Bei meinem älteren Sohn war es eher umgekehrt. Als Kleinkind und Kindergartenkind wurde er wegen seiner Klugheit immer sehr bewundert und seine Auffälligkeiten im sozial-emotionalen Bereich konnte man noch schön auf Trotzphase, Zahnwechsel usw. schieben. Aber im Laufe der Jahre wurde der sozial-emotionale Unterschied zu Gleichaltrigen immer größer. Grob gesagt war mein älterer Sohn als 7jähriger kognitiv am Stand eines 10jährigen und sozial-emotional maximal 5 Jahre alt. Und das ist leider eine sehr heftige Kombi.
Bei meinem Sohn ist es "ähnlich". Er ist kognitiv auch eher auf dem Stand eines 9-10 jährigen Kindes und er diskutiert auch gerne mal die Erzieher über den Haufen
, aber sozial-emotional ist es eine totale Achterbahn mit ihm. Mal verhält er sich ungewöhnlich reif für sein Alter. Sehr verständig, man kann vieles mit ihm klären, indem man einfach erklärt. Und er versteht. Dann gibt es wieder Phasen, wo er reagiert wie ein Kind im Trotzalter
. Mit schmollen, wegrennen, einem Wutanfall, weil er nach über 10 Tagen und endloser Diskussion von mir "mit Gewalt" unter die Dusche gestellt wird (zugegebenermaßen nicht einer meiner strahlendesten Mama-Momente), mit einem Essverhalten, dass seiner jüngeren Schwester nachkommt, etc.pp. Sozial ist er DEUTLICH hinterher, wenn man es mit seinen kognitiven Fähigkeiten vergleicht. Daher ja auch die Diagnostik. Für mich ist ADHS auch immer noch ein Thema. Im Fussball schafft er es nicht bei einem Turnier (!!), für 10 Minuten konzentriert zu spielen. Er fängt an in der Gegend rumzugucken oder bindet sich den Schuh oder fängt gar an ein Rad zu schlagen
. Das fällt dann auch den Trainern auf, dass er doch SEHR konzentrationsschwach ist...Dann wieder, wenn es um etwas geht, was ihn fesselt, kann er sich so dermaßen gut konzentrieren, dass es schon gruselig ist...Ich bin mit der Diagnose ADHS also noch nicht wirklich durch...
Was ich in den Jahren als Mutter gelernt habe: sehr wenig ist planbar und vorhersehbar. Wenn ich mich von allem, was anders kommt, als ich es mir vorgestellt habe, aus der Bahn werfen lasse, komme ich nie wieder in irgend eine Bahn hinein
. Bei gesunden Kindern ist das vermutlich nicht so extrem, aber durch die Besonderheiten meiner Jungs bin ich immer wieder an meine eigenen Grenzen gestoßen. Was tun, wenn die erste Leihoma sich nur fürs putzen interessiert und die zweite immer mit einer Alkohol-Fahne kommt? Was tun, wenn der Kindergarten nach 3 Jahren sagt "Wir sind nicht mehr bereit, ihren (jüngeren) Sohn weiter ganztags zu betreuen!"? Was tun, wenn der Trainer vom Programmierkurs zum 3. Mal anruft dass mein (älterer) Sohn vorzeitig abgeholt werden muss, weil er sich so "aufführt"? Wie damit umgehen, wenn mein (älterer) Sohn am Strand wildfremde Leute mit nassem Schlamm bewirft und zu Haus Fäkalien an die Wände schmiert? Was tun, wenn mein freundlicher, friedlicher, liebevoller Mann so einen Auszucker bekommt, dass er die Wohnung verlassen muss, um unseren Kindern nichts anzutun? Was tun, wenn ich selbst so einen Auszucker bekomme?
Ja, was tun. Gute Frage. Das sind natürlich bei dir auch erschwerte Bedingungen. Und ich ziehe den Hut vor dir. Ich glaube, ich könnte das nicht. Aber ich sage immer gern: man ist immer mit dem überfordert (oder GEFordert) was man hat. Ich werde oft "bewundert", wie ich es bspw. schaffe mit 3 Kindern allein ins Schwimmbad zu gehen, von denen zwei noch nicht schwimmen können und das dritte grade seit einem Jahr einigermaßen sicher. Für mich der ganz normale Wahnsinn, äh Alltag
, für andere, die nur 1 oder 2 Kinder haben nicht denkbar... Bei uns es ist die Schwierigkeit 3 Kinder unter einen Hut zu bekommen, die vom Altersabstand sehr dicht beieinander sind, aber dann doch wieder so unterschiedliche Bedürfnisse haben, dass ich oft im Alltag einfach nicht allen 3en gerecht werden KANN. Und ich sehe das und nehme es wahr und kann es doch nicht besser. Das macht mich fertig. Ich bin eben ein Perfektionist und ich lerne mit den Kindern, dass ich Mut zur Lücke haben MUSS... Ich muss sagen, manchmal fühle ich mich selbst ein wenig "authistisch". Ich hasse es, wenn ich keinen "Plan" habe, wenn ich nicht weiß, was kommt, wenn ich etwas nicht unter Kontrolle habe. Wenn ich einfach nur abwarten und zuschauen kann und einfach "aushalten" muss. Aber meine Kinder sind noch jung, ich habe noch viel Zeit zu lernen
... Und ich bin auch zuversichtlich, dass das noch wird.
Umgelegt auf deinen Sohn: wenn er jetzt gerade so explodiert (auch in Sachen Sozialverhalten, was ja super ist
), dann wird es für euch vermutlich wesentlich leichter sein als für uns, adäquate, interessante Dinge für deinen Sohn zu finden. Es muss ja nicht gleich ein Kurs oder eine Akademie sein.
Mein Sohn hat z.B. 1:1 Unternehmungen immer sehr genossen. Wir waren in verschiedensten Museen: naturhistorisches Museum, technisches Museum, Museum für Heizungstechik, Wien Energie Museum, Verkehrsmuseum, Welt des Eisens, Urzeitmuseum, Amethystwelt, Planetarium, Sternwarte, Sonnenwelt,... aber auch in einer Käserei, einer Bäckerei, einem Wasserkraftwerk und am Flughafen (Kinderführung für die nächste Altersstufe, ich war dabei). Außerdem waren wir in Naturparks, Kletterparks, Freizeitparks, sind mit dem Schiff, dem Nostalgiezug, verschiendenen Seilbahnen und Sommerrodelbahnen gefahren und haben natürlich auch jede Menge ganz "normale" Ausflüge gemacht.
All das machen wir natürlich mit den Kindern auch. Naturkundemuseum, Technikmuseum, Kunst für Kinder, Jugendwerksatt, VHS-Veranstaltungen, Festivals, Fussball, Pfadfinder, Kletterparks, Ausflüge in den Wald, Kinderkonzerte, Theater etc... Wir sind sehr aktiv. Nur das mit dem 1:1. Tja, daran hapert es. Ich habe keine Unterstützung mit den Kindern, außer meinen Mann, und der arbeitet 10-13 Stunden am Tag und ist auch hin und wieder auf Geschäftsreise. WENN er dann mal da ist, genießen wir natürlich auch die Zeit zu fünft. 1:1 haben all unsere Kinder recht selten. Es kommt vor, aber nicht besonders oft. Leider. Mein Sohn genießt das auch sehr und vor allem fordert er das auch. Aber es geht schlicht im Alltag oft leider nicht mit 3 Kindern und die Sachen, die ihn mittlerweile sehr interessieren, bleiben ihm eben leider noch verwehrt, weil "zu jung" oder "kein Schulkind" oder oder oder...Es frustriert grade so ein wenig. Aber ich denke, das wird besser, wenn er in der Schule ist... Zumindest mit der Teilnahme an "normalen" VHS-Kursen für Schüler kann er dann eventuell teilnehmen, wenn ich betone, dass er sehr fit ist
...
War bei meinem älteren Sohn auch immer so! Seine Klugheit war (und ist) aber auch oft insofern hinderlich, weil viele Menschen glauben, so ein kluges Kind müsse doch die ganz normalen Regeln des zusammenlebens kennen und leben können. Dass das zwei komplett verschiedene Paar Schuhe sind, verstehen viele nicht. Da ist dann schnell der Stempel "total verzogen" da, wenn mein Sohn mal wieder wegen einer Kleinigkeit (z.B. gestern im Bad: Rutsche wird für 30min gesperrt) einen Kreischanfall bekommt.
Wem sagst du das
... Das kenne ich auch nur zu gut. Ich selbst habe mich sogar in der Vergangenheit schon oft erwischt, dass ich ihn emotional überfordere, bzw. zuviel von ihm verlange...
. Es gelingt mir jetzt schon sehr viel besser, ihn als 6jähriges Kind zu sehen, dass er trotz seiner erwachsenen Ausdrucksweise und seinem Wissensstand immer noch ist. Aber "die anderen" erwarten größtenteils von ihm, dass er sich auch in emotionalen Belangen so erwachsen verhält, wie er in vielen Bereichen wirkt. Und ich verstehe es, da es ja auch im Widerspruch zu seinen kognitiven Fähigkeiten steht. Dass es für das Kind selbst der größte Widerspruch sein muss, und dass ein sehr kluges Kind nicht zwangsläufig auch wie ein kleiner Erwachsener fühlt und handelt, das verstehen viele leider nicht. Sogar die Erzieher tun sich damit schwer. Aber es gab auch, grade im Kindergarten, schon viel zu oft die Situation, dass mit ihm umgegangen wurde wie mit einem Kleinkind (so sein Empfinden) und er und seiner Selbstbestimmung schon sehr "beschnitten" wurde. Das hat ihn sehr wütend gemacht und war Auslöser für viele "Ausraster"...
Hingegen wurde und wird mein jüngerer Sohn von 99% der Menschen, die ihn nicht näher kennen, sofort in die Schublade "geistig behindert" gesteckt. Aber auch damit habe ich leben gelernt.
Nichts desto trotz muss das sehr anstrengend daher kommen. Ich stelle es mir zumindest sehr aufreibend vor
...
Alles Liebe!