Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
Rabaukenmama
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben:Für die Eulenkinder gibt es ja die Möglichkeit, erst um 10:00 Uhr in der Schule zu sein...
So was würde ich mir auch für Österreich wünschen. Im echten Leben könnte ich es zwar wegen meiner eigenen Arbeitszeit nicht beanspruchen, aber es gibt ja auch Berufe, wo das anders ist.
Momo hat geschrieben: Finde ich super, diese Vorstellung! Da sind wir wieder bei dem Thema des Schulzwangs in Deutschland... Ich würde mir wünschen, dass diese Schulpflicht einer Bildungspflicht weicht und genau solche Möglichkeiten für Schüler eingerichtet werden. Es würde vieles sehr positiv verändern! Und die Angst, dass bildungsferne Familien ihre Kinder zu Hause lassen würden und diese dann nichts lernen, halte ich auch für unbegründet. Denn dieses System funktioniert ja in vielen Ländern sehr gut. Hier wird uns Bürgern in Deutschland einfach nicht vertraut.

Momo
In Österreich gibt´s keine Schulpflicht sondern nur eine Bildungspflicht. Trotzdem geben über 99% der Eltern ihre Kinder in die Schule. Diejenigen, die z.B. Heimunterricht für sich ausgesucht haben, sind durch die Bank sehr selbständige, selbstbewusste, gebildete Persönlichkeiten, die sich das (die Kinder selbst unterrichten) einerseits zutrauen und andererseits auch über die entsprechende Zeit (und genug eigene Bildung) verfügen, das zu bewerkstelligen. Diese "Freilerner" treffen sich z.B. auch untereinander, besuchen sich, machen auch mal gemeinsame Termine mit den Kindern für "learning by doing" - eine tolle Sache, wenn man die Möglichkeiten hat! Diese Kinder legen 1x jährlich eine externe Prüfung über den Unterichtsstoff ab, was sie auch (im Normalfall) problemlos schaffen.

Bei bildungsfernen Familien schaut es ganz anders aus. Und auch wenn es für manche wie "Zwang" aussieht finde ich das verpflichende letzte Kindergarten-Jahr (wie es in Wien praktiziert wird) gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien als riesige Chance. Es gibt etliche Kinder, die in diesem letzten Kindergarten nicht nur deutsch lernen sondern auch die österreichischen kulturellen Werte (zusätzlich zur den in der eigenen Famillie gelebten) sowie den sozialen Umgang untereinander und mit PädagogInnen.

Gott sei Dank ins gerade in den bildungsfernen Schichten nicht mal bekannt, dass in Österreich keine Schulpflicht besteht! Sonst würde man bei diesen Kindern erst nach Ende des ersten Schuljahres (wenn die externen Prüfungen stattgefunden haben) herausfinden, dass sie weder deutsch können noch sonst was gelernt haben! Ein Rückstand, der dann - wenn überhaupt- nur noch sehr schwer aufzuholen ist!
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)
Rabaukenmama
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben:Rabaukenmama hat geschrieben:
Vor allem aber hat er durch seine sozialen Defizite Probleme, Freunde zu finden, und das macht ihn unglücklich. Im Kindergarten war er im letzten Jahr der "coole Große" für die jüngeren Kinder und der tüchtige Helfer für die Tanten. Jetzt muss er seinen Platz in der Klassengemeinschaft erst finden und macht eher auf Klassekasperl. Und in der Rolle ist es schwer, Freundschaften zu finden.
Das kann ich gut verstehen und das ist wirklich eine unglückliche Situation für ihn. Ich merke selbst, wie wichtig an aller erster Stelle erstmal Freundschaften für meine Tochter sind und wie schön es für sie ist, ihre Freunde jeden Tag so lange wie möglich zu sehen. Fehlen diese Freundschaften, sieht die Situation wirklich ganz anders aus. Ich wünsche Deinem Sohn sehr, dass er zumindest erstmal einen guten Freund/Freundin findet!!! Doch das wird bestimmt kommen, im Kindergarten hatte sie die Freundschaftssituation ja auch plötzlich sehr zum Positiven verändert!
Es geht meinem Sohn einfach ähnlich wie es mir damals gegangen ist: er kommt wesentlich besser mit deutlich älteren oder jüngeren Kindern zurecht als mit Gleichaltrigen.

Im Kindergarten hatte er die meisten Probleme, Freundschaften zu finden, als er etwa 4 Jahre alt war - also ziemlich "in der Mitte". Davor hat er sich an die älteren Mädels gehalten. Ein Mädchen namens Katja hat er angehimmelt und verehrt und er war glücklich, wenn sie sich mal mit ihm beschäftigt hat. Überhaupt hat er seine Rolle als "süßer Kleiner" damals genossen. Dann kam die eher unglückliche Zeit, als jüngere Kinder diesen Platz eingenommen haben. Damals hat er sich oft beklagt, keine Freund zu haben, obwohl die Pädagoginnen beobachtet haben, dass er durchaus immer wen zum spielen findet. Aber er selbst kam sich irgendwie fehl am Platz vor.

Und dann, so mit 5 Jahren, begann er selbst, sich um die jüngeren Kinder zu "kümmern", ihnen vorzulesen oder was zu erzählen oder ihnen zu zeigen, wie manche Spiele funktionieren oder einfach für sie zu blödeln, um sie zum lachen zu bringen. Auch seine Geburtstagseinladungen sind bezeichnend für seine Entwicklung. Ganz am Anfang wurde er 1x zu einem gleichaltrigen Buben (zum 3. Geburtstag) eingeladen. Dann kamen etwa 2 Jahre gar keine Einladungen. Mit 5-6 Jahren wurde er insgesamt 4x eingeladen: einmal zum 7. Geburtstag eines Mädchens, das ihn vom Kindergarten kannte, aber schon zur Schule ging, und zweimal zu einem 4. Geburtstag und einmal zu einem 3.

Das einzige Mädchen aus seiner Klasse, das mein Sohn als "Freundin" bezeichnet, ist über 2 Jahre älter als er. Er erfindet auch immer wieder Geschichten was er mit ihr angeblich gemacht hat (von denen ich weiß, dass sie unmöglich stimmen können). Aber insgesamt fühlt er sich isoliert, obwohl ihn die anderen Kinder - meiner Beobachtung nach - durchaus akzeptieren.

Vergangenen Montag hatte er einen plötzlichen Fieberschub und ich habe ihn vom Hort abgeholt. Bei der Gelegenheit meinte er traurig zu mir "Jetzt werden alle froh sein, dass sie mich endlich los sind!". Es tut mir weh, so was zu hören :cry: . Das Schlimme daran ist, dass er es selbst glaubt. Dabei habe ich auch hier das Gefühl dass die meisten Kinder ihn grundsätzlich mögen. Nur macht er es ihnen mit seiner Art schwer. Einmal, an einem Fenstertag, meinte ein anderer Bub aus dem Hort freundlich und rein informativ zu meinem Sohn, dass heute alle in der "grünen Gruppe" sind. Und mein Sohn schnauzte diesen Buben total unfreundlich an, so dass dieser sich schnell wieder zurückzog. Auch am Spielplatz habe ich beobachtet wie andere Kinder, die meinen Sohn von Schule oder Hort kennen, zum mitspielen auffordern, was er aber fast immer ablehnt. Er läßt niemanden an sich heran.

Generell beobachte ich, dass sozial kompetente, beliebte Kinder viel lieber in die Schule gehen als Außenseiter. Und das ist ganz unabhängig vom Schulkonzept und den schulischen Leistungen. Meistens sind diese sozial kompetenten Kinder aber auch gute Schüler (im Sinne von: vielseitig interessiert, schnell von Begriff). Unter den nicht so beliebten und sozial kompetenten Kindern gibt es etliche, die sich zwar mit dem lernen und Schulstoff leicht tun (wieder unabhängig vom Schulkonzept), aber trotzdem nicht gerne in die Schule gehen.

Ich erinnere mich gut an meine Zeit in der Volksschule. Nachdem ich im Kindergarten am Anfang große Probleme gehabt hatte, Freunde zu finden (ich hatte eine ähnlich unglückliche Art wie mein Sohn), hatte ich nach 2 Jahren Kindergarten mehrere Freundinnen, die in dieselbe Volksschulklasse kamen. Im Laufe der 4 Jahre hat sich mein Freundschafts-Schwerpunkt dann mehr zu den Buben verlagert. Ich war einige Male das einzige eingeladene Mädchen auf wilden Buben-Geburtstagsfesten :mrgreen: . Meine Volksschule war klassisch ländlich, mit altem Konzept, 32 Kindern in der Klasse und Frontalunterricht. Trotzdem bin ich immer gern in die Schule gegangen, weil dort auch meine Freunde waren. Und meistens fand ich auch den Unterricht mehr oder weniger interessant, auch wenn vieles dabei war, was ich schon wusste.

Aber von meiner alten Volksschul-Klasse kam nur ein einziges Mädchen (das ich zwar mochte, aber kaum kannte) in meine Hauptschulkasse. Fast alle meine Freunde, ob Buben oder Mädchen, kamen ins Gymnasium oder in die Paralellklasse der Hauptschule. Und etliche in meiner neuen Klasse kannten sich schon und waren untereinander befreundet. Meine hilflosen Versuche, durch blödeln Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, waren eher kontraproduktiv. Das war eine der Ursachen meiner späteren Mobbing-Probleme: von der beliebten, etwas wilden Volksschülerin war ich plötzlich zum isolierten Außenseiter geworden!

So schlimm ist es bei meinem Sohn Gott sei Dank nicht. Aber leider ist er selbst davon überzeugt, dass "die anderen Kinder" ihn nicht mögen, und darunter leidet er.
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Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Rabaukenmama hat geschrieben:
Gott sei Dank ins gerade in den bildungsfernen Schichten nicht mal bekannt, dass in Österreich keine Schulpflicht besteht! Sonst würde man bei diesen Kindern erst nach Ende des ersten Schuljahres (wenn die externen Prüfungen stattgefunden haben) herausfinden, dass sie weder deutsch können noch sonst was gelernt haben! Ein Rückstand, der dann - wenn überhaupt- nur noch sehr schwer aufzuholen ist!
Ich stelle Mal eine etwas provokante Frage in den Raum:
Warum sollten bildungsferne Familien daran interessiert sein, ihre Kinder so lange wie möglich zu Hause zu behalten? Meiner Beobachtung nach sind es oft diese Kinder, die schon so früh und lange wie möglich in Fremdbetreuung gegeben werden. Das ist doch viel leichter, als sich den ganzen Tag mit den Kleinen zu beschäftigen, oder?
Ich denke, diese Angst, das bei einer Bildungspflicht Kinder aus sozial schwachen Schichten benachteiligt werden könnten, ist unbegründet. Wir müssen doch nur in die Länder schauen, in denen keine Schulpflicht existiert und die Kinder trotzdem Bildung erfolgreich erfahren: Österreich, Frankreich, Dänemark, USA, Australien etc. Eine Bildungspflicht finde ich sinnvoll, während ich eine Schulpflicht absolut veraltet und bevormundend finde!

Momo
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BiHa
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von BiHa »

Momo hat geschrieben:Rabaukenmama hat geschrieben:
Gott sei Dank ins gerade in den bildungsfernen Schichten nicht mal bekannt, dass in Österreich keine Schulpflicht besteht! Sonst würde man bei diesen Kindern erst nach Ende des ersten Schuljahres (wenn die externen Prüfungen stattgefunden haben) herausfinden, dass sie weder deutsch können noch sonst was gelernt haben! Ein Rückstand, der dann - wenn überhaupt- nur noch sehr schwer aufzuholen ist!
Ich stelle Mal eine etwas provokante Frage in den Raum:
Warum sollten bildungsferne Familien daran interessiert sein, ihre Kinder so lange wie möglich zu Hause zu behalten? Meiner Beobachtung nach sind es oft diese Kinder, die schon so früh und lange wie möglich in Fremdbetreuung gegeben werden. Das ist doch viel leichter, als sich den ganzen Tag mit den Kleinen zu beschäftigen, oder?
Ich denke, diese Angst, das bei einer Bildungspflicht Kinder aus sozial schwachen Schichten benachteiligt werden könnten, ist unbegründet. Wir müssen doch nur in die Länder schauen, in denen keine Schulpflicht existiert und die Kinder trotzdem Bildung erfolgreich erfahren: Österreich, Frankreich, Dänemark, USA, Australien etc. Eine Bildungspflicht finde ich sinnvoll, während ich eine Schulpflicht absolut veraltet und bevormundend finde!

Momo
Weil es anstrengend ist, morgens aufzustehen und das Kind in den Kiga zu bringen? Weil es extra kostet, das Kind in die Fremdbetreuung zu geben und am Mittagessen teilnehmen zu lassen? Weil man sich nicht mit dem Kind beschäftigen muss, wenn es zuhause ist. Das übernimmt der Fernseher oder die Kinder werden auf den Spielplatz geschickt. Das funktioniert besonders gut, wenn man Kinder in mehreren Altersstufen hat. Ich kenne hier eine Familie vom Sehen, die haben 4 Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren. Die beiden größeren passen auf dem Spielplatz auf die kleinen auf. Ggf schauen die Eltern beim Rauchen auf dem Balkon mal nach dem Rechten. Das Kind im Alter meines Sohnes konnte noch mit 5 keine anständigen Sätze bilden. "habe Kuchen gesst" Dieses Kind war weder im Kiga noch bei den wenigen Vorschulterminen. Immerhin gehen die beiden Kleinen jetzt wohl in den Kindergarten.
charlotte12
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von charlotte12 »

@ Rabaukenmama: Das Sozialverhalten von Deinem Sohn erinnert mich in manchen Punkten stark an meine Tochter. Bei ihr habe ich auch nicht den Eindruck, dass sie ausgegrenzt wird, im Gegenteil. Sie wird gegrüßt, zum Mitspielen aufgefordert usw. und reagiert nicht oder schüttelt den Kopf. Und sie mag v.a. viel jüngere Kinder. Oder Erwachsene. Dann ist sie aber wieder traurig, weil sie kaum Freunde hat. Wenn ich sie frage, warum sie so reagiert, meint sie entweder, sie hätte doch gegrüßt oder dass das Spiel doof war. Kindergeburtstage, auf denen sie mit großem Abstand am ältesten oder das einzige Mädchen war, hatten wir auch schon mehrere. EIn Patentrezept für mehr Sozialkompetenz hast Du vermutlich auch nicht? Die Psychologen, die sie damals testete, erklärte die Vorliebe für jüngere Kinder übrigens damit, dass es dort ausleben kann, dass sie kognitiv weiter ist, ohne dass jemand komisch guckt - sie ist älter, klar kann sie mehr. Neulich fand sie eine Zweitklässlerin toll, aber dann beobachtete ich wieder, dass die Zweitklässlerin strahlend "hallo" sagte, meine Tochter aber nicht reagierte.
Rabaukenmama
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben: Ich stelle Mal eine etwas provokante Frage in den Raum:
Warum sollten bildungsferne Familien daran interessiert sein, ihre Kinder so lange wie möglich zu Hause zu behalten? Meiner Beobachtung nach sind es oft diese Kinder, die schon so früh und lange wie möglich in Fremdbetreuung gegeben werden. Das ist doch viel leichter, als sich den ganzen Tag mit den Kleinen zu beschäftigen, oder?
Ich denke, diese Angst, das bei einer Bildungspflicht Kinder aus sozial schwachen Schichten benachteiligt werden könnten, ist unbegründet. Wir müssen doch nur in die Länder schauen, in denen keine Schulpflicht existiert und die Kinder trotzdem Bildung erfolgreich erfahren: Österreich, Frankreich, Dänemark, USA, Australien etc. Eine Bildungspflicht finde ich sinnvoll, während ich eine Schulpflicht absolut veraltet und bevormundend finde!

Momo
Ich kann BiHa nur zustimmen. Ich weiß z.B. aus verläßlicher Quelle von einem Buben, der Schwierigkeiten in deutsch hat (sowohl sprechen als auch lesen und schreiben) und der KOSTENLOS Nachhilfe bekommen würde (ja, das gibt´s in Wien für Kinder aus benachteiligten Familien!). Nur ist für die Mutter einfach "zu anstrengend" ihn zu den Terminen hinzubringen.

Eine Freundin hat mal in einem Brennpunkt-Kindergarten hier in Wien als Pädagogin gearbeitet. Du kannst Dir nicht vorstellen was da oft los war! Es gab eine Liste mit den Namen der Kinder, die spätestens um 9h im Kindergarten sein mußten und frühestens um 15h abgeholt werden durften. Das war hauptsächlich, damit sie 3x täglich eine verlässliche Mahlzeit bekommen. Ein bis zweimal im Monat wurde ein Kind gar nicht abgeholt und die Pädagogin, die "Schlußdienst" hatte musste so lange mit dem Kind im Kindergarten bleiben bis sich doch wer hinbemüht hat. Dass immer wieder bei den hinterlegten Telefonnummern angerufen wurde versteht sich von selbst - nur was tun, wenn niemand rangeht? Mal waren die Eltern im Drogenrausch, mal war der Vater gerade inhaftiert worden und hat irgendwie nicht daran gedacht die Mutter zu informieren, mal haben die Eltern einfach "vergessen" dass das Kind ja noch gar nicht vor dem heimischen TV sitzt,...

Ich glaube dass es schwer ist, sich vorzustellen, wie es in solchen Familien zugeht. Kleinkinder werden mit Nutellaglas und Löffel von morgens bis abends vor dem Fernseher "geparkt". Später, wenn die Kinder älter werden, gibt´s alle möglichen Konsolenspiele und auch wenn kein Geld für eine anständige Mahlzeit da ist gibt es doch jede Menge internettaugliche Handys wo sich die Kinder was-auch-immer-für Inhalte unlimitiert anschauen können. Da sind etliche Kinder dabei die bei Schuleintritt noch nie eine Schere in der Hand hatten und die Obst und Gemüse maximal vom vorbeigehen am Markt kennen. Du glaubst doch nicht im ernst dass diese Eltern - selbst bei allerbestem Willen - ihren Kinder ohne Schulbesuch so viel beibringen können, dass sie im Leben echte Chancen haben???

Damit meine ich nicht unbedingt Familien mit Migrationshintergrund. Bei denen ist es insofern noch krasser weil da auch noch die Sprachbarriere ist, wenn die Kinder obwohl sie in Österreich geboren wurden bis zur Einschulung kaum ein Wort deutsch gelernt haben. Aber diese Familien gibt es quer durch alle Nationalitäten, ebenso wie es unter Migrantenfamilien sehr engagierte, bemühte Eltern gibt. Ich kenne Erwachsene, deren Eltern beide als Analphabeten und Hilfsarbeiter nach Österreich gekommen sind, und die alles ihnen mögliche getan haben um ihren Kindern eine gute Schul- und Allgemeinbildung zu ermöglichen!

Was, glaubst du, sagt die Bezeichnung "bildungsfern"? Im Klartest heißt es, dass es keine Bücher und kaum vernünftige Spiele gibt. In den Kinderzimmern (wenn überhaupt vorhanden) liegt etwas Plastikramsch von Fastfoodketten und jedes Kind ab dem 3. Lebensjahr mindestens eine Spielkonsole. Bücher gibt es nicht. Spielplatz gibt es nur, wenn rein zufällig in der Nähe. Ausflüge, Schwimmbadbesuche, Urlaube, gemeinsames basteln, vorlesen, Gesellschaftsspiele, sportliche Aktivitäten - gibt es alles nicht! Wie sollen die Kinder unter den Bedingungen was lernen??? Wenn du mich fragst lernen sie für die Verhältnisse, wo sie aufwachsen, sogar erstaunlich viel! Aber leider nicht genug, um nicht gegenüber den umsorgten Wunschkindern der sehr bemühten "Mittelschicht" oder gar Akademikerkindern allein durch die anderen Voraussetzungen extrem ins Hintertreffen zu geraten.

Es gibt etliche Studien, die zeigen, dass die Unterschiede zwischen Kindern aus sozial benachteiligten Familien und Kindern, die behütet und umsorgt aufwachsen, von Jahr zu Jahr größer werden. Allein der link zum vorlesen zeigt, dass es einfach viel weniger Interesse an lesen und Büchern gibt, wenn dieses nicht schon in früher Kindheit vorgelebt wurde. Damit ist aber nicht der Bub aus der Nachbarschaft meiner Eltern gemeint, dessen Eltern beinahe verzweifelt sind, weil er sich einfach nichts vorlesen lassen wolle (er fand das langweilig). Dieser Bub hat trotzdem genug andere Möglichkeiten, kognitives "Futter" zu bekommen. Aber Kinder, die das nicht haben, einfach zu negieren, finde ich schwer verantwortungslos von einer Gesellschaft.

Momo, du nennst Österreich als Beispiel für Kinder, die ohne Schulpflicht Bildung erfolgreich erfahren. In Anbetracht der Tatsache, dass hier auch ohne Schulpflicht über 99% der Kinder Schulen besuchen, hinkt dieses Beispiel. Glaub mir, wären die Schulen wirklich so schlecht, wie du sie hier beschreibst, würden viel mehr Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten! In den USA ist es eher so, dass die Bildungssituation in manchen Schulen so mieserabel ist, dass engagierte Eltern ungewollt in die homelearning-Schiene gedrängt werden, weil sie da nicht mehr zusehen wollen. Das kann ja auch nicht das Ziel dieser "Freiheit" sein!
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

charlotte12 hat geschrieben:@ Rabaukenmama: Das Sozialverhalten von Deinem Sohn erinnert mich in manchen Punkten stark an meine Tochter. Bei ihr habe ich auch nicht den Eindruck, dass sie ausgegrenzt wird, im Gegenteil. Sie wird gegrüßt, zum Mitspielen aufgefordert usw. und reagiert nicht oder schüttelt den Kopf. Und sie mag v.a. viel jüngere Kinder. Oder Erwachsene. Dann ist sie aber wieder traurig, weil sie kaum Freunde hat. Wenn ich sie frage, warum sie so reagiert, meint sie entweder, sie hätte doch gegrüßt oder dass das Spiel doof war. Kindergeburtstage, auf denen sie mit großem Abstand am ältesten oder das einzige Mädchen war, hatten wir auch schon mehrere. EIn Patentrezept für mehr Sozialkompetenz hast Du vermutlich auch nicht? Die Psychologen, die sie damals testete, erklärte die Vorliebe für jüngere Kinder übrigens damit, dass es dort ausleben kann, dass sie kognitiv weiter ist, ohne dass jemand komisch guckt - sie ist älter, klar kann sie mehr. Neulich fand sie eine Zweitklässlerin toll, aber dann beobachtete ich wieder, dass die Zweitklässlerin strahlend "hallo" sagte, meine Tochter aber nicht reagierte.
Ja, genauso ist auch mein Sohn! Einerseits erscheint es, als würde ihm nichts an Freundschaften liegen, andererseits ist er manchmal traurig, keine Freunde zu haben. Heute hat er mir aus heiterem Himmel gesagt, dass ich ihn unbedingt anmelden soll, wenn sein alter Kindergarten wieder eine Samstagsbetreuung hat, weil er dort ein paar Freunde von früher zu treffen hofft.

Patentrezept für mehr Sozialkompetenz habe ich natürlich keines. Ich war als Kind ja selbst in einer ähnliche Lage, nur hatte ich bei der Volksschule einfach mehr Glück. Wobei der Zug für meinen Sohn ja noch nicht abgefahren ist. Vielleicht wird es für ihn einfacher, wenn nächstes Schuljahr die neuen Erstklässler kommen und er nicht mehr zu den ganz "kleinen " gehört.
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Momo »

Rabaukenmama hat geschrieben:
Momo, du nennst Österreich als Beispiel für Kinder, die ohne Schulpflicht Bildung erfolgreich erfahren. In Anbetracht der Tatsache, dass hier auch ohne Schulpflicht über 99% der Kinder Schulen besuchen, hinkt dieses Beispiel. Glaub mir, wären die Schulen wirklich so schlecht, wie du sie hier beschreibst, würden viel mehr Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten! In den USA ist es eher so, dass die Bildungssituation in manchen Schulen so mieserabel ist, dass engagierte Eltern ungewollt in die homelearning-Schiene gedrängt werden, weil sie da nicht mehr zusehen wollen. Das kann ja auch nicht das Ziel dieser "Freiheit" sein!
Ich meinte es genau andersherum ;) . Obwohl es in Österreich und anderen Ländern keine Schulpflicht gibt, gehen die meisten Kinder zur Schule und nur ein Bruchteil wird von engagierten Eltern zu Hause unterrichtet. Ich möchte damit sagen, dass die Angst, Kinder aus sozial schwachen Schichten könnten bei fehlender Schulpflicht nicht zur Schule gehen, unbegründet ist. Fast alle Kinder gehen zur Schule, auch wenn es keine Schulpflicht gibt! Doch es steht den Eltern frei, auch andere Wege, zum Beispiel den des Homeshoolings, zu gehen.

Beim Kindergarten mag es noch anders aussehen, auch wenn ich hier in Berlin mit meinem Kind, welches erst mit 4,5 Jahren in den Kindergarten ging, scheinbar sehr allein auf weiter Flur war. Vielleicht liegt es auch daran, dass die öffentlichen Kindergärten in Berlin kaum etwas kosten, oder weil die Kinder tatsächlich vor den Fernsehern geparkt werden und somit unsichtbar sind.

Kennst Du Beispiele in Österreich, in denen Kinder nicht zur Schule geschickt werden und auch zu Hause nicht ausreichend gefördert werden? Es gibt jährliche Prüfungen, um die Bildung der Kinder zu überprüfen, oder? Gibt es diesbezüglich Probleme?
In Deutschland fehlt das Vertrauen, dass Eltern fähig sind, selbst zu entscheiden, ob sie die Kinder in der Schule oder zu Hause unterrichten wollen. Und das traue ich den Eltern zu, ob sie gebildet sind oder nicht. Und genau das scheint ja auch in den Ländern, in denen es keine Schulpflicht gibt, zu funktionieren.

Momo
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von orangenminze »

...mir gehen gerade noch Familien durch den Kopf, die ihre (meist sind die Töchter betroffen) Kinder am liebsten gar nicht oder nur so kurz wie nötig zur Schule gehen lassen wollen. Da sind zum einen islamische, bildungsferne Familien, zum anderen aber auch freichristliche Familien, in denen die Mädchen maximal die Pflichtjahre zur Schule gelassen werden. In meiner Jahrgangsstufe war so ein Mädchen, die auf Wunsch ihrer Eltern und deren Glaubensgemeinschaft nach der 10. Klasse die Schule verlassen musste. Auch wenn das Mädchen sehr gerne Abitur gemacht hätte. Ich weiss nicht, ob sie überhaupt zur Schule gelassen worden wäre, wenn es keine Schulpflicht geben würde...
Und was die Verantwortlichkeit der Eltern angeht: ... die Mehrheit würden für ihre Kinder bestimmt weiterhin die Regelschule wählen, aus einem Leistungsdenken heraus und weil sie denken, das Schule auch ein Ort des sozialen Lernens ist...
Eine Möglichkeit den Einzelfall zu prüfen, würde für die wenigen Ausnahmen reichen. Wahrscheinlich nicht sehr praktikabel und zu kostspielig, aber nur mal so angedacht.
lg orangenminze
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Re: Lagebericht 2 Wochen Freie Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Ach Momo, homeschooling hört sich zwar cool an, ist es aber nicht. Vielleicht wird koschka noch was dazu schreiben, die hat in der Hinsicht hier die größte Praxis-Erfahrung.

Im Moment könnte ich mir durchaus vorstellen meinen älteren Sohn zu Hause zu unterrichten. In drei, vier, fünf Jahren schaut das schon anders aus. Und ob ich ohne jegliche Kenntnisse in Latein oder Französisch mein Kind in diesen Gegenständen so weit unterrichten kann, dass das Niveau dann in etwa dem auf Gymnasien entspricht, bezweifle ich zutiefst.

Tatsächlich muss ich mich bei ernsthaftem homeschooling mal schlau machen was zu den Prüfungen erwartet wird. Dann muss ich aussuchen aus welchen Quellen ich das entsprechende Wissen vermitteln will und durchsetzen, dass auch die "ungebliebten" Gegenstände gelernt werden. Ist zwar nett wenn ein mathematisch hochbegabtes Kind mit 10 Jahren schon Infinitesimalrechnungen beherrscht, nur sollte es parallel zumindest einen Grundstock an Kenntnissen in Sprachen und Naturwissenschaften haben um die Prüfungen zu bestehen.

Da frage ich mich dann was ich so viel "besser" machen könnte als es in den Schulen gemacht wird. Wenn mein Kind mathematisch hochbegabt ist darf es auch zu Hause nach Schulschluss die kniffeligsten Mathe-Aufgaben zu lösen versuchen. Wenn es sprachlich sehr interessiert ist darf es parallel zu englisch und französisch in der Schule noch zu Hause griechisch, chinesisch oder Farsi lernen.

Tatsächlich unterstützen viele Eltern ihre Kinder parallel zur Schule bei der Verwirklichung der Interessen. Mein Sohn interessiert sich z.B. sehr für Klimawandel, Umweltschutz, Ressourcenschonung und erneuerbare Energien. Wir haben schon ein Wasserkraftwerk besichtigt, waren im Museum für Heizungstechnik und er schaut Filme zu diesen Themen. Bücher dazu haben wir natürlich auch. Alles komplett freiwillig und drucklos. Aber um das zu verwirklichen muss ich ihn nicht zu Hause unterrichten ;) .

Bei meinem jüngeren Sohn schaut es anders aus. Da gibt es - wenn wir Pech haben - kaum Möglichkeiten, um den für sinnesbehinderte Kinder obligatorischen Sonderschullehrplan herumzukommen. Homeschooling ist nicht möglich weil die mündlichen Prüfungen in deutsch abgehalten werden und kein Gebärdensprachdolmetscher zulässig ist - nicht mal dann, wenn ich ihn selbst bezahlen würde :cry: .
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