Also, zu dem Thema muss ich zwei Sachen erklären, und zwar erstens, dass meine Schwester lernbehindert ist und genau aus dem Grund meine Familie froh war, dass ich mich überhaupt normal entwickelt habe. Und zweitens, dass ich als Mädchen natürlich gelernt habe, dass man bei Jungs nicht besonders gut ankommt, wenn man seine Intelligenz zeigt. Und außerdem habe ich zum Abi hin immer mehr die Konkurrenz mit meinen Freundinnen gefürchtet und mich nur so viel angestrengt, dass ich die Erwartungen erfüllt habe. Ich weiß es noch genau, dass ich mir in der 10. Klasse mal eine 5 in Physik geleistet habe, die ich dann auch auf dem Zeugnis bekam. Ich weiß noch, dass meine beste Freundin und meine Mutter bei der Zeugniskonferenz anwesend waren. Es ging um die Versetzung in die 11. Klasse. Mein Klassenlehrer hat mein Zeugnis so durchgewunken, bis einer der Lehrer meinte "Moment mal, sie hat doch eine 5, sollten wir da nicht drüber diskutieren?" Und mein Lehrer sagte: "Ach, das übersehen wir jetzt einfach mal." Und das wurde dann einstimmig so beschlossen.
Ich weiß noch, dass wir uns mal mit unserer Klassenlehrerin in der 9. Klasse darüber unterhalten haben, wie sie uns so einschätzt. Sie durfte ihre Meinung offen sagen, weil sie nach diesem Jahr in eine andere Stadt wechseln wollte und uns sowieso nicht mehr benoten würde. Zu mir hat sie gesagt, dass sie mir sogar ein ziemlich gutes Abi zutrauen würde. Das war mir damals sehr, sehr peinlich und es hing mir lange nach. Ich weiß, dass sie mich mochte, weil ich auch bei ihr auf 1 stand. Zu dieser Zeit haben wir andauernd Gedichtsinterpretationen und sowas gemacht und das konnte ich ziemlich gut. Und ich musste jedesmal bei der Besprechung der Klassenarbeiten meinen Aufsatz vorlesen. Da war ich vielleicht 14 und habe total darunter gelitten. Einmal in der 9. Klasse habe ich mich in jemanden verliebt, der sitzengeblieben und zu uns in die Klasse gekommen war. Ein paar Tage nach der Klassenarbeit bin ich zu meiner Lehrerin hingegangen und habe sie angebettelt, ob sie dieses Mal jemanden anders vorlesen lassen kann. Das war eine total schreckliche Zeit, danach gab es auch ein Elterngespräch mit meiner Mutter. Zudem war sie ja auch noch Elternsprecherin und ich hatte Angst, dass vielleicht alle sagen, dass ich die guten Noten nur bekommen habe, weil meine Mutter ständig im Lehrerzimmer zu Gast ist.
In Latein war ich auch auf 1, meine beste Freundin war eigentlich auf 5, aber bekam wegen ihrer Bemühungen noch eine 4 mit einem gaaaaaaanz langen Minus. Jedesmal, wenn nach der Arbeit der Notenspiegel angeschrieben wurde und es eine oder zwei Einsen gab, riefen alle meinen Namen im Chor...

Ich habe dann immer meine Arbeit entgegengenommen und erstmal unter meinen Block gelegt (oder ehrlich gesagt: versteckt). Dann wurde ja die Arbeit besprochen und ich musste sie dann wieder hervorholen. Ich habe dann immer so meinen Arm davorgelegt, aber einmal (das werde ich niemals vergessen und ich könnte mich heute noch einnässen deswegen) sah meine Freundin auf die letzte Seite meiner Arbeit und schrie mich geradezu an: "Du hast nicht im Ernst 0 Fehler!! Du A***, das kannst du nicht bringen!!!" In diesem Augenblick wäre ich am liebsten gestorben. Ich meine, im Nachhinein verstehe ich natürlich ihre heftige Reaktion. Sie hatte eine 6 und 43 Fehler und hatte sich ein bisschen über sich selber geärgert.
Nach der 11. Klasse habe ich deswegen Latein aufgehört, weil ich das nicht mehr aushalten konnte. Ich habe leider niemals das große Latinum bekommen.
Im Nachhinein denke ich, wenn ich meine Tochter so ansehe, dass mir ihre Verweigerungshaltung sehr vertraut vorkommt. Es gibt sehr viele Beispiele, aber es war sehr auffällig, dass ich zu allen drei schriftlichen Abiprüfungen 10 Minuten zu spät gekommen bin (ich meinte damals, ich hätte verschlafen, mein Lehrer meinte aber, das sei ein Statement und er wüsste, was mit mir los ist, wollte es mir aber nicht sagen). In der dritten Prüfung (Mathe) bin ich nach der Hälfte der Zeit rausgegangen und habe unter meine Arbeit geschrieben "So, das müsste reichen!" In meinem Haupt-Leistungskurs musste ich in die mündliche Nachprüfung, weil mein Prüfungsergebnis 11 Punkte vom Durchschnitt im Unterricht abgewichen war. In der mündlichen Prüfung in Geschichte sollte ich über die Weimarer Republik referieren. Ich weiß nur noch, dass mein Lehrer mir die Frage stellte: "Was war denn an dem 1. Weltkrieg so schlimm?" Ich habe ihn minutenlang angesehen und dann gesagt: "Ich weiß nicht, was sie von mir wollen." Er versuchte es noch anders, aber ich hatte keine Ahnung, worauf er hinaus wollte und konnte nichts anworten. Und dann hat er umgeschwenkt und was zum Parteiensystem gefragt, da habe ich den Faden wiedergefunden. Später meinte er, er wollte mir den Einstieg so einfach wie möglich machen und die Antwort sollte sein, dass so extrem viele Menschen gestorben sind durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, die erst durch die Industrialisierung entstanden sind. Am Schluss bin ich dann mit 7 Punkten rausgegangen, wobei er sagte, der erste Teil waren 0 Punkte und den Rest kann man sich dann ja denken.
Das Gleiche ist mir bei der mündlichen Prüfung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten passiert. Ich wurde wurde gefragt, womit man anfängt, wenn man etwas pfänden will. Da war bei mir auch Wüste im Kopf. Ich war dann aber so mutig und habe ihn um einen Tipp gebeten, aber es half alles nichts. Ich kam nicht weiter. Dann gab er mir die Antwort: "Zu allererst macht man eine Forderungsaufstellung."
Das war für mich so, als wenn die Antwort lauten würde: Zuerst macht man den PC an (oder das Licht). Am Ende hatte ich dann 91%. Mein Klassenlehrer, der ja auch Prüfer war, meinte nur: "Was war denn das? Wollten sie uns blamieren? Das war doch ein Geschenk!"

Naja, wenigstens habe ich bei der Freisprechung (Abschlussfeier und Übergabe der Fachangestellten-Briefe einen Buchpreis bekommen, weil ich irgendwo mit bei den besten war. Meine Mitazubine war durchgefallen, deshalb hatte ich null Interesse, im Betrieb über meine Prüfung zu reden.)
Da ich jetzt ja so viel von Schule geschrieben habe, wollte ich euch auch verraten, dass ich ein Abi von 2,8 habe. Da war für mich eindeutig, dass ich ganz normal und durchschnittlich begabt bin. Wie man sieht, bin ich ja eher sowas wie ein Minderleister, denn ich habe mein Studium (Jura, Politik und Sozialwissenschaften) abbrechen müssen, weil es für mich irgendwann keinen Sinn mehr ergeben hat. Für mich hat es dann eben nur zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten gereicht. Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Seit 4 Jahren bin ich ja nunmehr mit Leib und Seele Hausfrau und Mutter.
Dass ich immer noch solche Probleme habe, merkt man daran, dass ich bisher mit meinen Freundinnen noch nicht über meinen Verdacht (dass A. evtl. weit überdurchschnittlich intelligent sein könnte) sprechen konnte. Ich bringe das nicht über die Lippen, weil ich Angst habe, dass meine Freunde mich dann hassen und nicht mehr wollen, dass ihre Kinder mit A. spielen. Das ist eine ganz fixe Idee von mir und bei dem Gedanken daran, beschleunigst sich mein Puls und ich spüre die Panik in mir hinaufkriechen.
Mit meiner Schwester habe ich schon darüber gesprochen und die geht damit ganz locker um. Sie hat nur gesagt, sie hofft, dass A. gut durch die Schule kommt und genügend Freunde findet. Ein oder zwei reichen ja schon.
Meine Mutter geht "selbstverständlich" davon aus, dass ich überdurchschnittlich intelligent bin, aber sie ist total dagegen, irgendeine Art von Test zu machen. Sie hat mich so erzogen nach dem Motto "Du darfst alles werden, was du willst, aber vielleicht nicht unbedingt Neonazi oder Massenmörder."
Meine Mutter hat da selbst auch so ihre Erfahrungen, denn sie war in ihrem Studium so herausragend, dass sie eine Begabtenförderung erhalten hat. Außerdem hat sie dann noch mit Auszeichnung promoviert. Und hatte auch Spaß dabei. Seitdem ist sie mit ihrem beiden Doktorvätern auch noch privat befreundet. Jetzt schon seit bald 20 jahren. Die Töchter ihres einen Doktorvaters sind beide hochbegabt und die haben auch nur Probleme in der Schule und leiden an diversen psychosomatischen Krankheiten (Bauchschmerzen, Migräne,...) und habe heftig Neurodermitis. Also, beneidet habe ich die beiden nie, das könnt ihr mir glauben.
Wenn ich das mal zusammenfassen darf, glaube ich, dass ich in anderen Gedankenwelten lebe, als viele andere Menschen, und ich kenne das Phänomen, dass mir Wissen einfach zufällt, ohne dass ich etwas dafür tun muss. Manchmal denke ich, ich bin auf jeden Fall die Schlaueste im Raum, aber das muss ja nicht unbedingt heißen, dass ich hochbegabt bin.

"Entschuldigung, ich habe nur kurz fantasiert." meine große Tochter, 4 Jahre alt (inzwischen 9 geworden)