Karen hat geschrieben: Ich bin geschäftlich oft in Afrika, in sehr ländlichen armen Gebieten. Ich habe auch dort immer mal wieder ein paar Monaten gelebt bis die Kleine geboren wurde. Wenn ich mir vorstelle dass ich meine Familie mitnehme, dort hinfliege und wir ein paar Jahren dort leben bleiben, was würde passieren? Mein Erziehungsstil und Umgang mit der Kleine beliebt dann am Anfang gleich und ihres angeborenen Charaktereigenschaften bleiben auch gleich. Das einzige was anderes ist, ist Umfeld dass sie und mich und meinen Mann beeinflussen würde und Gesellschaftliche Normen die komplett andere sind als in der Schweiz/Deutschland. Das wichtigste in kurzem: kleine Kinder sind meistens ohne Aufsicht der Eltern unterwegs, schon ab 2 Jahren, es gibt fast keine Autos, Internet ist langsam und mühsam, Strom und Wasser begrenzt, wenig bis kein fernsehen, Seen und Flüssen nicht für baden geeignet, Obst und Gemüse überall und sehr lecker, fast keine Süssigkeiten, viel zeit für andere und füreinander, viel Musik, Freude und Feste, oft ohne Alkohol, sehr autoritative Schulsystem (Kinder werden teilweise immer noch geschlagen), sehr hoche Kindersterblichkeit die du wirklich täglich mitbekommst, nicht funktionierende Polizei, dafür sehr gute selbstorganization und Bereitschaft andere zu beschützen und anderen zu helfen. Ich glaube fest daran dass in diesem Umfeld würde mein Kind ganz andere Probleme und fragen haben, sicher auch anderes wenigstens in Sozialem Bereich Entwickeln, anderes auffallen und damit lernen umzugehen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke wir würde dann mein Kind in diesem Umfeld aufwachsen, kann ich mit grosse Sicherheit sagen dass es auf ihre Persönlichkeit und Verhalten Einfluss haben wird. Deshalb gehe ich davon aus dass unseren Umfeld in Schweizer Stadt auch sehr viel Einfluss hat, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Und deshalb ist es für mich falsch ganze Verantwortung auf Kindliche Temperament und Eltern überschieben wie es oft in unsere Gesellschaft gemacht wird.
Damit liegst du mMN richtig. Eine Bekannte von mir ist bis sie 9 Jahre alt war in Südamerika aufgewachsen. Dort war sie auf Grund ihrer offenen, lebhaften Wesensart bei Kindern und Erwachsenen beliebt. Sie ist dort sehr selbstständig und eigenverantwortlich aufgewachsen was "Freiheiten" (=selbstständig Leute besuchen, tauchen, surfen)betrifft, hatte aber auch die Annehmlichkeiten eines Diplomatenkindes z.B. Dienstmädchen. Als sie nach Österreich zurückkam war das der totale Schock. Die Charaktereigenschaften, die in Südamerika fast jeder gemocht hatte, waren hier unerwünscht. Das christlich orientierte Internat ließ keine Freiheiten zu und ihr wurde immer nur vorgehalten, was sie nicht konnte, anstatt anzunehmen dass sie einfach aus einem anderen Kulturkreis kam und ihr z.B. einfach wertfrei beizubringen wie man z.B. ein Bett bezieht. Statt dessen wurde sie als "faul" und "verzogen" betrachtet.
Die Eltern verlangten außerdem von ihr, sich den in Ö üblichen gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen, die meine Bekannte ja gar nicht kennen konnte. Die Schulleistungen sackten in den Keller weil sie (von Natur auf offen und lebhaft) sich nicht mal traute, den Mund aufzumachen, aus Angst, wieder was "falsches" zu sagen. So wurde binnen kurzer Zeit aus einem lebhaften, fröhlichen, sportlichen Mädchen ein einerseits "schüchternes" andererseits aber "störrisches" Kind voll Ängsten und Selbstzweifel

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Momo hat geschrieben:
Durch meine Ausführungen wollte ich mich als Mutter nicht toll und allwissend etc. darstellen, sondern ich wollte auf BiHas Einwand eingehen, dass Eltern ein bestimmtes gesellschaftskonformes Verhalten bei ihren Kindern erreichen wollen. Mir war es an dieser Stelle wichtig zu schreiben, dass diese Gesellschaftsfähigkeit auch ohne die klassischen Erziehungsmaßnahmen und Methoden zu erreichen ist (jedenfalls in unserem Fall).
Was ist "gesellschaftskonform" für Dich? Sind das die Dinge, die du aufgelistet hast: höflich grüßen, fragen wenn man was will und freundlich bedanken, gutes Benehmen bei Tisch, früh auf die Toilette gehen, durchschlafen, sedlbstständiges Verhalten?
Das sind mMn alles Dinge, die Außenstehende gar nichts angehen! Natürlich ist es angenehm, wenn sich ein Kind so verhält, keine Frage. Aber wenn es nur ein unverständliches "Hallo" nuschelt oder gar nicht grüßt, brüllt wenn es etwas haben will, nicht danke sagt, bei Tisch kleckert, die Füße auf den Tisch legt und mit Geschirr herumwirft, in die Hose macht, jede Nacht 5x aufwacht und Aufmerksamkeit will und sich am liebsten wie ein Baby "bedienen" lässt? Man mag den Eltern zwar falsche Erziehung vorwerfen, tatsächlich aber geht es niemanden etwas an weil dadurch - außer den Eltern selbst - niemand zu Schaden kommt.
Ich will nicht sagen, dass mir völlig egal ist, ob sich mein Kind in diesem Sinn gesellschaftskonform benimmt, aber besonders kratzt es mich nicht. Da gibt es ganz andere Dinge, die wesentlich wichtiger sind.
Momo hat geschrieben:
Bewusstes Erziehen (ich tue/sage etwas, damit mein Kind ein bestimmtes Verhalten zeigt) geht bei uns immer voll nach hinten los, meine Tochter durchschaut dies sofort und verlässt ebenfalls die "Augenhöhe". Sie geht gegen an und ein Machtkampf entsteht. Sie will ernstgenommen und auf Augenhöhe behandelt werden, im Grunde genauso wie wir Erwachsenen. Ich denke, dieses Recht haben alle Kinder!
Genau DA (mit der Augenhöhe) gibt es Schwierigkeiten! Vor allem, wenn das nicht-gesellschaftskonforme Verhalten des Kindes andere Menschen unmittelbar verletzt oder beeinträchtigt. Wie gehe ich "auf Augenhöhe" damit um, wenn mein Sohn am Strand wildfremde Personen mit Schlamm bewirft? Was mache ich, wenn er andere Kinder, die ihm absolut nichts getan haben, absichtlich und schmerzhaft beißt? Was, wenn er andere Erwachsene oder Kinder mitwillig beschimpft? Was, wenn er harmlos auf der Badedecke schlafenden, ihm unbekannten Erwachsenen eine Flasche Wasser über den Bauch schüttet?
Auch wenn mir bewusst ist, das hinter so einem Verhalten tiefer liegende Probleme stecken geht es ja um meine Reaktion in der Situation. Das ist mir bewusst und wir arbeiten daran. Aber wie verhalte ich mich unmittelbar in der Situation?
Würdest du gut finden wenn ein anderes Kind deine Tochter beißt und die daneben stehende Mutter offensichtlich nicht reagiert? Oder wie schaut deiner Meinung nach in solchen Fällen eine angemessene Reaktion "auf Augenhöhe" aus?
Und ich hoffe doch sehr, dass man mir glaubt, dass weder mein Mann noch ich noch sonstige Bezugspersonen unserem Sohn so ein Verhalten VORLEBEN

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Übrigens verhält sich unser Kleiner von Natur aus wesentlich gesellschaftskonformer als es der Große je getan hat. Der braucht keinen Hinweis dass man die Kinder im Rutschenauslauf zuerst weggehen läßt, bevor man selbst nachrutscht. Wenn er etwas bekommt sagt er automatisch freundlich und mit Blickkontakt danke (eines der 5 Wörter, die er aussprechen kann) und ich habe noch nie erlebt dass er einem anderen Kind weh getan oder etwas weggenommen hätte (außer seinem Bruder, aber da gibt´s öfter Zoff von beiden Seiten).
Wie schaut eigentlich Verhalten auf Augenhöhe bei Geschwisterstreit aus? Wann darf ich eingreifen? Beim verbalen Beginn, wenn die Schlägerei losgeht, wenn der erste heult oder erst bei der ersten ernsthaften Verletzung? Es geht mir übrigens absolut nicht darum, mich als "Richter" aufzuspielen!
Ich denke immer noch dass die Augenhöhe bei einem ohnehin vom Wesen her gesellschaftskonformen Einzelkind nicht dieselbe Herausforderung ist als wenn man immer wieder mit ernsthaften Grenzverletzungen der Grenzen anderer zu tun hat und nebenbei noch ein zweites Kind da ist.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)