Sozialverhalten und "anders" sein

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Melanie79
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Registriert: Sa 27. Apr 2013, 10:08

Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Melanie79 »

Hallo, :fahne:
mein Sohn ist 4 Jahre alt, hat sich schon immer anders verhalten und hat schon immer andere Interessen als andere Gleichaltrige.
Für mich waren Treffen mit anderen Müttern/Kindern bisher immer Stress. Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich anfange meinen Sohn oft zu kritisieren, nicht nur verbal sondern meine innere Einstellung hat sein Verhalten ständig kritisiert und genau beäugt. Dieses "anders sein" meines Sohnes hat angefangen an meinem Selbstbewußtsein zu kratzen. "Was habe ich bloß falsch gemacht?!"
In Krabelgruppen haben die Babys im Kreis gelegen, haben mit ihren Rasseln und Bällen gespielt,meiner ist losgekrabbelt und hat die Schrauben an den Stühlen untersucht oder er hat den anderen die Sachen geklaut und sie ihnen auf den Kopf gehauen. Er hat irgendwie nie dazu gehört, hat sich mit völlig anderen Dingen beschäftigt. Irgendwie bekommt er zeitweise doch immerwieder Interesse an Gleichaltrigen, weiß aber überhaupt nicht wie er mit Ihnen spielen soll und fängt dann an z.b. mit Sand zu werfen oder den Clown zu spielen. Mit deutlich älteren Kinder (ca ab 10 Jahre) hat er keine Schwierigkeiten. Mein Kind und ich haben ein sehr gutes Verhältnis, mit wenig Reibungspunkten. Es gibt normale Auseinandersetzungen aber sonst sind wir "Arsch auf Eimer". Unsere gutes Verhältnis zueinander fällt vielen Menschen direkt auf.
Ich bin alleinerziehend, habe nur 1 Kind, d.h. ich habe wenig Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Kindern aber mir fällt natürlich trotzdem auf, dass er anderen Gleichaltrigen kognitiv Meilen vorraus ist und sich sprachlich sehr gewählt ausdrückt Er hat mit 1 Jahr selbstständig den Fernsher angestellt und sich eine DVD angemacht, hat sich mit 2,5 Jharen die Buchstaben selber beigebracht, versteht Spielregeln ect sofort und kann sie fehlerfrei einhalten (obwohl das Einhalten soziale Regeln oft schwierig ist)......um nur mal ein paar Beispiele zu geben
Bei den U- Untersuchungen sagte der Kinderarzt immer, er wäre Anderen weit vorraus, mein Wunsch ihn einmal bei einem Kinderpsychiater vorzustellen wegen dem schwierigen Sozialverhalten anderen Kindern gegenüber hat er erst nicht geteilt. Er sagt es wäre eh eindeutig, dass eine Hochbegabung raus kommt und er in dem Kindergarten (Freinet-Pädagogik) gut aufgehoben ist und es sich dort bestimmt bald bessert.
Ich habe dann doch einen ET 6-6 Test (Entwicklungstest) und einen Intelligenztest gemacht um ADS auszuschließen. ADS ist zu 90% ausgeschlossen und selbst wenn er es hat, in leichter Form. Der Test ergab im Durchschnitt 109. Sprachlich/kognitiv ist er sehr weit, sozial/emotional eher unterer Durchschnitt. Der Psychiater sagte, der Test wäre erst ab 7 Jahre, mein Sohn war nicht ganz bei der Sache und ich sollte zur Einschulung nochmal kommen??? Er wäre ein schlauer Bursche, jedoch nicht hochbegabt, ADS schliesst er aus so wie er ihn erlebt und er müsste halt noch lernen sich an soziale Regeln zu halten,mit Gleichaltigen zu spielen und sich seiner Gefühle besser bewusst werden. Er hat mir Ergo geraten. Nach den ersten 2 Ergoterminen sagte die Ergotherapeutin, sie weiß nicht was er bei ihr soll. Er wäre ein ganz toller, liebevoller Junge mit überhaupt keinem Defizit, im Gegenteil, er wäre im Allen weit voraus. Sie hat ihn dann im KIndergarten besucht und beobachtet und dort fiel ihr das Sozialverhalten dann doch auf und er teilt sich seine Ergostd nun mit einem anderen Jungen um Sozialverhalten im kleinen Schritten zu lernen.
OK alles schön und gut aber könnt ihr euch vorstellen dass mich das nicht beruhigt wenn ich sehe wie anders mein Sohn ist?? Wäre schön wenn ich mal ein paar meinungen von euch hören würde :-) Danke
Mijal
Dauergast
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Mijal »

Hallo Melanie76,

inwiefern ist sein Sozialverhalten anders bzw. fällt auf? Unsere Große ist im Kiga auch wegen ihres Sozialverhaltens aufgefallen. Die Erzieherin meinte, sie könnte Aspergerautismus haben. Also haben wir uns Rat von einer Frau von der Förderstelle geholt, die sich unsere Tochter angeschaut hat und meinte, sie wäre ein ganz tolles Mädchen, in kognitiver Hinsicht sehr weit und sensibel, aber sicher nicht autistisch.

Aber wir haben immer noch nicht ganz rausgefunden, warum sie so anders ist. Und ich kann dich gut verstehen, wenn du schreibst, dass das Verhalten deines Sohnes an deinem Ego kratzt. Das kenne ich auch. Z.B. wenn alle Kinder Rodeln, nur meine wird umgerodelt, wenn alle mit der Rollkistenbahn fahren, nur meine sich keine Kiste nimmt, wenn alle vorwärts untertauchen, nur meine taucht rückwärts unter und schluckt Chlorwasser ohne Ende, wenn alle Toben nur sie erzählt den Blumen Geschichten, wenn alle Babys vorwärts und alleine die Treppe raufgeklettert sind, nur meine versucht hat mit den Füßen voran raufzukletter... Und auch wenn alle Kinder schon miteinander spielen und sie die Gesellschaft anderer Kinder zwar liebt und auch mit ihnen spielt, aber einfach nicht mit ihnen kooperiert.

Das mit den Schrauben ist übrigens auch so ein Klassiker, den ich bei meinen Kindern (bei beiden) beobachte. Meine Große hat mit 1,5 immer die Zahlen, die unten im Glas eingestanzt sind benannt und je kleiner ein Fussel war desto interessanter fand sie ihn. Sohnemann ist nicht so fürs Kleine, aber er ist auch ganz groß darin alles Spielzeug, das für andere Kinder spannend ist zu ignorieren. Auf dem Spielplatz am Pool, im Urlaub, hatte er ziemlich schnell, die Spielgeräte durch und war total scharf darauf den erste Hilfekoffers des Lifeguards zu inspizieren, die verschiedenen Pflanzenblätter zu inspizieren, oder eben alle Schrauben, Scharniere und Ketten zu untersuchen. Er ist übrigens grade eins geworden. Er versucht alles zu benennen und beim Babysport interessiert er sich nicht für die anderen Kinder, sondern rennt durch die Turnhalle und will lautstark alles benannt haben und klopft überall gegen, um zu hören, was für einen Ton das macht. Er liebt es, herauszufinden wie unterschiedliche Materialien klingen.

Wie ist das bei euch?

Nach allem, was ich höre können clevere Kinder durchaus mal Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen haben und zwar aus unterschiedlichsten Gründen.
Mijal
Dauergast
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Mijal »

Hallo Koschka,

hier treffen wir uns wieder. Vorhang auf, für Runde Nr. 2. ;)

Natürlich hast du Recht, dass eine Frau von der Förderstelle keine Diagnostik macht. Uns ging es auch nicht um eine Diagnose, die auch ein Psychologe, wenn er denn seriös ist, nur mit einem speziellen Intelligenztest stellen könnte, für den sie noch viel zu jung ist - obwohl auch da viel herumgequacksalbert wird. Doch nur der Test könnte beweisen, dass die Ursache für die Symptome eine Wahrnehmungsstörung dieser Art ist (keine zusammenhängenden Bilder erkennen, keine Zusammenhänge herstellen, keine Gesichtsausdrücke deuten können).
Allerdings ist eine Erzieherin erst Recht keine zuverlässige Instanz, wie du ja selber am besten weißt, und außer der Erzieherin wäre keiner, der meine Tochter besser oder weniger gut kennt, auf die Idee verfallen, sie könne Autismus haben - und das, obwohl sowohl ich als Lehrerin, als auch meine Mama ebenfalls Erzieherin, im pädagogischen Feld tätig sind. Wir hatte diesen Verdacht zwar eine Zeit lang, als sie sich mit 1,5 so sehr für Zahlen und Buchstaben interessierte, aber wir haben ihn dann schnell verworfen, als zunehmend klar wurde, dass sie sich sonst völlig normal und gut entwickelte.
Die Frau von der Förderstelle ist zu uns gekommen, um festzustellen, ob Förderbedarf besteht. Und sie war von unserer Tochter, so ihre Aussage, "ausgesprochen positiv beeindruckt" und völlig geplättet, warum jemand der Meinung sei, da könne Förderbedarf oder gar Autismus vorliegen.
Also lange Rede, kurzer Sinn: Ein im Großen und Ganzen "normales" Kind, würde man nicht einer Autismusdiagnose unterziehen, die ja auch belastend für alle Beteiligten ist. Meine Tochter hat unter der Anspannung sehr gelitten, auch wenn nichts diagnostiziert wurde.
Ich bin inzwischen ziemlich davon überzeugt, dass es etwas mit Reizüberflutung (Hypersensibel), viel Phantasie (was sehr gegen Asperger spricht), Eigensinn und Pflege ihres Individualismus zu tun hat. Das ist auch nicht ganz abwegig, da der Apfel ja bekanntlich nicht weit vom Stamm fällt - hüstel. :oops:

Und nun zum Hochbegabung und Sozialverhalten Problem. Es stimmt, dass die "TYPSICHEN" Sozialprobleme nicht unbedingt bei Hochbegabten, sondern vor allen Dingen bei "Höchstbegabten" (IQ ab 150) zu finden sind. Das ist so ein klasssiches Missverständnis. Hochbegabung heißt nicht "Genial" und dabei womöglich noch "sozial unfähig". Das gilt auch nicht für alle Höchstbegabten. Häufig sind Hochbegabte sogar sozial sehr reif. Probleme können aber trotzdem auftreten z.B. weil schlaue Kinder (und damit meine ich nicht nur Hoch- oder Höchstbegabte sondern auch überdurchschnittlich Begabte IQ ab 117)), oft einen sehr starken Willen haben, häufig einen gewissen Perfektionismus pflegen, einen eigenen Plan verfolgen, den sie haargenau so umsetzen wollen, wie es ihnen vorschwebt, gerne die Bestimmerrolle haben, eine geringe Frustrationstoleranz aufweisen (nicht gelernt haben mit Misserfolgen umzugehen), andere Interessen haben als Gleichaltrige etc. Dazu kommt dann noch, dass solche Kinder oft mehr wahrnehmen als andere und/oder Situationen oft besser einschätzen können (z.B. ob etwas gefährlich ist). Auch leben sie nicht so sehr im Augenblick, wie viele andere. Sie vergessen und vergeben nicht so leicht.

Meine Tochte ist sicher nicht Höchstbegabt. Ich wär mir auch nicht sicher, dass sie HB ist. Aber sie hat viele dieser Eigenschaften und ich kann mich da gut in sie hineinversetzen, weil sie das Meiste wohl von mir hat. Aber bei ihr ist es noch ausgeprägter als bei mir. Z.B. nimmt sie es einem anderen Kindergartenkind noch heute übel, dass es vor vielen Wochen mal mit einer Stöckchenpistole auf sie gezielt hat und "Peng" gesagt hat. Kaum sieht sie diesen Jungen, fragt sie mich: "Will der mich wieder abschießen? Das darf der aber nicht!"
In sozialen Situationen ist sie einerseits eher schüchtern und zurückhaltend, aber andererseits wenn ein anderer ihre perfekte Fantasiewelt "kaputt machen" will - wie sie es empfindet - dann wird sie richtig wütig. Das Schlimme ist nur, dass man nie genau wissen kann, wie diese Welt von ihr grade aussieht, das ändert sich dauernd, aber es ist wichtig, sie nicht zu verletzen. Ein Beispiel: Der Staubsauber ist für sie das Feuerwehrlöschfahrzeug mit Schlauch. Wenn ich jetzt ankomme und saugen will, bricht die Hölle los. Eine Fegschaufel ist das Bett von dem Teddy, und weil sie einen sehr langen Atem hat, darf diese Fegschaufel seit Wochen nicht mehr einen Zentimeter bewegt werden (zumindest nicht, wenn sie anwesend ist). Unsere Wohnung ist voll mit Dingen, die spontan in etwas anderes umfunktioniert werden und teilweise nicht mehr angerührt werden dürfen. Wenn nun Kinder zum Spielen kommen und zufällig einen Kuchen in den Backofen unserer Spielküche stellen wollen, heult sie los, weil der Backofen ja das Gefängnis von dem Kuschelmolch ist. Sie spielt wunderschön und hätte soviel, was sie mit anderen Kindern teilen könnte, aber leider traut sie sich nicht, den Ton anzugeben und sie traut sich auch nicht den anderen Kindern zu sagen, was und wie sie selber gerne spielen würde und die wiederum können nicht ahnen, dass Duplosteine der Kuchen sind und nicht verbaut werden dürfen. :?
In unruhigen Situationen zieht sie sich lieber zurück und spielt für sich alleine. Das überfordert sie, wenn überall Kinder herum wuseln. Sie träumt, oder spielt etwas ruhiges alleine. Darum wird sie wahrscheinlich auch umgerodelt. :(
Andererseits klappt es in beruhigten Situationen mit dem Spielen manchmal so gut, dass selbst die Erzieherin, meine Tochter nicht wiedererkennt. Sie reagiert auf die anderen, macht mit, schlägt Tätigkeiten vor, nimmt Kontakt auf etc. Solange sie eben nicht mit den anderen um die Machtposition verhandeln muss und kein bestehendes (womöglich vor Wochen gespieltes Spiel) dabei kaputtgemacht wird. Aber da liegt das Problem mit dem Kiga. Denn immer Kiga ist immer viel Wirbel und da hat sie selten genug Ruhe, um sich auf andere einzulassen. Das ist ihr zu unübersichtlich.
Wenn sie allerdings Asperger hätte, dann dürfte das nicht mal so, mal so sein. Und dann könnte sie wohl auch keine Gesichter deuten, über Gefühle sprechen, intensiven Blick- und Körperkontakt suchen, Zusammenhänge herstellen und erläutern und so sehr in ihren Fantasiespielen aufgehen. Außerdem würde sie die Gesellschaft anderer Kinder wohl nicht so sehr genießen. Denn das alles ist sehr untypisch für Autisten. Und bevor du jetzt dazwischen hakst - ja, es gibt auch diagnistizierte Asperger, die das eine oder andere davon können, aber in der Regel nicht so viele Punkte auf einmal und wie schon gesagt, wird da auch häufig gerne mal eine rein symptomatische Diagnose gestellt - ohne Test - und das ist seeehr fehlerträchtig. Denn nicht umsonst gelten Asperger und AD(H)S als das Sammelbecken für irgendwie auffällige Kinder, die man nicht hundertprozentig einordnen kann). Es gibt einfach so viele mögliche Ursachen, für die Auffälligkeiten, dass Asperger bei mir schon lange seeeehr weit unten auf der Liste steht. Alleine wenn man Asperger, AD(H)S und stille ADS, Hochbegabung und Hypersensibilität mal von der Symptomatik vergleicht, fällt einem auf, dass sich mindestens die Hälfte der Symptome überschneiden.

Okay, jetzt bin ich ins Schwafeln gekommen. Das ist nämlich ein Thema, bei dem es bei uns manchmal drückt. Aber glaub mir, Koschka, ich habe da lange und viel recherchiert und drüber nachgedacht und ich bin letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es für meine Tochter das Beste ist, so wenig Trubel wie möglich zu machen. Sie versteht viel mehr, als man denkt und sie kriegt es mit, wenn was nicht stimmt, auch wenn man nichts sagt. :cry:
Bliss
Dauergast
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Bliss »

Mijal hat geschrieben:HAndererseits klappt es in beruhigten Situationen mit dem Spielen manchmal so gut, dass selbst die Erzieherin, meine Tochter nicht wiedererkennt. Sie reagiert auf die anderen, macht mit, schlägt Tätigkeiten vor, nimmt Kontakt auf etc. Solange sie eben nicht mit den anderen um die Machtposition verhandeln muss und kein bestehendes (womöglich vor Wochen gespieltes Spiel) dabei kaputtgemacht wird. Aber da liegt das Problem mit dem Kiga. Denn immer Kiga ist immer viel Wirbel und da hat sie selten genug Ruhe, um sich auf andere einzulassen. Das ist ihr zu unübersichtlich.
Wenn sie allerdings Asperger hätte, dann dürfte das nicht mal so, mal so sein. Und dann könnte sie wohl auch keine Gesichter deuten, über Gefühle sprechen, intensiven Blick- und Körperkontakt suchen, Zusammenhänge herstellen und erläutern und so sehr in ihren Fantasiespielen aufgehen. Außerdem würde sie die Gesellschaft anderer Kinder wohl nicht so sehr genießen. Denn das alles ist sehr untypisch für Autisten. Und bevor du jetzt dazwischen hakst - ja, es gibt auch diagnistizierte Asperger, die das eine oder andere davon können, aber in der Regel nicht so viele Punkte auf einmal und wie schon gesagt, wird da auch häufig gerne mal eine rein symptomatische Diagnose gestellt - ohne Test - und das ist seeehr fehlerträchtig. Denn nicht umsonst gelten Asperger und AD(H)S als das Sammelbecken für irgendwie auffällige Kinder, die man nicht hundertprozentig einordnen kann). Es gibt einfach so viele mögliche Ursachen, für die Auffälligkeiten, dass Asperger bei mir schon lange seeeehr weit unten auf der Liste steht. Alleine wenn man Asperger, AD(H)S und stille ADS, Hochbegabung und Hypersensibilität mal von der Symptomatik vergleicht, fällt einem auf, dass sich mindestens die Hälfte der Symptome überschneiden.
So einfach ist das leider nicht. Asperger Autisten können gerade wenn sie überdurchschnittlich intelligent sind oft wirklich viel kompensieren. So ist es sehr gut möglich, dass ein Aspie zuhause und im kleinen Rahmen völlig unauffällig ist und im größeren Rahmen aufgrund von Reizüberflutung überfordert ist. Ja die Grenzen sind fliessend und ich kenne inzwischen einge, die mit Verdacht auf ADHS einem Diagnostikmarathon unterworfen wurden und dann als hochbegabte Aspies diagnositiziert wurden.
Mijal
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Mijal »

Hallo Bliss,

Bei dem was du schreibst, nämlich "nur" im Großen Rahmen auffällig, AD(H)S Verdacht und Hochbegabt, würde ich aber spontan eher an Hypersensibel, als an Aspi denken. Viele Psychologen haben hierzulande noch nichts davon gehört (ist recht neu) und diagnostizieren fälschlicherweise Asperger, wenn ihnen sonst nichts mehr einfällt.
Hypersible haben ein Problem mit der Reizüberflutung, aber anders als Aspis keinerlei Probleme mit der Reizverarbeitung. Resultat: Stress, sodass sich eine ähnliche Symptomatik wie bei AD(H)S einstellen kann - besonders in unübersichtlichen Situationen. Beim näheren Hinsehen besteht häufig Verwechslungsgefahr mit Asperger, weil diese Menschen sehr viele Details wahrnehmen und zudem oft auch noch hochbegabt sind. Und Hochbegabte haben dann häufig auch noch andere Verhaltensweisen an sich, die an Aspis erinnern können, wie z.B. ungewöhnliche Interessen.
Deswegen bin ich vorsichtig, mit Diagnosen, die ohne irgendwelche aussagekräftigen Tests erfolgen. Und das passiert bei Asperger ziemlich häufig.

Aber wenn jemand mit Rückenschmerzen zum Arzt geht und der ihn dann lange und genau beobachtet und nach Monaten, allein aufgrund der äußeren Beobachtung einen Bandscheibenvorfall diagnostiziert (nach dem Motto: "Sie zeigen drei von 12 möglichen Symptomen"), ohne den Patienten ein einziges Mal geröngt oder in die Röhre geschoben zu haben. Dann würde dieser jemand sich wohl auch nicht gutgläubig unters Messer legen, oder? Ärzte können sich ja bekanntlich irren, Psychologen sicher auch. Und warum überhaupt der ganze Stress für alle, wenn das Kind seine Schwächen so gut kompensieren kann, dass sie nur im Großen Rahmen überhaupt auffallen? Wozu braucht man da das Ettikett "Asperger"? Es sei denn, es gäbe irgendetwas, das man anders machen könnte?

Ich versuche immer genau darauf zu achten, was hinter dem Verhalten eines Kindes steckt, nicht nur bei meinen eigenen, auch in der Schule. Und mir scheint es, dass meine Tochter nicht rumbockt, weil sie verängstigt, überfordert oder hilflos ist. Wenn sie einen Affenaufstand macht, dann meistens, weil sie sehen will, inwieweit sie mich manipulieren kann.Ich kann richtig ihr "Kalkül" dabei spüren. Sie spricht das häufig auch selber aus: "Wenn du mich aus dem Zimmer schickst, dann komme ich aber wieder rein - und was machst du dann?" Aber das wäre bei einem Asperger anders. Deswegen müsste man auf einen Aspi auch anders reagieren. Ein Aspi würde höchstwahrscheinlich darauf bestehen, das etwas genau so ablaufen muss, wie er sich das vorstellt, weil alles andere ihm Angst machen würde. Er ist also wirklich in Not.

Bei uns sind derzeit nur die relativ normalen, aber ungewöhnlich intensiven Machtkämpfe etwas, was wir überhaupt anders gestalten könnten. Und die Dinge, die mir wirklich Sorgen machen, wie z.B.das umgerodelt werden, an denen kann ich nichts ändern. Also wozu eine Diagnose?
Bliss
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Bliss »

@ Mijal

Ich kann mich Koschka nur anschließen, dieses Anpassen und Kompenieren kostet Kraft. Und man merkt es ja selber, dass man anders ist und eine Diagnose und damit eine Erklärung, warum das so ist kann sehr erleichtern.

Diese Abgrenzung zu den anderen von dir genannten Diagnosen ist in der Tat schwierig und oft gibt es auch noch Mischformen. Aber gerade deshalb finde ich sollte man solchen Aussagen wie sie die Frau von der Förderstelle getroffen hat vorsichtig sein, wenn man nicht eine genaue Diagnostik durchgeführt hat.
Mijal
Dauergast
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Mijal »

Hallo Koschka und Bliss,

das, was ihr hier schreibt ist mir auch größtenteils so oder so ähnlich bekannt. Mit einer Einschränkung: Ich hatte es schon so verstanden, dass eine Beeinträchtigung in der sozialen Interaktion zwingend dazu gehört, sonst wäre es eben keine Form des Autismus. Und ihr schreibt ja beide, dass dieses "Anpassen" Kraft kostet.

Was jetzt uns speziell betrifft, muss ich vielleicht erklären, dass diese Fördertante keine Diagnose stellen wollte. Sie meinte einfach nur, dass sie überhaupt keine Veranlassung sehe zu fördern und nie auf den Gedanken gekommen wäre, dass dieses Kind ein Aspi-Kandidat sei und das war sehr wohl ihre Aufgabe, den Förderbedarf festzustellen. Sicher weiß sie auch dass Diagnostik erst viel später überhaupt möglich ist. Sie meinte wir sollten einfach abwarten und weiter beobachten. Sie hat eigentlich einfach nur das gesagt, was alle dachten. Ich meine alle außer die Erzieherin und die ist seit dem letzten Entwicklungsschub auch anderer Meinung und denkt jetzt mehr an Hochbegabung. Während ich eher bei Hypersensibel oder wenn überhaupt beides bin. Eine Diagnose wäre aber derzeit sowieso unsinnig, da meine Tochter erst 3,5 ist und außer ihren gelegentlichen "Specials" wie dem "mit den Füßen zuerst die Treppe hochwollen" oder dem "umgerodelt werden" lediglich sehr eigenwillig und anderen Kindern gegenüber schüchertern ist. Aber man kann ja nicht jeden schüchternen Menschen gleich kompliziert auf Asperger testen.

Mit anderen Worten, wenn ich mir so eine Asperger-Checkliste vornehme, dann erfüllt meine Tochter maximal vier Punkte von vielleicht zwanzig: Grobmotorisch ungeschickt, aber gut koordiniert und feinmotorisch außergewöhnlich geschickt (liegt an zu wenig Tonusspannung), in wühligen Situationen Bsp. Indoorspielplatz abgelenkt/etwas überfordert, Interesse und Aufmerksamkeit für Details, ist Gleichaltrigen gegenüber schüchtern und spielt in unruhigen Situationen lieber alleine (aber auch nicht mehr).

Sie hat aber:

- keinerlei Probleme mit Nonverbaler Kommunikation (Gestik, Mimik)
- liebt Blick- und Körperkontakt und fordert diese besondere Aufmerksamkeit auch sehr vehement ein (das hat sie nicht gelernt, dass kann sie instinktiv)
- macht es mir sehr schwer gerade weil sie meine Reaktionen immer vorhersieht
- sie kann komplexe Informationen als ganzes erfassen (fällt ihr sogar ungewöhnlich leicht)
- ist in überhaupt nicht Orientierungslos (im Gegenteil)
- zeigt keine stereotypen Verhaltensweisen
- braucht keine sich ständig wiederholenden Abläufe
- keine eng fokussierten Spezialinteressen (im Gegenteil, ihre Interessen sind eher aspi-untypisch, nämlich Wort- und Sprachspiele, kreativität, Rollen- und Fantasiespiel etc.)
- sie spielt sehr viel Rollenspiele und auch gerne mit Erwachsenen zusammen, aber bei Kindern traut sie sich nicht
- sie spielt aber sehr gerne in beruhigten Situationen mit anderen Kindern, geht auf sie zu und schlägt gemeinsame Aktivitäten vor usw.

Ihre Schüchternheit ist mit 3,5 noch im Toleranzbereich, ihre Grobmotorik auch (sie ist diesbezüglich lediglich spät dran). Da bleibt doch nur noch das mit der Reizüberflutung übrig und da sie Reize eigentlich ausgezeichnet verarbeiten kann (deswegen ja der Hochbegabungsverdacht) sehe ich nicht ein, warum man Asperger dafür verantwortlich machen sollte. Nur weil man sich auf einer Checkliste in wenigen Punkten wiederfindet, hat man das noch lange nicht. Wenn man so rangeht, ist jeder zweite auch ein Borderliner, hat eine Schilddrüsenstörung oder sonstwas.
Bei der Hypersensiblen-Checkliste erfüllen Töchterchen und ich dagegen fast alle Kriterien. Da ist das doch wohl wahrscheinlicher, oder?

Wir sind sicher anders. Ich fühl mich anders, aber ich weiß, es ist kein Asperger, denn ich weiß ja was und wie ich wahrnehme, fühle und Denke und das passt einfach nicht. Mir würde eine Diagnose tatsächlich helfen, aber Töchterchen würde das sehr verunsichern und sie hat schon so gelitten, als das Thema aufkam. Das tue ich ihr nicht so einfach nochmal an, nur weil ich gerne Gewissheit hätte.
Bliss
Dauergast
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Bliss »

Hallo Mijal,

ich hätte bei deinen Schilderungen jetzt auch nicht sofort an Asperger gedacht und vermutlich hat sie das auch nicht. Mir ging es nur darum, dass man es nicht ohne umfassende Diagnostik von vornherein ausschließen sollte. Also wenn es irgendwann man mal so große Probleme gibt, dass ihr dem genauer auf den Grund gehen wollt das Asperger Syndrom nicht von vornherein ausschließen.
Mijal
Dauergast
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Re: Sozialverhalten und "anders" sein

Beitrag von Mijal »

Hallo Bliss,

natürlich nicht! Wenn es wirklich große Probleme in der Schule (oder wann auch immer) geben sollte, wäre wahrscheinlich der Leidensdruck dadurch bereits so hoch, dass ne Diagnostik Sinn ergeben würde - Verunsicherung hin oder her, das wäre dann wohl schnurps. Aber derzeit ist es ja eh zu früh dafür, warum also wild rumdoktorn? 8-)
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