Erblichkeit von Hochbegabung
Verfasst: Mo 15. Jun 2020, 16:43
Angeregt von einem anderen Thread, in dem es um die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere Geschwisterkinder hochbegabt sind, geht, schreibe ich hier mal meine persönlichen Erkenntnisse zur Erblichkeit und zu familiären Häufigen bei Hochbegabung.
Tatsächlich bewegt sich - zumindest statistisch - alles "zur Mitte" hin, was den IQ betrifft. Statistisch haben zwei Elternteile mit IQ130 Kinder mit IQ 115 und Eltern mit IQ 70 haben Kinder mit IQ 85. Individuell stimmt das natürlich nicht .
Wenn man rein den IQ betrachtet muss man sich im klaren sein, dass die Tests bewusst so "geeicht" werden, dass 100 der Durchschnitt bleibt, die Hälfte drüber und die Hälfte drunter liegt und ca. 2% über der Bevölkerung einen Wert von 130 oder mehr und ebenso ca. 2% einen Wert von 69 oder weniger haben. Ebenso eine Tatsache ist, dass ein Kind nur dann sein maximal mögliches IQ-Potential erreichen kann, wenn AUCH die Bedingungen passen. Der Eichung der IQ-Tests orientiert sich nicht daran, was bei Idealbedingungen erreicht werden KÖNNTE, sondern das, was tatsächlich erreicht WIRD.
Ich bringe daher hier - rein fiktiv - zusätzlich den Wert der "Bedingungen" als dritte Größe in die Diskussion und nehme dafür - ebenso fiktiv - den Wert einer Standardabweichung, also 15 IQ-Punkte nach oben oder unten an. Meiner Meinung nach gehört dieser Faktor in der Intelligenzforschung ohnehin längst eingeführt, weil ja bereits bekannt ist, dass die Genetik nicht allein für die Intelligenzentwicklung verantwortlich ist, sondern eben AUCH das Umfeld. Ich habe mich aber noch zu wenig damit befasst, um eine Einschätzung darüber abzugeben, was jetzt wirklich mehr zählt und wie viel. Daher lasse ich die tatsächliche Bedeutung des fiktiven Wertes "Bedinungungen" auch ausdrücklich offen.
Um zum Anfangs-Beispiel zurück zu kommen: Die Kinder der Eltern mit IQ 130 erreichen unter mittelmäßigen Bedingungen einen IQ von 115, bei schlechtestmöglichen Bedingungen 100 und bei bestmöglichen Bedingungen 130. Die Kinder der Eltern mit IQ 70 erreichen bei mittlmäßigen Bedingungen einen IQ von 85, bei schlechtestmöglichen Bedingungen einen Wert von 70 und bei bestmöglichen Bedingungen einen Wert von 100.
Und genau DAS ist der Grund, warum es wirklich Familien gibt, wo sehr viele Hochbegabte vorkommen, während sie in anderen Familien eher "Randerscheinungen" sind. Da innerhalb einer Familie für alle Kinder normalerweise ähnliche Bedingungen gegeben sind (nicht GLEICHE!) ist daher ein vielfaches wahrscheinlicher, dass in einer Familie mit begabten oder hochbegabten Eltern UND guten Bedingungen mehrere Kind auch begabt oder hochbegabt sind. Die von Katze_keine_Ahnung zitierte Familie Curie ist so ein Beispiel.
Es gibt aber auch noch andere, sehr interessante Anhaltspunkte. Nachdem in den US in den 1930er Jahren ein Paar einen Säugling aus einem Soldatenwaisenhaus adoptiert hatten, stellte sich heraus, dass dieser geistig schwer behindert war. Typisch amerikanisch wollte das Paar das Heim dafür klagen. Daher begann man, quasi aus "Qualitätssicherungsgründen" in diesem Heim die Kinder regelmäßig IQ-Tests machen zu lassen. Bei der Gelegenheit wurden zwei offensichtlich geistig behinderte Mädchen (13 und 16 Monate alt) gleich vorweg aussortiert und in eine "Schule für Schwachsinnige" verlegt. Da sie außerdem total lethargisch und auch körperlich unterentwickelt waren ging man davon aus, dass sie ohnehin niemand adoptieren würde.
Sie kamen in eine Abteilung mit geistig behinderten Frauen zwischen 18 und 50 Jahren, deren mentales Alter zwischen 5 und 9 Jahren lag. Als der Psychologe, der die schwere geistige Behinderung der Mädchen festgestellt hatte, diese 6 Monate später wieder sah, erkannte er sie nicht wieder. Ihr Bewegungsvermögen hatte sich extrem verbessert und der IQ beinahe verdoppelt! Das lag daran, dass die beiden Mädchen die einzigen Vorschulkinder in dieser Abteilung waren und die geistig behinderten Frauen total in sie vernarrt waren. Eine hat die "Mutterrolle" übernommen, die anderen waren liebevolle "Tanten". Den ganzen Tag beschäftigten sie sich mit den Kindern, spielten mit ihnen, nahmen sie auf Ausflüge mit und schenkten ihnen vom eigenen Taschengeld bezahlte Spielsachen und Bücher. Es war offensichtlich die liebevolle und anregende Betreuung, welche die Kinder aus ihrer Lethargie geholt hatte. Die Kinder wurden 12 Monate und 18 Monate später noch einmal getestet, erreichten normale IQ-Ergebnisse und fanden schließlich auch problemlos Adoptiveltern.
Bestärkt durch diese Erfahrung versuchte der Psychologe Harold M. Skeels es weiter: er gab 13 Kinder unter 3 Jahren mit sehr niedrigem IQ in verschiedene Abteilungen mit geistig behinderten Frauen. Daraufhin legten diese Kinder bei IQ-Tests im Schnitt um ganze 28 Punkte zu! Währenddessen verloren die Kinder, die im Waisenhaus geblieben waren, in derselben Zeit 26 IQ-Punkte! Doch Skeels wollte auch wissen, wie es weiter gegangen war und fand tatsächlich Jahre später alle Kinder des ehemaligen Experiments wieder. Von den 13 Kindern, die bei den geistig behinderten Frauen gewesen waren, waren 11 verheiratet, hatten einen Beruf oder waren Hausfrauen. Von den 12 Kindern, die im Heim geblieben waren, waren 9 unverheiratet und eines geschieden. Eines war im Heim für geistig behinderte gestorben, vier lebten noch immer in Heimen, drei waren Tellerwäscher.
Meiner Meinung nach zeigt dieses Experiment sehr deutlich, wie viel "Luft nach oben" (aber leider auch nach unten) bei Kindern in Sachen IQ ist. Instinktiv habe ich dabei einen Vergleich mit der Körpergröße angestellt. Da ist ja auch bekannt, dass diese einerseits erblich ist (größere Eltern bekommen größere Kinder als kleinere Eltern), es aber auch mit der Ernährung der Kinder zusammenhängt, ob diese ihre genetisch mögliche Größe erreichen. Die Menschen in Europa waren vor allem deshalb vor 100 und mehr Jahren deutlich kleiner als heute, weil ein ganze Leben ohne zumindest einer längeren Hungerphase (oft waren es mehrere) damals die Ausnahme war, heute aber die Regel ist. Daher wurden die Menschen ab dem Zeitpunkt, wo es genug zu essen gab, immer größer. Das wird aber nicht endlos so weiter gehen, sondern hat jetzt in-etwa das obere Limit erreicht.
Umgelegt auf den IQ wird dieser auch bei klugen Eltern und guten Bedingungen nicht ins Endlose steigen, sondern nur so weit, bis das genetisch festgelegte Maximum erreicht ist. Das würde auch das Abflachen und teilweise Ende des Flynn-Effekts (in Europa) erklären und ist meiner Meinung nach um einiges plausibler als andere Erklärungen. Insgesamt wird es mehrere Generationen (meiner Beobachtung nach mindestens zwei, aber eher drei oder vier) brauchen, bis - vorausgesetzt die "Bedingungen" sind überall wirklich gut - das obere mögliche Limit erreicht ist.
Die gute Nachricht für kluge Menschen, die in der Kindheit nur mittelmäßige oder gar schlechte Bedingungen hatten, ist, dass diese offensichtlich leichter "weggesteckt" werden können, wenn diese Personen als Kindern echte Vertrauenspersonen hatten. Also ein Opa, eine Tante, ein Vertrauenslehrer oder eine (im besten Fall ältere) beste Freundin. Meine Erfahrung ist, dass seelische Wunden (durch Vernachlässigung, Gewalt, Sucht, etc. in der Herkunftsfamilie) nur dann ohne gröberen Schaden auf die kognitiven Fähigkeiten bleiben, wenn man mit seinen Erfahrungen nicht alleine bleiben musste, sondern sie mit jemanden nahe Stehenden teilen konnte. War das nicht der Fall musste die Seele so viel Verdrängungsarbeit leisten dass auch die geistigen Fähigkeiten darunter gelitten haben. Diese können sich zwar im Erwachsenenalter, wenn dann die Bedingungen deutlich besser sind, bis zu einem gewissen Grad erholen, aber nicht mehr die Spitze erreichen, die bei guten Bedingungen in der Kindheit ODER einer Vertrauensperson, die einem durch die schlechten Zeiten begleitet hat, erreichbar gewesen wären.
Tatsächlich bewegt sich - zumindest statistisch - alles "zur Mitte" hin, was den IQ betrifft. Statistisch haben zwei Elternteile mit IQ130 Kinder mit IQ 115 und Eltern mit IQ 70 haben Kinder mit IQ 85. Individuell stimmt das natürlich nicht .
Wenn man rein den IQ betrachtet muss man sich im klaren sein, dass die Tests bewusst so "geeicht" werden, dass 100 der Durchschnitt bleibt, die Hälfte drüber und die Hälfte drunter liegt und ca. 2% über der Bevölkerung einen Wert von 130 oder mehr und ebenso ca. 2% einen Wert von 69 oder weniger haben. Ebenso eine Tatsache ist, dass ein Kind nur dann sein maximal mögliches IQ-Potential erreichen kann, wenn AUCH die Bedingungen passen. Der Eichung der IQ-Tests orientiert sich nicht daran, was bei Idealbedingungen erreicht werden KÖNNTE, sondern das, was tatsächlich erreicht WIRD.
Ich bringe daher hier - rein fiktiv - zusätzlich den Wert der "Bedingungen" als dritte Größe in die Diskussion und nehme dafür - ebenso fiktiv - den Wert einer Standardabweichung, also 15 IQ-Punkte nach oben oder unten an. Meiner Meinung nach gehört dieser Faktor in der Intelligenzforschung ohnehin längst eingeführt, weil ja bereits bekannt ist, dass die Genetik nicht allein für die Intelligenzentwicklung verantwortlich ist, sondern eben AUCH das Umfeld. Ich habe mich aber noch zu wenig damit befasst, um eine Einschätzung darüber abzugeben, was jetzt wirklich mehr zählt und wie viel. Daher lasse ich die tatsächliche Bedeutung des fiktiven Wertes "Bedinungungen" auch ausdrücklich offen.
Um zum Anfangs-Beispiel zurück zu kommen: Die Kinder der Eltern mit IQ 130 erreichen unter mittelmäßigen Bedingungen einen IQ von 115, bei schlechtestmöglichen Bedingungen 100 und bei bestmöglichen Bedingungen 130. Die Kinder der Eltern mit IQ 70 erreichen bei mittlmäßigen Bedingungen einen IQ von 85, bei schlechtestmöglichen Bedingungen einen Wert von 70 und bei bestmöglichen Bedingungen einen Wert von 100.
Und genau DAS ist der Grund, warum es wirklich Familien gibt, wo sehr viele Hochbegabte vorkommen, während sie in anderen Familien eher "Randerscheinungen" sind. Da innerhalb einer Familie für alle Kinder normalerweise ähnliche Bedingungen gegeben sind (nicht GLEICHE!) ist daher ein vielfaches wahrscheinlicher, dass in einer Familie mit begabten oder hochbegabten Eltern UND guten Bedingungen mehrere Kind auch begabt oder hochbegabt sind. Die von Katze_keine_Ahnung zitierte Familie Curie ist so ein Beispiel.
Es gibt aber auch noch andere, sehr interessante Anhaltspunkte. Nachdem in den US in den 1930er Jahren ein Paar einen Säugling aus einem Soldatenwaisenhaus adoptiert hatten, stellte sich heraus, dass dieser geistig schwer behindert war. Typisch amerikanisch wollte das Paar das Heim dafür klagen. Daher begann man, quasi aus "Qualitätssicherungsgründen" in diesem Heim die Kinder regelmäßig IQ-Tests machen zu lassen. Bei der Gelegenheit wurden zwei offensichtlich geistig behinderte Mädchen (13 und 16 Monate alt) gleich vorweg aussortiert und in eine "Schule für Schwachsinnige" verlegt. Da sie außerdem total lethargisch und auch körperlich unterentwickelt waren ging man davon aus, dass sie ohnehin niemand adoptieren würde.
Sie kamen in eine Abteilung mit geistig behinderten Frauen zwischen 18 und 50 Jahren, deren mentales Alter zwischen 5 und 9 Jahren lag. Als der Psychologe, der die schwere geistige Behinderung der Mädchen festgestellt hatte, diese 6 Monate später wieder sah, erkannte er sie nicht wieder. Ihr Bewegungsvermögen hatte sich extrem verbessert und der IQ beinahe verdoppelt! Das lag daran, dass die beiden Mädchen die einzigen Vorschulkinder in dieser Abteilung waren und die geistig behinderten Frauen total in sie vernarrt waren. Eine hat die "Mutterrolle" übernommen, die anderen waren liebevolle "Tanten". Den ganzen Tag beschäftigten sie sich mit den Kindern, spielten mit ihnen, nahmen sie auf Ausflüge mit und schenkten ihnen vom eigenen Taschengeld bezahlte Spielsachen und Bücher. Es war offensichtlich die liebevolle und anregende Betreuung, welche die Kinder aus ihrer Lethargie geholt hatte. Die Kinder wurden 12 Monate und 18 Monate später noch einmal getestet, erreichten normale IQ-Ergebnisse und fanden schließlich auch problemlos Adoptiveltern.
Bestärkt durch diese Erfahrung versuchte der Psychologe Harold M. Skeels es weiter: er gab 13 Kinder unter 3 Jahren mit sehr niedrigem IQ in verschiedene Abteilungen mit geistig behinderten Frauen. Daraufhin legten diese Kinder bei IQ-Tests im Schnitt um ganze 28 Punkte zu! Währenddessen verloren die Kinder, die im Waisenhaus geblieben waren, in derselben Zeit 26 IQ-Punkte! Doch Skeels wollte auch wissen, wie es weiter gegangen war und fand tatsächlich Jahre später alle Kinder des ehemaligen Experiments wieder. Von den 13 Kindern, die bei den geistig behinderten Frauen gewesen waren, waren 11 verheiratet, hatten einen Beruf oder waren Hausfrauen. Von den 12 Kindern, die im Heim geblieben waren, waren 9 unverheiratet und eines geschieden. Eines war im Heim für geistig behinderte gestorben, vier lebten noch immer in Heimen, drei waren Tellerwäscher.
Meiner Meinung nach zeigt dieses Experiment sehr deutlich, wie viel "Luft nach oben" (aber leider auch nach unten) bei Kindern in Sachen IQ ist. Instinktiv habe ich dabei einen Vergleich mit der Körpergröße angestellt. Da ist ja auch bekannt, dass diese einerseits erblich ist (größere Eltern bekommen größere Kinder als kleinere Eltern), es aber auch mit der Ernährung der Kinder zusammenhängt, ob diese ihre genetisch mögliche Größe erreichen. Die Menschen in Europa waren vor allem deshalb vor 100 und mehr Jahren deutlich kleiner als heute, weil ein ganze Leben ohne zumindest einer längeren Hungerphase (oft waren es mehrere) damals die Ausnahme war, heute aber die Regel ist. Daher wurden die Menschen ab dem Zeitpunkt, wo es genug zu essen gab, immer größer. Das wird aber nicht endlos so weiter gehen, sondern hat jetzt in-etwa das obere Limit erreicht.
Umgelegt auf den IQ wird dieser auch bei klugen Eltern und guten Bedingungen nicht ins Endlose steigen, sondern nur so weit, bis das genetisch festgelegte Maximum erreicht ist. Das würde auch das Abflachen und teilweise Ende des Flynn-Effekts (in Europa) erklären und ist meiner Meinung nach um einiges plausibler als andere Erklärungen. Insgesamt wird es mehrere Generationen (meiner Beobachtung nach mindestens zwei, aber eher drei oder vier) brauchen, bis - vorausgesetzt die "Bedingungen" sind überall wirklich gut - das obere mögliche Limit erreicht ist.
Die gute Nachricht für kluge Menschen, die in der Kindheit nur mittelmäßige oder gar schlechte Bedingungen hatten, ist, dass diese offensichtlich leichter "weggesteckt" werden können, wenn diese Personen als Kindern echte Vertrauenspersonen hatten. Also ein Opa, eine Tante, ein Vertrauenslehrer oder eine (im besten Fall ältere) beste Freundin. Meine Erfahrung ist, dass seelische Wunden (durch Vernachlässigung, Gewalt, Sucht, etc. in der Herkunftsfamilie) nur dann ohne gröberen Schaden auf die kognitiven Fähigkeiten bleiben, wenn man mit seinen Erfahrungen nicht alleine bleiben musste, sondern sie mit jemanden nahe Stehenden teilen konnte. War das nicht der Fall musste die Seele so viel Verdrängungsarbeit leisten dass auch die geistigen Fähigkeiten darunter gelitten haben. Diese können sich zwar im Erwachsenenalter, wenn dann die Bedingungen deutlich besser sind, bis zu einem gewissen Grad erholen, aber nicht mehr die Spitze erreichen, die bei guten Bedingungen in der Kindheit ODER einer Vertrauensperson, die einem durch die schlechten Zeiten begleitet hat, erreichbar gewesen wären.