Unwissende, ich kann dich so gut verstehen. Liegt vermutlich daran, dass wir ähnliche Situationen haben! Nur denke ich, dass ja nicht alle unsere Entscheidungen immer sofort "richtig" sein müssen, und dass wir eben manchmal durch Versuch und Irrtum dahinter kommen müssen, was wirklich unser Weg (bzw. der Weg unserer Kinder) ist.
Reinhard Mey schreibt das in einem seiner Lieder sehr treffend:
"Ich versuch, Dir ein Vorbild vorzuleben, und bin doch selbst unsicher und schwach
ich versuch, Dir die Antworten zu geben, uns such selbst immer noch danach,
und wenn ich so meine Erfahrung siebe, seh ich, dass ich nicht sehr viel weiß, mein Kind,
dass nur diese Erkenntnis und die Liebe die Pfeiler meiner ganzen Weisheit sind.
Ich bin Vergangenheit und du bist morgen, machst deinen Weg, ich zweifle nicht daran,
wenn nicht in Weisheit, so in Liebe geborgen, und ich mach mit Liebe alles falsch, so gut ich kann...
...schade, dass wir nicht zusammen gehen können,
schade, dass da die Jahre zwischen uns sind,
dabei kann ich dich so gut verstehn,
ich bin ja selber noch...ein altes Kind!"
Ich glaube die größte Gefahr für unsere Kinder, sind nicht die Fehler die wir machen, sondern die Ängste, die uns zu den Fehlern bewegen. Klar, so wie unsere Kinder jetzt sind, sind sie nicht so gesellschaftskonform, wie wir sie uns wünschen würden. Das macht es für sie schwerer, sich in der Welt, in der sie leben, zurecht zu finden. Daher halte ich es für wichtig, positive Entscheidungen zu treffen, wo nicht unsere eigenen Ängste im Vordergrund stehen, sondern die Chancen, die sie unseren Kindern VIELLEICHT bieten - sofern wir den Mut haben, sie auszuprobieren.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich auch für die Hörimplantate-OP meines jüngeren Sohnes entschieden - nicht weil ich glaubte, dass er sie unbedingt "braucht", auch nicht, weil mir etliche Leute einreden wollten, es sei seine "einzige Chance auf ein normales Leben", sondern weil ich zu dem Schluss gekommen sind dass es sie NICHT unbedingt braucht. Statt dessen war ich bereit, sie ihm zu ermöglichen, weil sie ihm VIELLEICHT Chancen bieten können.
Heute, über 3 Jahre später, sieht es so aus, als wolle bzw. könne er diese Chancen nicht nutzen. Trotzdem bereue ich meine Entscheidung dafür keine Sekunde. Ich weiß, sie wurde nicht aus Angst getroffen sondern aus Liebe. Man weiß nie im vorhinein, was raus kommt, egal wofür oder wogegen man sich entscheidet. Eine Entscheidung ist nicht nur dann richtig, wenn sich der gewünschte Erfolg einstellt (obwohl das natürlich toll ist!), sondern auch, wenn sich dadurch andere Wege zeigen. Und die werden sich zeigen, daran besteht auch bei deiner Tochter kein Zweifel. Es reicht, HEUTE für sie da zu sein, sie wahrzunehmen, und HEUTE das zu tun, was Dir selbst für sie richtig und positiv erscheint.
Ich sehe am Beispiel des älteren Sohnes meines Mannes, wie gut sich Kinder, die wesentlich schlechtere Voraussetzungen hatten, als meine eigenen, entwickeln können. Aber allen Unkenrufen zum Trotz ist er kein Verbrecher geworden, kein Sozialschmarotzer und auch kein hoffnungsloser Fall in der geschlossenen Abteilung irgendeines Krankenhauses. Er ist ein erwachsener Mann mit abgeschlossener Berufsausbildung, der sich immer noch weiter entwickelt, seine Fehler macht, und dabei ist, SEINEN Weg im Leben zu finden. Was kann man einem Kind mehr wünschen
?