Ich wünschte, ich hätte Kind 1 eher testen lassen. Es hätte uns sicher einiges an Leid erspart.
(Sie wurde mit 9 Jahren/Ende der 3.Klasse dann gestestet)
Sie war im letzten Kindergartenjahr wirklich sehr unglücklich, ich dachte allerdings damals, es läge an der Entthronung durch Nummer 2.
Inzwischen denke ich das nicht mehr. An Silvester sagte sie damals: "Das Beste an diesem Jahr war, dass ich eine Schwester bekommen habe!"
Ansonsten fielen in dem Jahr Sätze wie "ich wär am liebsten gar nicht da", "niemand braucht mich", "ich bin nutzlos" und "ich würde gern irgendwo ganz allein Wald wohnen".
Im Sorgentagebuch, was wir damals führten, berichtete sie sehr viele kleinere soziale Situationen im Kindergarten, in meinen Augen völlig normale Begebenheiten, die ihr aber offensichtlich sehr zusetzen.
Darum denke ich, dass sie sich sehr fremd und anders unter den anderen Kindern fühlte. Einfach irgendwie fehl am Platze.
Hätten wir damals gewusst, dass sie hochbegabt ist und ich schon mehr Wissen rund und das Thema gehabt, hätte ich ihr glaube ich in der Situation viel besser helfen können.
Sie erinnert sich bis heute (sie ist jetzt 5.Klasse) noch an viele Begebenheiten im Kindergarten und sogar noch bis in die Krippenzeit hinein. So konnte sie auch noch viel im Rückblick berichten, was uns jetzt mit dem Wissen um die HB völlig einleuchtend ist.
Sie sagt bspw, dass sie oft die anderen Kinder nur beobachtet hat und nicht verstanden hat, was sie mit ihren Spielen bezwecken wollten. Für sie waren die Spiele oft völlig sinnlos oder unverständlich, mitunter hätten die Kinder Sachen ausprobiert (einen Ball vom Baum runter holen z.B.), wo für sie völlig klar war, dass das nicht auf diese Weise klappen kann und sie konnte einfach nicht verstehen, warum die Kinder einer auch dem anderen und immer wieder es trotzdem probiert haben.
Sie hat sich bei sowas immer irgendwie "falsch" gefühlt, denn sie war ja offensichtlich die einzige, die anders dachte.
Ebenso Ausflüge. Sie hasste Ausflüge, weil die anderen Kinder sich nie so benahmen, wie sie sollten. An der Straße rumhampelten, nicht in Zweierreihen blieben usw.
Sie hatte darum immer Angst, dass etwas passieren könnte.
Alle andere waren aber begeistert, wenn es Ausflüge gab, sie mochte sowas nicht. Also wieder: "Mit mir muss was falsch sein, wenn ich mich als einzige nicht freuen kann"... usw. usf
Jetzt kann sie das neu einordnen und weiß, dass es an ihrer Weitsicht lag, die den Gleichaltrigen fehlte und daran, dass sie manche Dinge einfach besser/schneller durchschaute, und nicht daran, dass sie irgendwie falsch ist.
Ich glaube, das war wirklich eine Erleichterung, zu wissen, warum sie so empfand.
(Wie haben viele solche Erlebnisse nochmal unter "anderem Licht" besprochen in der Zeit nach dem Test)
Auch in der Grundschule ging es ihr nicht so gut und um ihr Selbstwertgefühl war es nicht gut bestellt.
Dann kam ich irgendwann auf Hochsensibilität, das brachte ihr schonmal Erleichterung, als wir darüber sprachen und dass viele ihrer Besonderheiten für Hochsensible "normal" sind.
Und dann nach dem Test habe ich auch mit ihr siehe oben über Hochbegabung gesprochen und sie hat auch in manche meiner Bücher dazu reinlesen und immer wieder kamen dann von ihr so Sätze dazu wie: "Das ist verrückt - die scheinen mich zu kennen, woher wissen die all das???"
Ich habe den Eindruck, das ihr das sehr geholfen hat, ihr Gefühl der "Andersartigkeit" zu akzeptieren und besser einzuordnen. Vor allem zu wissen, dass sie im Rahmen dieser ihrer Besonderheiten dann doch ganz normal ist.
Und dass anders zu denken nicht ein Makel ist, wie sie es immer empfand, sondern eine Gabe.
Sie mag das Thema an sich nicht so gern und möchte nicht, das irgendjemand davon weiß, mit mir redet sie aber immer mal wieder darüber. Ich erkläre ihr immer mal wieder was dazu, wenn sie bspw mal wieder unglücklich mit/über sich selbst ist. (woher es bspw kommt, dass sie so anders empfindet, warum andere oft weniger rücksichtsvoll sind, als sie erhofft und selbst handelt, dass es anderen manchmal einfach an Weitsicht fehlt, warum andere Kinder Freundschaft anders definieren, als sie - das war vor allem in der Grundschule ein Problem - , warum sie so ungeduldig mit sich selbst ist, warum sie so heftig reagiert, wenn ihr was nicht gelingt, warum sie so schnell an sich zweifelt und sich als "zu dumm" empfindet, dass sie durch ihre intensive Selbstreflexion viel kritischer ist mit sich, als andere etc pp.)
Seit dem Test (u.a. wegen für mich nicht ganz erklärbarer stetig wachsender Schulunlust gemacht) sind nun eineinhalb Jahre vergangen und ich finde, es hat sich seitdem vieles zum Besseren verändert.
Ich selbst habe auch mehr Sicherheit im Umgang mit ihr gefunden, weil ich jetzt auch besser einordnen kann, welche Probleme sie warum hat. Ich bin auch toleranter und geduldiger, seit ich eine Erklärung habe für so einige der problematischen Seiten ihrer Besonderheit.
Die kleine Schwester habe ich in diesem Frühjahr mit gerade mal 5 Jahren testen lassen, weil ich für sie über eine Früheinschulung nachgedacht habe. (Übrigens kostenfrei an einer Stelle der Uni, inklusive einer sehr hilfreichen ausführlichen Beratung! Wenn du magst, schreib ich dir eine PN, wo sowas bspw möglich ist)
Die Teststelle meinte damals, an sich sie sie noch zu jung, aber eine Tendenz wäre zu erkennen und man könnte anhand des Tests gut einschätzen, wo sie im Vergleich zur Altersgruppe steht und wo im Vergleich zu den Kindern, mit denen sie eingeschult werden würde, wenn sie mit 5 in die Schule käme.
Das Gesamtergebnis war nicht ganz so hoch wie bei der Großen, die Kleine liegt gut 10 IQ Punkte unter ihr und damit nicht mehr im HB Bereich.
Allerdings ist sie im Sprachverständnis und in logischen Bereich sehr nah/genau auf der Grenze.
Das lässt erwarten, dass sie in der Grundschule in Deutsch und Mathe ähnlich unterfordert sein könnte, wie die Große. Aber diesmal haben wir einen Vorteil - wir wissen schon bescheid und können das direkt unter dem Gesichtspunkt im Auge behalten.
Insgesamt erwarte ich bei der Kleinen aber weniger Probleme - vor allem in psychischer Hinsicht nicht - denn sie ist charakterlich anders, lässt sich nicht so schnell aus dem Gleichgewicht bringen und findet schneller wieder zurück in die innere Balance. Sie ist offener und geduldiger mit sich und zweifelt weniger schnell an sich selbst.
Allerdings ist sie auch recht sensibel und scheint sich im Kindergarten sehr anzupassen, um nicht aufzufallen.
Anpassung ist ein ziemlicher Selbstwertkiller, denn wie soll man sich selbst schätzen lernen, wenn man den Eindruck hat, anders sein zu müssen, als man ist?
Darum würde ich das bei deiner Tochter - Anpassung ist gerade bei hochbegabten Mädchen sehr verbreitet - unbedingt im Auge behalten.
"Gut angepasst", wie du schreibst, kann jedenfalls langfristig auch negativ fürs Kind sein. Da würde ich wirklich genau hinschauen!
Meine Große war auch gut angepasst im letzten Kigajahr - sie spielte da bspw endlich auch mal mit anderen Kindern mit, was sie vorher kaum/nicht getan hatte. Abends sagte sie dann aber die oben genannten Sätze und weinte oft, ohne mir dafür einen Grund nennen zu können...
In der ersten Kasse sagte mir die Lehrerin, sie sei so ein tolles, liebes und gut organsiertes Kind und sie wünschte, sie hätte mehr solche Kinder in der Klasse.
Die Lehrerin war dann auch völlig überrascht, als ich sie nach dem Test Anfang Klasse 4 zum Thema Langweile/Unterforderung ansprach und sie hörte, dass das Kind so große Schulunlust gehabt habe...
Also nach außen war alles chic gewesen. Auch die Zensuren stimmten. Nur im Kind sah es leider ganz, ganz anders aus! (Was ich als Mutter natürlich bemerkt hatte, wo ich aber lange an der falschen Stelle gesucht habe!)
Ich habe meiner Kleinen darum direkt nach dem Test erklärt, dass ihr Kopf eigentlich schon 6 ist und sie eigentlich schon in die Schule könnte. Und sie darum auch schon so gut rechnen und etwas lesen kann. Und es sein kann, dass manche Aufgaben in der Schule später mal zu leicht für sie sein können.
Und dass es sein kann, dass gleichaltrige Kinder sie manchmal nicht so gut verstehen bzw andere Interessen haben könnten.
Sie ist auch körperlich schon recht groß (wie eine durchschnittliche Erst bis Zweitklässlerin) und darum war das für sie auch völlig einleuchtend.
Ich habe ihr bspw gesagt, dass ihr ja auch die Schuhe der anderen 5jährigen nicht so gut passen und genauso passen eben dann auch die Spiele und Gedanken der anderen 5jährigen Kinder manchmal nicht gut.
Sie hat bspw nie Zugang zu den anderen Mädchen im Kindergarten gefunden, ähnlich wie es bei der Großen auch war und ist. Mit den typischen Mädchenspielen/-themen kann sie einfach nichts anfangen.
Zum Glück hat sie jetzt 2 Jungsfreundschaften im Kindergarten - beides eher ruhige und kognitiv sehr fitte Jungs -, die in letzter Zeit sehr eng geworden sind und außerdem versteht sie sich sehr gut mit den älteren Nachbarskindern und dem einen Sohn unserer Freunde. Und auch mit der großen Schwester und deren Freunden.
So bewegt sie sie sich oft und viel in Kreisen, wo sie sich offensichtlich sehr wohl fühlt und sich nicht anpasst/anpassen muss.
Bei der Großen gabs damals nur einen Freund, wo es so gut passte und der ging nicht in ihren Kindergarten.
(das ist bis heut - sie wird bald 11 - noch ihr liebster, engster Freund...)
Mein Rat wäre darum:
Wenn ihr sehr unsicher seid, lohnt testen. Einfach um Sicherheit zu gewinnen und gezielter an "Baustellen" zu arbeiten bzw rechtzeitig einzugreifen, wenn was schief läuft, ohne erst alle möglichen anderen Irrwege zu (ver-)suchen.
Ich hab mich zwar vor dem Test der Großen auch schon mit dem Thema beschäftigt, aber immer nur halbherzig, weil ich immer fast schon sowas wie "Schuldgefühle" hatte und dachte: Du steigerst dich womöglich in das Thema unnötig rein, vielleicht wünschst du dir einfach ein besonderes Kind und bildest dir das alles nur ein, wie peinlich, solche Bücher zu lesen, wenn alles nur deine Einbildung ist..."
Ich habe das eine Buch über Hochbegabung, was ich seit die Große 2-3 Jahre alt ist, schon da hatte, sogar richtig versteckt, dass es ja niemand sieht. (inzwischen haben ich weit mehr als 5 Bücher zum Thema und sie stehen ganz normal zwischen vielen anderen Sachbüchern, die ich habe.)
Ich war im Grunde darum innerlich immer ein Stück weit "verschlossen" für das Thema.
(Als wenn man eine Rede vorbereiten müsste für eine Preisverleihung, wo man noch gar nicht weiß, ob man den Preis wirklich bekommt --- das fiele mir auch äußerst schwer!
)
Erst nach dem Test konnte ich mich richtig auf das Thema einlassen und habe mich intensiver damit beschäftigt, mehr Bücher gelesen etc, was mir /uns wirklich viel geholfen hat.
Auch im Umgang mit meinem Kind hat mir das sehr geholfen.
Wenn du nicht solche argen Zweifel an dir/deiner Einschätzung hast, kannst du all das aber auch ohne Test haben.
Du kannst einfach so tun, als sei dein Kind hochbegabt.
Im Grunde ist es am Ende ja auch egal, ob dein Kind 125 oder 135 erreicht. Die Probleme, die daraus entstehen könnten, können so oder so kommen oder auch ausbleiben.
Aber wie beischrieben - für uns hat sich der Blickwinkel deutlich gewandelt, als ich sicher bescheid wusste. Was wirklich ein Segen war.
Mein zweiter Rat wäre, deinem Kind möglichst viele Situationen zu bieten, in denen es sich "normal" fühlt. Wo sie unter möglichst ähnlichen /gleichartigen Kindern ist. Also sie mit Kindern und Gegebenheiten zusammenzubringen, die ihren Interessen und ihrem Denken entsprechen.
Bei der Großen war das im Kindergartenalter bspw ein Malkurs für Kinder zwischen 4 und 12, wo sie zu den jüngsten gehörte, aber gut reinpasste und sich für mich damals sehr überraschend völlig anders verhielt, als sonst.
Dort war sie plötzlich selbstbewusst und aufgeschlossen, wo sie sonst total zurückhaltend und angepasst war.
Im Spiel mit oben erwähntem Freund - da war sie auch plötzlich wild und albern und fröhlich, wo sie sonst mit anderen Kindern still und brav war.
Inzwischen erlebe ich sie GSD wieder öfters von dieser offeneren Seite und ich habe zumindest nach ihren eigenen Erzählungen auch den Eindruck, dass sie in der neuen Klasse (ein Gymnasium speziell für begabtere Schüler) auch eine andere ist, als in der alten Klasse.
Der Kleinen gehts übrigens aktuell sehr gut, obwohl sie nun auch nicht allzu gern in den Kiga geht.
Sie hat aber den Vorteil, dass sie eine große Schwester hat, die ihr ähnlich ist und dass sie im Umfeld viel mehr passende Kinder hat, als die Große. Jetzt lernt sie neuerdings noch Geige und macht einen Schwimmkurs, beides fordert sie und wirkt sich äußerst positiv auf ihr Selbstbewusstsein aus. Ebenso, wie das sich Behaupten gegenüber der 5 Jahre älteren Schwester und deren Freunden. Sie hat dadurch viel mehr Gelegenheit, sich unter passenden Kindern zu bewegen und zu bewähren.
(die Große hatte eben damals nur diesen einen Freund zum verabreden , der leider ebne auch nicht mit ihr in den Kiga ging und den sie darum fast nur am Wochenende sah)
Viel Glück und berichte bitte weiter!