petunia hat geschrieben:Hallo zusammen
Ich melde mich nach langer Zeit wieder einmal, ich lese sonst oft still mit.
Hallo, schön dass du wieder schreibst

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petunia hat geschrieben:Im Kindergarten kam es dann zuhause zunehmend zu Problemen. Unsere Tochter interessierte sich für gar nichts mehr, wäre zeitweise am liebsten den ganzen Tag nur im Zimmer gelegen um sich ihre schon 1000x angehörten Hörspiele erneut anzuhören, sie musste zu allem mit viel Aufwand (und zum Teil Streit) motiviert werden (obwohl es ihr dann meist doch Spass gemacht hat). Sie war sehr oft frustriert, mit einer übellaunigen Grundstimmung, oft grundlos wütend und sehr oft auch traurig und weinerlich. Im Kindergarten war alles bestens, sie fiel dort eher als „Vorzeigekind“ auf.
Es ist häufig, dass Kinder ein mißfit in einem Bereich, wo sie sich nicht sicher fühlen, in einem sicheren Rahmen "verarbeiten". Das kann in beide Richtungen gehen: ein Kind, welches sich im Kindergarten sicherer fühlt als zu Hause, kann dort schwierig sein und zu Hause komplett angepasst. Bei deiner Tochter dürfte es umgekehrt der Fall sein. Im Kindergarten passt sie sich an, tut, was von ihr erwartet wird, und leidet innerlich vor sich hin. Dieser Frust kommt dann im sicheren Rahmen zu Hause zum Ausbruch (denn irgenwie und irgendwo muss er ja raus). Laut deiner Beschreibung erscheint mir so die Situation bei euch.
petunia hat geschrieben:Da sich die Situation auch mit Beginn der Sommerferien und dem Versuch viel Unterhaltung zu schaffen nicht besserte, stellten wir uns bei der Kinderärztin vor, welche eine Entwicklungsdiagnostik veranlasst hat.
Diese ist nun abgeschlossen und wir haben viele Diagnosen erhalten, ein ADHS, eine visuomotorische Störung, eine umschriebene motorische Entwicklungsstörung und sozial-emotionale Anpassungsschwierigkeiten. Es wurde Ergotherapie verschrieben, die Wartezeiten sind lang, die Therapie wird voraussichtlich im Dezember beginnen.
Gut, dass ihr dem nachgegangen seid! Mit Ergotherapie ist sicher nichts falsch, noch dazu, wo deine Tochter ja auch motorische Auffälligkeiten hat. Mein jüngerer Sohn (als Kleinkind motorisch entwicklungsverzögert und durch den Autismus auch in der sensorischen Integration gestört) hat sehr von Ergotherapie profitiert. Außerdem macht Ergotherapie den meisten Kindern auch noch Spaß - so habe ich es nicht nur bei meinem Sohn beobachtet

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petunia hat geschrieben:Im Rahmen der Abklärungen wurde auch der K-ABC II durchgeführt, mit dem Ergebnis „Gut durchschnittlicher kognitiver Entwicklungsstand“.
Was mich etwas erstaunt ist, dass die Werte der Untertest zum Teil sehr weit divergieren.
So war unsere Tochter weit überdurchschnittlich bei den Tests Atlantis und Symbole (v.a. beim Abruf nach Intervall), Rover, Wortreihe, Muster ergänzen und Rätsel (zum Teil bis Prozentrang 98%).
Dafür verhältnismässig schlecht (15. Prozentrang) bei Geschichten ergänzen, Zahlen nachsprechen, Gestaltschliessen, Dreiecke und Handbewegung.
Vielleicht kann jemand von euch uns weiterhelfen mit den Fragen die uns gerade so durch den Kopf schwirren:
- Ist es üblich, dass die Werte so stark divergieren (von %-Rang 15 bis 98)?
- Wie kann man sich erklären, dass jemand eine Wortreihe super gut nachsprechen kann, jedoch nicht eine Zahlenreihe? Ist das eine andere Intelligenz? Oder liegt das am ADHS?
- Hat das Geschichten ergänzen, Gestaltschliessen, Dreiecke und die Handbewegungen wirklich mehr mit der Visuomotorik zu tun als die Subtests Atlantis, Rover oder Muster ergänzen? Das ist ja auch alles visuell…
Mittlerweile haben meine Kinder beide Intelligenztests hinter sich (mein älterer Sohn 1x WISC IV und mein jüngerer, gehörloser Sohn 3x SON-R 2,5-7). Als mein älterer Sohn 4 Jahre alt war hatte er auch eine Entwicklungsdiagnostiv mit verschiedenen Tests (K-ABC war auch dabei), aber ohne IQ-Ermittlung. So gesehen kann ich speziell zum K-ABC II keine eigenen Erfahrungen teilen. Beide Jungs haben aktuell ein extrem heterogenes Entwicklungsprofil, aber beide habe auch diagnostizierte Wahrnehmungsstörungen.
Mein jüngerer Sohn (gehörlos und Autist) hatte einmal zwischen bestem und schlechtestem Untertest schon zweimal 70! IQ-Punkte Differnez. Sein Spektrum reicht von leichter geistiger Behinderung bis zu Höchstbegabung. Rein rechnerisch käme ein IQ von 86 heraus, das ist aber auf Grund der extremen Schwankungen nicht wertbar.
Bei meinem älteren Sohn (ADHS in Kombi mit Asperger Autismus) ist es ähnlich. Sein schlechtester WISC-Wert war die Verarbeitungsgeschwindigkeit mit PR (Prozentrang) 25, was in dem Bereich einem IQ von 90 entspricht. Im sprachlichen Bereich hat er den Test gedeckelt und sein PR liegt über 99,96, was in dem Bereich einem IQ von über 150 entspricht (weiter rauf misst der Test nicht). Leider hat mein Sohn auch einige Untertests verweigert, so dass ein Gesamttest ziemlich "löchrig" ist - aber auch bi ihm sind mindestens 60 Punkte zwischen bestem und schlechtestem Unterwert.
Was deine Frage zum nachsprechen von Wortreihen und Zahlenreihen betrifft habe ich eine klare Antwort: ja, es ist offensichtlich eine andere Intelligenz dafür "verantwortlich". Meine Jungs haben ja verschiedene Begabungsspitzen, einmal im sprachlichen und einmal im mathematischen Bereich. Mein älterer Sohn ist in Mathe auch überdurchschnittlich begabt, hatte aber ziemliche Schwierigkeiten damit, lange Zahlenreihen vor- und rückwärts nachzusagen. Für meinen jüngeren Sohn wäre dieselbe Aufgabe kein Problem. Dafür können meinem älteren Sohn die Wortreihen gar nicht lang genug sein

. Warum ein- und dasselbe Hirn bei scheinbar so ähnlichen Aufgaben so unterschiedlich arbeitet, kann ich auch nur vermuten. Ich denke mal, dass das Hirn bei meinem älteren Sohn beim hören von Wörtern freudiger erregt ist als beim hören von Zahlen und beim jüngeren Sohn ist es umgekehrt.
petunia hat geschrieben:
Ich habe gelesen, dass grosse Divergenzen zwischen Geschichten ergänzen und Muster ergänzen sowie ein schlechter Wert bei Gestaltschliessen auf einen (Asperger-)Autismus hindeuten können.
Der Kinderarzt / die Psychologin sind nicht näher darauf eingegangen, wir haben auch nicht danach gefragt, das Gespräch war nicht sehr lange.
Grundsätzlich stimmt die Aussage, aber allein auf Grund eines heterogenen Testergebnisses würde ich jetzt nicht gleich auf Asperger Autismus schließen, wenn bis zur Testung nichts anderes aufgefallen ist, was in die Richtung deuten könnte.
petunia hat geschrieben:
Unsere Tochter hatte jedoch auch ziemlich grosse Mühe Emotionen von Personen auf Fotos zu beschreiben.
Ich glaube seit einiger Zeit, dass sie (und ich) hochsensibel sind, ich bin im Forum hier darauf gestossen, habe es vorher nicht gekannt. Die andernorts diskutierte These, dass der Übergang von Hochsensibilität zum Asperger-Autismus fliessend ist kann ich sehr gut verstehen, ich fühle mich selbst mal mehr mal weniger zum einen sowie zum anderen passend…
Die Autismus-Tests, wo man Emotionen auf Fotos beschreiben soll, sind heute längst überholt. Eigentlich waren sie nie aussagekräfig, denn gerade kluge Asperger-Autisten können das durchaus, wobei neurotypischen Menschen mit visuellen Schwierigkeiten damit große Probleme haben können. Meine Mutter ist so ein Beispiel: sie konnte NIE etwas, was ihr auf einem Bild gezeigt wurde, richtig erfassen. Auch Bilder-Witze hat sie nie verstanden, obwohl sie normal intelligent ist und von Autismus sicher meilenweit entfernt. Hingegen können meine Autisten-Jungs beide auf einen Blick erkennen, ob ein Kind auf einem Bild traurig, wütend oder überrascht ist. Mein älterer Sohn konnte das schon immer und mein jüngerer Sohn hat es, als er erkannt hat, worum es geht, binnen kürzester Zeit gelernt. Das ändert aber nichts an ihren Diagnosen.
Mein älterer Sohn erkennt z.B. sofort, wenn ein Kind weint, hat aber keinerlei Vorstellung, was der Hintergrund sein könnte. Dazu erfindet er oft abstruse Theorien. Aus Enttäuschung/Trauer weinen, vor Freude weinen, wegen Schmerzen weinen, vor Rührung weinen, aus Wut weinen, aus Scham weinen - das kann er alles nicht zuordnen. Daher sucht er sich irgenwie willkürlich aus all diesen Möglichkeiten eine heraus, die begründet, warum das Kind weint. Wird ihm hingegen ein Bild von einem weinenden Kind gezeigt und er konzentriert sich darauf, sich LOGISCH (nicht vom Gefühl her!) zu erschließen, warum das Kind weinen könnte, liegt er meistens richtig.
Mein jüngerer Sohn hingegen glaubt immer, wenn er ein weinendes Kind sieht, das Kind hätte sich weh getan. Da schließt er von sich selbst auf andere, denn er selbst weint nie, es sei denn, er hat sich wirlich SEHR weh getan (das brüllen bei autistischen Wutanfällen, wo auch manchmal vor Wut die Tränen runterlaufen, ist eine andere Sache).
Daher wären Defizite beim auf-Fotos-Gefühle-erkennen für mich genausowenig ein Indiz für Autismus wie das heterogene Testergebnis. Es kommt vielmehr darauf an, wie oft deine Tochter im echten Leben falsche Schlüsse zieht, was wo immer wieder falsch reininterpretiert, ganz normale, soziale Alltags-Situtionen nicht oder falsch versteht,...[/quote]
petunia hat geschrieben:
Wir waren beim Gespräch mit der Psychologin und dem Arzt etwas überrumpelt von den ganzen Ergebnissen. Jetzt sind wir etwas unsicher ob wir wirklich (wie beim Gespräch empfohlen) einfach mal den Beginn der Ergotherapie abwarten und dann auf Besserung hoffen? Oder nochmals das Gespräch mit den Fachpersonen suchen bezüglich Asperger-Autismus?
Es kommt darauf an, wie sehr deine Tochter oder ihre Umgebung unter ihrem Verhalten leidet. Wenn das nicht der Fall ist, würde ich getrost abwarten. Zur Abklärung anmelden (am besten in einem Autismus-Kompetenzzentrum oder bei einem darauf spezialisierten KJP) kannst du ja trotzdem schon mal, da sind ohnehin meistens sehr lange Wartezeiten, und bis dahin hat die Ergo sicher schon längst begonnen. Einen Termin absagen ist meiner Erfahrung nach wesentlich leichter, als dann kurzfristig einen bekommen

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Ich nehme an, dass du mit "auf Besserung hoffen" die Situation meinst, dass sie im Kindergarten unauffällig, zu Hause aber dauer-frustriert ist. Da ich - wie schon weiter oben beschrieben - unabhängig von Autismus oder nicht, ein mißfit im Kindergarten vermute, würde ich erst mal einen anderen Versuch wagen. Damit meine ich, deine Tochter mal für mindestens 4 Wochen aus dem Kindergarten rausnehmen bzw. (wenn das nicht möglich sein sollte) so kurz und wenig wie nur möglich hinbringen. In der Zeit würde ich auch zu Hause keine Erwartungen an sie stellen, hie und da mal was (z.B. einen Ausflug oder Museumsbesuch) anbieten, aber nicht drängen und einfach abwarten, ob nach einer Phase der Regeneration die alte Neugier und Lebenslust von selbst wiederkommt.
Was erzählt deine Tochter vom Kindergarten? Gefällt es ihr dort, hat sie Freunde, oder ist ihr eher unangenehm, wenn andere Kinder Kontakt zu ihr suchen? Gibt es im Kindergarten Dinge, die ihr Spaß machen (laut IHRER Aussage, nicht der, der KindergärtnerInnen) und was frustriert sie dort am meisten? Ich würde unabhängig von allem handeln immer wieder vorsichtige Gespräche in der Richtung suchen, und die Tochter ermutigen, auch Dinge vom Kindergarten zu erzählen, von denen sie weiß, dass du sie lieber nicht hören willst (denn welche Mutter will ihr Kind NICHT glücklich und zufrieden sehen). Dann würde ich "aktives zuhören" praktizieren, also nicht gleich Lösungen vorschlagen, sondern nur das Problem und die dazu gehörigen Gefühle benennen und das einfach mal so stehen lassen. Zum Beispiel "Dich ärgert sehr, dass du die 300teiligen Puzzles nicht machen darfst!" oder "Du würdest lieber Bücher anschauen statt schlafen zu müssen", oder "Der Kindergarten-Ausflug hat Dir viel Spaß gemacht, weil du nicht im Sesselkreis sitzen musstest!"...du weißt schon, was ich meine

. Oft hilft Kindern schon gewaltig, wenn sie sich von der Mama und/oder dem Papa einfach nur verstanden fühlen. Man muss nicht immer sofort handeln und alle Steine aus dem Weg räumen.
Alles Gute

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Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)