davon ausgegen sollte, dass Erwachsene den größten Teil des Tages die Wahrheit sprechen - das tun sie aber nunmal nicht und so kann aus Kindersicht es erschwert werden, es zu verstehen, da man zuviel auf einmal versteht. Das sind die Symtome auf dem ersten Blick gleich, die Ursachen aber genau gegenteilig.
Und diese Warum-Fragen, warum kann er es nicht, sind wichtiger als das eigentliche Symptom selbst. Stelle dir bei jedem Symptom immer wieder die Frage, wodurch er es vielleicht nicht kann. Hochbegabung, ADS, Autismus stehen sich immer wieder gegenseitig im Weg und zeigen oberflächlich die gleichen Symptome.
Er erkennt einfach keinen Kontext. Wenn man ihm Bilder von Gesichtern zeigt, die traurig, verärgert, fröhlich oder nachdenklich aussehen, kann er das zwar in nullkommanix erkennen und benennen, nur im echten Leben irrt er irgendwie herum ohne wirklich zu wissen, welches Verhalten in welcher Situation angemessen ist, oder eben nicht.
Auf Bildern hat es nichts zu sagen. Das kann man auswenig lernen wie Vokabeln. Die 7 Gesichtsmerkmale zu vergleichen, wenn das Gesicht konstant bleibt ist nicht schwer. Beim Autismus ist es das bewegende Gesicht, welches Probleme bereitet und vorallem Mikroexpressionen sind gar nicht möglich, dann bleibt für das Abgleichen nicht genug Zeit und es muss Intuitiv passieren.

Schwierig ist auch die Frage, ob Gefühle nur das Vokabeln gelernt worden sind, oder ob sie Gefühle wirklich verstehen. Also in welches Situation ist welches Gefühl zu erwarten. Vorallem auch zu differenzieren, weint jemand aus Freude, aus Traurigkeit und Schmerz oder aus Wut. Das gleiche beim Lachen. Ist es ein glückliches Lachen, ein Lachen aus Verlegenheit oder ein Lachen aus Boshaftigkeit. - Das ist mit den Problemen der Autisten meist gemeint. Und da scheint dein Sohn große Schwierigkeiten mit zu haben. Also das wirkliche Erkennen von Gefühlen und nicht das "Vokabeln zu Bilder" zusortieren. ;)

Hochbegabte Autisten können natürlich besser kompensieren, da sie sich vieles einfach besser merken können und glauben, dass Verhalten wird nun in dieser Situation erwartet und damit fährt man dann am besten. Kanner Autisten zu diagnosetizieren ist um ein vielfaches einfacher, da die Intelligenzminderung nicht so viele Kompensierungstechniken ermöglicht.

Dafür spricht zum Beispiel auch die Geschichte mit der Rutsche. Hat er sich einfach die Regel gemerkt, kein Kind darf auf der Rutsche sein, wenn ich rutsche, also muss ich warten, oder nimmt er von sich aus Rücksicht. Das kannst du nur in neuen Situationen sehen, die er nicht kennt und keine Verhaltensregel dafür im Ärmel hat. Kann er dann andere Regeln von sich aus darauf anwenden, und musst du für jede Situation ihm vorher die Regel vorgeben? - Weißt du was ich meine?
Aktuell ist das einnässen wieder besonders arg, oft an einem Abend 3x hintereinander. In der Schule und im Hort hat er es aber meistens im Griff. Da ist mir auch nicht ganz klar ob das so ist, weil es ihm dort irgendwie besser geht als zu Hause, oder ob er erst zu Hause entspannt genug ist, sich von den Strapazen des Tages "gehen zu lassen" und dann kommt eben das einnässen.
Ui, dass Problem ist mir durchaus auch leider sehr bekannt. Da drücke ich euch ganz fest die Daumen, dass es zu einer schnellen Problemlösung kommt. Solche Anzeichen halte ich für sehr Handlungsbedürfig.
Bei mir selbst vermute ich übrigens viel eher ADHS als Autismus. Ich weiß ja nicht wie andere Menschen "ticken", aber mir kommt oft vor mein Kopf ist ein einziger Chaoshaufen. Im Laufe der Jahre habe ich halbwegs gut gelernt, damit zurecht zu kommen und mir Strategien zugelegt, trotzdem zu "funktionieren", aber das Chaos selbst ist nicht besser geworden. Dagegen habe ich viele soziale softscilss jetzt automatisch verinnerlicht, die ich als Kind und Jugendliche eindeutig noch nicht hatte. DAS (also mein sozial-emotionaler Zustand) ist wirklich deutlich besser geworden. Vielleicht trifft deine Vermutung, dass Autismus bei kognitiv fitten Erwachsenen weniger auffällig ist als bei Kindern, tatsächlich zu. Dabei sehe ich mich selbst nicht als Autistin sondern, wie gesagt, eher als ADHSler-in. Aber es stimmt schon, im Erwachsenenalter hat man durch die eigene Lebensführung mehr Einfluss darauf, was Außenstehende eventuell von einem erwarten. Das ist ja auch eine Sache, wo ich für meinen Sohn hoffe, dass er davon profitieren wird - unabhängig davon, was genau jetzt die Ursache für seine aktuellen Probleme ist ;) .
Ich selbst habe in meinem Leben eine Menge verschiedener Diagnosen bekommen. Davon einige, die völliger Quatsch waren. Und auch heute bin ich mir persönlich nie sicher, welche Diagnosen nun stimmen oder nicht. Mein einziges Fazit: Diagnosen sind weder für den Patienten noch für die Eltern wichtig. Aber ein notwendiges Übel für die Abrechnung der Krankenkassen und für die Therapie. - Es sollte nur wichtig sein, was funktioniert. Welche Therapie greift und was verbessert das Leben wirklich.
Leider fällt und steht dann alles mit dem blöden ICD-10 Schlüssel bzw. DSM IV oder V. Denn danach richten sich die Hilfen, egal ob Reha, Medikamente, Therapie oder Behindertenausweis. Aber bei 90% aller psychischen Erkrankungen hilft eine XY Therapie eh nicht und muss individuell zugeschnitten werden. Und die Übergänge sind immer schwimmend. Es gibt kaum einen Lehrbuch Kranken in der Psychiatrie. Gerade bei Komorbiditäten ist es kaum noch einzusortieren. Und viele Ärzte haben auch Schwierigkeiten Symptome von weiteren Erkrankungen abzugrenzen.

Ich persönlich finde aber schon, dass auch er sehr nach einem Autisten klingt. Und auch wenn er es nicht sein sollte, und es sich später "verwächst" die Therapie würde ihm momentan vermutlich nicht schaden denke ich ;) Auf jedenfall scheint er aber hilfe zu brauchen und nur das ist wichtig.
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