Lieber Alexander Volland,
dies alles kann ich nicht unkommentiert stehen lassen, denn auch ich bin ehrenamtliche Beraterin bei der DGhK, dies seit ca.7 Jahren.
Ich bin damals durch meine (hochbegabt getestete) Tochter zu dieser Gesellschaft gekommen und habe dann irgendwann entschieden, dass Hilfe für Familien mit HB Kindern mehr als dringend nötig ist und ich deswegen mein Wissen und meine Erfahrungen weitergeben möchte.
Zuerst: Wir präsentieren keine "falsche Wissenschaftlichkeit", sondern orientieren uns an den aktuellen Erkenntnissen zum Thema Hochbegabung.
Wobei auch die Wissenschaftler sich überhaupt nicht einig sind, wie man HB beurteilen sollte - angefangen von den "Ursachen", der Identifikation über Arten der Förderung bis zum Thema Underachiever, usw.- aber das ist wieder ein anderes Feld für Diskussionen...
Von daher sind natürlich unsere Informationen auch leicht gefärbt, je nachdem, welche Theorien uns am ehesten einleuchten.
Berater und Beraterinnen der DGhK haben nicht nur durch eigenes Erleben (oft schon in der 3.Generation) Erfahrung zum Thema HB zu bieten, sie absolvieren auch diverse Schulungen und sind meist ziemlich fit, was die aktuelle Literatur zum Thema zu bieten hat.
Da können wir z.B. locker mit den meisten Erzieherinnen, Lehrerinnen, Kinderärzten mithalten, bei denen das Thema HB in der Ausbildung überhaupt nicht vorkommt - traurig, aber wahr. Oben Genannte erwerben Wissen über HB meist nur, weil sie selbst am Thema interessiert sind und sich selbst informieren und dann Fortbildungen oder Fachtagungen besuchen (die wir übrigens auch des öfteren organisieren...)
Auch Psychologen sind nur Experten für HB, wenn sie dafür extra ausgebildet sind bzw. sich spezialisiert haben. Von diesen gibt es nicht gerade viele - so müssten Eltern, wenn sie sich nur von Psychologen beraten lassen würden, sicherlich 1/2 bis 1 Jahr auf einen Termin warten müssen. Das ist natürlich nicht möglich, insbesondere, wenn es einem Kind akut sehr schlecht geht - da brennt es an allen Ecken und Kanten.
Zitat:
"Die Folge ist, dass Eltern dann beispielsweise mit abenteuerlichen Ideen zu den Lehrern kommen (die sind ja sowieso an allem Schuld!) oder ihr Kind im Anschluss überfordern oder unterfordern oder was auch immer.
HB ist auch oft eine schöne Ausrede für faule Kinder, usw."
Wir in unserem Regionalverein raten den Eltern immer, zuerst die Zusammenarbeit mit der Lehrerin zu suchen. Schließlich sind sie Partner in der Ausbildung und Erziehung des Kindes. Sollte dies überhaupt nicht funktionieren, ist manchmal eine stufenweise "Eskalation" notwendig.
Ich weiß nicht, was Sie mit "abenteuerlichen Ideen" genau meinen - ich persönlich halte es für ganz normal, jedes Kind nach seinen Fähigkeiten zu fördern. Da aber unsere deutsche Schule dafür noch immer nicht eingerichtet ist, muss man auch manchmal ungewöhnliche Wege gehen. Wobei ich differenzierten Unterricht nicht gerade ungewöhnlich finde...
Wenn es denn nicht anders geht, empfehlen wir auch ein Springen in die nächsthöhere Klassenstufe - unter den Voraussetzungen, dass 1.das Kind es auch will, 2. es nach einer angemessenen Zeit dem Unterrichtsstoff voraussichtlich ohne große Probleme folgen kann 3. (sehr wichtig!) die aufnehmende Lehrerin dem Springen positiv gegenübersteht und das Kind unterstützen will. Zwar wird immer wieder gerne der Altersunterschied zitiert als Contra gegen ein Springen, unserer Erfahrung nach hat dies aber weniger Nachteile als ein Verbleiben in der niedrigen Klassenstufe, wenn Frustration, Aggression, Depression und negative Anpassung zu fürchten sind. Hochbegabte Kinder sind in der Regel mit höheren Anforderungen nicht überfordert, sie sind eher von einem die Persönlichkeit schädigendem Umfeld überfordert und reagieren manchmal, sogar in jungen Jahren, mit Suizidandrohungen oder gar -versuchen.
Ein "faules" Kind von einem hochbegabten Kind zu unterscheiden, ist nicht gar zu schwer. Denn wenn es für HB-Kinder interessant wird, laufen sie oft zur Höchstform auf. Davon abgesehen gibt es natürlich auch faule hochbegabte Kinder

Das sind dann die, die nie an ihre Grenzen gekommen sind, weil sie nicht ihren Fähigkeiten entsprechend gefordert wurden. Sie sind es gewöhnt, mit wenig Energie ein Höchstmaß an Effekt zu erzielen. Mann kann natürlich darüber streiten, ob das ein Lebensziel sein könnte...
Nun schreibe ich mal dazwischen:
"Wie können Eltern ihre hochbegabten Kinder fördern?"
--> Wird das im folgenden wirklich beantwortet?"
Das kann man am besten im Einzelfall in der Beratung raten.
Es kommt auf das Kind und seine Persönlichkeit drauf an, was es für Neigungen, Stärken und auch Defizite hat.
"* Bremsen Sie nicht den Lerneifer des Kindes. Lassen Sie aber das Kind das Tempo beim Lernen bestimmen ...
* Machen Sie Anregungen und Angebote für andere Themengebiete
---> andere Themengebiete? Also doch dem Kind sagen, was es tun soll?"
"Anregungen und Angebote" heißt nicht, dass man dem Kind sagt, was es tun soll, sondern dass man unterschiedliche Tätigkeitsfelder ermöglicht. Interessiert sich ein junges Kind z.B. für Sprachen, empfehlen wir lieber eine Sprache, die nicht gleich in Grundschule oder weiterführender Schule drankommt (wie z.B. Englisch) sondern z.B. so "exotische" Dinge wie Chinesisch, Japanisch, Russisch.
"* Fördern Sie die Stärken des Kindes, arbeiten Sie an seinen Schwächen, quälen es aber nicht damit.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Natürlich! Aber bei HB-Kindern wird oft gerade nach den Defiziten gebohrt, "weil die ja sowieso genug Stärken haben". Es heißt aber richtig: "Die Stärken stärken und die Schwächen schwächen".
"* Sprechen Sie offen mit dem Kind über Vor- und Nachteile der Hochbegabung
---> Und die sind?"
Also, ich denke doch, da sind Sie selbst ein Experte, nicht wahr?
Aber nur kurz: Vorteile sind z.B. schneller Wissenserwerb und oft lebenslanges Vergnügen an neuen Erfahrungen. Nachteil ist z.B. dass passende Partner/Freunde im Leben rar sind, die auf der gleichen Wellenlänge ticken. Das beginnt schon im Kindergarten und endet leider nicht im Erwachsenenalter. (Sind Sie nicht deswegen bei Mensa?)
"* Besuchen Sie gemeinsam Museen, Ausstellungen, Konzerte (E- und U-Musik), Theater, Lesungen, Kabarett, Bibliotheken.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Klar! Aber besucht man auch mit einem 4 jährigen eine Wagner-Oper, wenn er es unbedingt möchte? Oder glaubt man der Umwelt, die einen für verrückt hält, "weil man sein Kind in die Oper schleift"?
Besorgt man seinem 4 jährigen Kind einen Büchereiausweis, weil es schon lesen kann? Oder traut man sich dann doch nicht, weil sonst der Bibliothekar Sprüche macht wie: "Na, das schwindelst du doch, du lernst doch erst in der Schule lesen!"
"* Ermöglichen Sie Ihrem Kind den Zugang zu Büchern, Computer und Software (Bibliotheken). Damit können Sie sich auch selbst entlasten.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Klar! Siehe oben...
Aber stellen Sie sich mal das Gesicht von der Verkäuferin vor, wenn sie nach einem Computerprogramm für eine rechnende 3-jährige fragen?
"* Nutzen Sie außerschulische Angebote, wie fremdsprachliche Früherziehung, Computerkurse, Schach-Klubs, VHS-Kurse, Uni-Veranstaltungen für Kinder, aber auch Sport, Kunst oder Musik.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Natürlich. Es ist aber fast überall schwierig, Kindern, die jünger sind als 6-8 Jahre, solche Dinge zu ermöglichen.
Dazu kommt noch, dass HB-Kinder meist auf diesen Gebieten mehr Input benötigen als andere Kinder, da stößt man als Eltern auch mal an seine physischen, psychischen und nicht zuletzt auch an finanzielle Grenzen.
"* Unterstützen Sie Ihr Kind bei Problemen in Kindergarten oder Schule.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Ja, aber es sind oft andere, ungewöhnliche Probleme. Das erfordert auch von gestandenen Eltern einigen Mut.
"* Vermitteln Sie praktische Fähigkeiten für Alltags-Leben in Familie, Schule und Gesellschaft.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Aber klar. Ist aber z.B. wegen des "Andersseins" nicht immer einfach.
"* Der Umgang mit hoch begabten Kindern ist auch für Eltern nicht immer leicht. Gönnen Sie sich daher Freiräume, wie z.B. Ruhezeiten am Mittag und Abend. Das ist unmittelbar gut für Sie, mittelbar aber auch für Kind.
---> das gilt für alle Kinder, oder?"
Sicher. Aber Eltern von HB-Kindern stoßen öfter an ihre Grenzen, so jedenfalls meine Erfahrung (siehe oben).
"* Versuchen Sie mit dem Thema Hochbegabung weitgehend offen umzugehen, auch wenn dies immer eine Gratwanderung ist.
---> Sicher? Muss mein Kind wirklich vor allen anderen einen Seelenstrip machen?"
Nein, natürlich muss kein Kind einen "Seelenstrip" machen.
Damit ist gemeint, dass das Kind von seiner Hochbegabung wissen sollte, dass man es nicht als peinliche Krankheit behandelt, dass man Mut und Selbstsicherheit vermitteln sollte, auch wenn es manchmal schwerfällt. Das heißt nicht, dass ich meinem Kind ein HB-Schild umhänge, sondern dass man Akzeptanz erwarten kann von anderen, egal, wie "anders" das Kind ist.
"Das nur so als Beispiel, wo ich denke, dass suboptimal "beraten" wird."
Nein, ich bin sicher, dass bei uns überhaupt nicht "suboptimal" beraten wird, sondern sehr gut. Vielleicht sollten Sie sich mal persönlich mit Beratern/Beraterinnen unterhalten. Vielleicht sind Sie aber auch selbst zu sehr "betroffen?"
Aber dies ist sicherlich wieder nur ein Griff in meine "Laien-psychologen-Kiste" ...
Viele Grüße
Argiope