Loewe03 hat geschrieben:Fragt sich, was passierte damals, als das Wort zum Affen kam
Es hatte in der Nacht geregnet damals. Endlich wieder einmal seit Wochen. Die Gruppe der Urmenschen döste müde auf dem kahlen Baum, in dessen dürren Zweigen sie Schutz vor dem Megantereon suchten. Diese riesige Katze war genau so hungrig wie die Gruppe der Urmenschen. Aber wenn die Grashalme der Savanne durch die Feuchte aneinander klebten anstatt im Wind zu rascheln, dann brauchte sich das Raubtier erst gar nicht anzuschleichen. Die kletterfreudigen kleinen Gestalten hatten ein gutes Gehör und zogen sich dann einfach in die dünnen Zweige zurück, die eine Riesenkatze nicht tragen konnten.
An jenem denkwürdigen Tag wurde es nur schwer hell. Eine bedrohliche Wolkenwand türmte sich vor der aufgehenden Sonne auf. Sogar die Grillen schwiegen. Die Stille hatte etwas gespenstisches. Der Anführer spähte in alle Richtungen, um die Gefahr zu erkennen, aber er schlug keinen Alarm. Dennoch übertrug sich seine Nervosität auf alle Gruppenmitglieder. Eine junge Mutter umklammerte ein kleines Kind, dessen Körperbehaarung noch feucht und kühl war. Sie atmete den Duft des Kindes ein, um sich zu beruhigen. Zwei Jugendliche fingen an, ihre Kräfte an den Ästen auzutesten, um sich abzureagieren. Die dunkle Wolke schwebte nun über dem Schlafbaum. Die Großmutter der beiden Jugendlichen hob ihre Nase in den Wind und schlug plötzlich Alarm. "Aaaiii, aaaiii!", schrie sie und kletterte nach unten. Mit wilden Gesten deutete sie Fluchtbewegungen an. Widerwillig folgten ihr die anderen, denn sie vertrauten auf ihre Erfahrung. Der Anführer schaute ratlos umher, als die ganze Gruppe schließlich sprungbereit auf dem Boden angekommen war. Urplötzlich schoss mit einem Donnerschlag ein Blitz auf den Baum herab. Die gewaltige Kraft spaltete den Baumstamm, aus dem eine Flamme schoss. Die Großmutter wollte losschreien, aber für einen Moment hatte ihr Herz ausgesetzt und sie stürzte zu Boden. Auch die anderen Menschen schienen einen Moment wie gelähmt. Einer der übermütigen Jugendlichen bemerkte sogar, dass seine Haarspitzen angesengt waren. Langsam wich die Starre aus den Gliedmaßen... Aber es war schon zu spät! Der kurze Moment der Lähmung durch die starke elektrische Entladung hatte ausgereicht, dass die Riesenkatze ihre Chance auf Beute wahrgenommen hatte. Der Anführer zeigte auf den Baum, aber er wusste, dass niemand so schnell klettern würde, wie ein Megantereon herbeispringen konnte. Aber die Riesenkatz sprang nicht. Stattdessen hob sie ihren Blick und beäugte misstrauisch den trockenen Baum. Der Kopf des Anführers drehte sich instiktiv in die Blickrichtung des Raubtiers. "Aaaahhhh!", entfuhr ihm ein Schrei des Entsetzens. Der Schlafbaum wurde aufgefressen von dem Ungeheuer ohne Gestalt und ohne Namen. So sah also das Ende aus! Wohin flüchten? Jetzt schrien auch alle anderen in Panik auf. Aber keiner wollte zuerst losspringen, um der Katze zum Opfer zu fallen. Die namenlose Gestalt auf dem Baum hatte einen riesigen Hunger und fraß die Zweige mit knackendem Geräusch wie es sich anhörte, wenn eine Säbelzahnkatze die Halswirbel durchbiss. Plötzlich senkte sich mit einem grässlichen Geräusch der abgespaltete Teil des Baumes nach unten. Die Raubkatze vollführte einen riesigen Sprung nach hinten und duckte sich mit aufgerissenen Augen ängstlich auf den Boden. "Uhhh-uhhh!", lachte der Anführer. Es erschien ihm lustig, dass ausgerechnet die Raubkatze Angst zeigte. Die zwei Jugendlichen trauten sich sogar, eine provozierende Geste zu vollführen, und lachten die Großkatze aus: "Uhh, uh, uh!" Die Säbelzahnkatze fixierte die beiden Jungs und erhob sich zähnefletschend. Sofort wichen die Jugendlichen wieder zurück an den Baumstamm. Die Hitze und die Ascheflocken schienen plötzlich weit weniger gefährlich als die Riesenkatze. Einer der Jungs hängte sich an den abgespalteten Teil des Stamms. Das namenlose Ungeheuer schien sich wohl nur für das Holz des Baums zu interessieren - im Gegensatz zu diesem Raubtier. Der andere Junge half seinem Freund beim Herunterbiegen des brennenden Geästs. Plötzlich gab der Baum nach und fiel auf das feuchte Gras. Es zischte wie eine Schlange, die sich wehrte. Das namenlose Ungeheuer schickte sich an, den Baum zu verlassen. Das durfte nicht sein! Vielleicht fand es keine Nahrung mehr... Einer der Jungs brach einen Ast vom liegenden Teil des Baumes ab und hielt es dem Namenlosen zum Essen hin. "Hu, hu, hu!", versuchte er Freundschaft zu zeigen. Das namenlose Ungeheuer nahm das Geschenk an und kletterte auf den Ast. Erstaunt und überrascht hielt der Junge den Ast mit dem neuen Freund in die Höhe. Der Raubkatze wurde es zu bunt. Mit einem unwilligen Knurren verschwand sie im hohen Gras.
Der neue Freund besiegte die Angst vor den Raubtieren. Statt der nächtlichen Stille voller Anspannung wurde gescherzt, gelacht und getanzt. "Oooii" nannten sie die neue Entdeckung, die immer mit Holz oder Reisig gefüttert werden wollte. Das Knacken wurde zur Hintergrundmusik abendlicher Unterhaltung. In der Sicherheit des Oooiis wuchs die Ausdrucksstärke der Erzählungen mit der Ausgelassenheit der Menschen... Tja Loewe, so kam allmählich das Wort zu den Menschen der Gattung Homo erectus, die durchaus schon Gesten und Laute verwendeten, um sich zu verständigen. Aber erst viele hunderttausend Jahre später waren Wortschatz und Grammatik zu dem geworden, was wir heute als Sprache bezeichnen würden...
Grüße von Neckri