Anspruch auf Herausgabe Testergebnisse

Fragen, Antworten und Erfahrungen zu IQ-Tests
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Anspruch auf Herausgabe Testergebnisse

Beitrag von Rabaukenmama »

Hallo Mutti!

Ok, jetzt verstehe ich! Vor dem Hintergrund, dass der IQ-Test ja, wenn ich das richtig gelesen habe, wegen "Verdacht auf auditive Wahrnehmungsstörung" gemacht wurde, wird einiges klarer.

Bei den meisten Wahrnehmungsstörungen zeigt sich beim WISC ein ganz bestimmtes Intelligenzprofil: ein (im Gegensatz zum Rest) starkes Absacken des Ergebnisses in den Bereichen Verarbeitungsgeschwindigkeit (VG) und oft auch Arbeitsgedächtnis (AG). Bei durchschnittlich intelligenten Kindern sind die meisten Werte durchschnittlich (IQ-Bereich 85-114) und VG und AG sind entweder unterdurchschnittlich (84-70) oder stark unterdurchschnittlich ( >70). Bei (sehr) intelligenten Kindern sind die meisten Werte überdurchschnittlich (115-129) oder stark überdurchnittlich (130<) und VG und AG sind auch deutlich schlechter, aber eben NOCH im Normalbereich.

Das können manche Psychologen nicht deuten, sprich, sie glauben, dass nur dann eine Wahrnehmungsstörung besteht, wenn diese Bereiche unterdurchschnittlich sind. Das stimmt aber nicht. Gerade hochfunktionale Autisten mit Teilleistungsstärken (wie mein älterer Sohn) die mit ihrer Intelligenz ihre Defizite (auf Grund der Wahrnehmungsstörung) gut kompensieren können, weisen so ein IQ-Profil auf. Vielleicht ist auch das der Grund, dass sich die Psychologin so bedeckt hält. Entweder ist sie selbst unsicher, ob "es" beim konkreten Ergebnis deines Sohnes Autismus sein kann, oder sie vermutet, kann es aber nicht gut argumentieren, weil eben "durchschnittliche" Werte bei vielen Eltern nach "völlig normal" klingen, und es wirklich kompliziert ist, das, was ich hier in wenigen Worten zu erklären versuche, Eltern rüberzubringen, die oft ein sehr klischeebehaftetes, negatives Bild von Autismus haben. Die sind nämlich dann überzeugt, dass IHR kluges Kind kein Autist sein kann und argumentieren mit Werten, von deren Aussagekraft sie eigentlich keine Ahnung haben.

Wenn der Grund für die Testung deines Sohnes gewesen wäre "Ach, er ist so ein schlaues Kerlichen, jetzt will ich mal seinen IQ wissen", dann bestünde meiner Meinung nach kein akuter Handlungsbedarf. Aber der "Verdacht auf (auditive) Wahrnehmungsstörung" steht ja nicht ohne Grund im Raum. Demzufolge muss es ja irgendwelche Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten gegeben haben. Und falls das Kimnd tatsächlich Autist sein sollte, werden diese Schwierigkeiten im Laufe der Jahre definitiv stärker und vor allem (gegenüber Gleichaltrigen) auffälliger. Da spreche ich leider aus Erfahrung.

Wenn das der Fall ist, wäre für mich an deiner Stelle der nächste Schritt eine Anfrage wegen Diagnostik in einer Autismusambulanz. Die Wartezeiten dort sind je nach Wohnort (ich nehme an in Deutschland, oder?) 1-2 Jahre! Und die Diagnostik selbst benötigt auch mehrere Termine und kann sich über Monate ziehen. Wenn sich bis zu eurem persönlichen Erstgespräch in der Autismusambulanz alle Probleme in Luft aufgelöst haben sollten, kannst du immer noch absagen.

Aber wenn sich umgekehrt die Schwierigkeiten häufen, und du z.B. in zwei Jahren von jetzt auf gleich eine Diagnostik brauchst, wird das nicht gehen. Vor allem bei sehr klugen Kindern wird Autismus von "Wald-und-Wiesen-Psychiatoren" oft auf Grund von fehlender Ausbildung (manche haben irgendwann vor 20 Jahren ein, zwei Vorträge dazu gehört) nicht erkannt, oder auf Grund von Klischees wie "kann in die Augen schauen" oder "Wirkt in der 1:1 Situation völlig normal" nicht erkannt. Viele Eltern von klugen Autisten haben daher einen langen (Leidens-)Weg hinter sich, bis sie die korrekte Diagnose bekommen.

Während dieser Zeit würden viele Kinder schon dringend Hilfen benötigen (z.B. Nachteilsausgleiche in der Schule, Autismustherapie,..), es fallen durch privat bezahlte Therapien (z.B. sensorische Integration, Neurofeedback,...) Kosten an, und ohne Diagnose bleibt man als Eltern auf all dem sitzen! Mit Diagnose ist auch nicht alles locker-lässig, aber doch DEUTLICH besser als ohne!

Ich kann aus der Ferne natürlich nicht sagen, ob dein Sohn Autist ist, oder nicht. Wenn aktuell kein großer Leidensdruck besteht, hast du aber JETZT die Gelegenheit, dich über hoch funktionalen Autismus (frühere Bezeichnung "Asperger Autismus") zu informieren und dein Wissen dazu zu erweitern. Im besten Fall hast du dich dann eben umsonst informiert, ihr sagt den Diagnostiktermin ab und fertig!

Alles Gute von uns!
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Rabaukenmama
Dauergast
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Re: Anspruch auf Herausgabe Testergebnisse

Beitrag von Rabaukenmama »

Nachtrag: SOLLTE dein Sohn eine Autismus-Diagnose bekommen, bist du NICHT verpflichtet, diese irgend jemanden mitzuteilen. Also eine Diagnostik machen zu lassen selbst bringt keinerlei Gefahr von Stigmatisierung (wovor sich manche Eltern fürchten), sofern du keine Schweigepflichtsentbindung (gegenüber Kindergarten oder Schule) unterschreibst. Die Diagnose unterliegt selbstverständlich der ärztlichen Schweigepflicht.
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